Definition:Hereditäre Koagulopathie durch mangelnden oder defekten Willebrand-Faktor.
Häufigkeit:Prävalenz etwa 1 %, jedoch symptomatische, therapiebedürftige Formen nur 1:8.500–1:50.000.
Symptome:Schleimhautblutungen und verlängerte postoperative Blutungen.
Befunde:Meistens kein klinischer Befund, evtl. Hämatome, Purpura und klinische Zeichen einer Anämie, vor allem bei Frauen (Menorrhagie).
Diagnostik:Laborchemische Diagnose anhand eines Mangels oder unzureichender Funktion des Willebrand-Faktors.
Therapie:Vermeidung von Acetylsalicylsäure und anderen gerinnungshemmenden Medikamenten. Bei Blutungen oder zur präoperativen Blutungsprophylaxe abhängig vom Typ Desmopressin oder Konzentrate mit vWF und Faktor VIII.
Dem angeborenen Willebrand-Syndrom liegt meistens ein autosomal dominantes Vererbungsmuster zugrunde.
Ein erworbenes Willebrand-Syndrom ist sehr selten und kommt bei etwa 1 von 100.000 Personen vor9– oft liegt eine bereits bestehende Erkrankung vor.10
Physiologie
Die Synthese des VWF erfolgt im vaskulären Endothel und in den Megakaryozyten.
Der VWF wird von Thrombozyten und Endothelzellen freigesetzt, wenn diese aktiviert wurden, und bindet im Blutkreislauf an Faktor VIII, dessen Halbwertszeit er verlängert. Der VWF hat eine Halbwertszeit von etwa 12 Stunden.
Bei Gefäßverletzungen vermittelt der VWF zudem die Adhäsion von Thrombozyten an exponiertes Kollagen.11
Auch der Faktor VII wird durch den vWF freigesetzt und ermöglicht die Bildung von Thrombin und Fibringerinnseln.
Pathophysiologie
Eine Koagulopathie wird durch einen Mangel oder vollständiges Fehlen des Willebrand-Faktors (Typ 1 und 3) oder durch ein funktionell defektes VWF-Molekül (Typ 2)12-13, verursacht, was über ein Gen auf dem Chromosom 12 kodiert wird.14
Der Willebrand-Faktor ist für die Adhäsion von Thrombozyten an der subendothelialen Matrix in der Gefäßwand erforderlich und ist das Trägermolekül für Faktor VIII im Plasma.15-16
Die Thrombozyten haften über den VWF an der subendothelialen Matrix, der über einen speziellen Rezeptor an Glykoprotein Ib bindet.
Die Thrombozyten lagern sich über das Fibrinogen zusammen, das über einen anderen Rezeptor an Glykoprotein IIb und IIIa bindet.
Dadurch kommt es beim Fehlen oder einer Fehlfunktion des VWF zu einer Störung der Bildung eines Thrombozyten-Pfropfes.4
in der Regel normale Thrombozytenzahl, normale INR und leicht verlängerte aPTT
Die Blutungszeit ist weder sensitiv noch spezifisch für den Nachweis eines geringfügigen Mangels an Willebrand-Faktor.4
Diagnosestellung
Die Diagnose erfolgt anhand des Nachweises eines Mangels oder einer gestörten Funktion.21
gesamtes Plasma-VWF-Antigen
bei Typ 1 und 3 vermindert
VWF-Funktion
Test der Ristocetin-Cofaktor-Aktivität
Fähigkeit des Plasmas, normale Thrombozyten durch Zugabe von Ristocetin zu agglutinieren.20
bei Typ 2 reduziert
4 Subtypen, Differenzierung durch Gelelektrophorese20
Plasmafaktor-VIII-Spiegel
In der Regel reduziert, korreliert mit dem Ausmaß der Blutungsneigung.
deutlich abgesenkt bei Typ 3
Thrombozyten und Blutausstrich sind in der Regel normal.
Cave:
VWF-Antigen-Spiegel variieren deutlich und steigen z. B. bei Stress.
Testwiederholung werden in 2 Wochen zum definitiven Ausschluss bzw. Diagnosesicherung empfohlen.11
Das VWF-Antigen ist bei Patienten mit Blutgruppe 0 physiologisch bis zu 40 % erniedrigt, daher immer Korrelation mit der Blutgruppe.20
Diagnostik beim Spezialisten
Nicht erforderlich
Indikationen zur Überweisung
Bei schwerer Blutungssymptomatik oder Unsicherheit bezüglich des Blutungsrisikos und ist eine Therapieeinleitung notwendig.
Überweisung zur Hämatologie vor chirurgischen Eingriffen (auch im Dentalbereich), um die Blutungsprophylaxe festzulegen.11
Therapie
Therapieziele
Blutungen verhindern.
Blutungen stillen.
Komplikationen als Folge von Blutungen vorbeugen.
Allgemeines zur Therapie
Meistens ist keine andere Behandlung als die Vermeidung von Salizylsäure erforderlich.
Therapie bei aktiven Blutungen oder vor invasiven Eingriffen
Medikamentöse Therapie
Desmopressin
Wirkprinzip: Freisetzung des Willebrand-Faktors aus dem Endothel und Freisetzung des Blutgerinnungsfaktors VIII aus der Leber
somit meistens nur bei Typ 1 effektiv
bei leichten Blutungen oder präoperativ
Um ein adäquates Ansprechen sicherzustellen, sollte der Patientin/dem Patienten eine Testdosis verabreicht und die Reaktion des VWF-Antigens gemessen werden.20
Die 2. Dosis ist erst nach 48 Stunden wieder sinnvoll, da sich der VWF-Speicher erneut füllen muss.20
Tranexamsäure
Bei oralen Schleimhautblutungen sind Mundspülungen mit Tranexamsäure sinnvoll.22
Willebrand-/Faktor-VIII-Konzentrat oder rekombinanter vWF
bei Typ 2 und 3
Prävention
Die Blutungsneigung verstärkt sich unter Acetylsalicylsäure, und Personen mit Willebrand-Syndrom sollten diese Präparate meiden.
Ein Nachlassen der Blutungsneigung während der Schwangerschaft und unter Östrogengabe ist typisch (Ausnahme Typ 3).
gesteigerte VWF-Spiegel bei erhöhtem Östrogen
Hormonelle Kontrazeptiva mit verlängertem Zyklus
Bei Frauen mit Willebrand-Syndrom kann der Gebrauch hormoneller Kontrazeptiva mit verlängertem Zyklus sinnvoll sein, um die Menstruationen pro Jahr und somit die Entstehung einer Anämie zu begrenzen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Das Willebrand-Syndrom ist nur sehr selten schwerwiegend, und spontane Hämathrosen kommen fast ausschließlich bei Typ 3 vor.
Die Erkrankung kann sich im Laufe der Zeit verändern, sodass die Blutungsneigung manchmal mehr, manchmal weniger ausgeprägt ist.
Besonders bei Frauen, da Östrogen die VWF-Konzentration erhöht.11
Komplikationen
Hämatome und Purpura, häufig
Schwere Blutungen, z. B. Hämarthros, selten
fast nur bei Typ 3
Prognose
Beim Typ 1 steigen die VWF-Spiegel mit zunehmendem Alter an.23
Beim Typ 2 steigen die VWF-Spiegel mit zunehmendem Alter nicht an, und ältere Patienten haben häufiger Blutungssymptomatiken.23
Insgesamt sehr gute Prognose
Die meisten Fälle verlaufen leicht, und in schweren Fällen ist die Substitutionsbehandlung in der Regel erfolgreich.
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