Die Ingestion bezeichnet ein Verschlucken eines Fremdkörpers in den Verdauungstrakt (Hypopharynx, Ösophagus, Magen oder Dünndarm).1
Bei Erwachsenen unterscheidet man die versehentliche Fremdkörperingestion von der intentionalen mit sekundärem Krankheitsgewinn.2
Häufigkeit
Bei Kindern und Jugendlichen kommt das Verschlucken von Fremdkörpern häufig vor. Meist sind Kleinkinder und neurologisch auffällige Kinder sowie Jugendliche mit suizidaler Absicht betroffen.3
Die tatsächliche Häufigkeit von Ingestionen wird wesentlich höher geschätzt, da die meisten unbemerkt und asymptomatisch verlaufen.4
Bei Erwachsenen kommt es meist im Rahmen der Nahrungsaufnahme zur Ingestion von Fremdkörpern, am häufigsten sind Fischgräten, Hühnerknochen und Zahnprothesen.2
Fremdkörperingestionen mehren sich im fortgeschrittenen Alter, bei mentaler Retardierung und bei psychiatrischen Erkrankungen.2
In den USA stellen sich ca. 3,5 Patienten pro 100.000 Einwohner pro Jahr nach Ingestion einer Knopfbatterie vor, wobei die Zahlen kontinuierlich steigen.1
Bei Erwachsenen gibt es in den USA ca. 1.500 Todesfälle pro Jahr aufgrund von Ingestionen.2
Für Deutschland liegen keine epidemiologischen Daten vor.1
ICPC-2
D79 Fremdkörper im Verdauungssystem
ICD-10
T18 Fremdkörper im Verdauungstrakt
T18.0 Fremdkörper im Mund
T18.1 Fremdkörper im Ösophagus
T18.2 Fremdkörper im Magen
T18.3 Fremdkörper im Dünndarm
T18.8 Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen des Verdauungstraktes
T18.9 Fremdkörper im Verdauungstrakt, Teil nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Allgemeines
Diagnostik und Therapie richten sich nach dem Alter der Patienten, einer ggf. bestehenden Vorerkrankung, der Symptomatik, der Art des verschluckten Fremdkörpers und dessen Lokalisation im Gastrointestinaltrakt.3
Die anatomischen Engen des Magen-Darm-Traktes und damit die häufigsten Stellen, die ein verschluckter Fremdkörper nicht passieren kann, sind der Ösophagus mit seinen drei Engen, der Pylorus und die Bauhin-Klappe. Ösophagusfremdkörper findet man meistens im oberen Ösophagusdrittel oder im Ösophaguseingang.4
Eine Länge über 6 cm sowie ein Durchmesser über 2,5 cm erschweren die Duodenalpassage und zeigen bei Erwachsenen die Grenze zur Indikation einer Endoskopie an.2
Bei Erwachsenen kommen Fremdkörperimpaktionen meist im Rahmen einer vorbestehenden Pathologie (z. B. Strikturen, Malignome, ösophageale Ringe) vor.2
Da es bei einer Ingestion und vor allem bei Impaktierung im oberen Ösophagus zu einer Beeinträchtigung der Atmung kommen kann, kann es schwierig sein, zu unterscheiden, ob sich ein Fremdkörper in den Atemwegen oder dem Gastrointestinaltrakt befindet.
Anamnese
Zeitpunkt der Ingestion
ggf. auch Zeitpunkt der letzten Nahrungsaufnahme
Angaben zum Gegenstand
Kopfbatterien, Magnete und Knochen gehören zu den gefährlichsten Gegenständen.
Spitze und scharfkantige Gegenständen sind ebenfalls mit Vorsicht zu betrachten.
Von Kleinkindern werden häufig Münzen, Murmeln, Spielzeug- und andere Kleinteile verschluckt.4
Schulkinder benutzen ihren Mund manchmal als „dritte Hand“, wobei Reißzwecken, Nadeln oder Ähnliches verschluckt werden.4
Mit Absicht werden eher relativ große (größere Münzen, Kugeln) oder gefährliche Fremdkörper (Rasierklingen) ingestiert.4
Bei Erwachsenen sind es vor allem Fischgräten, Hühnerknochen und Zahnprothesen, die verschluckt werden.2
Symptome
Eine Fremdkörperingestion kann sich durch Würgen, Erbrechen bzw. Schluckstörungen, Fremdkörpergefühl und (anhaltenden) starken Speichelfluss bemerkbar machen.1
Bei einer begleitenden Larynx- und/oder Trachealkompression kann es zudem zu Atemnot kommen.1
Bei mental retardierten Kindern kommt es häufig zum unbemerkten Verschlucken von Fremdkörpern. Deshalb sollte bei unklarem Erbrechen, Salivation oder Unruhe daran gedacht werden.4
Vorerkrankungen, frühere Bolusereignisse, Dysphagie, Allergien und anatomische Besonderheiten3
Beim Verdacht auf eine Fremdkörperingestion sollte nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen (diagnostische Erkenntnis) und Risiko (Strahlenbelastung) eine Röntgen-Thorax-Aufnahme mit Einblendung des Halses bis zur unteren Thoraxapertur angefertigt werden.
Ingestierte Fremdkörper, vor allem diejenigen, von denen Komplikationen zu erwarten sind (Magnete, Knopfbatterien u. a.), sind meist röntgendicht.
Beim Verdacht auf Ingestion von Batterien oder mehr als einem Magneten sollen zur Klärung der Anzahl der Fremdkörper und deren Lage sowohl eine a. p. als auch eine linksseitliche Röntgenaufnahme des Abdomens durchgeführt werden.
Radiologisch zu beurteilen ist der gesamte Bereich vom Oberkiefer bis zum Abdomen/Becken bzw. nach spezieller Fragestellung. Auf eine Kontrastmittelapplikation kann in der Regel verzichtet werden.3
Obwohl Fischgräten und Knochen ausreichend röntgendicht sind, um dargestellt zu werden, können sie durch Flüssigkeit und Weichteilmasse maskiert werden.2
Computertomografie
Bei Erwachsenen spielt die Computertomografie mit einer Sensitivität von 100 % und einer Spezifität von 91 % eine wesentliche Rolle in der Diagnostik der Fremdkörperingestion, wenn die Grenzen des konventionellen Röntgens überschritten werden.2
Zwischen der Bildgebung und einer evtl. Intervention sollte nicht zu viel Zeit vergehen, da sich die Lage des Fremdkörpers noch verändern kann.2
Die Durchführung einer endoskopischen Untersuchung sollte interdisziplinär erfolgen.
Ösophageale Knopfbatterien sollen zur Vermeidung schwerwiegender Sekundärkomplikationen so schnell wie möglich (d. h. möglichst innerhalb von 2 Stunden nach Ingestion) endoskopisch entfernt werden.
Wenn sich ein Fremdkörper bereits im Magen befindet, kann nach radiologischer Kontrolle in der Regel abgewartet werden – mit folgenden Ausnahmen:
spitze und scharfkantige Gegenstände
(mehrere) Magnete.
Einzelne Magnete müssen in der Regel nicht geborgen werden.
Neben den möglichen Komplikationen (s. u.) soll auch bedacht werden, dass ein Fremdkörper nach der Passage ins Jejunum endoskopisch nicht mehr erreicht werden kann.
Lassen sich Magnete endoskopisch nicht entfernen, sollte bei symptomatischen Patienten eine Laparotomie erwogen werden, auf jeden Fall aber eine stationäre Überwachung wegen der Gefahr einer Perforation/Peritonitis erfolgen.
Bei verschluckten Knopfzellen spielen auch das Alter des Kindes und die Größe des Fremdkörpers eine Rolle.
Bei Kindern unter 5 Jahren, die eine Knopfzelle von 20 mm oder mehr im Durchmesser im Magen haben, sollte eine unmittelbare Endoskopie erwogen werden.
Bei Kindern über 5 Jahre, die eine Knopfzelle von 20 mm oder mehr Durchmesser im Magen haben, sollte nach 24–48 Stunden radiologisch kontrolliert und erst bei weiter bestehender intragastraler Lage endoskopisch interveniert werden.
Bei Erwachsenen mit akuter Dysphagie und passender Anamnese wird eine Laryngoskopie empfohlen, bei der ein Fremdkörper ggf. relativ komplikationslos entfernt werden kann, wenn er sich an einer Stelle befindet, die gut einsehbar und zugänglich ist.2
Falls der Fremdkörper laryngoskopisch nicht lokalisiert werden kann, aber eine akute Dysphagie vorliegt, muss als weiterer Schritt eine Impaktion im Ösophagus ausgeschlossen werden.2
Ein Fremdkörpergefühl mit Dysphagie kann aber auch noch mehrere Stunden nach Abgang eines Fremdkörpers vorliegen.2
Eine Unterscheidung ist klinisch allerdings nicht möglich, sodass bei entsprechender Klinik notfallmäßig eine Endoskopie indiziert ist, die sowohl der Diagnosesicherung bzw. dem Ausschluss einer Fremdkörperingestion sowie ggf. der Therapie dient.2
Bei Erwachsenen, die einen ungefährlichen Fremdkörper, der weniger als 6 cm Länge und weniger als 2,5 cm Durchmesser misst, verschluckt haben, kann der spontane Abgang abgewartet werden.
Dieser ist meistens in 4–6 Tagen zu erwarten. Seltener kann es bis zu 4 Wochen dauern.
Bis dahin sollte der Stuhl beobachtet werden.
Eine Änderung des Essverhaltens ist nicht notwendig.
Bei fehlender Passage wird eine wöchentliche Röntgenkontrolle zur Dokumentation der Lokationsänderung empfohlen.
Chirurgischer Eingriff
Lassen sich bei Kindern mehrere verschluckte Magnete endoskopisch nicht entfernen, sollte bei symptomatischen Patienten eine Laparotomie erwogen werden, auf jeden Fall aber eine stationäre Überwachung wegen der Gefahr einer Perforation/Peritonitis erfolgen.1
Eine chirurgische Intervention ist bei Erwachsenen in weniger als 1 % der Fälle notwendig und wird meistens wegen einer Perforation durchgeführt.2
Wenn sich ein Fremdkörper länger als 1 Woche unverändert im distalen Dünndarm befindet, ist eine chirurgische Konsultation empfohlen.2
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
Bei Kindern ist eine Klinikeinweisung in eine Einrichtung mit Erfahrungen in der Kinderendoskopie und -anästhesie unumgänglich bei:4
Fremdkörpern im Ösophagus
spitzen und scharfkantigen Gegenständen
verschluckten Magneten und Batterien.
Symptomatische Erwachsene und Erwachsene, die gefährliche Gegenstände verschluckt haben, sollten ebenfalls zur Endoskopie und ggf. stationären Überwachung in ein Krankenhaus eingewiesen werden.
Komplikationen
Die meisten Fremdkörper passieren den Gastrointestinaltrakt problemlos, es kann allerdings zu schwerwiegenden Komplikationen bis hin zum Tod kommen.3
Mögliche Komplikationen im Ösophagus sind Schleimhautläsionen mit konsekutiver Ösophagusstriktur und Ösophagusperforationen mit der Gefahr tracheoösophagealer oder aortoösophagealer Fisteln und Mediastinitis.1
Im weiteren Gastrointestinaltrakt kann es bei transmuralem Magnetkontakt zu Darmnekrosen mit Perforation kommen.1
Zwischen Knopfbatterien kann im Ösophagus Strom fließen, auch Drucknekrosen sind möglich.3
Zudem bergen Batterien die Gefahr der Freisetzung alkalischer Substanzen, Liquidationsnekrosen, Fistelbildungen und ggf. Quecksilbervergiftungen.2
Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). Interdisziplinäre Versorgung von Kindern nach Fremdkörperaspiration und Fremdkörperingestion. AWMF-Leitlinie 001-031. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
Literatur
Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). Interdisziplinäre Versorgung von Kindern nach Fremdkörperaspiration und Fremdkörperingestion. AWMF-Leitlinie 001-031, Stand 2015. www.awmf.org
Ambe P, Weber SA, Schauer M et al. Verschluckte Fremdkörper bei Erwachsenen. Dtsch Arztebl Int 2012. www.aerzteblatt.de
Furlano RI, Sokollik C, Köhler H. Fremdkörper-Ingestionen im Kindes- und Jugendalter. Paedriatica 2016. www.swiss-paediatrics.org
Winkler U, Henker J, Rupprecht E. Fremdkörperingestionen im Kindesalter. Dtsch Arztebl 2000. www.aerzteblatt.de
Autoren
Miriam Spitaler, Dr. med. univ., Ärztin für Allgemeinmedizin, Innsbruck/Österreich
Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
nedsvelget fremmedlegeme hos barnT18; Fremmedlegeme, nedsvelgetT180; verschluckte fremdkörper bei kindernT181; Fremdkörper,T182; verschluckterT183; T188; T189
nedsvelget fremmedlegeme hos barn; Fremmedlegeme, nedsvelget; verschluckte fremdkörper bei kindern; Fremdkörper, verschluckter
nedsvelget fremmedlegeme hos barn; Fremmedlegeme, nedsvelget; verschluckte fremdkörper bei kindern; Fremdkörper, verschluckterD79
Ingestion; Fremdkörper im Verdauungstrakt; Magnete; Knopfbatterien
Verschluckter Fremdkörper
BBB MK 19.09.2018, komplett überarbeitet und umstrukturiert
Die Ingestion bezeichnet ein Verschlucken eines Fremdkörpers in den Verdauungstrakt (Hypopharynx, Ösophagus, Magen oder Dünndarm).1 Bei Erwachsenen unterscheidet man die versehentliche Fremdkörperingestion von der intentionalen mit sekundärem Krankheitsgewinn.2