Eine akzidentelle Hypothermie liegt bei nicht beabsichtigtem Absinken der Körperkerntemperatur auf ≤ 35 °C vor.1
Klinische Beurteilung des Schweregrades − Swiss Staging System
Eine Hypothermie kann klinisch mit dem Swiss Staging System eingeteilt werden.2-3
Es besteht dabei eine gute Korrelation der klinischen Schweregrade mit gemessenen Körperkerntemperaturen.4
Hypothermie Grad I (leicht)
Wach, Kältezittern
Körpertemperatur 32−35 °C
Hypothermie Grad II (mittelschwer)
Eingeschränktes Bewusstsein, kein Zittern mehr
Körpertemperatur 28−32 °C
Hypothermie Grad III (schwer)
Bewusstlosigkeit, Vitalzeichen noch vorhanden
Körpertemperatur 24−28 °C
Hypothermie Grad IV
Bewusstlos, keine Vitalzeichen mehr
Körpertemperatur < 24 °C
Therapie
Therapieziele
Normale Körpertemperatur wiederherstellen.
Komplikationen während der Wiedererwärmung vermeiden.
Bei Bedarf kardiopulmonale Reanimation
Allgemeines zur Therapie
Es gilt der Grundsatz: „Nobody is dead, until warm and dead!"
Unterkühlte Patient*innen müssen mit großer Vorsicht behandelt werden, da Manipulationen (z. B. Umlagern, Katheteranlage) zu Herzrhythmusstörungen mit Kreislaufstillstand führen können (Bergungstod).5
Bei schwerer Hypothermie sollte eine Wiedererwärmung durch extrakorporale Zirkulation (ECLS) angestrebt werden.6
Präklinische Maßnahmen
Hypothermie Grad I
Aktive Bewegung bei bewusstseinsklaren Patient*innen mit geringer Hypothermie (schnellere Erwärmung als durch Kältezittern)5
Warme Getränke
Wechseln nasser Kleidung
Kopfschutz (starker Wärmeverlust über unbedeckte Kopfhaut)
Hypothermie Grad II−III
Möglichst geringe Bewegung der Patient*innen
Horizontale Lagerung und Rettung
Passiver Kälteschutz mit Decken, Schutzfolien etc.
Aktive Erwärmung mit Wärmepads (Applikation stammnah), Wärmedecken etc.
Eine aktive Erwärmung mit warmen Infusionen unter prähospitalen Bedingungen eher unrealistisch, zumal die Anlage eines i. v. Zugangs schwierig sein kann.7
Im Einzelfall kann bei Verfügbarkeit alternativ die Anwendung eines intravasalen Katheters zum Temperaturmanagement erwogen werden.11
Traditionelle Methoden zur Wiedererwärmung wie Dialyse oder Spülung von Körperhöhlen sind heute von nachgeordneter Bedeutung.5
GCR (German Resuscitation Council): Maßnahmen bei akzidenteller Hypothermie8
Stellen Sie die Kerntemperatur mit einem für niedrige Temperaturen geeigneten Thermometer fest: tympanische Messung bei Spontanatmung, ösophageale bei Patient*innen mit einem Trachealtubus oder einem Larynxtubus mit Absaugkanal.
Überprüfen Sie bis zu 1 min lang die Vitalfunktionen.
Präklinisch sind Isolationsdecke, Triage, schneller Transport in ein Krankenhaus und Wiedererwärmung die Schlüsselinterventionen.
Hypotherme Patient*innen mit Risikofaktoren für einen bevorstehenden Kreislaufstillstand, d. h. Kerntemperatur < 30 °C, ventrikuläre Arrhythmie, systolischer Blutdruck < 90 mmHg und Patient*innen im Kreislaufstillstand sollten idealerweise zur Wiedererwärmung direkt in ein Zentrum mit der Möglichkeit einer extrakorporalen Zirkulation (ECLS) gebracht werden.
Personen mit hypothermem Kreislaufstillstand sollen während des Transports kontinuierlich reanimiert werden.
Thoraxkompressionen und Beatmung sollen sich nicht von der bei normothermen Patient*innen unterscheiden.
Wenn das Kammerflimmern (VF) nach 3 Schocks persistiert, warten Sie mit weiteren Defibrillationsversuchen bis die Kerntemperatur > 30 °C beträgt.
Warten Sie auch mit Adrenalingaben, wenn die Kerntemperatur < 30°C ist.
Bei einer Kerntemperatur > 30 °C verlängern Sie das Doseirungsintervall für Adrenalin auf 6–10 min.
Wenn ein längerer Transport ansteht oder das Gelände schwierig ist, wird die Verwendung eines mechanischen CPR-Geräts empfohlen.
Bei hypothermen Patient*innen im Kreislaufstillstand < 28 °C kann die CPR verzögert begonnen werden, wenn sie vor Ort zu gefährlich oder nicht durchführbar ist. Es kann intermittierend reanimiert werden, wenn eine kontinuierliche CPR nicht möglich ist.
Die Prognose für eine erfolgreiche Wiedererwärmung im Krankenhaus soll auf dem HOPE- oder ICE-Score basieren. Die traditionelle Prognoseerstellung im Krankenhaus auf Basis des Serumkaliums ist nicht zuverlässig.
Bei hypothermem Kreislaufstillstand soll eine Wiedererwärmung mit ECLS durchgeführt werden, vorzugsweise mit extrakorporaler Membranoxygenierung (ECMO) über einen kardiopulmonalen Bypass (CPB).
Wenn ein ECLS-Zentrum nicht innerhalb von Stunden (z. B. 6 Stunden) erreicht werden kann, soll die Wiedererwärmung ohne ECLS in einem peripheren Krankenhaus eingeleitet werden.
Deutscher Rat für Wiederbelebung. Reanimation. Stand 2021. www.grc-org
Arbeitsgemeinschaft in Norddeutschland tätiger Notärzte (AGNN). Hypothermie. Stand 2020. www.agnn-therapie.de
Literatur
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Allgäuer S, Pieper F, Mahrholdt H. Schwere akzidentelle Hypothermie - Behandlung mithilfe eines intravaskulären Katheters zum Temperaturmanagement. Med Klin Intensivmed Notfmed 2017; 112: 731-736. doi:10.1007/s00063-017-0291-z DOI
Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Eine akzidentelle Hypothermie liegt bei nicht beabsichtigtem Absinken der Körperkerntemperatur auf ≤ 35 °C vor.1 Eine Hypothermie kann klinisch mit dem Swiss Staging System eingeteilt werden.2-3
Es besteht dabei eine gute Korrelation der klinischen Schweregrade mit gemessenen Körperkerntemperaturen.4