Netzhautablösung

Zusammenfassung

  • Definition:Eine zunehmende Ablösung der Sinneszellschicht von dem darunter liegenden Pigmentepithel der Retina.
  • Häufigkeit:Inzidenz 1/10.000.
  • Symptome:Plötzliche, schmerzfreie Visusminderung, Lichtblitze, „Rußregen“, vermehrt Moches volantes.
  • Befunde:Visusminderung.
  • Diagnostik:Ophthalmoskopie, ggf. bei erweiterter Pupille.
  • Therapie:Akuter ophthalmologischer Notfall, Laserbehandlung, Kryopexie, skleraeindellende Verfahren, Vitrektomie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die Ablösung der Netzhaut wird auch als Ablatio retinae oder Amotio retinae bezeichnet.
  • Es kommt zu einer zunehmenden Ablösung der neurosensorischen Netzhaut von dem darunter liegenden Pigmentepithel der Retina.
  • Ein dauerhafter Sehkraftverlust kann durch eine frühzeitige Diagnose und Therapie verhindert werden.1
  • Unbehandelt kann es Störungen des Sehvermögens bis zur Erblindung kommen.

Häufigkeit

  • Die Inzidenz liegt bei 1/10.000 jährlich.2
  • Am häufigsten sind Menschen in der 6. und 7. Lebensdekade betroffen.2
  • Bei 6–10 % der Patienten liegt auch eine Netzhautablösung am anderen Auge vor.3

Ätiologie und Pathogenese

  • Es wird zwischen rhegmatogenen, exsudativen und traktiven Netzhautablösungen unterschieden.4
  • Rhegmatogene Netzhautablösung (Netzhautrisse)3
    • Dies ist die häufigste Form der Netzhautablösung. Ursache ist ein Loch oder Riss in der Netzhaut, durch das bzw. den Glaskörperflüssigkeit eindringen und das Sinnesepithel von der Pigmentschicht trennen kann.
    • Vorstufen einer Netzhautablösung sind:3
      • atrophische Rundlöcher 
      • Rundloch mit ausgerissenem Deckel
      • Gitterdegeneration ohne/mit Netzhautdefekt
      • Hufeisenriss.
    • Risikofaktoren
      • Netzhautablösungsanamnese des Partnerauges
      • Myopie
      • familiäre Belastung
      • Zustand nach Kataraktoperation (Pseudophakie)
      • direktes schweres Bulbustrauma
  • Exsudative Netzhautablösung
    • Auch die Ansammlung seröser oder blutiger Flüssigkeit im subretinalen Raum aufgrund intraokularer Tumoren oder exsudativen Gefäßerkrankungen kann zu einer Netzhautablösung führen.
    • Morbus Coats ist eine seltene, angeborene Erkrankung mit Teleangiektasien in der Retina und Ablagerung von Exudaten, die zur Erblindung des meist einseitig betroffenen Auges führen kann.5
  • Traktive Netzhautablösung
    • Hierbei ziehen Narbenstränge die Netzhaut von der Unterlage ab, z. B. im Rahmen einer diabetischen Retinopathie.6
    • Die Prognose für die Erhaltung des Sehvermögens ist häufig ungünstig.

 Prädisponierende Faktoren

  • Vorausgegangene Netzhautablösung auf dem anderen Auge
  • Hohes Alter
  • Myopie (> 5 dpt.): 4-mal höheres Risiko einer Netzhautablösung
  • Familiäre Häufung von Netzhautablösungen
  • Marfan-Syndrom
  • Verletzung, Augenkontusion
  • Operativer Eingriff am Auge, z. B. Kataraktoperation (Pseudophakie)7
  • Entzündliche Erkrankungen des Auges
  • Intraokulare Blutungen
  • Retinale Venenthrombose
  • Malignes Melanom des Auges
  • Diabetische Retinopathie
  • Angeborene Fehlbildungen des Auges
  • Schweres Heben8
  • Bungee-Jumping oder Fahrgeschäfte mit hoher Rasanz (Achterbahn etc.)9

ICPC-2

  • F82 Netzhautablösung

ICD-10

  • H33 Netzhautablösung und Netzhautriss
    • H33.0 Netzhautablösung mit Netzhautriss
    • H33.1 Retinoschisis und Zysten der Netzhaut
    • H33.2 Seröse Netzhautablösung
    • H33.3 Netzhautriss ohne Netzhautablösung
    • H33.4 Traktionsablösung der Netzhaut
    • H33.5 Sonstige Netzhautablösungen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Es kommt zu einer plötzlichen, schmerzfreien Visusminderung, die häufig zuerst den peripheren Bereich des Gesichtsfelds betrifft.
  • Lichtblitze (Fotopsie), Schatten oder Schleier vor den Augen
  • Plötzliche Zunahme schwebender Flecken im Gesichtsfeld (Mouches volantes)
  • „Rußregen“

Klinische Untersuchung

  • Sehschärfenbestimmung, ggf. mit bekannter Korrektur
  • Spaltlampenuntersuchung der vorderen und mittleren Augenabschnitte
  • Untersuchung des Glaskörpers und des gesamten Augenhintergrundes in
    Mydriasis
  • Ggf. Ultraschalluntersuchung10
  • Ggf. CT oder MRT nach einer Verletzung

Indikationen zur Klinikeinweisung/Überweisung

  • Jede neu aufgetretene Sehstörung sollte möglichst umgehend ophthalmologisch abgeklärt werden.
  • Dringliche Klinikeinweisung/Überweisung bei Verdacht auf Netzhautablösung

Therapie

Therapieziel

  • Sehvermögen erhalten.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung sollte so schnell wie möglich erfolgen.
  • Als Therapieoptionen stehen eine Laserbehandlung, eine Kryopexie, skleraeindellende Verfahren (Kompression von außen), das Einbringen von Gas oder eine Vitrektomie zur Wahl.11

Therapie

  • Laser- oder Kryokoagulation3
    • Die Narbeninduktion durch Laser- oder Kryokoagulation der Netzhautlöcher oder Hufeisenrisse ist nur bei anliegender Netzhaut zur Prophylaxe der Ablatio sinnvoll.2
  • Skleraeindellende Chirurgie
    • Mithilfe einer Zerklage oder Plombe um den Augapfel wird der Kontakt zur Netzhaut wieder hergestellt.11 
  • Vitrektomie
    • bei pseudophaken Augen oder komplizierten Umständen (z. B. große Löcher, zentral gelegene Löcher, Glaskörperblutung)3
    • Der Glaskörper wird entfernt und ein Glaskörperersatz (Luft-/Gasgemisch oder eine Silikonöltamponade) soll durch Druck zur Narbenbildung an der Netzhaut führen.2

Prävention

  • Die Prävention ist bei der Behandlung von Netzhautablösungen von großer Bedeutung.
  • Schutzbrillen oder -linsen können bei der Ausübung von Kontaktsportarten sinnvoll sein, insbesondere bei Patienten mit mittelgradiger bis schwerer Myopie.
  • Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren sollten über die Symptome einer Netzhautablösung besonders gut aufgeklärt werden.2 
  • Bestmögliche metabolische Einstellung bei Diabetes mellitus sowie regelmäßige augenärztliche Kontrollen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Ohne Behandlung kommt es zum Fortschreiten der Netzhautablösung und zur Erblindung.
  • Eine Vitrektomie kann zu einem Anstieg der Sehschärfe führen, je nachdem, wie stark Sehnerv und zentrale Netzhaut bereits geschädigt sind.6

Komplikationen

  • Manchmal kommt es durch Gefäßeinrisse zu Glaskörperblutungen, die wiederum den Visus verschlechtern.
  • Nach einer Operation kann es zu Narbenreaktion der Netzhaut kommen, diese proliferative Vitreoretinopathie (PVR) kann zu einer erneuten Abhebung der Netzhaut mit Visusverlust führen.2
  • Nachteil der Vitrektomie ist die beschleunigte Entwicklung einer Linsentrübung.6
  • Erblindung

Prognose

  • Die operative Therapie ist in 90 % der Fälle bei primärer Netzhautablösung erfolgreich.
  • Bis zu welchem Grad das Sehvermögen wiederhergestellt werden kann, hängt davon ab, wie lange die Netzhaut vom Pigmentepithel getrennt war.
  • Ischämien des Sehnerves oder der zentralen Netzhaut können zu bleibenden Sehstörungen bis zum Sehverlust führen.
  • Eine schlechtere Prognose besteht bei: 
    • proliferativer Vitreoretinopathie (PVR), großen bzw. multiplen Einrissen, gleichzeitig vorhandenem Makulaloch und sehr hoher Myopie, Hypotonie, Chorioidalfalten

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßige augenärztliche Kontrolle ist erforderlich.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Beide Augen sollten regelmäßig augenärztlich untersucht werden.
  • Bei Auftreten der folgenden Symptome sollten die Patienten umgehend einen Arzt konsultieren:
    • erneute Lichtblitze
    • zunehmende Verschattung des Gesichtsfelds
    • entsprechende Symptome auf dem anderen Auge.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Netzhautablösung, Ultraschall
Netzhautablösung, Ultraschall

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Vorstufen einer rhegmatogenen Netzhautablösung bei Erwachsenen und rhegmatogene Netzhautablösung. DOG-Leitlinien Nr. 22a/22b, Stand 2011. www.dog.org
  • NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-001b. S3, Stand 2015. www.awmf.org

Literatur

  1. Yang L, Bula D, Arroyo JG, Chen DF. Preventing retinal detachment-associated photoreceptor cell loss in Bax-deficient mice. Invest Ophthalmol Vis Sci 2004; 45: 648-54. PubMed
  2. Feltgen N, Walter P. Rissbedingte Netzhautablösung – ein ophthalmologischer Notfall. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(1-2): 12-22; DOI: 10.3238/arztebl.2014.0012. www.aerzteblatt.de
  3. Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Vorstufen einer rhegmatogenen Netzhautablösung bei Erwachsenen und rhegmatogene Netzhautablösung. DOG-Leitlinien Nr. 22a/22b, Stand 2011. www.dog.org
  4. Sodhi A, Leung LS, Do DV, et al. Recent trends in the management of rhegmatogenous retinal detachment. Survey of Ophthalmology 2008;53(1):50-67. PMID: 18191657 PubMed
  5. Orphanet. Coats-Krankheit. Zugriff 6.2.2020 www.orpha.net
  6. NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-001b. S3, Stand 2015. www.awmf.org
  7. McNamara D. Cataract surgery may up retinal detachment risk 4-fold. Medscape Medical News. September 13, 2013. www.medscape.com
  8. Mattioli S, Curti S, De Fazio R, et al. Occupational lifting tasks and retinal detachment in non-myopics and myopics: extended analysis of a case-control study. Saf Health Work. 2012; 3:52-7. doi: 10.5491/SHAW.2012.3.1.52 DOI
  9. Berufsverband der Augenärzte. Augenspiegel.Kurznachrichten. 2007 www.augenspiegel.com
  10. Gariano RF, Kim C-H. Evaluation and management of suspected retinal detachment. Am Fam Physician 2004; 69: 1691-8. PubMed
  11. Hatef E, Sena DF, Fallano KA, Crews J, Do DV. Pneumatic retinopexy versus scleral buckle for repairing simple rhegmatogenous retinal detachments. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 5. Art. No.: CD008350. DOI: 10.1002/14651858.CD008350.pub2. DOI

Autoren

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, redaktør NEL
  • Johan H. Seland, professor emeritus, Universitetet i Bergen

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