Definition:Kurze Schwindelattacken (ca. 20 sec), ausgelöst durch Lagewechsel des Kopfes gegenüber der Schwerkraft, Übelkeit und Oszillopsien als mögliche Begleitsymptome. Typische Auslöser sind Hinlegen, Aufrichten oder Umdrehen im Bett, Bücken oder Kopfreklination.
Häufigkeit:Bei ca. 20 % der Patient*innen mit Schwindel besteht ein benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel.
Befunde:Nystagmus, Schlagrichtung abhängig vom betroffenen Bogengang.
Diagnostik:Die Diagnose beruht auf der typischen Anamnese und Auslösbarkeit durch Lagerungstests.
Therapie:Behandlung durch verschiedene ärztlich durchgeführte Lagerungsmanöver und/oder Eigenübungen der Patient*innen. Hohe Erfolgsrate, allerdings auch häufig Rezidive, die erneut behandelt werden können.
Allgemeine Informationen
Definition
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS) ist charakterisiert durch:1
kurze Schwindelattacken, ausgelöst durch Lagewechsel des Kopfes gegenüber der Schwerkraft
Dauer ca. 20 sec
Übelkeit und Oszillopsien als mögliche Begleitsymptome
typische Auslöser wie Hinlegen oder Aufrichten im Bett, Umdrehen im Bett, Bücken und/oder Kopfreklination
Initiale Definition der Erkrankung im Jahr 1952 von Dix und Hallpike2
Es gibt 2 pathogenetische Theorien für die Entwicklung von BPLS, nämlich Canalolithiasis und Cupulolithiasis10-11
1. Canalolithiasis-Theorie
Wahrscheinlich für die meisten Fälle zutreffende Erklärung5
Ablösung von Otolithen von der Macula utriculi ursächlich
Otolithen sind anorganische Partikel mit höherer Dichte als die Endolymphe.
Absinken der Otolithen in den unteren Teil des Bogengangs
am häufigsten im hinteren Bogen, seltener im horizontalen
Bei schneller Veränderung der Kopfposition Bewegung der Otolithen entlang des Bogengangs
Hierdurch Entstehung einer Strömung in der Endolymphe und konsekutiv Reizung der Flimmerhärchen in der Cupula: Auslösung eines kurzzeitigen, starken Schwindels und Nystagmus (max. 60 sec, wobei die Latenz zwischen dem Ende eines Lagerungsmanövers und dem Beginn des Nystagmus bis zu 40 sec dauern kann)
Häufigkeitsverteilung die verschiedenen Bogengänge betreffend:12
Canalolithiasis des posterioren Bogengangs ca. 80–90 %
Canalolithiasis des horizontalen Bogengangs ca. 5–15 %
Canalolithiasis des vorderen Bogengangs wird kontrovers diskutiert (0–5 %).
Selten können auch mehrere Bogengänge oder beide Ohren betroffen sein.13
2. Cupulolithiasis-Theorie
Otolithen oder Teile davon heften sich an die Cupula.
Stimulation der durch Otolithen beschwerten Cupula löst eine Impulsreaktion aus, die zum Schwindel und einem Nystagmus führt, der auch länger als 60 sec dauern kann.14-15
Varianten des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels
Abhängig vom betroffenen Bogengang Unterscheidung in 3 Formen:8
p-BPLS (vom posterioren Bogengang ausgehend)
häufigste Form (ca. 80–90 %)
nach Kopflagerung in der Ebene des betroffenen Bogengangs zum unten liegenden Ohr rotierender und zur Stirn schlagender erschöpflicher Lagerungsnystagmus
h-BPLS (vom horizontalen Bogengang ausgehend)
ca. 5–15 %
geradliniger horizontaler Nystagmus bei den Lagerungsmanövern
Schlägt bei einer Canalolithiasis zum unten liegenden Ohr und bei einer Cupulolithiasis zum oben liegenden Ohr.
a-BPLS (vom anterioren Bogengang ausgehend)
Existenz dieser Form wird kontrovers diskutiert (0–5 %)
Eine zentrale infratentorielle Läsion muss vermutet werden, wenn der Lagerungsnystagmus untypisch ist bzw. wenn sonstige klinische Befunde auf eine Störung von Hirnstamm oder Kleinhirn deuten.1
Bei zentralem Lagenystagmus finden sich häufig: Rumpfataxie, Blickrichtungsnystagmus, sakkadierte Blickfolge.1
HINTS: 3-Stufen-Test zur Unterscheidung von zentralem und peripherem Schwindel
Ein akutes vestibuläres Syndrom kann differenzialdiagnostisch durch ischämischen Schlaganfall verursacht sein.
Ca. die Hälfte der Patient*innen mit akutem Vestibularissyndrom durch Schlaganfall weisen keine sonstigen offensichtlichen fokal-neurologischen Defizite auf.17
Ein klinischer 3-stufiger Test (HINTS) erwies sich als sensitiver als frühes MRI in der Detektion eines Schlaganfalls.18
Patient*in fixiert stationäres Objekt, z. B. Nase der untersuchenden Person
ruckartige Rotation des Kopfes (zwischen 10 und 20 Grad, von exzentrischer Position zur Mitte) durch Untersucher*in
Richtung der ruckartigen Kopfrotation bestimmt die geprüfte Seite.
mehrmalige Wiederholung für jede Seite
Normaler Test: Augen bleiben stationär auf der Nase fixiert.
Ein normaler Kopfimpulstest bei einer Person mit akutem Nystagmus zeigt nahezu immer eine zentrale Läsion an.20
Pathologischer Test: Augen nicht mehr auf das Ziel fixiert. Patient*in korrigiert mit einer Einstellsakkade.
Nystagmus
Beobachtung der Augen in jeder Blickrichtung mindestens 10 sec unter Aufhebung der Fixation (z. B. durch Abdunkelung des Raumes und Frenzelbrille oder M-Brille21)
Schlagrichtung des Nystagmus entweder
unidirektional oder
richtungswechselnd (bei Blickwechsel zur Gegenseite).
Richtungswechselnder Nystagmus weist auf eine zentrale Ursache hin.
Test of Skew
Patient*in fixiert stationäres Objekt, während die untersuchende Person abwechselnd die Augen abdeckt.
Beobachtung auf vertikale Korrekturbewegung des abgedeckten Auges
Eine vertikale Divergenz der Augen weist auf eine zentrale Ursache hin.
Wichtige Charakteristika sind Latenz, Schlagrichtung, zeitlicher Verlauf und Dauer des Nystagmus.
p-BPLS: Lagerungstest nach Dix-Hallpike
Test auf BPLS des posterioren Gehörgangs (wichtigster Test, da p-BPLS mit ca. 85 % am häufigsten)
Patient*in sitzt auf Untersuchungsliege, den Kopf 45 Grad zur Seite gedreht.
Anschließend schnelles Hinlegen der Patient*in
Kopf bleibt 45 Grad zur Seite
Reklination des Kopfes über den Rand der Untersuchungsliege
Augen bleiben offen und werden durch Untersucher*in beobachtet (Frenzelbrille).
Beobachtungsdauer 30–60 sec
Aufsitzen der Patient*in und gleiche Prozedur mit Drehung des Kopfes zur anderen Seite
Schwindel und Nystagmus treten auf, wenn das betroffene Ohr beim Lagerungsmanöver unten liegt.
zum unten liegenden Ohr rotierender und zur Stirn schlagender erschöpflicher Lagerungsnystagmus
Crescendo-Decrescendo: rasche Zunahme der Intensität und dann langsame Abnahme des Nystagmus
Auftreten von Schwindel und Nystagmus nach einer Latenz von 2–10 sec
Wenn sich Patient*in wieder aufsetzt, kommt es zur Richtungsumkehr.
Nystagmus und Schwindel sind dann aber schwächer ausgeprägt.
Abnehmende Intensität der Anfälle bei wiederholten Untersuchungen
Die Sensitivität des Dix-Hallpike-Manövers wird mit rund 80 % angegeben, ein negativer Test schließt also ein BPPV nicht aus.13
h-BPLS: Kopfdrehung in liegender Position (Supine-Head-Roll-Test)
Test auf BPLS des horizontalen Bogengangs
Patient*in liegt flach auf dem Rücken, Kopf wird ca. 30 Grad angehoben (horizontale Bogengänge werden dadurch in vertikale Position gebracht).
Der Kopf wird rasch auf eine Seite gedreht und für 1 min gehalten.
Anschließend wird der Kopf wieder in die Nullstellung gedreht und gewartet, bis ein (evtl.) Nystagmus abgeklungen ist.
Dann wird der Kopf auf die andere Seite gedreht und für 1 min gehalten.
Der Test fällt positiv aus, wenn Schwindel und Nystagmus auftreten.
Beim h-BPLS Nystagmus und Schwindel sowohl bei Drehung auf die betroffene als auch die nicht betroffene Seite (bei Drehung auf die betroffene Seite etwas ausgeprägter)12
Gradliniger horizontaler Nystagmus mit Schlagrichtung bei:8
einer Canalolithiasis zum unten liegenden Ohr
einer Cupulolithiasis zum oben liegenden Ohr.
a-BPPV
Die Existenz einer eigenen Entität a-BPPV wird kontrovers diskutiert.12
Auslösung von Schwindel und Nystagmus wie bei p-BPPV8
Schlagrichtung des Nystagmus vertikal nach unten mit torsionaler Komponente, die mit dem oberen Augenpol zum betroffenen Ohr schlägt.8
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Bei eindeutiger Diagnose auf der Basis von Anamnese und Lagerungstest ist keine weitere apparative Diagnostik notwendig.1
Ärzt*innen sollten bei Patient*innen mit BPLS auf zusätzliche Parameter achten wie:13
eingeschränkte Mobilität
häusliche Unterstützung und/oder
erhöhtes Sturzrisiko.
Smartphone-basierte Diagnostik
Durch neue Apps kann die Diagnostik Smartphone-basiert erweitert werden, z. B.:
Erfassung der Art von Beschwerden durch die Patient*innen und Zusammenfassung mit Diagnosevorschlägen für eine Besprechung im Rahmen einer ärztlichen Konsultation23
Aufnahme der Augenbewegungen während eines diagnostischen Lagerungsmanövers mit anschließender telemedizinischer Beurteilung.24
Indikationen zur Überweisung
Bei Unsicherheit der Diagnose oder Therapieversagen
Therapie
Therapieziele
Beschwerdefreiheit durch therapeutisches Lagerungsmanöver mit dem Ziel einer Mobilisierung der Kristalle aus dem Bogengang in den Utrikulus hinein
Allgemeines zur Therapie
Von Therapeut*innen ausgeführte Lagerungsmanöver sind wirksamer als Selbstmanöver durch die Patient*innen.1
Beste Evidenz für Epley- und Semont-Manöver5,25-27
Erfolgsraten von 70–90 % bei einer Serie von 1 bis 3 Durchführungen5
Bei Patient*innen mit benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel (BPPV) soll eine Schulung zum Lagerungsmanöver gezeigt oder angeboten werden.
Übung für zu Hause (Brandt-Daroff-Methode)
Sitzen Sie auf der Bettkante so, dass Ihre Füße Kontakt mit dem Boden haben. Drehen Sie den Kopf 45 Grad zur rechten Seite.
Legen Sie sich schnell auf die linke Seite, während Sie den Kopf in der gleichen Stellung halten. Am Ende der Bewegung berühren Sie mit dem linken Hinterkopf die Unterlage. Halten Sie diese Position für 30 Sekunden.
Setzen Sie sich wieder auf, und bleiben Sie 30 Sekunden aufrecht sitzen.
Drehen Sie danach den Kopf 45 Grad nach links. Legen Sie sich schnell auf Ihre rechte Seite auf das Bett, sodass Ihr rechter Hinterkopf Kontakt mit der Unterlage hat. Verharren Sie auch in dieser Position für 30 Sekunden.
Setzen Sie sich aufrecht hin, und bleiben Sie 30 Sekunden sitzen.
Wiederholen Sie diesen Vorgang, sodass Sie sich mindestens 6-mal pro Seite neigen.
Lagerungsmanöver für p-BPLS (hinterer Bogengang)
Lagerungsmanöver nach Epley
Epley-Manöver
Manöver, um die Otolithen aus dem hinteren Bogengang hinauszubewegen.1,33
Nach der ersten Lagerung sind 50–80 % der Patient*innen beschwerdefrei, durch Wiederholung Steigerung auf 80–90 %.
Bei Otolith im rechten Bogengang
Patient*in sitzt auf der Liege mit dem Kopf im 45-Grad-Winkel nach rechts gedreht. Stützen Sie den Kopf. Legen Sie die Patient*in schnell hin, sodass der Kopf über die Untersuchungsliege hinaus ragt und dabei überstreckt wird (weiterhin im 45-Grad-Winkel nach rechts). Halten Sie die Position für 30 sec, evtl. länger bei anhaltendem Nystagmus.
Den Griff wechseln. Drehen Sie den Kopf schnell 90 Grad nach links. Halten Sie die Position für 30 sec.
Patient*in rollt sich zügig in die linke Seitenlage. Der Kopf wird so mitgedreht, dass die Nase zum Boden zeigt (der Kopf ist nach links gedreht). Halten Sie die Position für 30 sec.
Helfen Sie der Patient*in schnell in eine sitzende Position, mit weiterhin nach links gedrehtem Kopf.
Bei Otolith im linken Bogengang
Patient*in sitzt auf der Liege mit dem Kopf im 45-Grad-Winkel nach links gedreht. Stützen Sie den Kopf. Legen Sie die Patient*in schnell hin, sodass der Kopf über die Untersuchungsliege hinaus ragt und dabei überstreckt wird (weiterhin im 45-Grad-Winkel nach links). Halten Sie die Position für 30 sec.
Den Griff wechseln. Drehen Sie den Kopf schnell 90 Grad nach rechts. Halten Sie die Position für 30 sec, evtl. länger bei anhaltendem Nystagmus.
Patient*in rollt sich zügig in die rechte Seitenlage. Der Kopf wird so mitgedreht, dass die Nase zum Boden zeigt (der Kopf ist nach rechts gedreht). Halten Sie die Position für 30 sec.
Helfen Sie der Patient*in schnell in eine sitzende Position, mit weiterhin nach rechts gedrehtem Kopf.
Lagerungsmanöver nach Semont
Semont-Manöver
Patient*in sitzt auf der Kante der Liege.
Der Kopf wird in der horizontalen Ebene um 45 Grad in Richtung des gesunden Ohrs gedreht, danach wird die Patient*in schnell auf die Seite (Schulter) des kranken Ohrs gelegt (Gesicht in Richtung Decke). Es tritt ein rotatorischer Nystagmus mit einer schnellen Phase in Richtung des kranken Ohrs auf.
Die Position wird für mindestens 20 sec gehalten oder in jedem Fall, bis der Nystagmus vorüber ist.
Danach bewegt sich die Patient*in schnell über die aufrechte Position auf die gegenüberliegende Seite (Schulter), während der Kopf in der gleichen Position gehalten wird (Gesicht in Richtung Unterlage).
Es tritt ein rotatorischer Nystagmus mit einer schnellen Phase in Richtung des kranken Ohrs auf: Patient*in liegt mindestens 30 sec in dieser Position, möglichst 2 min oder länger.
Langsamer/gleichmäßiger Wechsel in die sitzende Position zurück
Lagerungsmanöver für h-BPLS (horizontaler Bogengang)
Aus sitzender Position wird die Patient*in auf die Seite gelegt, auf der der Nystagmus am geringsten ist
Liegenbleiben bis zum Verschwinden des Nystagmus
Danach schnelle Drehung des Kopfes um 45 Grad nach unten und 2 Minuten liegenbleiben
Anschließendes Aufrichten
Erfolgreiche Therapie sowohl bei Canalolithiasis als auch bei Cupulolithiasis möglich
Lagerungsmanöver für a-BPLS (anteriorer Bogengang)
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
Aus sitzender Position in Kopfhängelage im Liegen (Reklination des Kopfes mindestens 30 Grad
Nach 30 sec rasches Vorbeugen des Kopfes auf die Brust (in liegender Position)
Nach weiteren 30 sec Aufrichten der Patient*in
Medikamentöse Therapie
Medikamente haben keine Wirkung auf den Krankheitsprozess und werden im Allgemeinen nicht zur Behandlung empfohlen.
Ausnahmsweise können Antihistaminika gegen die Übelkeit verabreicht werden, z. B.:
50 mg Dimenhydrinat: 1–2 Tabl. 3 x tgl.
Sedierung, Vorsicht bei älteren Patient*innen!
Weitere Therapien
Bewegungseinschränkung (Halskrause) für eine bestimmte Zeit nach dem Befreiungsmanöver hat möglicherweise einen marginalen Zusatzeffekt.26
Eine Operation ist denjenigen Patient*innen vorbehalten, die unter invalidisierendem BPLS leiden, der sich nicht mit konventioneller Therapie behandeln lässt; dies kommt allerdings selten vor.34
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
Auch wenn der BPLS als „gutartig" bezeichnet wird, ist er nicht harmlos:1
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Literatur
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AutorenAutor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Peter Maisel, Prof. Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, ehemaliger Leiter des Centrums für Allgemeinmedizin, Universität Münster (Review)
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Kurze Schwindelattacken (ca. 20 sec), ausgelöst durch Lagewechsel des Kopfes gegenüber der Schwerkraft, Übelkeit und Oszillopsien als mögliche Begleitsymptome. Typische Auslöser sind Hinlegen, Aufrichten oder Umdrehen im Bett, Bücken oder Kopfreklination.