A28 Sonstige näher bezeichnete bakterielle Zoonosen, anderweitig nicht klassifiziert
A28.2 Extraintestinale Yersiniose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Typische Klinik mit Verzehr von rohem Schweinefleisch in der Anamnese
Diagnosesicherung durch direkten Erregernachweis mittels Kultivierung aus Untersuchungsmaterial von den Patient*innen (Stuhl, Biopsiematerial aus Lymphknoten u. Ä., Blut)1
Bei größeren Kindern und jüngeren Erwachsenen kann das Krankheitsbild mit vergrößerten mesenteriale Lymphknoten einer akuten Blinddarmentzündung ähneln (Pseudo-Appendizitis durch rechtsseitige Unterbauchschmerzen bei Ileitis terminalis).9
Konservative Behandlung, v. a. mit Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution
In der Regel handelt es sich um eine selbstlimitierende Krankheit.
Behandlung mit Antibiotika nur in schweren Fällen und bei septischen Verläufen
Gelenkschmerzen und Erythema nodosum sind immunologisch bedingt und keine Indikation für eine Behandlung mit Antibiotika.
Empfehlungen für Patient*innen
Zu Beginn der Durchfallperiode und bei anhaltender mittelschwerer Erkrankung wird reichliche Flüssigkeitsaufnahme empfohlen.
Insbesondere für Kinder sind neben dem Flüssigkeitsersatz auch Energieträger und Elektrolyte notwendig.15
Hierfür sollten entsprechende Elektrolytpulver mit Zucker und Salzen aus der Apotheke verwendet werden (orale Rehydrationslösung, ORL).
Behandlung mit Medikamenten
Die folgenden medikamentösen Empfehlungen beruhen auf der Leitlinie „Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple“, die im Januar 2020 abgelaufen ist.12
Bei akuter Yersinien-Infektion sollte in der Regel keine antimikrobielle Therapie durchgeführt werden.
Bei schwerem Krankheitsbild oder fehlender klinischer Besserung sollte, abhängig vom Krankheitsbild, eine antimikrobielle Therapie mit folgenden Substanzen durchgeführt werden (unter Beachtung der Resistenztestung):
Enterokolitis
Ciprofloxacin (1 g/Tag p. o. oder 800 mg/Tag i. v. für 5–7 Tage) oder
Cotrimoxazol (1.920 mg/Tag p. o. oder i. v. für 5–7 Tage)
Bakteriämie
Ceftriaxon (2 g/Tag i. v. für 7–14 Tage) oder
Ciprofloxacin (1 g/Tag p. o. oder 800 mg/Tag i. v. für 7–14 Tage)
Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen.17
besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung
keine Kombination mit Kortikosteroiden
nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen
Prävention
Ratschläge zum Schutz vor Infektionen mit Yersinien gibt das Bundesinstitut für Risikobewertung:2
(Schweine-)Fleisch vor dem Verzehr für mindestens 2 Minuten auf mindestens 70 °C erhitzen.
Übertragung der Bakterien vom rohen Fleisch auf andere Lebensmittel vermeiden.
Cave: „Kreuzkontamination“ über Hände, Schneidbretter oder Messer!
Besonders empfindliche Personengruppen, dazu zählen Kleinkinder, Schwangere, Senioren und Personen mit geschwächter Immunabwehr, sollten auf den Verzehr von rohem Fleisch verzichten.
gründliches Waschen der Hände mit Wasser und Seife nach jedem Toilettenbesuch, nach Kontakt mit vermutlich kontaminierten Gegenständen (z. B. Windeln), Arbeitsgeräten und -flächen in der Küche und vor der Zubereitung von Mahlzeiten
Führt zwar nicht zur sicheren vollständigen Beseitigung, aber zur deutlichen Reduzierung der bakteriellen Keimkonzentration an den Händen.
Meldepflicht
Dem Gesundheitsamt wird gemäß § 7 Abs. 1 IfSG der direkte oder indirekte Nachweis von darmpathogenen Yersinia spp., soweit er auf eine akute Infektion hinweist, namentlich gemeldet.1
Extraintestinale Reaktionen (z. B. Erythema nodosum, Arthritis) sind nicht melde- und übermittlungspflichtig.
Des Weiteren ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 IfSG der Verdacht auf und die Erkrankung an einer akuten infektiösen Gastroenteritis meldepflichtig,1
wenn die betroffene Person Umgang mit Lebensmitteln hat oder in Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung (z. B. Küchen, Gaststätten) beschäftigt ist (siehe Maßnahmen bei Einzelerkrankungen) oder
2 oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf und Prognose
Zumeist selbstlimitierender Verlauf ohne ernsthafte Komplikationen
Patient*innen mit Hämochromatose, Hämoglobinopathien und anderen Erkrankungen, die mit einer Eisenüberladung in Zusammenhang stehen, sind einem größeren Risiko für extraintestinale Komplikationen und schwere Verläufe ausgesetzt.19
Die Virulenz des Bakteriums wird durch Eisen gesteigert.
Bei Patient*innen mit Eisenüberladung wurde eine durch Therapie mit Deferoxamin erhöhte Infektionsanfälligkeit für Infektionen mit Yersinia enterocolitica und pseudotuberculosis beobachtet.
Bei Fieber, vor allem in Kombination mit Bauchschmerzen oder Enteritis, sollte die Deferoxamin-Therapie daher unterbrochen werden.20
Wiederzulassung für erkrankte/krankheitsverdächtige Kinder, die das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist 48 Stunden nach Abklingen der klinischen Symptome möglich.
Die Einschränkung der Tätigkeit bzw. des Besuchs der Gemeinschaftseinrichtung gilt, bis nach ärztlichem Urteil eine Weiterverbreitung der Krankheit nicht mehr zu befürchten ist.
Das ärztliche Urteil kann das Urteil der behandelnden Ärzt*in oder einer Ärzt*in des zuständigen Gesundheitsamtes sein. Das ärztliche Urteil kann mündlich erfolgen.
Lebensmittelbetriebe und Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung
beim Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen der in § 42 Abs. 2 IfSG genannten Lebensmittel (s. u.), wenn sie dabei mit diesen in Berührung kommen, oder
in Küchen von Gaststätten und sonstigen Einrichtungen mit oder zur Gemeinschaftsverpflegung.
Fische, Krebse oder Weichtiere und Erzeugnisse daraus
Eiprodukte
Säuglings- und Kleinkindernahrung
Speiseeis und Speiseeishalberzeugnisse
Backwaren mit nicht durchgebackener oder durcherhitzter Füllung oder Auflage
Feinkost-, Rohkost- und Kartoffelsalate, Marinaden, Mayonnaisen, andere emulgierte Soßen, Nahrungshefen
Sprossen und Keimlinge zum Rohverzehr sowie Samen zur Herstellung von Sprossen und Keimlingen zum Rohverzehr.
Eine Wiederaufnahme der Tätigkeit ist nach Sistieren der Symptome unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Da die Ausscheidung von Yersinien noch längere Zeit andauern kann, ist für einen Zeitraum von etwa 4 Wochen nach Sistieren der Symptome verstärkt auf die strikte Einhaltung einer adäquaten Händehygiene zu achten, um eine direkte oder indirekte Kontamination von Lebensmitteln zu vermeiden.
Betroffene Personen sollten in diesem Zeitraum nicht in lebensmittelhygienisch sensiblen Bereichen tätig werden.
Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Sekundäre Eisenüberladung bei Patienten mit angeborenen Anämien, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 025-029. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE). Akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 068-003. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
Literatur
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Bundesinstitut für Risikobewertung. Yersinien in Lebensmitteln: Empfehlungen zum Schutz vor Infektionen. Stellungnahme Nr. 002/2013 des BfR vom 18. Januar 2013. www.bfr.bund.de
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Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Welterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Bakterielle Magen-Darm-Entzündung, in der Regel ausgelöst durch den Verzehr von rohem Schweinefleisch. Häufigkeit:2.384 gemeldete Erkrankungen im Jahr 2018 in Deutschland.