Glaskörperblutung

Zusammenfassung

  • Definition:Blutungen in einem von mehreren potenziellen Hohläumen im oder um den Glaskörper. Verursacht durch Netzhautrisse, Gefäßneubildungen in der Netzhaut oder Blutungen aus den Blutgefäßen in diesen Strukturen. Tritt am häufigsten aufgrund diabetischer Retinopathie, Netzhautvenenthrombose oder altersbedingter Makuladegeneration auf.
  • Häufigkeit:Seltene Erkrankung. Risiko bei Diabetes mellitus, Gefäßerkrankungen und im Alter erhöht.
  • Symptome:Verschwommenes Sehen mit mittelgradiger bis starker Einschränkung des Sehvermögens, schwebende trübe Flecken im Sichtfeld (Rußregen).
  • Befunde:Der auffälligste klinische Befund ist ein schwacher oder vollständig fehlender Rotreflex.
  • Diagnostik:Untersuchung durch Augenärzt*in. Zur weiteren Diagnostik Sonografie, CT oder MRT möglich.
  • Therapie:Leichte Blutungen werden nach einigen Wochen selbstständig resorbiert, während starke Blutungen operativ saniert werden müssen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bei einer Glaskörperblutung tritt eine Extravasation in einem von mehreren potenziellen Hohlräumen im oder um den Glaskörper herum auf.1
  • Kann direkte Folge von Netzhautrissen oder Gefäßneubildungen in der Netzhaut sein oder mit Blutungen aus den Blutgefäßen in diesen Strukturen zusammenhängen.
  • Das Ausmaß einer Glaskörperblutung kann erheblich variieren, die klinische Manifestation reicht von lediglich kleinen Flecken im Sichtfeld über Rußregen/Mouches volantes2-3, bis hin zu stark eingeschränktem Sehvermögen.3
  • Der Einfluss auf das Sehvermögen hängt von Ausmaß und Dichte der trüben Flecken ab.

Häufigkeit

  • Die Häufigkeit von Glaskörperblutungen ist abhängig von der Häufigkeit der Grunderkrankung.
    • Inzidenz geschätzt 7/100.0004
    • Hierbei liegt das Risiko für das Vorliegen eines Netzhautrisses bei etwa 14 %.3
  • Bei Erwachsenen ist die häufigste Ursache von Glaskörperblutungen eine proliferative diabetische Retinopathie.2
  • Bei Kindern und Jugendlichen ist die häufigste Ursache von Glaskörperblutungen ein Trauma.

Anatomie und Physiologie

  • Glaskörper wird posterolateral von der inneren Membran der Netzhaut begrenzt, anterolateral von dem nichtpigmentierten Epithel des Ziliarkörpers und ventral von den Zonulafasern der Linse und der hinteren Linsenkapsel.
    • Hat eine stabilisierende und formerhaltende Funktion für den Bulbus.
    • Die Netzhaut wird durch die gelartige Konsistenz des Glaskörpers in ihrer Position gehalten, wodurch einer Netzhautablösung entgegengewirkt wird.
  • Der retrolentale Raum (nach Erggelet) und der Petit-Kanal sind potenzielle Hohlräume.
    • Beide sind zwischen der vorderen Hyaloidmembran, der hinteren Linsenkapsel und dem hinteren Teil der Zonulafasern lokalisiert.
  • Bei Erwachsenen beträgt das Volumen des Glaskörpers ca. 4 ml, was 80 % des Augapfels entspricht.3
  • Der Glaskörper besteht zu 99 % aus Wasser, der Rest setzt sich vorwiegend aus Kollagen und Hyaluronsäure zusammen.
    • gallertartig, aber dennoch klar und durchscheinend
  • Der Glaskörper ist avaskulär und unelastisch.

Ätiologie und Pathogenese

  • Eine häufige Ursache für Glaskörperblutungen sind Blutungen aus Gefäßneubildungen bei proliferativer diabetischer Retinopathie.2,5
  • Risse in der sensorischen Netzhaut können ebenfalls zu Blutungen führen.
  • Weitere Ursachen sind Zentralvenenverschluss, Venenastverschluss, altersbedingte Makuladegeneration oder Hypertonie.3,5-6
  • Ein akuter Kollaps des Glaskörpers mit einer hinteren Glaskörperabhebung kann in einigen Fällen Blutungen ohne Rissbildung verursachen.
  • Nichtakzidentelles Schädel-Hirn-Trauma3
    • Schütteltrauma (Sonstige Verletzungszeichen? Prellmarken? Hämatome?)
    • äußere Gewalteinwirkung (stumpfe oder spitze Schädel-Hirn-Traumata)
  • In seltenen Fällen (ca. 5 %) kann eine Subarachnoidalblutung von Blutungen im Glaskörper begleitet werden.
    • Das Terson-Syndrom beschreibt eine Glaskörperblutung, die als direkte Folge einer Subarachnoidalblutung (SAB) auftritt. Prognostisch ist dabei die Wahrscheinlichkeit, an der SAB zu sterben, höher als bei einer Nichtbeteiligung des Auges.3,5-6

Pathophysiologie

  • Erkrankungen der Netzhaut, Traumata und/oder Austritt von Blut in die Netzhaut und den Glaskörper aus einer intraokulären Quelle
  • Starke Blutungen sind in der Regel im Zwischenraum von Glaskörper und Netzhaut lokalisiert.
  • Im Verlauf von Wochen bis Monaten verblasst das Blut durch den Abbau und migriert in die gallertartige Masse des Glaskörpers.

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • F99 Auge / -Anhangsgeb. Erkrank., and

ICD-10

  • H43 Affektionen des Glaskörpers
    • H43.1 Glaskörperblutung

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Anamnese, die auf die Erkrankung hinweist.
  • Die Diagnose wird beim Auftreten von Blut im Glaskörper durch eine augenärztliche Untersuchung gestellt, evtl. ergänzt durch eine Sonografie.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Subjektiv wahrgenommene Trübungen, die bei Blickbewegungen durch das
    Gesichtsfeld schweben.3
    • Häufig erscheinen den Patient*innen anfangs kleine „schwebende“ Flecken (Floater, Mouches volantes7) im Sichtfeld, oft gefolgt von vielen kleinen schwarzen oder winzigen ringförmigen Flecken.
    • Frage nach Kopfschmerzen (Subarachnoidalblutung?) oder neurologischen Auffälligkeiten
  • Rasch setzt verschwommenes Sehen mit mittelgradiger bis starker Einschränkung des Sehvermögens ein.
  • In der Regel keine Schmerzen oder andere Beschwerden
  • Weitere ophthalmologische Anamnese, insbesondere:3
    • Lichtblitze in dämmriger oder dunkler Umgebung, ggf. durch Blickbewegungen provozierbar (Phosphene)?
    • Akute, ggf. auch nur temporäre Sehverschlechterungen?
    • Mittelgradige oder hochgradige Myopie?
    • Netzhautablösung und/oder Netzhautlöcher am anderen Auge?
    • vorhergegangene Verletzung, Entzündung (z. B. Pars planitis) oder Operation (z. B. Katarakt-Operation, Netzhautlaserkoagulation) an den Augen?
    • Familienanamnese für Glaskörperblutungen, Netzhauterkrankungen?
  • Befragung zu den häufigsten Ursachen und Risikofaktoren:3,8
  • Bei Kindern8
    • Anzeichen für retinale Vaskulitis?
    • Anzeichen für Systemerkrankungen?
    • Anzeichen für (Schüttel-)Trauma?
      • Sonstige Verletzungszeichen? Prellmarken? Hämatome?

Klinische Untersuchung

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.3
  • Inspektion der Augen
  • Orientierende Visusprüfung
  • Bei Kleinkindern nach Hinweisen auf ein mögliches Schütteltrauma achten (Erbrechen ohne Fieber und Enteritis, Inappetenz, Bewusstlosigkeit, Bradykardie, Schwäche).8

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Im Rahmen der hausärztlichen Erstabklärung
    • Messung von Blutdruck und Puls
    • bei Hinweisen auf Trauma orientierende neurologische Untersuchung des Hirnnervenstatus
  • Bei Hinweisen auf Grunderkrankung weitere Diagnostik:

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf den diesen Referenzen.3,8
  • Augenärzt*in: spezielle ophthalmologische Untersuchungen
    • Rotreflex
      • Der Rotreflex ist nur schwach oder fehlt vollständig.
    • Netzhaut
      • Der Blick auf die Netzhaut hängt vom Ausmaß der Blutung ab.
      • Frisches Blut ist rot und häufig hinter der gallertartigen Masse des Glaskörpers oder in einem benachbarten Hohlraum lokalisiert.
    • Sehschärfenbestimmung, ggf. mit bekannter Korrektur (falls erforderlich Ausmessen vorhandener Sehhilfen)
    • Spaltlampenuntersuchung der vorderen und mittleren Augenabschnitte, insbesondere im Hinblick auf Pigmentzellen und/oder Blutzellen im vorderen Glaskörper
    • Untersuchung des hinteren Glaskörpers und der Netzhaut, insbesondere der Netzhautperipherie in Mydriasis (z. B. Blutungen, Degenerationen, Glaskörpertraktionen, Netzhautlöcher)
    • Tonometrie – da in manchen Fällen das Risiko eines Sekundärglaukoms besteht.
  • Sonografie
    • zum Nachweis einer möglichen Netzhautabhebung9
    • Ergibt sich sonografisch kein Hinweis auf eine Ablatio oder ein Foramen retinae, kann in der Regel unter sonografischer Kontrolle einige Wochen abgewartet werden, um die spontane Resorptionstendenz zu beurteilen.
  • CT oder MRT – hilfreich zum Ausschluss von:
    • Perforation
    • intraokulärem Fremdkörper
    • Abriss des Sehnervs
    • intraokulären Tumoren
    • Subarachnoidalblutung.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Hinweisen auf Schädel-Hirn-Trauma oder Schütteltrauma sofortige Krankenhauseinweisung
  • Bei internistisch/neurologischen Notfällen wie hypertensivem Notfall, TIA/V. a. Schlaganfall, diabetischer Ketoazidose usw. sofortige Krankenhauseinweisung.
  • Möglichst schnelle Überweisung zu Ophthalmolog*in bei folgenden Hinweisen:
    • ein- oder beidseitiger Visusverlust oder Visusminderung
    • sichtbare deutliche Einblutung
    • vegetative Begleitsymptome.

Therapie

  • Je nach Ursache der Blutung kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz:3,8
    • chirurgische Versorgung bei Augenverletzungen
    • Lasertherapie bei Blutungen aus Netzhautgefäßen
    • Liegt der Einblutung eine Netzhautablösung zugrunde, sollte diese aufgrund der Gefahr der Erblindung schnellstmöglich behandelt werden.
    • medikamentöse Behandlung von verursachenden Grunderkrankungen (Hypertonie, Diabetes mellitus, Arteriosklerose/KHK/PAVK usw.)
  • Im Regelfall ist für die Blutung selbst keine Therapie notwendig, abwartende Kontrollen reichen aus.3,8
  • Operative Versorgung mittels Vitrektomie3

Therapieziele

  • Schnellstmögliche Therapie einer möglichen Grunderkrankung (Diabetes mellitus, Hypertonie, Arteriosklerose).
  • Evtl. Maßnahmen zur Begrenzung weiterer Augenschäden

Allgemeines zur Therapie

  • Leichte Blutungen werden nach einigen Wochen selbstständig resorbiert, während starke Blutungen operativ saniert werden müssen.3,5
  • Nach Resorption der Blutung sollte das Auge untersucht und eine evtl. Retinopathie mittels Laser therapiert werden.
  • Bei sehr dichten Blutungen, die nicht innerhalb weniger Monate resorbiert werden, ist eine Vitrektomie indiziert, bei der die Blutung operativ saniert wird.2

Empfehlungen für Patient*innen

  • Während der ersten Tage Bettruhe mit hochgelagertem Kopf (30–45 Grad), damit sich das Blut im unteren Teil des Auges sammeln kann.

Medikamentöse Therapie

Operative Therapie

  • Laserkoagulation oder Kryotherapie
    • Diese Verfahren werden angewandt, um Risse in der Netzhaut zu schließen.
    • Durch Laserkoagulation kann ein Riss geschlossen und damit die Blutung des Gefäßes gestillt werden.
  • Eine abgehobene Netzhaut kann operativ wiederangelegt werden.

Vitrektomie

  • Kann bei Blutungen und Netzhautabhebung indiziert sein.2
  • Der trübe Glaskörper wird abgesaugt und durch isotone Kochsalzlösung, Silikon-Öl, Ringerlösung oder Gas ersetzt.6,9
  • Geeigneter Zeitpunkt 
    • Eine frühzeitige Vitrektomie innerhalb der ersten 2 Wochen nach Symptombeginn kann eine spätere Visusverschlechterung möglichweise verhindern.6,8
  • Das Auftreten von Netzhautlöchern ist abhängig vom Befund und von Risikofaktoren für eine Netzhautablösung.
    • Bei einer in Bezug auf Netzhautlöcher unauffälligen Erstuntersuchung nimmt das Risiko für die Entstehung neuer Netzhautlöcher auf etwa 3 % ab, sofern keine neuen Beschwerden aufgetreten sind.3
    • Liegt bereits eine komplette hintere Glaskörperabhebung vor, dann ist im Falle einer Vitrektomie in 12 % der Fälle mit iatrogenen Netzhautlöchern zu rechnen.
    • Netzhautablösungen können auch lange nach der Vitrektomie noch eintreten.
  • Komplikationen
    • Komplikationen bis hin zur Erblindung können auftreten.
  • Der Trend scheint nach individueller Abwägung zunehmend in Richtung einer operativen Versorgung zu gehen, maßgebend ist insbesondere auch der Patientenwunsch.8

Präventive Maßnahmen

  • Bestmögliche Therapieeinstellung möglicher Grunderkrankungen (Diabetes, Bluthochdruck, Arteriosklerose)

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Es können Vorzeichen in Form von schwebenden Flecken im Sichtfeld auftreten, meist setzt die Erkrankung akut ein.
  • Ein spontaner Rückgang ist im Laufe von Wochen bis Monaten möglich.

Komplikationen

  • Mögliche Komplikationen einer Glaskörperblutung umfassen:
    • Hämosiderose mit Fotorezeptor-Toxizität
    • Glaukom
    • Zurückbleiben großer Mengen trüber Flecken („Mouches volantes“)
    • Entwicklung von Kurzsichtigkeit (häufig auch bei Kindern nach traumatischer Genese)

Prognose

  • Sehr stark abhängig von der Grunderkrankung
    • in der Regel gute Prognose
    • möglichweise eingeschränkte Prognose bei fortgeschrittenen vaskulären Grunderkrankungen, höherem Alter und starker traumatischer Schädigung3,9

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Auge, detaillierter Laengsschnitt.jpg
Auge, detaillierter Längsschnitt

Weitere Illustrationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Glaskörpertrübungen/Mouches volantes. DOG-Leitlinie Nr. 23, Stand 2017. www.dog.org
  • NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-001, Stand 2021. www.leitlinien.de

Literatur

  1. Phillpotts BA, Roy H. Vitreous hemorrhage. Medscape 2016. Last updated may 2015. emedicine.medscape.com
  2. NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen. Nr. nvl-001. Stand 2021 www.leitlinien.de
  3. Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Glaskörpertrübungen/Mouches volantes. DOG-Leitlinie Nr. 23, Stand: 2017. www.dog.org. www.dog.org
  4. Spraul CW, Grossniklaus HE. Vitreous Hemorrhage. Surv Ophthalmol. 1997 Jul-Aug;42(1):3-39. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Spirn MJ, Lynn MJ, Hubbard GB 3rd. Vitreous hemorrhage in children. Ophthalmology 2006; 113: 848-52. PubMed
  6. Hayashida M, Miki A, Imai H, Otsuka K, Azumi A, Nakamura M. Impact of Early Vitrectomy for Dense Vitreous Hemorrhage of Unknown Etiology. Ophthalmologica 2019. doi:10.1159/000501723 www.karger.com
  7. Bedi DG, Gombos DS, Ng CS, Singh S. Sonography of the eye. Am J Roentgenol 2006; 187: 1061-72. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Treumer F, Roider J . Vitreous body hemorrhage-How long can one wait?. Ophthalmologe 2020. doi:10.1007/s00347-020-01112-7 link.springer.com
  9. Mason JO 3rd, Colagross CT, Vail R. Diabetic vitrectomy: risks, prognosis, future trends. Curr Opin Ophthalmol 2006; 17: 281-5. PubMed

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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