Definition:Fast immer tödliche Viruserkrankung, die durch Tierbisse oder Kontakt von Wunden/Schleimhäuten mit infektiösem Material übertragen wird und das Zentralnervensystem angreift.
Häufigkeit:Weltweit häufig; in Deutschland sehr selten.
Symptome:Schmerzen in und um die Bissstelle und einem unspezifischen Krankheitsgefühl, manchmal Fieber. Unruhe, Hydrophobie und Angstattacken.
Befunde:Motorische Unruhe, Aggressivität, Hyperventilation, vermehrter Speichelfluss und Krampfanfälle, Schluckstörungen. Paresen und Koma.
Diagnostik:Die Diagnosestellung erfolgt in der Regel klinisch und anhand der spezifischen Anamnese.
Therapie:Zur Behandlung nach dem Biss eines möglicherweise tollwütigen Tiers sollte die Wunde gründlich mit Wasser, Seife und Alkohol ausgewaschen werden. Eine Postexpositionsimpfung und ggf. die Gabe von humanspezifischem Tollwut-Immunglobulin sollten so schnell wie möglich erfolgen.
Allgemeine Informationen
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Definition
Tollwut oder Rabies ist eine fast immer tödliche endende Viruserkrankung, die das zentrale Nervensystem angreift.
Tollwut wird durch Bisse infizierter Tiere oder durch Kontakt zu infiziertem Speichel auf den Menschen übertragen.
Häufigkeit
Tollwut ist eine Zoonose, die weltweit vorkommt.
Jährlich sterben bis zu 60.000 Menschen an Tollwut, vor allem in Afrika und Asien.
40 % der mit Tollwut Infizierten sind Kinder unter 15 Jahren.
Bei 99 % der Fälle weltweit hatten die Patient*innen Kontakt zu einem mit Tollwut infizierten Hund.
Jedes Jahr erhalten etwa 29 Mio. Menschen eine Postexpositionsprophylaxe, nachdem sie von einem Tier gebissen wurden.
Seit 2008 gilt Deutschland als frei von terrestrischer Tollwut.
Das gilt auch für die meisten anderen europäischen Länder.
Allerdings gibt es in Deutschland wie andernorts in Europa Fledermaus-Tollwut, hauptsächlich durch die europäischen Fledermaus-Tollwutviren der Typen 1 und 2 hervorgerufen, die eng mit dem klassischen Tollwutvirus verwandt und für den Menschen gleichermaßen gefährlich sind.
Ätiologie und Pathogenese
Tollwut wird durch eine Infektion mit dem Tollwutvirus verursacht, das zur Gattung der Lyssaviren und der Familie der Rhabdoviridae gehört.
Ansteckung
Das Virus wird durch infizierten Speichel übertragen, der entweder durch eine offene Wunde (beim Ablecken) oder einen Tierbiss in den Körper gelangt. Auch der Kontakt von infiziertem Material mit Schleimhäuten kann das Virus übertragen.
Gesunde, intakte Haut kann das Virus nicht durchdringen.
Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist theoretisch möglich, jedoch noch nie beschrieben worden.
Auch der Kontakt mit Impfflüssigkeit eines Impfstoffköders kann theoretisch zu einer Tollwut führen.
Auch wenn das Risiko als sehr gering eingeschätzt wird, ist eine Postexpositionsprophylaxe angezeigt.6
Eine Übertragung über Inhalation von virushaltigem Aerosol oder durch Organtransplantation ist möglich. 2004 starben alle Organempfänger (Nieren und Leber) eines Tollwut-Infizierten in Texas.
Pathophysiologie
Das Virus gelangt über den Speichel in die Wunde, vermehrt sich lokal und erreicht über die Nerven das Zentralnervensystem.
Von dort breitet es sich wieder in die Peripherie aus und kann letztendlich in den Speichel gelangen, der dann wieder infektiös ist.
Inkubationszeit beim Menschen
Beträgt in der Regel 2–3 Monate, selten kürzer, in Einzelfällen nur wenige Tage oder bis zu mehreren Jahren.
Die Inkubationszeit hängt von der Menge des deponierten Virus, dem Abstand der Bissstelle vom Zentralnervensystem sowie von der Innervation des Hautbereichs ab.
In der Regel ist die Inkubationszeit bei Kindern kürzer.
Inkubationszeit bei Tieren
Variiert erheblich von 10 Tagen bis zu mehr als einem halben Jahr, beträgt in der Regel etwa 2 Monate. Wenn Krankheitssymptome auftreten, stirbt das Tier meist innerhalb weniger Tage.
Ansteckungsfähigkeit
Füchse, Hunde und Katzen scheiden gewöhnlich 3–7 Tage vor Auftreten von klinischen Symptomen sowie während der gesamten Dauer der Erkrankung das Virus im Speichel aus und sind damit ansteckend.
Prädisponierende Faktoren
Geografische Verbreitung
Risikoberufe, z. B. Tierärzt*innen, Entwicklungshelfer*innen, die in Tollwut-Gebieten leben.
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Diagnostische Kriterien
Entsprechende Anamnese
Enzephalitische Form (80 % der Fälle)
Hydrophobie: Bereits das Sehen von Wasser oder das Hören von Plätschergeräuschen verursacht große Angst vor dem Trinken, begleitet von Unruhe und Krämpfen der Schlundmuskulatur und anderen Muskelgruppen.
Tierbisse oder Kontakt mit erkrankten Tieren in Gebieten, in denen Rabies vorkommt.
Für in Deutschland lebende Menschen besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko fast ausschließlich bei Reisen in Länder mit endemischen Vorkommen der Tollwut.
Auch bei Bissen von illegal importierten Tieren bzw. Tiere unbekannter Herkunft sollte immer an Tollwut gedacht werden.
Die Krankheit entwickelt sich schnell nach dem ersten Auftreten von Symptomen und beginnt mit Schmerzen, denen Parästhesien an der Bissstelle sowie ein allgemeines Krankheitsgefühl folgen.
Akutes neurologisches Syndrom mit entweder enzephalitischer oder paralytischer Tollwut
Setzt nach 2–10 Tagen ein.
Die am häufigsten auftretende enzephalitische Tollwut äußert sich im wechselnden Gemütszustand zwischen aggressiver Anspannung und depressiver Verstimmung, Unruhe und Agitiertheit. Krämpfe der Schlundmuskulatur und vermehrter Speichelfluss führen zu Hydrophobie.
Die paralytische Tollwut führt zu Lähmungen von Hirnnerven und peripheren Nerven.
In der Folge treten Atem- und Herzinsuffizienz sowie ein Hirnödem auf, die Patient*innen fallen in ein Koma.
Der Tod tritt in der Regel 2–7 Tage nach Beginn der Symptome ein.
Klinische Untersuchung
Evtl. Parästhesien und Schmerzen an der Bissstelle
Bei ca. 20 % der Patient*innen kommt es zu einer paralytischen Form ohne mentale Symptome.
Ergänzende Untersuchungen
Die Viren oder Teile davon (Antigen- bzw. Tollwutvirus-RNA-Nachweis) können im Speichel, auf der Hornhaut, der Haut oder im Liquor nachgewiesen werden.2 Mittel der Wahl ist dabei die RNA-PCR.5
Ebenso kann ein Virusnachweis über Zellkulturen angestrebt werden.
Alle intra vitam eingesetzten diagnostischen Verfahren erbringen jedoch nicht selten negative Resultate und stellen folglich keine Ausschlusskriterien dar.2
Die Bestätigung der klinischen Verdachtsdiagnose gelingt sicher erst post mortem mittels Immunfluoreszenztest aus ZNS-Proben.2
Zum Nachweis von Impftitern können virusneutralisierende Antikörper mit dem RFFIT(Rapid Focus Fluorescent Inhibition)-Test bzw. FAVN(Fluorescent Antibody Virus Neutralisation)-Test nachgewiesen werden.2 Antikörper lassen sich im Serum oder Liquor nachweisen.
Der Verdacht auf eine Tollwuterkrankung beim Menschen erfordert eine sofortige stationäre Einweisung und Betreuung der Betroffenen unter intensivmedizinischen Bedingungen.2
Therapie
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Allgemeines zur Therapie
Intensivbehandlung in ruhiger Umgebung mit besonderem Schwerpunkt auf freie Atemwege, eine angemessene Sauerstoffversorgung und Anfallskontrolle; evtl. Gabe von Muskelrelaxanzien und Sedativa
Isolierung der Patient*innen
Keine kausale Therapie verfügbar
Das Milwaukee-Protokoll, bei dem die Erkrankten in ein künstliches Koma versetzt werden, ist umstritten. Die in der Literatur beschriebene Überlebenschance von 13 % beruht auf Einzelfallberichten.10
Therapieziele
Bei Expositionsverdacht die Entwicklung der Tollwut verhindern.
Wichtig ist, die Behandlung so früh wie möglich zu beginnen.
Lokale Behandlung
Nach dem Biss von Säugetieren in Regionen, die nicht sicher tollwutfrei sind oder nach Kontamination mit Impfflüssigkeit eines Impfstoffköders:
Die Wunde sollte sofort gründlich mindestens 15 min mit Wasser, Seife ausgewaschen und mit 70-prozentigem Alkohol oder einem Jodpräparat behandelt werden.
Wenn es möglich ist, sollte das Tier, das gebissen hat, überwacht werden.
Die Wunde verbinden und möglichst ruhig halten bis zum Arztbesuch.
Die Wirksamkeit ist am ehesten sichergestellt, wenn eine Behandlung innerhalb von 48 Stunden erfolgt.
Das Vorkommen von Fledermaus-Tollwut kann nirgendwo ausgeschlossen werden. Demzufolge ist grundsätzlich eine postexpositionelle Prophylaxe bei Kontakt zu Fledermäusen durchzuführen.
Aufgrund der großen Variabilität der Inkubationszeit, ist bei begründetem Verdacht eine Postexpositionsprophylaxe nach Wochen bis Monaten nach Exposition sinnvoll.
Indikation zur Postexpositonsprophylaxe richtet sich nach dem Grad der Exposition und dem Impfstatus der betroffenen Person2,4
Exposition Grad I: Berühren/Füttern von Tieren, Belecken der intakten Haut oder Berühren von Impfstoffködern bei intakter Haut
Grad II: Nicht blutende, oberflächliche Kratzer oder Hautabschürfungen, Lecken oder Knabbern an der nichtintakten Haut oder Kontakt mit der Impfflüssigkeit eines beschädigten Impfstoffköders an der nichtintakten Haut
Grad III: Bissverletzungen oder Kratzwunden, Kontakt von Schleimhäuten oder Wunden mit Speichel (z. B. durch Lecken), Verdacht auf Biss oder Kratzer durch eine Fledermaus oder Kontakt der Schleimhaut mit einer Fledermaus oder Kontamination von Schleimhäuten und frischen Hautverletzungen mit der Impfflüssigkeit eines beschädigten Impfstoffköders
Nicht-geimpfte Personen
Grad I: keine Impfung nötig
Grad II: aktive Immunisierung mit einem Tollwut-Impfstoff – die WHO empfiehlt 2 mögliche Impfschemata zur Postexpositionsprophylaxe:
Essen-Schema: je 1 Impfdosis an den Tagen 0–3–7–14–28
Zagreb-Schema: 2 Impfdosen am Tag 0 (zeitgleich), je eine weitere Impfdosis an den Tagen 7 und 21 (0–0–7–21).
Grad III: Zusätzlich zur aktiven Immunisierung eine passive Immunisierung mit humanem Tollwut-Immunglobulin (20 IE/kg Körpergewicht); dazu wird vom Tollwut-Immunglobulin so viel wie möglich intramuskulär in und um die Wunde instilliert und die verbleibende Menge in den M. vastus lateralis verabreicht.
Bereits geimpfte Personen (vollständige Grundimmunisierung)
Grad I: keine Impfung
Grad II und III: aktive Immunisierung mit zwei Impfdosen im Abstand von 3 Tagen; keine Immunglobuline notwendig
Die einzelnen Impfungen und die Gabe von Tollwut-Immunglobulin sind sorgfältig zu dokumentieren.
Wird der Tollwutverdacht beim Tier entkräftet, kann die Impfserie abgebrochen oder als präexpositionelle Impfung weitergeführt werden.
Weitere Therapien
Neben der aktiven und passiven Immunisierung gegen Tollwut ist auch an die Tetanusprophylaxe zu denken.2
Personen mit beruflichem oder sonstigem engem Kontakt zu Fledermäusen
Derzeit keine generelle Empfehlung für Tierärzt*innen, Jäger*innen, Forstpersonal und andere Personen mit häufigem Tierkontakt (außer Fledermäusen) (Stand Juni 2021)
in Gebieten mit neu aufgetretener Wildtiertollwut sowie
Personal mit Tollwutinfektionsrisiko (z. B. Tollwut-Laboratorien)
3 Impfstoffdosen (je 1,0 ml) an den Tagen 0, 7 und 21 (oder 28) i. m.
Die WHO hat 2018 ein Zwei-Dosen-Schema zur Grundimmunisierung vorgeschlagen:
Tag 1 und 7, dieses Schema ist in Deutschland allerdings noch off label, u. U. vor Spontanreisen oder bei Impfstoffknappheit aber eine Alternative (nach Aufklärung über Off-Label-Use).
Auffrischimpfung mit 1,0 ml alle 1–5 Jahre, bei entsprechender Indikation halbjährliche Antikörperkontrollen und Indikation zur Impfung bei einem Antikörperspiegel < 0,5 IE/ml Serum
Laut WHO reicht die Grundimmunisierung und ggf. eine PEP für Reisende aus. In Deutschland sind die Auffrischimpfungen nach Fachinformation jedoch verbindlich.
Meldepflicht
Dem Gesundheitsamt wird gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an Tollwut sowie gemäß § 7 Abs. 1 IfSG der direkte oder indirekte Nachweis vom Rabies-Virus, soweit er auf eine akute Infektion hinweist, namentlich gemeldet.2
Weiterhin wird gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 IfSG auch die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers namentlich gemeldet.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
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Verlauf
Inkubationszeit: 3–6 Wochen, aber Abweichungen von 1 Woche bis zu mehreren Jahren sind möglich.
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Virale Meningoenzephalitis. AWMF-Leitlinie Nr. 030-100. S1, Stand 2018. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin. AWMF-Leitlinie Nr. 001-012. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Literatur
WHO Media centre: Fact Sheet on rabies. Updated Mai 2021 www.who.int
Robert Koch-Institut. Tollwut, RKI-Ratgeber für Ärzte. Stand 2020. Zugriff 28.6.2021 www.rki.de
Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin Ausgabe 8/2011 www.rki.de
Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin Ausgabe 34/2019 www.rki.de
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Virale Meningoenzephalitis. AWMF-Leitlinie Nr. 030-100. Stand 2018. www.awmf.org
Vos A. Kontakte mit Tollwut-Impfködern für Füchse:Risikobewertung und Behandlung. ImpfDialog 2004; 3: 133-8. www.eurovir.de
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 28.06.2021. www.dimdi.de
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin. AWMF-Leitlinie Nr. 001-012. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Kling K, Bogdan C, Ledig T et al. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu Reiseimpfungen. Epid Bull 2021; 14: 1–182 www.rki.de
Lösch R, Klare U. Milwaukee-Protokoll: umstrittenes Behandlungskonzept - Heilungen von Tollwut in Indien. Flug u Reisemed 2015; 22: 5–8. DOI: 10.1055/s-0035-1546391 DOI
WHO. Weekly epidemiological record. Rabies vaccines: WHO position paper. 20 April 2018, 93th Year. No 16, 2018, 93, 201–220 www.who.int
World Health Organization: WHO Expert Consultation on Rabies, third report. Geneva: World Health Organization. 2018; WHO Technical Report Series, No. 1012. apps.who.int
Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
A82; A820; A821; A829
dyrebitt; zoonose; n73 annan infektion i nervsystemet
CCC MK 19.10.2021 neue LL, keine Änderungen. BBB MK 05.12.2019 Lt. WHO keine Auffrischung bei Reisenden nach Grundimmunisierung;
TrainAMed-Video eingefügt 25.6.19 UB
MK 13.09.2017 STIKO-Empf., U-NH 15.11.17
BBB MK 29.06.2021 revidiert, neue Epidemiologie und STIKO-Empfehlungen zu Reiseimpfungen.
BBB MK 23.09.2019, vollständig überarbeitet, neue RKI und STIKO-Empfehlungen.
chck go 7.3.
Definition:Fast immer tödliche Viruserkrankung, die durch Tierbisse oder Kontakt von Wunden/Schleimhäuten mit infektiösem Material übertragen wird und das Zentralnervensystem angreift.