Was ist Neurofibromatose Typ 2?
Definition
Neurofibromatose Typ 2 (NF2) ist eine Erbkrankheit, die die Entwicklung von gutartigen Tumoren verursacht, die oft am Hörnerv (N. vestibularis) entstehen. Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt. Dies bedeutet, dass es ausreicht, ein verändertes Gen zu erben, um die Krankheit zu entwickeln. Wenn ein Elternteil die Erkrankung hat, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder die Krankheit erben, bei 50 %. Die Erkrankung kann aber auch nicht erblich bedingt neu auftreten, auch wenn die Erkrankung in der Familie bisher nicht aufgetreten ist (Neumutation). Das betrifft 50 % der Fälle.
Symptome
Die Erkrankung beginnt meist im Kindesalter mit unspezifischen Symptomen:
- (schmerzhafte) Hautveränderungen: tastbare Knoten, Café-au-Lait-Flecke
- Muskelschwäche
- Fehlhaltung, Skoliose
- Sehminderung, Augenfehlstellung
- Lähmungserscheinungen von Blase- und Mastdarm können auftreten.
Ca. 90–95 % der Patient*innen entwickeln im Alter von 30 Jahren beidseitige Schwannome des Nervus vestibularis (Hörnerv). Schwannzellen sind Hüll- und Stützzellen, die Nervenscheiden bilden. Schwannome sind gutartige Tumore dieser Zellen, die sich deutlich über das normale Maß hinaus vermehren und so Probleme verursachen. Dies äußert sich typischerweise in einer fortschreitenden Hörminderung oder plötzlichem komplettem Hörverlust, Tinnitus, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Eine Gesichtslähmung (Fazialisparese) kann auftreten.
Vestibularis-Schwannome können auch unabhängig von der Erkrankung Neurofibromatose 2 auftreten („sporadische Schwannome“).
Zusätzlich zu Tumoren im Bereich des Hörnerven kommen Tumore im Gehirn (Meningeom, Ependymom, Gliom) oder im Rückenmark (spinale Tumore) vor. Dies kann u. a. zu Sehstörungen oder Lähmungen der Beine führen. Auch andere Hirnnerven können betroffen sein und z. B. Stimmbandlähmungen oder Schluckstörungen verursachen.
Ursachen
Die Krankheit wird durch eine Genmutation auf dem Chromosom 22 verursacht. Diese Mutation ermöglicht die Bildung von gutartigen Tumoren der Schwannzellen. Diese stützen und umhüllen Nerven und tragen so zur Versorgung der Nervenzellen bei. Beim Vestibularis-Schwannom ist der Hörnerv (N. vestibularis) direkt betroffen. Dieser befindet sich in einem engen Tunnel des Schädelknochens. Wenn die Schwannzellen sich vermehren und der Tumor wächst, drückt er auf den Hörnerv.
Häufigkeit
NF2 ist eine seltene Erkrankung. Es wird geschätzt, dass zwischen 1 von 25.000–40.000 Personen betroffen sind. Dabei sind 50 % der Fälle Neumutationen.
Untersuchungen
Die Diagnose wird vor allem aufgrund der Krankengeschichte und der körperlichen Untersuchung gestellt. Die Familiengeschichte ist aufgrund der erblichen Komponente dabei besonders wichtig. Bei Verdacht auf Neurofibromatose 2 wird die Überweisung in ein multidisziplinäres Spezialzentrum empfohlen. Dort können die notwendigen Untersuchungen gebündelt veranlasst werden.
Hörtests können zur Diagnosestellung und Verlaufskontrolle erfolgen. Wenn die behandelnden Ärzt*innen vermuten, dass eine Neurofibromatose 2 vorliegt, werden eine Magnetresonanztomografie und Computertomografie des Gehirns und der Wirbelsäule durchgeführt, um Tumore in diesen Regionen feststellen zu können.
Augenärztliche Untersuchungen sind wichtig, um eine Augenbeteiligung feststellen zu können, ebenso neurologische Untersuchungen wie z. B. Messungen der Nerven und Muskeln.
Die sog. Manchester-Kriterien dienen als Entscheidungsgrundlage für Ärzt*innen, um die Diagnose Neurofibromatose 2 stellen zu können. Die Kriterien sind komplex und umfassen z. B. das beidseitige Vorliegen von Vestibularis-Schwannomen bei Menschen, die älter als 70 Jahre sind, das Auftreten bei Verwandten 1. Grades und auffällige genetische Untersuchungen.
Behandlung
Es gibt derzeit keine Behandlung, die die Patient*innen vollständig heilen kann. Je nach Symptomatik gibt es verschiedene Therapieoptionen.
Operation
- Zur Entlastung von Nerven, z. B. des Hörnerven oder der betroffenen Spinalnerven im Bereich der Wirbelsäule, sodass die Nerven nicht mehr eingeengt werden.
- Auch Gehirntumore, die auftreten können, werden ggf. operativ behandelt (Meningeom, Gliom, Ependymom).
Strahlentherapie
- Vestibularis-Schwannome bei Neurofibromatose sind mittels Strahlentherapie nicht so gut zu behandeln wie bei sporadischen Vestibularis-Schwannomen.
Medikamentöse Behandlung
- Bevacizumab ist ein Wirkstoff, der die Blutgefäßbildung in Tumoren hemmt, und eine Hörverbesserung und Tumorverkleinerung bewirken kann.
- Mögliche Nebenwirkungen sind: Bluthochdruck, erhöhte Eiweißausscheidung und Ausbleiben der Regelblutung.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
- Hörgeräteversorgung bei Resthörvermögen
- Cochlea-Implantat bei intakten Hörnerven
- Auditorische Hirnstammimplantate bei geschädigten Hörnerven
Prognose
Die Tumore sind gutartig, können aber durch ihre Lage zu Komplikationen führen. Die Verläufe können sehr unterschiedlich sein, je nachdem, welche Regionen betroffen sind. Bei mehr als 9 von 10 Patient*innen mit dieser Erkrankung bilden sich am Hörnerv Tumore.
Das Durchschnittsalter, in dem die ersten Symptome auftreten, liegt bei ca. 20–25 Jahren. Durch die Früherkennung der Erkrankung und Behandlung in spezialisierten multidisziplinären Zentren hat sich die Prognose in den letzten Jahren deutlich verbessert. Je früher eine Behandlung erfolgt, desto besser ist die Langzeitprognose.
Weitere Informationen
- Schwannome des Nervus vestibularis
- Neurofibromatose Typ 2 – Informationen für ärztliches Personal
- Bundesverband Neurofibromatose
Autorin
- Susanna Allahwerde, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Berlin