Definition:Erbkrankheit, die zur allmählichen Entwicklung einer Muskeldystrophie führt. Wird verursacht durch einen Defekt oder Mangel an Dystrophin und X-chromosomal-rezessiv vererbt.
Häufigkeit:Schätzungen der Inzidenz unter neugeborenen Jungen reichen von 1:18.000 bis 1:31.000; die Erkrankung kommt seltener vor als die Dystrophie Duchenne.
Symptome:Progressiver Muskelschwund, der normalerweise im Alter von 5–20 Jahren diagnostiziert wird. Die Gehfähigkeit verlieren die Betroffenen in der Regel im Alter von 25–40 Jahren.
Befunde:Klinische Zeichen sind ein watschelnder Gang und schließlich der Verlust der Gehfähigkeit. Die Muskelschwäche ist proximal am stärksten, eine Volumenzunahme der Muskulatur und gesteigerte Lendenlordose liegen häufig vor. Mögliche Komplikationen stellen Atembeschwerden, Skoliose und Kardiomyopathie dar.
Diagnostik:Verdachtsdiagnose nach Bluttest (CK). Die genetische Analyse und/oder eine Muskelbiopsie bestätigen schließlich die Diagnose.
Therapie:Es gibt keine kausale Therapie, die Behandlung besteht vor allem in der Prophylaxe von Komplikationen und Linderung von Krankheitserscheinungen. Die Lebenserwartung ist häufig vermindert.
Allgemeine Informationen
Definition
X-chromosomal-rezessive genetische Störung, die zum teilweisen Verlust von Dystrophin und infolgedessen zu graduell variierender Myopathie führt.1
Häufigkeit
Internationalen Studien zufolge wird die Erkrankung bei etwa 1 von 18.000 Jungen nachgewiesen – also seltener als die Muskeldystrophie Duchenne.1-5
Ätiologie und Pathogenese
X-chromosomal-rezessiver Erbgang
Genetische Störung des X-Chromosoms in Position Xp21.2 (derselben Position wie bei Duchenne)1,4-6
Die genetische Störung führt zu einem teilweisen Defekt oder einer verringerten Produktion von Dystrophin (= wichtiger Bestandteil der Muskelfasermembran).1,4-5
Muskeldystrophie Becker und Duchenne werden auch als Dystrophinopathien bezeichnet.
Bei der Muskeldystrophie Becker beläuft sich der Dystrophingehalt der Muskulatur auf > 5 % des Normalwerts, oft liegt er zwischen 20 und 50 %, bisweilen auch höher.1,3-4
Bei der Muskeldystrophie Duchenne beläuft sich der Dystrophingehalt auf weniger als 5 % des Normalwerts.3
ICPC-2
N99 Neurologische Erkrankung, andere
ICD-10
G71.0 Muskeldystrophie, gutartige (Becker)
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Nachweis einer Muskelschwäche, insbesondere in den proximalen Muskelgruppen1,3-4,7
Die Symptome treten später als bei Duchenne in Erscheinung, d. h. ab einem Alter von 5 Jahren.2-3
Eine sichere Diagnose erfordert die Analyse des Dystrophins und zugleich den Nachweis eines Fehlers im Genort Xp21.4-5
myotone Phänomene (Greifmyotonie, Augenschlussmyotonie oder Perkussionsmyotonie)
Rippling des Muskels (Muskelwogen).
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
CK-Erhöhung: Eine persistierende Erhöhung der Kreatinkinase (CK) nach körperlicher Schonung ist ein wichtiger Hinweis auf das Vorliegen einer Myopathie. Allerdings schließt ein normaler CK-Wert eine Myopathie nicht aus.
Faustregel: Eine mehr als 10-fache CK-Erhöhung deutet stark auf eine primär myogene Ursache hin.
Im Spätstadium kann die CK nur (noch) leichtgradig erhöht sein.
Andere nicht nur muskelspezifische Serumparameter (z. B. Transaminasen, LDH, Aldolase) können ergänzend sinnvoll sein.3
Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
MRT
Wichtigstes bildgebendes Verfahren bei Muskelkrankheiten, zeigt Veränderungen häufig an und hilft zur Auswahl des richtigen Biopsieorts.
EMG-Untersuchung
Wichtig, um neurogene von myopathischen Prozessen zu unterscheiden.
Neurografie und repetitive Serienreizung
zum Ausschluss einer Neuropathie bzw. neuromuskulären Übertragungsstörung
Myosonografie
Kann bei Kindern angewandt werden.
Molekulargenetik
MLPA (Multiplex-Ligation-Probe-Amplifikation) Dystrophin-Gen zum Nachweis von Deletionen/Duplikationen und Sequenzierung zum Nachweis von Punktmutationen5
Bei negativer MLPA-Genetik ist eine Biopsie bei begründetem Verdacht auf eine hereditäre Myopathie indiziert: Routine Immunhistologie Western Blot.5
Lungenfunktionsuntersuchung
Kann einen Hinweis auf eine Atemmuskelschwäche geben: Bestimmung der forcierten Vitalkapazität.
Bei Verdacht auf die Krankheit und/oder auffälligen Voruntersuchungen sollte eine neuropädiatrische (Kinder) oder neurologische (Erwachsene) Überweisung erfolgen.1
Besonders diagnostisch schwierige Patient*innen sollten in neurologischen Kliniken bzw. spezialisierten neuropädiatrischen Abteilungen an neuromuskulären Zentren vorgestellt werden.
Bei hereditären Muskelerkrankungen ist eine genetische Beratung bei Humangenetiker*innen oder Ärzt*innen mit Qualifikation zur fachgebundenen genetischen Beratung zu empfehlen.
Therapie
Therapieziele
Erkrankung möglichst früh erkennen.
Komplikationen vorbeugen.
Der Gendefekt und die fehlende Dystrophinproduktion können derzeit nicht behoben werden.1
Symptomatisch supportive Therapie mit systemischen Steroiden (Prednisolon)4,11, frühzeitiger supportiver Atemtherapie bei zunehmender Schwäche der Atemhilfsmuskulatur und frühzeitiger kardialer Prävention3,7
Kardiale Kontrollen bei Diagnosestellung und dann jährlich über mindestens 5 Jahre8
Eine Behandlung mit ACE-Hemmern ist indiziert, wenn Anzeichen einer eingeschränkten linksventrikulären Funktion vorliegen.1
Physiotherapie, aktiver Gebrauch von Hilfsmitteln11
Empfehlungen für Patient*innen
Aerobes physisches Training, z. B. Radfahren, wirkt sich positiv aus und kann dazu beitragen, die körperliche Leistungsfähigkeit der Patient*innen zu steigern (Ib).12
Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (DGM) hat neuromuskuläre Zentren (NMZ) zur fachgerechten Diagnostik und Behandlung gegründet.1
Die DGM bietet Patient*innen und Angehörigen Unterstützungsangebote, persönliche sowie sozialrechtliche Beratungen und Hilfsmittelberatungen (www.dgm.org).
Verzögert erwiesenermaßen die Entwicklung einer Kardiomyopathie und steigert die Überlebenschancen.
Neue Medikamente befinden sich in der Entwicklung und werden in erster Linie bei Duchenne getestet, können jedoch auch bei Becker von Bedeutung sein.3,5,7,11,14-15
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik von Myopathien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-115. S1, Stand 2021. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik von Myopathien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-115. S1, Stand 2021. www.awmf.org
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Autor*innen
Moritz Paar, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Erbkrankheit, die zur allmählichen Entwicklung einer Muskeldystrophie führt. Wird verursacht durch einen Defekt oder Mangel an Dystrophin und X-chromosomal-rezessiv vererbt.