Definition:Meist schmerzhafte Dauererektion, die länger als 4 Stunden bestehen bleibt, obwohl sexuelle Erregung, Ejakulation und Orgasmus fehlen.
Häufigkeit:Inzidenz beträgt ca. 1/100.000. Anwendung von intrakavernösen Injektionen führt jedoch zu einer zunehmenden Häufigkeit. Dies ist insbesondere in der Altersgruppe 25–50 Jahre zu beobachten.
Symptome:Länger andauernde Erektion, Schmerzen oder Kreislaufbeschwerden. Bei länger als 4 Stunden dauernder Erektion sind irreversible Schäden möglich.
Befunde:Corpus cavernosum oft versteift, Corpus spongiosum und Eichel meist schlaff.
Diagnostik:Klinische Diagnose. Eine Blutgasanalyse kann zur Einschätzung von Schweregrad und evtl. Behandlungsbedarf hilfreich sein.
Therapie:Allgemeinmaßnahmen oder medikamentöse Therapie versuchsweise, bei Gefahr einer schweren Ischämie sofortige Operation.
Allgemeine Informationen
Definition
Priapismus bezeichnet eine langandauernde Erektion von über 4 Stunden ohne sexuelle Stimulation oder Erregung.1-3
Ein schwerer ischämischer Priapismus stellt eine Notfallsituation dar.4
Häufigkeit
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.5
Die Inzidenz des ischämischen Typs wird auf jährlich zwischen 0,3–1,5 Fälle pro 100.000 Männer geschätzt.
Die Häufigkeit ist durch den steigenden Gebrauch intrakavernöser Injektionen gegen erektile Dysfunktion (jährliche Inzidenz 2,9/100.000 Männer) leicht angestiegen und am höchsten bei Männern im Alter von 25–50 Jahren.
Ätiologie und Pathogenese
Die zugrunde liegende Ursache ist in den meisten Fällen nicht bekannt.
Eine Störung des Kohlenmonoxyd-Metabolismus (CO) und/oder der Phosphodiesterase-Aktivität spielt möglicherweise eine Rolle.2
Der Priapismus ohne Ischämie ist in der Regel eine selbstlimitierende Erkrankung.
Einteilung
Es existieren 3 Subtypen des Priapismus mit sehr unterschiedlicher Pathophysiologie.5-6
1. Ischämischer Typ (auch venookklusiver oder Low-Flow-Typ genannt)
Kommt am häufigsten vor (95 % aller Fälle).
Zunächst venöse Stase, in der Folge Kompartmentsyndrom mit Entwicklung von Ischämie und schmerzhafter Erektion möglich
Kein oder nur geringer Blutdurchfluss in den Corpora cavernosa
Blut in den Corpora cavernosa hypoxisch, azidotisch und mit hohem CO2-Gehalt
Penis ist versteift und berührungsempfindlich.
Die Ursachen sind häufig intrakavernöse Selbstinjektionen, oft jedoch unbekannt.
Eine andauernde Hypoxie kann zu bleibenden strukturellen Veränderungen und zur Entwicklung von Fibrose und erektiler Dysfunktion führen. Irreversible Schäden können bereits nach einem 4 Stunden andauernden Priapismus auftreten.
2. Nichtischämischer Typ (auch High-Flow-Priapismus genannt)
Gestörte arterielle Versorgung des Penis, häufig nach perinealem Trauma
in seltenen Fällen angeboren
Durch eine penile Operation des ischämischen Typs kann der Priapismus in einen nichtischämischen Typ konvertieren.
Fehlende Regulierung des arteriellen Blutdurchflusses, Priapismus wird durch einen hohen arteriellen Blutdurchfluss verursacht.
Durch das Trauma entsteht eine arteriokavernöse Fistel, der Penis ist meist nur partiell steif; meist keine Schmerzen und keine Berührungsempfindlichkeit.
Auf Episoden schmerzhafter Erektionen folgen Zeiten mit Erschlaffung.
Die einzelnen Priapismus-Episoden dauern im Allgemeinen weniger als 3 Stunden an und sistieren dann.
Seltene Form
Insbesondere bei Männern mit Sichelzellanämie vorkommend aufgrund der Hyperviskosität, erhöhter Adhäsion von Blutzellen an das vaskuläre Endothel und unterbrochener vaskulärer Hämostase
Häufiger Beginn nachts im Schlaf und nach einigen wenigen Stunden wieder persistierend
Tritt bei ca. 90 % der Patienten vor dem 20. Lebensjahr auf.
Progredienz zu immer länger dauernden Episoden möglich und zuweilen mit einem akuten ischämischen Priapismus endend
Prädisponierende Faktoren
Ischämischer Typ: Bei 60 % der Patienten sind keine sicheren prädisponierenden Faktoren nachzuweisen, bei 40 % assoziiert mit hämatologischen, malignen8 oder neurologischen Erkrankungen.
Nichtischämischer Typ: Traumata des Beckenbereichs und/oder des Perineums mit Ruptur der kavernösen Arterie
Priapismus ohne Schmerzen erfordert keine notfallmäßige Behandlung.
Klinische Untersuchung
Erigierter Penis
Die beiden Corpora cavernosa sind versteift, aber anders als bei einer physiologischen Erektion sind das Corpus spongiosum und die Eichel häufig schlaff.5
Häufig lässt sich schon bei der Anamnese und durch klinische Befunde bestimmen, ob es sich um einen ischämischen oder einen nichtischämischen Typ handelt.
Diagnostik bei Spezialist*innen
Weitere Untersuchungen erfolgen in der Regel in der urologischen Praxis oder der Notaufnahme eines Krankenhauses.
Wenn keine initiale Unterscheidung zwischen ischämischem und einem nichtischämischen Typ möglich ist, kann eine Aspiration von Blut aus den Corpora cavernosa für eine Blutgasanalyse vorgenommen werden.
Beim ischämischen Typ ist das Blut dunkel oder schwarz mit niedrigem paO2-Wert (< 30 mmHg), erhöhtem CO2-Wert (> 60 mmHg) und niedrigem pH-Wert (< 7,5).
Beim nichtischämischen Typ zeigt sich das Blut der Corpora hellrot mit physiologischen Werten von PO2 (> 90 mmHg), PCO2 (< 40 mmHg) und pH (7,4).5
Bei Verdacht auf arteriellen (nichtischämischen) Priapismus ist eine Ultraschall-Farb-Doppler-Untersuchung zum Ausschluss möglicher Gefäßschäden sinnvoll.
Eine Flow-Messung kann ferner zur Unterscheidung zwischen ischämischem und nichtischämischem Typ hilfreich sein.
Labordiagnostik mit Differenzialblutbild, Serumchemie und Hämoglobin-Elektrophorese kann zur Diagnostik einer Sichelzellanämie oder weiteren hämatologische Erkrankungen beitragen.
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
Ein ischämischer Priapismus ist ein klinischer Notfall und sollte insbesondere bei Dauer über 4 Stunden unverzüglich zur Krankenhauseinweisung veranlassen.
Ein nichtischämischer Priapismus sollte zu einer Überweisung an Urolog*in veranlassen.
Therapie
Der folgende Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.3,11
Therapieziele
Rückgang der Erektion
Erhalt der physiologischen Erektionsfähigkeit
Verhinderung möglicher Komplikationen
Allgemeines zur Therapie
Initial kann der Versuch einer Eigenbehandlung vorgenommen werden.
Es folgt danach der Versuch einer medikamentösen Therapie.
Bei Nichtansprechen auf konservative Maßnahmen kann eine Operation erforderlich werden.
Empfehlungen für Patienten
In Zusammenhang mit der intrakavernösen Behandlung mit Prostaglandinen bei erektiler Dysfunktion können bei einer über 3 Stunden andauernden Erektion folgende Empfehlungen gegeben werden:
körperliche Aktivität (z. B. Joggen oder Fahrradfahren)
Kalte Dusche oder Eisbeutel auf das Perineum legen.
Medikamentöse Therapie
Für den ischämischen Typ wird in der internationalen Literatur die Aspiration und Spülung des Corpus spongiosum zusammen mit einer medikamentösen Behandlung empfohlen.3,5
Eine Vollnarkose oder eine intravenöse Analgosedierung ist in vielen Fällen notwendig.
Eine Infusionskanüle („Butterfly-Nadel“) in der Stärke 19–21 wird in einen der Corpora cavernosa eingeführt.
Nach der Aspiration wird dann meist eine intrakavernöse Spülung mit einem sympathomimetischen Medikament vorgenommen.
Ephedrin
In der Regel wird als Erstes eine intrakavernöse Injektionsbehandlung mit Ephedrin ausgeführt (hauptsächlich bei gemessener leichter Ischämie).4-6
Ephedrin inj. 50 mg/ml: 0,5–1 ml (25–50 mg) intrakavernös nach Aspiration
Kann nach einer halben Stunde wiederholt werden.
Beta-2-Agonisten
Nach einer oralen Beta-2-Agonist-Behandlung tritt bei bis zu 1/3 der Patienten ein Rückgang der Erektion innerhalb von 30–60 min ein.
z. B. Ventolin 0,4 mg/ml: 10 ml (4 mg), evtl. erneut nach 4 Stunden
Beim nichtischämischen Typ ist die Aspiration des Corpus spongiosum nur von diagnostischem Wert.
Aspiriertes Blut hat eine frische rote Farbe wie arterielles Blut.
Eine Sympathomimetika-Injektion kann eine erhebliche schädliche Wirkung im Falle einer systemischen Absorption und Toxizität haben.
Eine durch Blutgasanalyse bestätigte kritische Ischämie sollte umgehend operiert werden, sofern durch Aspiration und Spülung mit Medikamenten kein schnelles Abschwellen erzielt werden kann.
Beim ischämischen Typ ist häufig das Einsetzen eines Shunts zwischen dem Corpus spongiosum (Eichel) und dem jeweiligen Corpus cavernosum notwendig.
Bei rezidivierendem Priapismus kann eine Operation auch für den nichtischämischen Typ notwendig werden.
Bei einem arteriellen (nichtischämischen) Typ kann eine superselektive arterielle Embolisation erforderlich sein.5
Im Falle einer Harnretention kann eine suprapubische Drainage notwendig werden.
Bei einer voll entwickelten persistierenden erektilen Dysfunktion ist der Einsatz einer Penis-Prothese zu überlegen.
Ein schwerer ischämischer Priapismus verursacht eine erhebliche Fibrose. Der Einsatz einer aufblasbaren Prothese wird dadurch erschwert. Der Einsatz einer Prothese im frühen Stadium wird daher von einigen Zentren empfohlen, wenn eine konservative Therapie keinen Erfolg hat.14
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.5
Bei nicht erfolgreicher Behandlung lässt die Erektion innerhalb von Tagen oder Wochen nach.
Beim ischämischen Typ ist danach die Fähigkeit zur Erektion in der Regel nicht mehr vorhanden.
Überschreitet die Ischämiedauer 4–6 Stunden, so sind irreversible Schäden zunehmend wahrscheinlich.3,5
Bei einer Ischämiedauer unter 24 Stunden bleibt die erektile Funktion in ca. 50 % der Fälle erhalten.
Bei einer Ischämiedauer über 24 Stunden liegt die Gefahr einer penilen Deformierung oder erektilen Dysfunktion bei mehr als 90 %.
Eine (heute zunehmend seltene) Nekrose/Gangrän von korporalem Gewebe entwickelt sich nach verlängerter Ischämiezeit; das Gewebe fibrosiert in der Folge.15
Prognose
Beginnt die Behandlung binnen 6 Stunden nach dem Einsetzen der Erektion, so sind die Behandlungsergebnisse in etwa 50 % der Fälle zufriedenstellend.
Nach erfolgreicher Behandlung bleibt die sexuelle Funktion in der Regel erhalten.
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Costa WS, Felix B, Cavalcanti AG, et al. Structural analysis of the corpora cavernosa in patients with ischaemic priapism. BJU Int 2010; 105: 838-41. PubMed
AutorenAutor*innen
Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Meist schmerzhafte Dauererektion, die länger als 4 Stunden bestehen bleibt, obwohl sexuelle Erregung, Ejakulation und Orgasmus fehlen. Häufigkeit:Inzidenz beträgt ca. 1/100.000. Anwendung von intrakavernösen Injektionen führt jedoch zu einer zunehmenden Häufigkeit. Dies ist insbesondere in der Altersgruppe 25–50 Jahre zu beobachten.