Tier- und Menschenbiss

Zusammenfassung

  • Definition:Bissverletzungen durch Tiere oder Menschen.
  • Häufigkeit:In Deutschland jährlich 30.000–50.000 Bissverletzungen, vor allem durch Hunde und Katzen.
  • Symptome:Verletzung von Haut und Gewebe, teilweise auch Sehnen und Knochen.
  • Befunde:Mögliche Infektionszeichen: Rötung, Schwellung, Überwärmung und Schmerzen.
  • Diagnostik:Anamnese (u. a. Tierart und Impfstatus des Tieres), körperliche Untersuchung. Bei schweren Verletzungen oder Infektionen ggf. Labor, Mikrobiologie und/oder Bildgebung.
  • Therapie:Wundversorgung und ggf. Infektionsprophylaxe (Antibiotika und/oder Impfung).

Allgemeine Informationen

Definition

  • Dieser Artikel behandelt Bissverletzungen durch Menschen sowie durch Tiere, die in Deutschland vorkommen.

Häufigkeit 

  • Die Angaben in diesem Abschnitt beziehen sich auf nachfolgende Referenz.1
  • Bissverletzungen insgesamt
    • in Deutschland jährlich 30.000–50.000 Bissverletzungen 
    • Im Mittelpunkt stehen Hunde- und Katzen-, seltener Menschenbisse.
  • Tierbisse
    • Etwa 60–80 % der Bissverletzungen durch Hunde
      • in 90 % der Fälle der eigene Hund
    • 20–30 % durch Katzen
    • Bissverletzungen durch andere Tiere (Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster, Ratten, Mäuse) sind deutlich seltener.
  • Bissverletzungen durch Menschen
    • in Städten bis zu 20 % der Bissverletzungen
    • Bei Faustschlägen gegen die Zähne kann es zu sog. indirekten Bissverletzungen kommen.2
  • Alter
    • Kinder sind überproportional oft betroffen.
    • 25 % aller Bisse erleiden Kinder < 6 Jahre und 34 % Kinder im Alter von 6–17 Jahren.
  • Lokalisation
    • vor allem Hände und Handgelenke
    • Bei Kindern ist auch häufig der Kopf betroffen.

Ätiologie und Pathogenese

  • Die unmittelbare Schädigung durch Säugetierbisse erfolgt zunächst mechanisch, durch Eindringen der Zähne in das Körpergewebe.3
    • Insbesondere bei Hundebissen darf nicht von harmlosen äußeren Aspekten der Bissverletzung auf geringen Gewebeschaden in der Tiefe geschlossen werden.
    • Ein Hundebiss hinterlässt spezifische Verletzung, die als „hole and tear pattern of wounding“ bezeichnet wird.
      • Oberflächlich oft eher kleine Läsionen, in der Tiefe sind aber ausgedehnte Gewebszerreißungen und Quetschungen möglich.
  • Zudem infektiöse Schädigung durch starke Keimbesiedelung der Zähne und des Speichels, seltener auch durch Übertragung spezifischer Krankheitserreger (u. a. TetanusTollwutTularämie und Leptospirosen).3
    • bei den meisten Bissverletzungen aerob-anaerobe Mischinfektionen4
    • Besonders bei Katzenbissen Risiko einer schweren Infektion, da die langen Zähne der Katzen oft nur geringe oberflächliche Verletzungen verursachen, aber durch Speichelinokulation Keime tief ins Gewebe gelangen.5
  • Bei Menschenbissen an Übertragung von Hepatitis B und C sowie HIV denken.
  • Durch Biss von Nagetieren können seltene Zoonosen übertragen werden.2
  • Giftübertragung in Deutschland ist nur durch wenige Schlangen (Kreuzotter, Aspisviper) und von Privatpersonen gehaltene Tieren (z. B. Spinnen, Skorpione) möglich.

Prädisponierende Faktoren

  • (Klein)Kinder
    • gestörte Interaktion mit Tieren (ärgern, beim Fressen stören)1
  • Hohes bzw. erhöhtes Risiko für Infektionen bei:6
    • mittel- bis schwergradigen Verletzungen, insbesondere an Händen, Füßen, Genitalien oder im Gesicht
    • präexistenten oder sich entwickelnden Ödemen im betroffenen Bereich
    • Gelenkbeteiligung
    • immunsupprimierten Patient*innen
    • entfernter Milz
    • fortgeschrittenen Lebererkrankungen
    • Missbrauch von Rauschmitteln oder geschwächtem Allgemeinzustand aus anderen Ursachen.7

ICPC-2

  • Tier-/Menschenbiss

ICD-10

  • T14.1 Tierbiss

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Anamnese und klinische Befunde
  • Bei Anzeichen für Infektion Labor und mikrobielle Untersuchungen1
  • Bei schweren Bissverletzungen ggf. Bildgebung1

Allgemeines zur Diagnostik

  • Nachfolgende Empfehlungen zur Anamnese, körperlichen Untersuchung und weiteren Diagnostik beziehen sich auf diese Referenz.1

Anamnese

Setting

  • Zeitpunkt
  • Ort
  • Ursache für den Biss

Tier

  • Art und Besitzer*in
  • Gesundheitszustand bzw. auffälliges Verhalten (Tollwut?)
  • Impfstatus

Patient*in

  • Grunderkrankungen
  • Implantate (z. B. Herzklappe)
  • Immunsuppression
  • Splenektomie
  • Allergien
  • Impfstatus
  • Klinische Symptome (Schmerz, Druck, Fieber)

Klinische Untersuchung

  • Schocksymptome?
  • Infektionszeichen
    • Rötung, Schwellung, Erwärmung und Schmerzempfindlichkeit an der Bisswunde
    • Lymphangitis, d. h. roter Streifen in der Haut an der Bisswunde; Gefahr der Ausweitung in den Blutkreislauf
    • Red Flags für systemische Infektion: Fieber, Schüttelfrost, beeinträchtigter Allgemeinzustand
  • Dokumentation
    • Fotos der Verletzung (wenn möglich)
  • Lokalisation, Art und Ausmaß der Wunde 
    • Einteilung in Schweregrade von Bissverletzungen4
      • Grad I: oberflächliche Hautläsion, Risswunde, Kratzwunde, Bisskanal, Quetschwunde
      • Grad II: Hautwunde, bis zur Faszie/Muskulatur/Knorpel reichend
      • Grad III: Wunde mit Gewebsnekrose oder Substanzdefekt
    • Einteilung für offene Hundebissverletzungen im Gesichtsbereich4
      • Stadium I: oberflächliche Verletzung ohne Beteiligung der Muskulatur
      • Stadium II: tiefe Verletzung mit Beteiligung der Muskulatur
      • Stadium III: tiefe Verletzung mit Beteiligung der Muskulatur und Substanzdefekt
      • Stadium IVA: Stadium III und Gefäß- und Nervenverletzung
      • Stadium IVB: Stadium III und Knochenbeteiligung
  • Überprüfung pDMS (periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität)

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Abstrich bzw. Wundsekret von infizierten Wunden 
  • Ggf. Abstriche vom Tier (Speichel, Stuhl)
  • CRPBlutbild, bei systemischen Infektionszeichen Blutkulturen
  • Bildgebung
    • Röntgen: bei V. a. Fraktur oder Fremdkörper in Wunde
    • CT/MRT: bei tiefen Verletzungen zur Beurteilung der beteiligten Strukturen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Überweisung an Spezialist*in
    • infizierte Wunden
    • in die Tiefe gehende Wunden im Gesicht, an den Genitalien und an den Händen
    • bei Beteiligung von Knochen oder Sehnen
  • Unverzügliche Einweisung ins Krankenhaus
    • bei Verdacht auf systemische Infektion (Sepsis)

Therapie

Therapieziele

  • Infektionen vermeiden.
  • Gute Abheilung der Wunden

Allgemeines zur Therapie

  • Die Therapie setzt sich zusammen aus Allgemeinmaßnahmen zur Lokalbehandlung der Wunde sowie der Infektionsprophylaxe.1

Empfehlungen für Patient*innen

  • Wunde mit Wasser spülen.
  • Wunde verbinden und möglichst ruhig halten bis zum Arztbesuch.

Allgemeinmaßnahmen zur Lokalbehandlung

  • Sämtliche Angaben beziehen sich auf nachfolgende Referenz.1
  • Säuberung (z. B. 1 % Organojodlösung)
  • Spülung mit nur geringem Druck (z. B. mit Knopflochkanüle und NaCl 0,9 %)
  • Débridement von avitalem Gewebe
  • Primärer Wundverschluss wird nicht empfohlen, eine mögliche Ausnahme stellen Bisswunden im Gesicht dar.4
  • Ruhigstellung und Hochlagerung betroffener Extremitäten

Infektionsprophylaxe

  • Empfehlungen gemäß der Leitlinie vom PEI zur Behandlung bakterieller Erkrankungen4

Prophylaktische antibiotische Therapie

  • Indikationen
    • mäßige bis schwere und tiefe Bisswunden
    • Bisswunden der Hand und im Gesicht
    • Bisswunden, die möglicherweise bis Periost oder Gelenkkapsel reichen.
    • Immunsuppression/Immundefizienz
    • Leberinsuffizienz
    • Z. n. Milzexstirpation
    • Ödeme im betroffenen Gebiet
  • Präparat
    • Aminopenicillin + Beta-Laktamase-Inhibitor für 3–5 Tage 
      • bei Menschenbiss alternativ auch Ertapenem 1 x 1 g/d für 3–5 Tage möglich
    • Beispiel (Anmerkung der Redaktion, nicht aus Leitlinie): Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg 1–1–1 für 3–5 Tage

Antibiotische Therapie bei infizierten Wunden

  • Kalkulierte Therapie
  • Präparat
    • Aminopenicillin + Beta-Laktamase-Inhibitor für 5–10 Tage
      • bei infiziertem Menschenbiss alternativ auch Ertapenem 1 x 1 g/d für 5–10 Tage möglich
    • Beispiel (Anmerkung der Redaktion, nicht aus Leitlinie): Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg 1–1–1 für 5–10 Tage
  • Bei schweren Infektionen oder immunsupprimierten Patient*innen
    • Piperacillin/Tazobactam i. v. 4,5 g 1–1–1 für 5–10 Tage

Impfungen

  • Bei unzureichendem Tetanusschutz Auffrischungsimpfung
  • Bei Biss von tollwutverdächtigem Tier Postexpositionsprophylaxe

Sonderfall Schlangen- und Gifttierbisse

  • In Deutschland gibt es nur wenige Giftschlangen (Kreuzotter, Aspisviper), aber bei als Haustiere gehaltenen Exoten kann es bei Bissverletzungen zur Einbringung von Giften kommen.
  • Identifizierung des Tieres besonders wichtig, da nur so das notwendige Antiserum gespritzt werden kann. Diese Antiseren stehen in Deutschland nur in einigen wenigen Standorten zur Verfügung.
  • Empfohlene Maßnahmen bei Bissunfall durch Giftschlange:8
    1. Ruhe bewahren.
    2. Tiere bzw. Terrarien sichern.
    3. Notruf 112 verständigen.
    4. Beengende Gegenstände entfernen (z. B. Ring).
    5. Auf einem Blatt Papier folgende Angaben festhalten:
      • Bissverursacher: unbedingt lateinischer Artname
      • Bisszeitpunkt und -stelle
      • Notrufnummer aus Deutschland bei Gifttierbissen: 0700 112 0 7323
      • Papier mit diesen Angaben Notärzt*in aushändigen.

Sonderfall Spinnenbisse

  • Spinnenbisse sind für den Menschen nur sehr selten wirklich gefährlich, können aber eine sich bis zu 24 Stunden hinziehende schwer zu kontrollierende Schmerzsituation auslösen.9
    • Analgetische symptomatische Therapie, z. B. mit Ibuprofen 600 mg 1–0–1 und Novalgin 500 mg 1–1–1–1

Meldepflicht bei Tollwut

  • Nach § 6 IfSG besteht eine namentliche Meldepflicht bei Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod an Tollwut, für die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers.1 

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Im Allgemeinen kommt es bei 10–20 % der Bissverletzungen zu Infektionen.
    • bei Katzen in 30–50 %
    • bei Hunden in 5–25 % 
    • bei Menschenbissen in 20–25 % der Fälle1
  • Unter adäquater chirurgischer Versorgung und antibiotischer Therapie heilt die große Mehrheit der Bissverletzungen folgenlos aus.

Komplikationen

Prognose

  • Infektionsrisiko wird zum einen von Art und Lokalisation der Wunde, zum anderen vom individuellen Patientenprofil und Verursacher*in geprägt.1
  • In Deutschland sterben jährlich 1–6 Personen an den Folgen eines Hundebisses.1

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßige Wundkontrollen
  • Ggf. Laborkontrollen

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Beobachtung der Wunde auf Infektionszeichen
  • Vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung erneuter Bisse

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Illustrationen

Katzenbiss_Hilbert.png
Katzenbiss (mit freundlicher Genehmigung von Bernadett Hilbert)

Quellen

Leitlinien

  • Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen - Update 2018. AWMF-Leitlinie Nr. 082-006. S2k, Stand 2017. www.awmf.de

Literatur

  1. Rothe K, Tsokos M, Handrick W. Animal and human bite wounds. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 433–43. www.aerzteblatt.de
  2. Towfigh H, Hierner R, et al. (Hrsg.). Handchirurgie, S. 1233ff. Berlin: Springer, 2011.
  3. DGUV - Fachbereich Erste Hilfe. Bissverletzungen durch Säugetiere. Stand 02/2016. Letzter Zugriff 24.08.2022. www.dguv.de
  4. Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen - Update 2018. S.175ff. AWMF-Leitlinie 082-006. Stand 2017. www.awmf.org
  5. Yaqub S, Bjørnholt JV, Hellum KB, Steinbakk M, Enger AE. Infeksjoner ved bitt. Tidsskr Nor Lægeforen 2004; 124: 3194-6. PubMed
  6. Stevens DL, Bisno AL, Chambers HF, Dellinger EP, Goldstein EJ, Gorbach SL, et al. Practice guidelines for the diagnosis and management of skin and soft tissue infections: 2014 update by the infectious diseases society of America. Clin Infect Dis. 2014 Jul 15. 59(2):147-59. www.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Morgan M, Palmer J. Dog bites. BMJ 2007; 334: 413-7. PubMed
  8. Serum-Depot Berlin. Generelles Notfallablaufschema. Zugriff 24.08.2022. www.serumdepot.de
  9. Rieke B, Küper T, et al. Moderne Reisemedizin: Handbuch für Ärzte, Apotheker und Reisende S.362ff. Stuttgart: Gentner, 2010.

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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