Allgemeine Informationen
Definition
- Bei dem malignen Melanom des Auges handelt es sich um einen bösartigen Tumor, der sich aus Melanozyten entwickelt und überwiegend im Bereich der Aderhaut auftritt.
- Ätiologie, Mutationsverhalten und klinische Präsentation unterscheiden sich vom kutanen malignen Melanom.1
- Bei Diagnosestellung sind häufig keine Metastasen vorhanden, metachrone Metastasierung v. a. in die Leber jedoch häufig.1
Häufigkeit
- Der häufigste primäre maligne Tumor des Auges ist das maligne uveale Melanom.2
- Inzidenz bei 0,6–0,7 Neuerkrankungen pro 100.000 Einw.2
- Bei hellhäutigen Menschen ca. 10-fach höhere Inzidenz als bei Menschen mit dunkler Hautfarbe2
- Lokalisation maligner Melanome des Auges
- Das durchschnittliche Alter bei der Diagnosestellung ist die 6. Dekade.2
- Bei der Häufigkeit bestehen keine wesentlichen geschlechtsspezifischen Unterschiede.
- Die Prävalenz ist bei Menschen europäischer Abstammung am höchsten, und sie nimmt mit steigendem Abstand zum Äquator zu.1
Ätiologie und Pathogenese
- Uveale Melanome entwickeln sich aus Melanozyten der Uvea.
- Die Uvea ist die mittlere Augenhaut, die durch die Sklera und die Hornhaut geschützt ist und die Blutversorgung der Netzhaut gewährleistet.
- Aderhautmelanome gehen in der Regel aus pigmentierten Nävi hervor.4
- Intraokulare maligne Melanome können in das umliegende intraokulare Gewebe hinein oder aus dem Auge heraus wachsen, sich aber auch hämatogen ausbreiten.
Zytogenetik
- Uveale Melanome unterscheiden sich hinsichtlich ihrer zytogenetischen Profile von malignen Melanomen der Haut.1
- Die bei weitem häufigste chomosomale Aberration uvealer Melanome ist der Verlust eines Chromosoms 3 (Monosomie 3), das mit schlechter Prognose einhergeht.1
Prädisponierende Faktoren
- Pigmentierung
- helle Augenfarbe (OR 1,75), helle Hautfarbe (OR 1,80), Prädisposition für Sonnenbrand (OR 1,64)5
- Haut- oder Irisnävi
- atypische kutane Nävi (OR 2,82), gewöhnliche kutane Nävi (OR 1,74), Sommersprossen (OR 1,22), Irisnävi (OR 1,53)6
- Nävi in der Uvea und Bindehaut liegen bei etwa 6,5 % der Allgemeinbevölkerung vor.
- Umwandlung eines Nävus in ein malignes Melanom bei schätzungsweise < 1:15.000 jährlich
- Exposition gegenüber UV-Strahlung
- bei intermittierender beruflicher Exposition (Schweißen) erhöhtes Risiko eines malignen uvealen Melanoms (OR 2,05)7
- Im Gegensatz zur Haut gibt es keine Belege für eine Erhöhung des Risikos durch verstärkte Exposition gegenüber Sonnenlicht (UVA- und UVB-Strahlung).
ICPC-2
- F74 Neubild. Auge / -Anhangsgebilde
ICD-10
- C43 Bösartiges Melanom der Haut
- C43.1 Bösartiges Melanom des Augenlides, einschließlich Kanthus
- C43.9 Bösartiges Melanom der Haut, nicht näher bezeichnet
- C44 Sonstige bösartige Neubildungen der Haut
- C44.1 Haut des Augenlides, einschließlich Kanthus
- C44.9 Bösartige Neubildung der Haut, nicht näher bezeichnet
- C69 Bösartige Neubildung des Auges und der Augenanhangsgebilde
- C69.3 Chorioidea
- C69.9 Auge, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Ophthalmoskopische Befunde und ergänzende bildgebende Diagnostik
- Endgültige Sicherung durch Biopsie und Histologie1
Differenzialdiagnosen
- Nävi
- Metastasen (z. B. Mammakarzinom)
Anamnese
- Unspezifische Symptome, in hohem Maße von der Lokalisation des Tumors im Auge abhängig
- Peripher gelegene Tumoren bleiben oft Monate oder Jahre unbemerkt. Symptome dann:
- Tumoren am hinteren Pol: frühzeitige Visusbeeinträchtigung2
- Bei manchen Patient*innen kann es aufgrund einer Exsudation des Tumors und einer sekundären Netzhautablösung zu einer plötzlichen Visusminderung, einer Metamorphopsie (Verzerrung der visuellen Wahrnehmung) und Photopsien (Lichtblitze) kommen.
Klinische Untersuchung
- Maligne okulare Melanome können im frühen Stadium zufällig bei der ophthalmoskopischen Untersuchung entdeckt werden.
- Etwa 30 % der uvealen Melanome werden im Rahmen einer Untersuchung wegen einer anderen Erkrankung des Auges erkannt. Oft sind sie relativ klein.
VerminderterDer Fundusrotreflex ist beim Blick in eine bestimmte Richtung vermindert.- Im fortgeschritteneren Stadium: Tumor bei der Ophthalmoskopie zu erkennen. Es können eine Netzhautablösung, eine Verfärbung der Iris und eine Deformität der Pupille vorliegen.
- Tumoren, die in den Kammerwinkel des Auges hineinwachsen, können ein Sekundärglaukom, einen erhöhten Augeninnendruck und Schmerzen hervorrufen, die jedoch auch infolge einer Entzündung auftreten können.
Diagnostik bei Spezialist*innen
Untersuchungen
- Ophthalmoskopie
- Das Melanom imponiert häufig als graubrauner, runder oder ovaler, prominenter Tumor.
- ophthalmoskopische Abgrenzung von einem benignen Nävus u. U. schwierig.
- Ultraschalluntersuchung
- Sie kann zusammen mit der MRT-Untersuchung eingesetzt werden, um die Größe und Lokalisation des Tumors zu bestimmen.
- Fluoreszenzangiografie
- Informationen über die vaskuläre Versorgung des Tumors
- Feinnadelbiopsie
- zur histologischen und zytogenetischen Untersuchung und damit zur Diagnosesicherung und Prognoseabschätzung1
Diagnostik von Metastasen
- Sonografie des Abdomens
- Röntgen-Thorax
- Bei Unsicherheit oder begründetem Verdacht auch CT1
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht umgehende Überweisung zu Ophtalmolog*in
Therapie
Therapieziele
- Bei Diagnosestellung häufig keine Metastasierung, insofern liegt das Ziel der lokalen Tumortherapie in kurativer Intention und dem Erhalt des Visus.
- Im Verlauf recht häufig systemische Metastasierung, dann palliatives Therapiekonzept
Allgemeines zur Therapie
- Bulbuserhaltende Therapie
- Strahlentherapie als Brachytherapie oder perkutane Bestrahlung
- chirurgische Exzision2
- Enukleation: Ist angesichts guter bulbuserhaltender Therapiemöglichkeiten nur noch ein Verfahren der Reserve.
- Bei Metastasierung gibt es kaum zufriedenstellende Therapiemöglichkeiten.
Strahlentherapie
- Etabliertestes Verfahren zur lokalen Tumorkontrolle
Brachytherapie
- Mit Beta- (106 Ru) oder Gamma-Applikatoren (125 J)
- Chirurgische Implantation eines radioaktiven Applikators erforderlich
- Extraokulare Strukturen einschließlich der okulären Adnexe werden so geschont.
- Beta-Applikatoren: steiler Dosisabfall, hohe Dosis im Zielvolumen bei weitgehender Schonung benachbarter Strukturen möglich2
Perkutane Bestrahlung
- Perkutane Bestrahlung mit Protonen (60–70 MeV): sehr steiler Dosisabfall zur Seite und am Ende der Reichweite des Strahls; Vorteil bei Tumoren in nahe der Papille oder Fovea
- Beide Bestrahlungsarten erreichen bei Tumoren unter 6–7 mm Höhe lokale Tumorkontrollraten von über 95 % nach 5 Jahren.2
Operative Therapie
- Indiziert bei großen intraokularen Melanomen (> 8 mm Höhe)
- Zugangswege: transskleral von außen oder transretinal
- Ziel: Organ- und Funktionserhalt des betroffenen Auges8
- Grenzen der chirurgischen Resektion
- basaler Tumordurchmesser nicht größer als 15 mm
- Lage des Tumors (außerhalb des großen Gefäßbogens)2
- Enukleation: bei großen Tumoren, Rezidiven oder Komplikationen anderer Therapien1
Therapie des metastasierten uvealen Melanoms
- Bisher konnte keine adjuvante Therapie die Prognose bei Metastasierung verbessern.2
- Eine Teilnahme an klinischen Studien sollte angestrebt werden.
- In Studien wurden bisher meist Substanzen eingesetzt, die bei kutanen Melanomen verwendet werden, trotz biologischer Unterschiede der beiden Melanomformen.2
- Sämtliche bis dato publizierte Studien mit klassischer Chemotherapie zeigen Remissionsraten kaum über null.2,9
Prävention
- Es sind keine Maßnahmen bekannt, die der Erkrankung vorbeugen könnten.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Eine lokale Tumorkontrolle lässt sich häufig erreichen, dennoch tritt häufig im Verlauf eine Metastasierung, v. a. in die Leber auf.1
- Hämatogene Metastasierung
- Metastasierung ganz überwiegend in die Leber: 85–90 % der Betroffenen1,10
- Zeitraum von Bestrahlung des Melanoms am Auge und der Diagnose einer Metastasierung: im Durchschnitt 3,45 Jahre10
Komplikationen
- Strahlungsbedingte Komplikationen mit z. T. konsekutivem Visusverlust
- strahleninduzierte Katarakt
- strahlenbedingte Retinopathie
- Makulopathie
- Glaskörperblutung
- Netzhautablösung
- Glaukom infolge Neovaskularisation
- Tumorrezidiv
- Verlust der Wimpern
- trockenes Auge
- Optikusneuropathie1,12
- Toxic Tumor Syndrome: Langzeitkomplikation der Strahlentherapie durch Zerfall nekrotischen Tumorgewebes bei großen Tumoren2
- Die chirurgische Resektion vermeidet Langzeitkomplikationen der Strahlentherapie.2
Prognose
- Visusprognose: abhängig von Größe und Lage des Tumors, beste Prognose bei flachen Tumoren im Bereich des Äquators2
- In einer Studie von 200 Fällen mit Nachbeobachtungszeit von 32,3 Monaten:
- Erhalt des Auges in 89 %
- Erhalt des Lesevermögens (Visus 0,5 und besser) in 13,4 % der Fälle.8
- In einer Studie von 200 Fällen mit Nachbeobachtungszeit von 32,3 Monaten:
- Keine Verbesserung des Gesamtüberlebens bei Metastasierung über die letzten Jahrzehnte: In einer Kohortenstudie aus Boston wurden bei 661 Patient*innen im metastasierten Stadium die folgenden Überlebenszeiten ab Diagnosezeitpunkt der Metastasierung ermittelt:
- mittlere 1-Jahres-Überlebensrate 21,3 %
- 3-Jahres-Überlebensrate 4,3 %
- In der Vergleichsgruppe aus den 1970/80er-Jahren: Damals überlebten ca. 13 % der Patient*innen mit metastasierter Erkrankung mindestens 1 Jahr.10
- Inzwischen eingeführte Therapien wie Methylethylketon oder Checkpointinhibitoren scheinen keinen wesentlichen Einfluss auf das Gesamtüberleben zu haben.10
- Etwa 50 % der Patient*innen mit einem Melanom der Uvea versterben an den Metastasen des Primärtumors.2,13
- Tumoren, die einen Verlust von Chromosom 3 (Monosomie 3) aufweisen, haben ein hohes Metastasierungsrisiko, bei Tumoren ohne Monosomie 3 ist die Prognose gut.14
Verlaufskontrolle
- Sonografie oder MRT des Abdomens und Erhebung der laborchemischen Leberparameter alle 6 Monate zur frühen Identifizierung einer Metastasierung1
- Ophtalmologische Kontrollen nach Vorgabe der behandelnden ophtalmologischen Abteilung
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Literatur
- 14. Grisanti S, Tura A. Uveal Melanoma. In: Scott JF, Gerstenblith MR, editors. Noncutaneous Melanoma [Internet]. Brisbane (AU): Codon Publications; 2018 Mar. Chapter 1. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
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Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).