Allgemeine Informationen
Definition
- Aufgrund der Verwechslungsgefahr zum Goltz-Gorlin-Syndrom wird heute vermehrt der Name naevoides Basalzellkarzinomsyndrom (NBCCS) oder Basalzellnävussyndrom benutzt.
- Das NBCCS ist durch multiple Kieferzysten (v. a. im Unterkiefer) und einer Neigung zu Basalzellkarzinomen (BZK) gekennzeichnet.1
- Ca. 60 % der Betroffenen haben zudem ein charakteristisches Aussehen:2-3
- Makrozephalie
- Schädelfehlbildungen
- prominente Stirn
- grobe Gesichtszüge und
- Skelettanomalien sind häufig anzutreffen.
- Die Auffälligkeiten sind eher mild ausgeprägt.
- Autosomal-dominante Vererbung4
- Bei ca. 20–30 % der Betroffenen ist eine neu entstandene Variante im PTCH1, seltener im PTCH2- oder SUFU-Gen, ursächlich.
- Nachkommen von Betroffenen haben ein Risiko von 50 %, ebenfalls betroffen zu sein.
- Die Lebenserwartung unterscheidet sich nicht signifikant vom Durchschnitt.
- Erhöhte Morbidität und Einschränkungen sind v. a. aufgrund multipler kosmetischer Eingriffe zu erwarten.
Leitlinie: Basalzellkarzinomsyndrom (= Gorlin-Goltz-Syndrom,
Basalzellnävussyndrom)5
- Das Basalzellkarzinomsyndrom ist eine autosomal-dominant vererbte Multisystemerkrankung, die durch multiple und bereits in jüngeren Jahren auftretende BZK sowie weitere Fehlbildungen im Skelettsystem, zentralen Nervensystem, Urogenitalsystem und Herzen charakterisiert ist.
- Klinisch sind neben multiplen BZK Kieferzysten, Rippenanomalien und eine Verkalkung der Falx cerebri prominent.
- Zudem imponiert eine kantige Schädelform mit hervorstehendem Unterkiefer und verbreitertem Nasenrücken sowie gewölbter Stirn.
- Bei 5–10 % der Patient*innen entstehen bereits im Kindesalter Medulloblastome.
- Die Häufigkeit beträgt etwa 1:56.000.
- Zugrunde liegt eine Mutation im PTCH1-Gen (9q22.3), die für den Patched-Rezeptor kodiert. Neumutationen sind häufig, da in knapp der Hälfte der Fälle die Familienanamnese negativ ist.
Häufigkeit
- Das Syndrom ist vermutlich unterdiagnostiziert.
- Viele der klinischen Merkmale, z. B. Gesichts- oder Skelettanomalien, sind mild ausgeprägt und fallen teilweise erst bei bildgebenden Verfahren auf.
- Eine Studie aus Großbritannien kommt auf eine Prävalenz von 1:57.000.1
- In der deutschen Leitlinie wird eine Prävalenz von 1:56.000 angegeben.5
Ätiologie und Pathogenese
- Ursächlich sind Varianten in den Genen PTCH1, seltener SUFU und PCTH2.1,4
- Ca. 20–30 % der Varianten sind auf Neumutationen zurückzuführen.
- Autosomal-dominanter Erbgang
- Ist ein Elternteil an NBCCS erkrankt, besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 %, dass das Kind die krankheitsverursachende Variante erbt.
- Bei bekannter familiärer Variante ist eine pränatale Testung (z. B. mittels Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese) möglich.
- Bei ca. 85 % der Betroffenen ist eine Variante im PTCH1-Gen nachweisbar.1
- Die Gene PTCH1 und SUFU sind beteiligt an der Sonic-Hedgehog-Kaskade, die das Zellwachstum regulieren.
- Betroffene mit Varianten im PTCH1-Gen werden meistens früher diagnostiziert.1
- Vermutlich aufgrund der fazialen Auffälligkeiten und multiplen Kieferzysten, die häufiger bei PTCH1-Varianten beschrieben wurden.
- Betroffene mit SUFU-Varianten scheinen insgesamt milder betroffen zu sein.
Diagnostik
Typische Symptome
- Insgesamt sind mehr als 100 Symptome beschrieben, die mit NBCCS in Verbindung gebracht werden, was die Erkennung und die Diagnostik deutlich erschweren kann.1,3,6-9
- Aufgeführt werden im Folgenden häufig vorliegende Auffälligkeiten.
- Multiple und wiederkehrende Kieferzysten bei bis zu 90 % der Betroffenen
- ab dem 5. Lebensjahr, meistens im Jugendalter auffällig
- schmerzlose Schwellungen
- Können unbehandelt zu Verschiebungen der Zähne und zu Kieferbrüchen führen.
- sehr selten maligne Entartung
- Viele der Betroffenen weisen als Kind Nävi auf, die zu Basalzellkarzinomen entarten.
- Basalzellkarzinome treten meist ab dem späten Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter auf, der Median liegt bei 20 Jahren.
- Nur 10 % der Betroffenen entwickeln keine Basalzellkarzinome.
- Makrozephalie
- Kongenitale Malformationen
- bei ca. 5 % der Betroffenen
- z. B. Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Polydaktylie oder Veränderungen der Augen (Hypertelorismus, Katarakt, Strabismus)
- Evtl. motorische Entwicklungsverzögerung
- Diese wird meist im Alter von 5 Jahren aufgeholt.
- Medulloblastom im Kindesalter: bei ca. 5 % der Betroffenen beschrieben
- Varianten im SUFU-Gen scheinen deutlich häufiger zu einem Medulloblastom zu führen.
- 10 % der Kinder, die vor Vollendung des 2. Lebensjahres ein Medulloblastom entwickeln, sind am NBCCS erkrankt.
- Faziale Auffälligkeiten
- Skelettanomalien
- Schwerwiegende Skelettanomalien wurden zwar beschrieben, sind aber eher selten.
- in den meisten Fällen erst auffällig bei Bildgebung
- z. B. Wirbelkörperfusion, Pectus excavatum, Syndaktylie, hypoplastische Daumen
- Ektope Kalzifizierung bei ca. 90 % der Betroffenen
- Palmares und plantares Pitting (kleine Einsenkungen/Grübchen) bei 75–90 % der Betroffenen
- Weitere Auffälligkeiten der Haut: Meibomzysten der Augenlider, Dermoidzysten
- Andere Tumoren: bei 2–20 % der weiblichen Betroffenen wurden kardiale und ovarielle Fibrome beschrieben.
- Eine eindeutige Assoziation mit anderen Tumoren liegt nicht vor.
- Lymphome und Meningeome wurden jedoch beschrieben.
Diagnostische Kriterien
Leitlinie: Major- und Minor-Kriterien zur Diagnosestellung eines
Basalzellkarzinomsyndroms5
- Die Diagnosestellung erfolgt, wenn ein Major-Kriterium sowie die molekulare Bestätigung, 2 Major-Kriterien oder 1 Major- und 2 Minor-Kriterien vorliegen.
Major-Kriterien | Minor-Kriterien |
Erstes BZK < 20. LJ oder exzessive Anzahl an BZK |
Rippenanomalien |
Kieferzysten < 20. Lebensjahr | andere spezifischen Skelett Malformationen oder radiologische Anomalien |
Palmares oder plantares Pitting | Makrozephalie |
Verkalkung der Falx cerebri | Gaumen- oder Lippenspalte |
Medulloblastom (meist desmoplastisch) | |
Erstgradig Verwandte mit Basalzellkarzinomsyndrom |
lymphomesenterische Zysten |
Augenanomalien (Strabismus, Hypertelorismus, kongenitaler Katarakt, Glaukom, Kolobom) |
Differenzialdiagnosen
- Sotos-Syndrom
- Beckwith-Wiedemann-Syndrom
- Brooke-Spiegler-Syndrom
- Bazex-Syndrom
- Rombo-Syndrom
- Muir-Torre-Syndrom
Klinische Untersuchung
Leitlinie: Diagnostik5
- Besteht der Verdacht auf ein Basalzellkarzinomsyndrom sollte die Bildgebung zum Ausschluss weiterer Malignome und Nachweis assoziierter Fehlbildungen mittels Magnetresonanztomografie zur Vermeidung strahleninduzierter Neoplasien durchgeführt werden.
- Für die Diagnosestellung wird eine dermatologische Ganzkörperuntersuchung, MRT des Schädels, Echokardiografie, Röntgen der Wirbelsäule, dentale Panoramaaufnahme und bei Frauen ein gynäkologischer Beckenultraschall gefordert.
- Einerseits ist der Einsatz bildgebender Diagnostik bei diesen Patient*innen erforderlich, um weitere Malignome auszuschließen und assoziierte Befunde wie Skelettfehlbildungen zur Bestätigung des syndromalen Charakters nachzuweisen, andererseits muss eine Strahlenexposition vermieden werden.
- Die betroffenen Patient*innen weisen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber ionisierender Strahlung hinsichtlich der Induktion maligner Tumoren, insbesondere weiterer BZK auf.
Therapie und weitere Maßnahmen
- Aufgrund der unterschiedlichen Symptomatik erfordert das NBCCS eine multidisziplinäre Behandlung.6
- Patient*innen und Angehörigen sollte eine genetische Beratung angeboten werden.
- Bei bekannter familiärer Variante in einem ursächlichen Gen kann Verwandten eine genetische Beratung und genetische Diagnostik im Hinblick auf eigene Erkrankungsrisiken und im Hinblick auf Erkrankungsrisiken für Nachkommen angeboten werden.
- Chirurgische Therapie1
- chirurgische Entfernung der Basalzellkarzinome
- Eine frühzeitige Behandlung ist wichtig, um kosmetische Folgeschäden gering zu halten.
- zusätzlich evtl. Kryotherapie, Lasertherapie und photodynamische Therapie
- photodynamische Therapie insbesondere bei sehr kleinen Läsionen
- Behandlung der Kieferzysten (Exzision)
- Eine systemische Therapie mit Retinoiden ist möglich.
- Bei schwer Betroffenen: Sonic-Hedgehog-Inhibitoren wie Vismodegib, Sonidegib
Leitlinie: Therapie5
- Bei multiplen BZK im Rahmen eines Basalzellkarzinomsyndrom soll eine Therapie mit Hedgehog-Inhibitoren angeboten werden.
- Vismodegib wurde ebenfalls im Rahmen einer US-amerikanischen Phase II-Studie bei Patient*innen mit einem Basalzellkarzinomsyndrom untersucht.
- Aus den nun vorliegenden Langzeitdaten geht hervor, dass die 26 mit dem genannten Hedgehog-Inhibitor behandelten Patient*innen (150 mg/d) im Vergleich zum Placeboarm (n = 15) eine signifikant niedrigere Anzahl an neu aufgetretenen resezierbaren BZK aufwiesen.
- Bei der Mehrzahl der Patient*innen wurde die Therapie mit Vismodegib wegen Nebenwirkungen unterbrochen.
- Frühere Beobachtungen bezüglich eines gehäuften Auftretens von Plattenepithelkarzinomen konnten in der vorliegenden Studie nicht bestätigt werden.
- Aufgrund des unter Langzeittherapie besonderen medikamentösen Nebenwirkungsspektrums und einer im Vergleich zu anderen BZK-Formen deutlich niedrigeren Arzneimittelresistenz gegenüber Hedgehog-Inhibitoren erscheint eine intermittierende Gabe von Vismodegib bei dieser Hochrisikogruppe sinnvoll.
- Vismodegib wurde ebenfalls im Rahmen einer US-amerikanischen Phase II-Studie bei Patient*innen mit einem Basalzellkarzinomsyndrom untersucht.
- Der zweite zugelassene und im Jahre 2017 auch in Deutschland in den Markt eingeführte Hedgehog-Inhibitor, Sonidegib, zeigte initial in der Zulassungsstudie (BOLT) in der 200 mg (= jetzt zugelassenen) Dosisgruppe eine Remissionsrate von 36 % und ein nahezu identisches Nebenwirkungsspektrum wie Vismodegib.
Prävention und Überwachung
- UV-Strahlung sollte vermieden werden.1,3
- Reduzierung von unnötiger Strahlenbelastung
- Dermatologische Kontrollen6
- bei Kindern: jährliche dermatologische Untersuchung bis zum Auftreten des ersten BZK, danach in 6-monatigen Abständen
- bei Erwachsenen dermatologische Ganzkörperuntersuchung mindestens alle 4 Monate empfohlen
- Im Hinblick auf die Gefahr eines Medulloblastoms können MRT-Untersuchungen bis zu einem bestimmten Alter sinnvoll sein, z. B. bei zugrunde liegender SUFU-Variante mit höherem Risiko. Eindeutige Leitlinienempfehlungen liegen hierzu jedoch noch nicht vor.1,5
Leitlinie: Prävention5
- Eine Strahlentherapie soll bei Patient*innen mit Syndromen und Autoimmunerkrankungen, die mit erhöhter Strahlenempfindlichkeit einhergehen, nicht angewandt werden (wie Basalzellkarzinomsyndrom, Xeroderma pigmentosum, Lupus erythematodes, Sklerodermie).
- Bei positiver Familienanamnese oder Hinweisen auf das Vorliegen eines Basalzellkarzinomsyndroms sollte auch ohne Diagnosestellung früh im Leben mit einem regelmäßigen Hautkrebsscreening sowie einem adäquaten Sonnenschutz begonnen werden.
- Für das Management von betroffenen Patient*innen sollte zudem beachtet werden, die Belastung durch ionisierende Strahlung so gering wie möglich zu halten und im Zweifelsfall eher auf eine MRT-Untersuchung auszuweichen.
Weitere Informationen
- Selbsthilfegruppe für Menschen mit Gorlin-Goltz-Syndrom
(Basalzellkarzinomsyndrom). www.shg-ggs.de
Quellen
Leitlinie
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft e.V. (DDG). Basalzellkarzinom der Haut. AWMF-Leitlinie Nr. 032-021. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
Literatur
- Evans DG, Farndon PA. Nevoid Basal Cell Carcinoma Syndrome. 2002 Jun 20 [Updated 2018 Mar 29]. In: Adam MP, Ardinger HH, Pagon RA, et al., editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993-2022. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Bresler SC, Padwa BL, Granter SR. Nevoid Basal Cell Carcinoma Syndrome (Gorlin Syndrome). Head Neck Pathol. 2016 Jun;10(2):119-24. doi: 10.1007/s12105-016-0706-9. Epub 2016 Mar 14. PMID: 26971503; PMCID: PMC4838974. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Spiker AM, Troxell T, Ramsey ML. Gorlin Syndrome. [Updated 2021 Aug 12]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2022 Jan-. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Onodera S, Nakamura Y, Azuma T. Gorlin Syndrome: Recent Advances in Genetic Testing and Molecular and Cellular Biological Research. Int J Mol Sci. 2020 Oct 13;21(20):7559. doi: 10.3390/ijms21207559. PMID: 33066274; PMCID: PMC7590212. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft e.V. (DDG). Basalzellkarzinom der Haut. AWMF-Leitlinie Nr. 032-021. Stand 2018. www.awmf.org
- Kiwilsza M, Sporniak-Tutak K. Gorlin-Goltz syndrome--a medical condition requiring a multidisciplinary approach. Med Sci Monit. 2012 Sep;18(9):RA145-53. doi: 10.12659/msm.883341. PMID: 22936202; PMCID: PMC3560657. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Kiran NK, Tilak Raj TN, Mukunda KS, Rajashekar Reddy V. Nevoid basal cell carcinoma syndrome (Gorlin-Goltz syndrome). Contemp Clin Dent. 2012;3(4):514-518. doi:10.4103/0976-237X.107459 www.ncbi.nlm.nih.gov
- Moramarco A, Himmelblau E, Miraglia E, Mallone F, Roberti V, et al. Ocular manifestations in Gorlin-Goltz syndrome. Orphanet J Rare Dis. 2019 Sep 18;14(1):218. doi: 10.1186/s13023-019-1190-6. PMID: 31533758; PMCID: PMC6749644. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Devi B, Behera B, Patro S, Pattnaik SS, Puhan MR. Gorlin syndrome. Indian J Dermatol. 2013;58(3):241. doi:10.4103/0019-5154.110853 www.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Laura Morshäuser, Dr. med., Ärztin, Karlsruhe
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).