Allgemeine Informationen
Definition
- Bei einer Glaskörperblutung tritt eine Extravasation in einem von mehreren potenziellen Hohlräumen im oder um den Glaskörper herum auf.1
- Kann direkte Folge von Netzhautrissen oder Gefäßneubildungen in der Netzhaut sein oder mit Blutungen aus den Blutgefäßen in diesen Strukturen zusammenhängen.
- Das Ausmaß einer Glaskörperblutung kann erheblich variieren, die klinische Manifestation reicht von lediglich kleinen Flecken im Sichtfeld über Rußregen/Mouches volantes2-3, bis hin zu stark eingeschränktem Sehvermögen.3
- Der Einfluss auf das Sehvermögen hängt von Ausmaß und Dichte der trüben Flecken ab.
Häufigkeit
- Die Häufigkeit von Glaskörperblutungen ist abhängig von der Häufigkeit der Grunderkrankung.
- Bei Erwachsenen ist die häufigste Ursache von Glaskörperblutungen eine proliferative diabetische Retinopathie.2
- Bei Kindern und Jugendlichen ist die häufigste Ursache von Glaskörperblutungen ein Trauma.
Anatomie und Physiologie
- Glaskörper wird posterolateral von der inneren Membran der Netzhaut begrenzt, anterolateral von dem nichtpigmentierten Epithel des Ziliarkörpers und ventral von den Zonulafasern der Linse und der hinteren Linsenkapsel.
- Hat eine stabilisierende und formerhaltende Funktion für den Bulbus.
- Die Netzhaut wird durch die gelartige Konsistenz des Glaskörpers in ihrer Position gehalten, wodurch einer Netzhautablösung entgegengewirkt wird.
- Der retrolentale Raum (nach Erggelet) und der Petit-Kanal sind potenzielle Hohlräume.
- Beide sind zwischen der vorderen Hyaloidmembran, der hinteren Linsenkapsel und dem hinteren Teil der Zonulafasern lokalisiert.
- Bei Erwachsenen beträgt das Volumen des Glaskörpers ca. 4 ml, was 80 % des Augapfels entspricht.3
- Der Glaskörper besteht zu 99 % aus Wasser, der Rest setzt sich vorwiegend aus Kollagen und Hyaluronsäure zusammen.
- gallertartig, aber dennoch klar und durchscheinend
- Der Glaskörper ist avaskulär und unelastisch.
Ätiologie und Pathogenese
- Eine häufige Ursache für Glaskörperblutungen sind Blutungen aus Gefäßneubildungen bei proliferativer diabetischer Retinopathie.2,5
- Risse in der sensorischen Netzhaut können ebenfalls zu Blutungen führen.
- Weitere Ursachen sind Zentralvenenverschluss, Venenastverschluss, altersbedingte Makuladegeneration oder Hypertonie.3,5-6
- Ein akuter Kollaps des Glaskörpers mit einer hinteren Glaskörperabhebung kann in einigen Fällen Blutungen ohne Rissbildung verursachen.
- Nichtakzidentelles Schädel-Hirn-Trauma3
- Schütteltrauma (Sonstige Verletzungszeichen? Prellmarken? Hämatome?)
- äußere Gewalteinwirkung (stumpfe oder spitze Schädel-Hirn-Traumata)
- In seltenen Fällen (ca. 5 %) kann eine Subarachnoidalblutung von Blutungen im Glaskörper begleitet werden.
Pathophysiologie
- Erkrankungen der Netzhaut, Traumata und/oder Austritt von Blut in die Netzhaut und den Glaskörper aus einer intraokulären Quelle
- Starke Blutungen sind in der Regel im Zwischenraum von Glaskörper und Netzhaut lokalisiert.
- Im Verlauf von Wochen bis Monaten verblasst das Blut durch den Abbau und migriert in die gallertartige Masse des Glaskörpers.
Prädisponierende Faktoren
- Vasoproliferative Erkrankungen der Netzhaut, wie diabetische Retinopathie oder Netzhautvenenthrombose, sowie Blutungen aus subretinalen Gefäßneubildungen im Rahmen einer altersbedingten Makuladegeneration.2-3
- Nichtakzidentelles Schädel-Hirn-Trauma3
ICPC-2
- F99 Auge / -Anhangsgeb. Erkrank., and
ICD-10
- H43 Affektionen des Glaskörpers
- H43.1 Glaskörperblutung
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Anamnese, die auf die Erkrankung hinweist.
- Die Diagnose wird beim Auftreten von Blut im Glaskörper durch eine augenärztliche Untersuchung gestellt, evtl. ergänzt durch eine Sonografie.
Differenzialdiagnosen
- Diabetische Retinopathie
- Zentralvenenthrombose
- Arterieller Verschluss in retinalen Gefäßen
- Retinoblastom
- Netzhautabhebung
- Retinitis pigmentosa
Anamnese
- Subjektiv wahrgenommene Trübungen, die bei Blickbewegungen durch das
Gesichtsfeld schweben.3- Häufig erscheinen den Patient*innen anfangs kleine „schwebende“ Flecken (Floater, Mouches volantes7) im Sichtfeld, oft gefolgt von vielen kleinen schwarzen oder winzigen ringförmigen Flecken.
- Frage nach Kopfschmerzen (Subarachnoidalblutung?) oder neurologischen Auffälligkeiten
- Rasch setzt verschwommenes Sehen mit mittelgradiger bis starker Einschränkung des Sehvermögens ein.
- In der Regel keine Schmerzen oder andere Beschwerden
- Weitere ophthalmologische Anamnese, insbesondere:3
- Lichtblitze in dämmriger oder dunkler Umgebung, ggf. durch Blickbewegungen provozierbar (Phosphene)?
- Akute, ggf. auch nur temporäre Sehverschlechterungen?
- Mittelgradige oder hochgradige Myopie?
- Netzhautablösung und/oder Netzhautlöcher am anderen Auge?
- vorhergegangene Verletzung, Entzündung (z. B. Pars planitis) oder Operation (z. B. Katarakt-Operation, Netzhautlaserkoagulation) an den Augen?
- Familienanamnese für Glaskörperblutungen, Netzhauterkrankungen?
- Befragung zu den häufigsten Ursachen und Risikofaktoren:3,8
- Diabetes mellitus?
- Hypertonie?
- Arteriosklerose?
- Anhalt für hintere Glaskörperabhebung?
- Anhalt für retinalen Gefäßverschluss?
- Bei Kindern8
- Anzeichen für retinale Vaskulitis?
- Anzeichen für Systemerkrankungen?
- Anzeichen für (Schüttel-)Trauma?
- Sonstige Verletzungszeichen? Prellmarken? Hämatome?
Klinische Untersuchung
- Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.3
- Inspektion der Augen
- Orientierende Visusprüfung
- Bei Kleinkindern nach Hinweisen auf ein mögliches Schütteltrauma achten (Erbrechen ohne Fieber und Enteritis, Inappetenz, Bewusstlosigkeit, Bradykardie, Schwäche).8
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Im Rahmen der hausärztlichen Erstabklärung
- Messung von Blutdruck und Puls
- bei Hinweisen auf Trauma orientierende neurologische Untersuchung des Hirnnervenstatus
- Bei Hinweisen auf Grunderkrankung weitere Diagnostik:
- Diabetes mellitus: Urinstix, Nüchtern-BZ, ggf. Hba1c
- Hypertonie: Blutdruckmessung, ggf. LZ-RR
- KHK/Arteriosklerose/PAVK: Lipidstatus, EKG, ggf. Knöchel-Arm-Index (ABI)
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf den diesen Referenzen.3,8
- Augenärzt*in: spezielle ophthalmologische Untersuchungen
- Rotreflex
- Der Rotreflex ist nur schwach oder fehlt vollständig.
- Netzhaut
- Der Blick auf die Netzhaut hängt vom Ausmaß der Blutung ab.
- Frisches Blut ist rot und häufig hinter der gallertartigen Masse des Glaskörpers oder in einem benachbarten Hohlraum lokalisiert.
- Sehschärfenbestimmung, ggf. mit bekannter Korrektur (falls erforderlich Ausmessen vorhandener Sehhilfen)
- Spaltlampenuntersuchung der vorderen und mittleren Augenabschnitte, insbesondere im Hinblick auf Pigmentzellen und/oder Blutzellen im vorderen Glaskörper
- Untersuchung des hinteren Glaskörpers und der Netzhaut, insbesondere der Netzhautperipherie in Mydriasis (z. B. Blutungen, Degenerationen, Glaskörpertraktionen, Netzhautlöcher)
- Tonometrie – da in manchen Fällen das Risiko eines Sekundärglaukoms besteht.
- Rotreflex
- Sonografie
- zum Nachweis einer möglichen Netzhautabhebung9
- Ergibt sich sonografisch kein Hinweis auf eine Ablatio oder ein Foramen retinae, kann in der Regel unter sonografischer Kontrolle einige Wochen abgewartet werden, um die spontane Resorptionstendenz zu beurteilen.
- CT oder MRT – hilfreich zum Ausschluss von:
- Perforation
- intraokulärem Fremdkörper
- Abriss des Sehnervs
- intraokulären Tumoren
- Subarachnoidalblutung.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Hinweisen auf Schädel-Hirn-Trauma oder Schütteltrauma sofortige Krankenhauseinweisung
- Bei internistisch/neurologischen Notfällen wie hypertensivem Notfall, TIA/V. a. Schlaganfall, diabetischer Ketoazidose usw. sofortige Krankenhauseinweisung.
- Möglichst schnelle Überweisung zu Ophthalmolog*in bei folgenden Hinweisen:
- ein- oder beidseitiger Visusverlust oder Visusminderung
- sichtbare deutliche Einblutung
- vegetative Begleitsymptome.
Therapie
- Je nach Ursache der Blutung kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz:3,8
- chirurgische Versorgung bei Augenverletzungen
- Lasertherapie bei Blutungen aus Netzhautgefäßen
- Liegt der Einblutung eine Netzhautablösung zugrunde, sollte diese aufgrund der Gefahr der Erblindung schnellstmöglich behandelt werden.
- medikamentöse Behandlung von verursachenden Grunderkrankungen (Hypertonie, Diabetes mellitus, Arteriosklerose/KHK/PAVK usw.)
- Im Regelfall ist für die Blutung selbst keine Therapie notwendig, abwartende Kontrollen reichen aus.3,8
- Operative Versorgung mittels Vitrektomie3
Therapieziele
- Schnellstmögliche Therapie einer möglichen Grunderkrankung (Diabetes mellitus, Hypertonie, Arteriosklerose).
- Evtl. Maßnahmen zur Begrenzung weiterer Augenschäden
Allgemeines zur Therapie
- Leichte Blutungen werden nach einigen Wochen selbstständig resorbiert, während starke Blutungen operativ saniert werden müssen.3,5
- Nach Resorption der Blutung sollte das Auge untersucht und eine evtl. Retinopathie mittels Laser therapiert werden.
- Bei sehr dichten Blutungen, die nicht innerhalb weniger Monate resorbiert werden, ist eine Vitrektomie indiziert, bei der die Blutung operativ saniert wird.2
Empfehlungen für Patient*innen
- Während der ersten Tage Bettruhe mit hochgelagertem Kopf (30–45 Grad), damit sich das Blut im unteren Teil des Auges sammeln kann.
Medikamentöse Therapie
- Ggf. Therapie der Grunderkrankung (Diabetes mellitus, Hypertonie, Atherosklerose).
Operative Therapie
- Laserkoagulation oder Kryotherapie
- Diese Verfahren werden angewandt, um Risse in der Netzhaut zu schließen.
- Durch Laserkoagulation kann ein Riss geschlossen und damit die Blutung des Gefäßes gestillt werden.
- Eine abgehobene Netzhaut kann operativ wiederangelegt werden.
Vitrektomie
- Kann bei Blutungen und Netzhautabhebung indiziert sein.2
- Der trübe Glaskörper wird abgesaugt und durch isotone Kochsalzlösung, Silikon-Öl, Ringerlösung oder Gas ersetzt.6,9
- Geeigneter Zeitpunkt
- Das Auftreten von Netzhautlöchern ist abhängig vom Befund und von Risikofaktoren für eine Netzhautablösung.
- Bei einer in Bezug auf Netzhautlöcher unauffälligen Erstuntersuchung nimmt das Risiko für die Entstehung neuer Netzhautlöcher auf etwa 3 % ab, sofern keine neuen Beschwerden aufgetreten sind.3
- Liegt bereits eine komplette hintere Glaskörperabhebung vor, dann ist im Falle einer Vitrektomie in 12 % der Fälle mit iatrogenen Netzhautlöchern zu rechnen.
- Netzhautablösungen können auch lange nach der Vitrektomie noch eintreten.
- Komplikationen
- Komplikationen bis hin zur Erblindung können auftreten.
- Der Trend scheint nach individueller Abwägung zunehmend in Richtung einer operativen Versorgung zu gehen, maßgebend ist insbesondere auch der Patientenwunsch.8
Präventive Maßnahmen
- Bestmögliche Therapieeinstellung möglicher Grunderkrankungen (Diabetes, Bluthochdruck, Arteriosklerose)
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Es können Vorzeichen in Form von schwebenden Flecken im Sichtfeld auftreten, meist setzt die Erkrankung akut ein.
- Ein spontaner Rückgang ist im Laufe von Wochen bis Monaten möglich.
Komplikationen
- Mögliche Komplikationen einer Glaskörperblutung umfassen:
- Hämosiderose mit Fotorezeptor-Toxizität
- Glaukom
- Zurückbleiben großer Mengen trüber Flecken („Mouches volantes“)
- Entwicklung von Kurzsichtigkeit (häufig auch bei Kindern nach traumatischer Genese)
Prognose
- Sehr stark abhängig von der Grunderkrankung
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen

Auge, detaillierter Längsschnitt
Weitere Illustrationen
- Glaskörperblutung bei proliferativer diabetischer Retinopathie (Quelle: Augenheilkunde im Internet, © Prof. Dr. J.Faulborn Universitäts-Augenklinik Graz, Austria)
- Rotreflex (Abb. 1 als Beispiel für einen normalen Rotreflex) (Quelle: Dtsch Arztebl 2007; 104(11): A-724 / B-638 / C-614)
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Glaskörpertrübungen/Mouches volantes. DOG-Leitlinie Nr. 23, Stand 2017. www.dog.org
- NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-001, Stand 2021. www.leitlinien.de
Literatur
- Phillpotts BA, Roy H. Vitreous hemorrhage. Medscape 2016. Last updated may 2015. emedicine.medscape.com
- NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen. Nr. nvl-001. Stand 2021 www.leitlinien.de
- Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Glaskörpertrübungen/Mouches volantes. DOG-Leitlinie Nr. 23, Stand: 2017. www.dog.org. www.dog.org
- Spraul CW, Grossniklaus HE. Vitreous Hemorrhage. Surv Ophthalmol. 1997 Jul-Aug;42(1):3-39. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Spirn MJ, Lynn MJ, Hubbard GB 3rd. Vitreous hemorrhage in children. Ophthalmology 2006; 113: 848-52. PubMed
- Hayashida M, Miki A, Imai H, Otsuka K, Azumi A, Nakamura M. Impact of Early Vitrectomy for Dense Vitreous Hemorrhage of Unknown Etiology. Ophthalmologica 2019. doi:10.1159/000501723 www.karger.com
- Bedi DG, Gombos DS, Ng CS, Singh S. Sonography of the eye. Am J Roentgenol 2006; 187: 1061-72. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Treumer F, Roider J . Vitreous body hemorrhage-How long can one wait?. Ophthalmologe 2020. doi:10.1007/s00347-020-01112-7 link.springer.com
- Mason JO 3rd, Colagross CT, Vail R. Diabetic vitrectomy: risks, prognosis, future trends. Curr Opin Ophthalmol 2006; 17: 281-5. PubMed
Autor*innen
- Moritz Paar, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).