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Fraktur des Beckens

Zusammenfassung

  • Definition:Beckenfrakturen werden eingeteilt in Beckenringfrakturen, Sakrumfrakturen, Azetabulumfrakturen und Frakturen eines Schambeinasts (Niedrigenergietraumata bei älteren Menschen).
  • Häufigkeit:Beckenfrakturen machen etwa 3 % aller Knochenfrakturen aus.
  • Symptome:Nach einer Verletzung oder einem Sturz liegen Schmerzen im Beckenbereich vor. Häufig handelt es sich um Hochenergietraumata/Polytraumata.
  • Untersuchung:Es liegen lokale Schmerzen und Druckempfindlichkeit vor, insbesondere beim Gehen. Es sind Ödeme, Ekchymosen, Lazerationen und Deformitäten im Bereich des Beckens/Perineums zu beobachten.
  • Diagnostik:Die Diagnose kann anhand einer Röntgen-, CT- und MRT-Untersuchung gestellt werden.
  • Therapie:Die Therapie besteht zunächst in einer Schockprophylaxe und dem Stillen von Blutungen. Stabile Frakturen werden konservativ, instabile operativ behandelt.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Beckenfrakturen entstehen häufig infolge schwerer Hochenergie-/Polytraumata.1-2
  • Beckenfrakturen werden eingeteilt in:
    1. Beckenringfrakturen
      • vordere Beckenringfrakturen
      • hintere Beckenringfrakturen
    2. Sakrumfrakturen
    3. Azetabulumfrakturen
    4. Frakturen eines Schambeinasts (Niedrigenergietraumata bei älteren Menschen).

Leitlinie Polytrauma: Definitionen schwerster Beckenfrakturen1

  • „In extremis"-Beckenverletzung                                                        
    • pelvine Massenblutung, wie z. B. bei traumatischer Hemipelvektomie oder „Crushverletzungen", nach schwerem Überrolltrauma
  • Komplextrauma des Beckens bzw. Azetabulums
    • Frakturen/Luxationsfrakturen mit zusätzlichen peripelvinen Verletzungen des Haut-Muskel-Mantels, des Urogenitalsystems, des Darms, der großen Gefäße und/oder der großen Nervenbahnen
  • Traumatische Hemipelvektomie
    • ein- oder beidseitiger Abriss des knöchernen Hemipelvis in Kombination mit der Zerreißung der großen intrapelvinen Nerven- und Gefäßbahnen

Häufigkeit

  • Beckenfrakturen können in allen Altersgruppen auftreten, die Ätiologie ist bei jüngeren und älteren Menschen jedoch unterschiedlich.
  • Frauen sind von Beckenfrakturen häufiger betroffen als Männer.
  • Beckenfrakturen machen etwa 3 % aller Knochenfrakturen aus.
  • Polytrauma-Patienten weisen zu 20 % Beckenverletzungen auf.
  • Patienten mit Beckenverletzung sind zu 60 % polytraumatisiert.
  • Die Häufigkeit der einzelnen Verletzungsarten variiert je nach Verletzungsmechanismus.
    • laterale Kompression: 50 % der Beckenfrakturen
    • anteroposteriore Kompression: 20 %
    • vertikale Verschiebung: 6 %
    • kombinierte Mechanismen: 20–25 %

Ätiologie und Pathogenese

  • Junge Patienten
    • Hochenergietraumata (Verkehrsunfälle und Ähnliches)3
    • meist Kombination von Verletzungen im vorderen und hinteren Bereich
  • Ältere Patienten
    • Niedrigenergietraumata (Sturz aus dem Stand)
    • mMeist Fraktur im vorderen Bereich, mitunter aber auch dorsale Verletzungen
  • Bei Verletzungen mit geringer Krafteinwirkung sind grundsätzlich keine schweren Blutungen oder Nervenschäden zu beobachten. Auch das Symptombild ist weniger dramatisch: Häufig fehlen äußere Anzeichen einer Verletzung.
  • Sie sind dennoch als schwere Verletzungen anzusehen, da sie Personen betreffen, die im Falle einer Immobilisation sehr vulnerabel sind und systemische Komplikationen entwickeln können.

Prädisponierende Faktoren

  • Verletzungen mit geringer Krafteinwirkung
    • Osteoporose
    • weibliches Geschlecht
    • hohes Alter
    • Knochenmetastasen
    • vorausgegangene Chemo- oder Strahlentherapie bei Rektumkarzinom

ICPC-2

  • L76 Fraktur, andere

ICD-10

  • S32 Fraktur der Lendenwirbelsäule und des Beckens
    • S32.1 Fraktur des Os sacrum
    • S32.2 Fraktur des Os coccygis
    • S32.3 Fraktur des Os ilium
    • S32.4 Fraktur des Acetabulums
    • S32.5 Fraktur des Os pubis
    • S32.7 Multiple Frakturen mit Beteiligung der Lendenwirbelsäule und des Beckens
    • S32.8 Fraktur sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile der Lendenwirbelsäule und des Beckens
      • S32.83 Becken, Teil nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Leitlinie Polytrauma: Diagnostik der Beckenfrakturen1

  • Bei Eintreffen des Patienten in der Klinik soll eine akut lebensbedrohliche Beckenverletzung ausgeschlossen werden.
    • Suche nach äußeren Verletzungszeichen
    • sonografische Inspektion des Abdomens
    • Berücksichtigung der Unfallkinematik (Überrolltrauma)
  • Das Becken des Patienten soll klinisch auf seine Stabilität hin untersucht
    werden.
  • Im Rahmen der Diagnostik sollen eine Beckenübersichtsaufnahme und/oder
    eine Computertomografie (CT) durchgeführt werden.
  • Anhand der bildgebenden Diagnostik sollten die Verletzungen des knöchernen Beckens klassifiziert werden.
    • stabile A-Verletzungen mit osteoligamentärer Integrität des hinteren Beckenrings, intaktem Beckenboden
      • Das Becken kann physiologischen Belastungen ohne Dislokation widerstehen.
    • rotationsinstabile B-Verletzungen mit partiell erhaltener Stabilität des hinteren Beckenrings
    • translationsinstabile C-Verletzungen
      • vollständige rotatorische und vertikale Instabilität mit Verlust der Kraftübertragung auf den Femurknochen
      • Unterbrechung aller posterioren osteoligamentären Strukturen und auch des Beckenbodens.
      • Die Dislokationsrichtung (vertikal, posterior, Distraktion, zusätzliche Rotation) spielt eine untergeordnete Rolle.
      • Der Beckenring ist anterior und posterior unterbrochen, die betroffene Beckenhälfte instabil.

Diagnostische Kriterien

  • Trauma und Schmerzen im Beckenbereich, häufig begleitet von inneren Blutungen
  • Nachweis einer Fraktur in der bildgebenden Untersuchung

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Häufig Hochenergietrauma/Polytrauma1(Verkehrsunfall, Sturz aus großer Höhe > 3 m, Seitanprall, Überrolltrauma)
  • Bei Niedrigenergietrauma Ereignis häufig nicht erinnerlich
    • Patienten klagen meist mehrere Tage oder Wochen über Schmerzen im Rücken oder im „Kreuz".
    • Es können lokale Schmerzen und Druckempfindlichkeit im Bereich des vorderen Beckenringes vorliegen, insbesondere beim Gehen.
    • Schmerzen werden als immobilisierend empfunden.

Klinische Untersuchung

  • Inspektion
    • Prellmarken, Schwellungen, Ekchymosen, Deformitäten im Bereich des Beckens/Perineums
    • Hämatome, insbesondere über dem Ligamentum inguinale oder über dem Skrotum
    • Blut im Meatus urethrae kann für eine urologische Verletzung sprechen.
    • Beckenschiefstand/Beinlängendifferenz/Rotationsfehlstellung
    • ggf. Zeichen eines hämorrhagischen Schocks
  • Palpation
    • Unebenheiten, Krepitationen oder eine Beweglichkeit der Crista iliaca und des Ramus pubis und ischiadicus
    • Klopfschmerz über Trochanter major
  • Stabilitätsprüfung
    • ventrale und laterale Kompression auf das Becken
    • axiale Stauchung
    • Druck auf die Iliosakralgelenke
    • diffuser Schmerz in der unteren LWS oder in den Iliosakralgelenken
    • Stauchungs- und Bewegungsschmerz
  • Funktionsprüfung der Hüftgelenke
    • Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk
  • Rektale/(vaginale) Untersuchung
    • große Hämatome, knöcherne Vorsprünge oder eine Schmerzempfindlichkeit entlang der Frakturlinie
    • Dammriss
    • innere Verletzungen/Begleitverletzungen
    • High-Riding/nicht palpale Prostata (kann nach cranial verlagert sein)
    • Rektale/vaginale Verletzungen können auf intraperitoneale oder urologische Verletzungen hindeuten.
  • Neurologische Untersuchung
    • Sphinktertonus
    • Motorik und Sensibilität der unteren Extremitäten
  • Gefäßstatus
    • Durchblutung der unteren Extremeitäten

Diagnostik beim Spezialisten

  • Bei einer Beckenfraktur sollten intraabdominale, retroperitoneale, gynäkologische und urologische Verletzungen ausgeschlossen werden.
  • Es sollte zwischen offenen und geschlossenen Beckenverletzungen unterschieden werden.

Leitlinie: Offene Beckenverletzungen1

  • Primär offene Beckenfrakturen: definitionsgemäße direkte Verbindung zwischen dem Knochenbruch und der Haut bzw. Schleimhaut der Vagina oder des Anorektums
  • Geschlossene Beckenfraktur mit operativ eingelegten Tamponaden zur Blutstillung
  • Geschlossene Beckenläsion mit dokumentierter Kontamination des Retroperitoneums aufgrund einer intraabdominellen Verletzung
  • Beckenfrakturen mit alleiniger Läsion von Harnblase oder Urethra sind lediglich als komplex, nicht aber als offen zu bezeichnen.
  • Hohe Mortalität (ca. 45 %) aufgrund intraabdomineller Begleitverletzungen mit der Gefahr des akuten Blutungstodes sowie der späteren Sepsis.

Bildgebende Diagnostik

  • Sonografie
    • Diagnostik von Begleitverletzungen
    • sofortige Darstellung freier Flüssigkeit im Abdomen
    • große Gefäße der Beine
    • Harnblase und Prostata
    • Hämatome (retroperitoneal)
  • Röntgenuntersuchung des Beckens und der Hüftgelenke
    • Diese ist bei Verdacht auf eine Fraktur grundsätzlich durchzuführen. Es ist zu beachten, dass nicht unbedingt Schmerzen vorliegen müssen.
    • U. U. sind Schrägaufnahmen notwendig, um undislozierte Frakturen der Schambeinäste zu erkennen. Outlet- und Inlet-Aufnahmen und eine seitliche Aufnahme liefern zusätzliche Informationen.
    • Es ist zu beachten, dass undislozierte Frakturen der Schambeinäste und Oberschenkelhalsfrakturen auf der initialen Röntgenaufnahme schwer zu erkennen sein können.
  • Röntgenuntersuchung des Os sacrum
    • Diese ist bei einer Verletzung des Os sacrum oder Schmerzen im dorsalen Bereich indiziert.
    • Bei undislozierten Frakturen kann die Aufnahme normal aussehen.
  • CT und MRT
    • Diese sind bei Polytraumata Bestandteil der Diagnostik3(sequenzieller Einsatz der radiologischen Diagnostik (Ganzkörper-CT, Beckenübersichtsaufnahme a. p., dynamische Untersuchung unter Röntgendurchleuchtung mit dem Bildwandler)
    • CT und MRT können zudem auch bei Niedrigenergietraumata indiziert sein, bei denen Frakturen bildmorphologisch nur im Bereich des vorderen Beckenrings erkannt werden, zur Diagnostik der häufig zusätzlich vorliegende Fraktur des hinteren Beckenrings.4
    • Bei Kindern hat die MRT den Vorteil, auch noch nicht ossifizierte Strukturen darzustellen und somit auch hier eine multiplanare Darstellung einer Beckenverletzung zu ermöglichen.1
  • Angiografie oder Phlebografie
    • zur Ermittlung der Lokalisation etwaiger Blutungen
  • Zystografie/Urethrozystografie
    • insbesondere bei urethralen Blutungen
    • zur Feststellung etwaiger Harnwegsverletzungen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Verletzungen mit geringer Krafteinwirkung
    • Alle Patienten, bei denen der Verdacht auf eine Fraktur besteht, sind zur radiologischen Diagnostik zu überweisen.
  • Verletzungen mit hoher Krafteinwirkung
    • Alle Patienten mit großen/instabilen Beckenfrakturen, Hochenergietrauma, Polytrauma sollen unverzüglich in Arztbegleitung in eine unfallchirurgische Klinik mit möglichst maximaler Versorgungsstufe transportiert werden.

Therapie

Therapieziel

  • Schmerzlinderung
  • Stillen von Blutungen und Vermeidung eines Schocks
  • Reposition und Schaffung optimaler Voraussetzungen für die Heilung der Fraktur

Therapie in der akuten Phase

  • Schmerzlinderung
  • Schockprophylaxe und Stillung von Blutungen
  • Immobilisation und schneller Transport ins Krankenhaus
  • Konservative Therapie bei stabilen Frakturen, operative Therapie bei instabilen

Prähospitale Therapie

  • Stabilisation und Immobilisation der Fraktur
    • Verwendung der verfügbaren Mittel: Stöcke, Sandsäcke, luftgefüllte Schienen und Ähnliches
  • Schockprophylaxe allgemein3
    • Sicherung der Atemwege und Verabreichung 100%igen Sauerstoffs (10–12 l/min)
    • bei Bedarf Atemunterstützung und Infusion von Flüssigkeit (s. u.)
    • flache Lage oder Hochlagerung der Beine
    • mechanische Notfallstabilisierung
  • Hypothermieprophylaxe
    • geschützter Ort, vorzugsweise ein warmer Raum, Entfernung nasser Kleidung
  • Reposition
    • In der Regel nicht indiziert
    • Bei penetrierenden Verletzungen keine Maßnahmen ergreifen.
  • Infektionsprophylaxe
    • bei offenen Frakturen hohes Infektionsrisiko
    • Abdeckung mit feuchten, sterilen Kompressen, falls der Transport lange dauert.
  • Evtl. Katheterisierung
    • bei Verdacht auf eine urethrale Verletzung niemals blindes Legen eines Katheters
    • Bei Verdacht auf Läsionen in den Harnwegen stets suprapubischen Katheter verwenden.

Leitlinie Polytrauma: Therapie der Beckenfrakturen1

  • Bei instabilem Beckenring und hämodynamischer Instabilität soll eine
    mechanische Notfallstabilisierung vorgenommen werden (Pelvic-Binder, Beckenzwinge, Fixateur externe).
  • Bei persistierender Blutung sollte eine chirurgische Blutstillung und/oder
    selektive Angiografie mit anschließender Angioembolisation erfolgen.
  • Bei Kindern und älteren Menschen ist rasches und effektives Handeln erforderlich wegen geringerer Kompensationsmöglichkeiten.

Medikamentöse Therapie

Schmerzlinderung

  • In der aktuen Phase werden hauptsächlich Narkosemittel eingesetzt.
    • Die Wahl richtet sich danach, was zur Verfügung steht. Bei Patienten mit beeinträchtigtem Kreislaufzustand ist bei der Schmerzbehandlung Vorsicht geboten.
    • Die Mittel dürfen nur ansprechbaren Patienten verabreicht werden.
    • Achtung: Atmung und Kreislauf überwachen!
  • Morphinsulfat
    • Betäubungsmittel mit zuverlässiger, vorhersehbarer Wirkung
    • zusammen mit Naloxon ein ausgezeichnetes Schmerzmittel
    • Sollte nicht bei Patienten mit niedrigem Blutdruck verabreicht werden.
  • Ketamin
    • potentes Analgetikum und Hypnotikum
  • Fentanyl
    • Kann bei Patienten mit niedrigem Blutdruck oder instabilem Kreislauf eingesetzt werden.
    • Wirkung ist von kurzer Dauer, daher mehrmals täglich verabreichen.

Schockprophylaxe – Volumentherapie1

  • Bei schwer verletzten Patienten sollte eine Volumentherapie eingeleitet werden, die bei unkontrollierbaren Blutungen in reduzierter Form durchgeführt werden sollte, um den Kreislauf auf niedrig-stabilem Niveau zu halten und die Blutung nicht zu verstärken.
  • Bei Traumapatienten soll ein venöser Zugang gelegt werden.
  • Bei fehlendem Hinweis auf einen Volumenmangel kann auf eine
    Volumentherapie verzichtet werden.
  • Zur Volumentherapie bei Traumapatienten sollten Kristalloide eingesetzt werden.
  • Isotone Kochsalzlösung soll nicht verwendet werden.
  • Balancierte kristalloide, isotone Vollelektrolytlösungen sollten verwendet werden.
  • Balancierte Infusionslösungen mit Acetat oder Malat statt Lactat können erwogen werden.
  • Humanalbumin soll nicht zur präklinischen Volumentherapie herangezogen werden.

Infektionsprophylaxe

  • Bei offenen Frakturen indiziert; sollte schnell eingeleitet werden, spätestens 3 Stunden nach der Verletzung.
  • 2 g Cefazolin oder 1,5 g Cefuroxim i. v.
  • Bei Penicillinallergie vom Typ I (Anaphylaxie), bei Cephalosporinallergie oder einer hohen Rate vom Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) soll Vancomycin eingesetzt werden.5

Thromboseprophylaxe

  • Es besteht ein deutlich gesteigerte Thromboserisiko, weswegen auf eine adäquate medikamentöse Prophylaxe geachtet werden sollte.

Verletzungen mit geringer Krafteinwirkung: stabile Frakturen (Typ A) – konservative Therapie

  • Bettruhe, Analgesie, Thromboseprophylaxe, ggf. frühfunktionelle Behandlung
  • Normalerweise ist keine Einweisung ins Krankenhaus nötig. Die Patienten sind wieder gehfähig, sobald die Schmerzen dies zulassen.
  • Mitunter kann aufgrund der Schmerzen oder sozialer Umstände zur Mobilisation eine Krankenhauseinweisung sinnvoll sein.
  • Der Rehabilitation und der Planung der Nachbehandlung kommt aufgrund des erhöhten Unterstützungsbedarfs eine große Bedeutung zu.

Verletzungen mit hoher Krafteinwirkung: instabile Frakturen (Typ B/C) – operative Therapie

Allgemeines

  • Maßgeblich für die Akuttherapie ist, ob die Patienten infolge der Beckenfraktur hämodynamisch instabil sind.
  • Instabile oder dislozierte Beckenfrakturen bei Patienten mit instabilem Kreislauf sollten nach Stabilisierung der hämodynamischen Situation (nach 5–8 Tagen) operativ mit einer offenen Reposition und einer internen Osteosynthese (z. B. Plattenosteosynthese, Verschraubung) therapiert werden.
  • Ein erweitertes Becken führt zu einem erhöhten Beckenvolumen. Das Volumen wird durch einen Beckengurt, einen vorderen Fixateur externe oder einen hinteren Fixateur externe (Beckenzwinge) reduziert. Ein Beckengurt ist leicht und schnell anzulegen, kann jedoch zu Dekubitalgeschwüren führen. Zudem ist er bei lateralen Kompressionen und Azetabulumfrakturen unangenehm.3
  • Informationen zum Fixateur externe sind im nachfolgenden Abschnitt zu finden.
  • Sind die Patienten hämodynamisch instabil, obwohl keine Beckenerweiterung vorliegt, ist eine Angiografie mit Coiling der blutenden Gefäße durchzuführen, oder es sind retroperitoneale Tamponaden einzusetzen.
  • Bei Patienten mit Hämaturie wird ein suprapubischer Katheter gelegt.
    • Es sollte nicht versucht werden, durch die Urethra zu katheterisieren.

Operation

  • Besteht der Verdacht auf Blutungen, sind die Patienten umgehend zu operieren, da sie große Mengen Blut in das Abdomen verlieren können.
  • Ist das Becken erweitert, wird es mithilfe eines Fixateur externe über Stifte in der Crista oder oberhalb des Azetabulums zusammengezogen. Die Beckenzwinge (C-Clamp) ist ein Fixateur externe, der am hinteren Teil des Beckens angebracht wird.
  • Zur Stillung von Blutungen können über eine Inzision in der Mittellinie sterile Tamponaden in den Raum zwischen dem Peritoneum und dem Becken eingelegt werden.
  • Bei einer vertikalen Verschiebung einer Beckenhälfte kann eine Strecktherapie erfolgen.
  • Die endgültige Therapie umfasst entweder keine weiteren operativen Maßnahmen, eine weitere Behandlung mit einem Fixateur externe oder einen offenen Eingriff mit Osteosynthese.

Prävention

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

Verletzungen mit geringer Krafteinwirkung

  • Aufgrund der Schmerzen und Beeinträchtigungen der Gehfähigkeit ist häufig ein Krankenhausaufenthalt notwendig.
  • Es erfolgt eine konservative Therapie (Analgetika, Antiphlogistika und Kühlung) mit schmerzadaptierter Entlastung und schrittweiser Mobilisation.
  • Thromboseprophylaxe bis zur vollständigen Mobilisation
  • Physiotherapie mit isometrischen Übungen, Durchbewegen mit initialer Limitierung der Bewegungsexkursion, Kontrakturprophylaxe

Verletzungen mit hoher Krafteinwirkung

  • Die Patienten leiden unter starken Schmerzen und können einen Schock  entwickeln.
  • Zunächst erfolgt eine Entlastung, später eine schrittweise Mobilisation und Rehabilitation.

Komplikationen

  • Ruptur großer Gefäße im Beckenboden, Blutungen und Schock
    • Dies stellt bei Beckenverletzungen die Haupttodesursache dar.
    • Pelvin bedingte Kreislaufinstabilität (initialer Blutverlusts > 2.000 ml)
    • Es können retroperitoneale Blutungen auftreten. Im Retroperitonealraum können sich bis zu 6 l Blut ansammeln.
  • Kompartmentsyndrom des Beckens
  • Deutlich gesteigertes Thromboserisiko
  • Verletzungen der Harnwege
  • Seltener auch gynäkologische und rektale Verletzungen
  • Verletzungen von Nervenwurzeln
    • Entsprechende Symptome treten u. U. erst spät auf, entsprechen aber meist dem typischen Muster von Nervenwurzelverletzungen.
  • Schädigungen peripherer Nerven
  • Häufig chronische Schmerzen; sexuelle Dysfunktion möglich, insbesondere nach Verletzungen im dorsalen Bereich, etwa nach Sakrumfrakturen
  • Sepsis als Komplikation im Verlauf

Prognose

  • Die Prognose ist von verschiedenen Faktoren abhängig:
    • Alter: Osteoporotische Verletzungen heilen innerhalb eines Monats, aufgrund der eingeschränkten Mobilität besteht jedoch das Risiko systemischer Komplikationen (Pneumonie).
    • Größe der bei dem Trauma einwirkenden Kraft
    • weitere Verletzungen.
  • Beckenfrakturen stellen bei schweren stumpfen Traumata, etwa bei Autounfällen, eine häufige Todesursache dar.
  • Die Mortalität und Morbidität von osteoporotischen Insuffizienzfrakturen ist mit denen von Hochrasanztraumen vergleichbar.6-7
  • Es besteht ein erhöhtes Risiko einer sekudären Arthrose (Hüfte, Iliosacralgelenk).

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Hüfte, Anatomie
Hüfte, Anatomie
A.p.-Aufnahme eines gesunden Beckens mit Os sacrum und den Hüftgelenken: 1. Trochanter major, 2. Collum femoris (Oberschenkelhals), 3. Caput femoris (Hüftkopf), 4. Os ilium, 5. Os coccygis, 6. Symphyse, 7. Os ischii
A.p.-Aufnahme eines gesunden Beckens mit Os sacrum und den Hüftgelenken: 1. Trochanter major, 2. Collum femoris (Oberschenkelhals), 3. Caput femoris (Hüftkopf), 4. Os ilium, 5. Os coccygis, 6. Symphyse, 7. Os ischii

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 012-019, Stand 2016. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 012-019, Stand 2016. www.awmf.org
  2. Russell GV. Pelvic fractures. Medscape, last updated Jan 25, 2016. emedicine.medscape.com
  3. Rice PL Jr, Rudolph M. Pelvic fractures. Emerg Med Clin North Am. 2007 Aug. 25(3):795-802, x.
  4. Fuchs T, Freistühler M, Raschke M. Geriatrische Beckenfrakturen. Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis 2013; 2(5): 248-252. DOI:10.3228/oup.2013.0248–0252 www.online-oup.de
  5. Kleber C, Trampuz A. Antibiotikaprophylaxe in der Orthopädie und Unfallchirurgie – was, wann und wie lange applizieren?. OP-Journal 2014; 30: 8-10. doi:10.1055/s-0034-1368332 DOI
  6. Alost T, Waldrop RD. Profile of geriatric pelvic fractures presenting to the emergency department. Am J Emerg Med 1997; 15: 576–578. PMID: 9337365 PubMed
  7. Mears SC, Berry DJ. Outcomes of displaced and nondisplaced pelvic and sacral fractures in elderly adults. J Am Geriatr Soc 2011; 59: 1309–1312. PMID: 21718260 PubMed

Autoren

  • Sandra Krüger, Dr. med., Fachärztin für Orthopädie, Berlin
  • Cecilia Rogmark, docent och överläkare, Ortopediska kliniken, Skånes universitetssjukhus, Sverige
  • Arild Aamodt, overlege/professor, Ortopedisk avdeling, Lovisenberg Sykehus, Oslo
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL 
S32; S321; S322; S323; S324; S325; S327; S328; S3283
brudd bekken; pelvis fraktur; fraktur bekken; brudd i bekkenet; Bekkenbrudd
L76
Fraktur des Beckens; Beckenringfrakturen; Sakrumfrakturen; Azetabulumfrakturen; Frakturen eines Schambeinasts; Schambeiastfraktur; Fraktur des Os sacrum; Fraktur des Os coccygis; Fraktur des Os ilium; Fraktur des Acetabulums; Fraktur des Os pubis
Fraktur des Beckens
BBB MK 17.04.2023 umfassend revidiert, komplett umgeschrieben und dabei stark gekürzt. chck go 9.6. DDD MK 06.02.2018, komplett überarbeitet
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Zusammenfassung Definition:Beckenfrakturen werden eingeteilt in Beckenringfrakturen, Sakrumfrakturen, Azetabulumfrakturen und Frakturen eines Schambeinasts (Niedrigenergietraumata bei älteren Menschen).
Orthopädie/Unfallchirurgie
Beckenfraktur
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Beckenfraktur
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