Allgemeine Informationen
Definition
- Beim bullösen Pemphigoid handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der sich auf unauffälliger oder geröteter Haut prall gespannte Blasen bilden.1
- Bei manchen Patient*innen sind auch die Schleimhäute betroffen.
- Die Erkrankung kann in zahlreichen Varianten auftreten: z. B. als lokalisiertes, vesikuläres, erythematöses oder noduläres Pemphigoid.
- Eine Sonderform stellt das Phemphigoid gestationes dar, das vorwiegend in der zweiten Schwangerschaftshälfte oder postpartal auftritt.
Schleimhautpemphigoid
- Wird auch als vernarbendes Schleimhautpemphigoid bezeichnet.
- Bei dieser Variante sind grundsätzlich Mundschleimhaut und Bindehaut sowie ggf. und in unterschiedlichem Ausmaß auch andere Schleimhäute betroffen.
Häufigkeit
- Das Pemphigoid ist die häufigste subepidermal blasenbildende Autoimmundermatose in Zentraleuropa mit einer Inzidenz von ca. 13 Neuerkrankungen/1 Mio./Jahr.2
- Die Erkrankung tritt im höheren Lebensalter und dabei am häufigsten bei Menschen zwischen 65 und 75 Jahren auf.
- Die Inzidenz wird durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung steigen.
- Männer sind etwas häufiger vom Pemphigoid betroffen als Frauen.3
- Das Schleimhautpemphigoid kommt bevorzugt bei Frauen vor.
Ätiologie und Pathogenese
- Die Bildung von Autoantikörpern gegen hemidesmosomale Strukturproteine führt zu subepidermaler Blasenbildung.
- Bei betroffenen Patient*innen sind Antikörper im Serum und im serösen Blaseninhalt feststellbar.4
- Durch die Bindung von Antikörpern wird das Komplementsystem aktiviert, und Granulozyten und Eosinophile angelockt.5
- In der Immunfluoreszenz können Streifen aus C3 und IgG gesehen werden.
- In der Histologie lassen sich subepidermale Blasen, aber keine Akantholyse feststellen.
- Der Schweregrad richtet sich nach der betroffenen Körperoberfläche.6
- mild: weniger als 10 % der Körperoberfläche betroffen
- mittel: 10–30 %
- schwer: mehr als 30 % betroffen
Klinik
- Beginnt häufig mit einem stark juckenden, urtikariellen Exanthem und führt im weiteren Verlauf zur Bildung großer, prall gespannter Blasen.7
- Tritt häufig an den Beugeseiten der Arme, Oberschenkelinnenseite, seitliche Halspartien, Achselhöhlen oder Nabelregion auf.
- Verläuft meist in Schüben.
- In der Anfangsphase kann sich die Erkrankung in einem erythematösen Exanthem manifestieren, das starken Juckreiz verursacht und Kratzspuren nach sich zieht.
- Bei manchen Patient*innen sind auch die Schleimhäute in der Mund-8-9 oder Anogenitalregion betroffen. Auf der Mundschleimhaut auftretende Blasen platzen leicht und hinterlassen dann brennende Erosionen.
- Diese heilen ohne Narbenbildung ab.
Schleimhautpemphigoid
- Bei dieser Variante sind grundsätzlich Mundschleimhaut und Bindehaut sowie ggf. und in unterschiedlichem Ausmaß auch andere Schleimhäute betroffen.10
- Häufig sind die Blasen auf der Mundschleimhaut größer als beim bullösen Pemphigoid. Sie hinterlassen schmerzhafte Erosionen, die meist unter Narbenbildung abheilen.
- Eine gefürchtete Komplikation ist das Zusammenwachsen von Lid- und Bindehaut des Augapfels (Symblepharon), das eine Erblindung nach sich ziehen kann.
Prädisponierende Faktoren
- Andere Autoimmunkrankheiten
- Das Phemphigoid kann als paraneoplastisches Syndrom bei Malignomen (Prostata-, Rektum- oder Bronchialkarzinom) auftreten.11
- Folgende Medikamente können das Auftreten eines Pemphogoids auslösen:11
- ACE-Hemmer (z. B. Captopril, Enalapril)
- Amoxicillin
- Ampicillin
- Cephalexin
- Ethanercept
- lokal angewandtes 5-Fluorouracil
- Furosemid
- Goldpräparate
- Levodopa
- NSA (z. B. Ibuprofen)
- Penicillamin
- Penicillin V
- Salazosulfapyridin
- Sulfasalazin
- Sulfonamide und Derivate
- Terbinafin.
- Auslösung durch UV-Strahlen
- Genetische Prädisposition, mit HLA-D-Typen assoziiert
ICPC-2
- S99 Hautkrankheit, andere
ICD-10
- L12.- Pemphigoidkrankheiten
- L12.0 Bullöses Pemphigoid
- L12.1 Vernarbendes Pemphigoid
- L12.8 Sonstige Pemphigoidkrankheiten
- L12.9 Pemphigoidkrankheit, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnose erfolgt aufgrund von Klinik, Histologie und Immunfluoreszenz.
- Zusätzlich zur allgemeinen körperlichen Untersuchung werden Inspektion der Mundhöhle, Nasenöffnungen, Genitale, Perianalbereich und Nägel sowie die Abklärung des Nikolski-Zeichens empfohlen.6
- Eine Tumorsuche wird allein aufgrund der Diagnose Pemphigoid nicht empfohlen, aber vor eine immunsuppressiven Therapie sollte ein Malignom dennoch ausgeschlossen werden.6
Differenzialdiagnosen
- Dermatitis herpetiformis
- Erythema multiforme
- Pemphigus
- Herpes gestationis
- Lichen ruber planus und Urtikaria
- Kontaktekzem
- Arzneimittelinduzierte Hautreaktion
- Culicosis bullosa: Rötung und Blasenbildung nach Insektenstichen
Anamnese
- Häufig tritt als erstes Symptom ein starker Juckreiz auf.
- Zeitpunkt des ersten Auftretens der Läsionen
- Vorerkrankungen, insbesondere neurologische und psychiatrische, hämatologische oder onkologische Erkrankungen, Diabetes mellitus, primäre oder sekundäre Immundefekte6
- Medikamenteneinnahme
Klinische Untersuchung
- Charakteristisch sind gespannte Blasen, die mehrere Zentimeter groß werden können und über die Haut verteilt auftreten: Bereits Monate vor Bildung der Blasen können urtikarielle oder ödematöse Läsionen aufgetreten sein.
- Bei manchen Patient*innen ist auch die Mundschleimhaut betroffen. Manchmal ist auch die Bindehaut betroffen, was zu Narbenbildung und einem Zusammenwachsen von Lid- und Bindehaut des Augapfels führen kann.
- Das Nikolski-Zeichen ist negativ. Die Blase lässt sich durch seitlichen Druck nicht verschieben.
Ergänzende Untersuchungen
- Direkte Immunfluoreszenz
- Eine periläsionale Biopsie ist sinnvoll, um falsch positive Ergebnise zu vermeiden.6
- Histopathologische Untersuchung
- Es gibt eine zellarme und eine zellreiche Variante.11
- Immunserologie
- Ursachensuche
- Absetzen von Medikamenten, die als Auslöser für das Pemphigoid infrage kommen: insbesondere Diuretika.
- Eine Tumorsuche allein aufgrund der Diagnose eines bullösen Pemphigoids wird nicht empfohlen.6
- Immunserologische Autoantikörpertiter-Bestimmungen können zur Verlaufskontrolle durchgeführt werden.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf ein bullöses Pemphigoid ist grundsätzlich eine Überweisung indiziert.
Checkliste zur Überweisung
Pemphigoid
- Zweck der Überweisung
- Diagnostik? Therapie? Sonstiges?
- Anamnese
- Beginn und Dauer? Rascher oder langsamer Verlauf? Progression?
- Beschwerden und Beeinträchtigungen? Beteiligung der Schleimhäute? Erschwerende oder lindernde Faktoren? Andere bekannte Hauterkrankungen? Andere vorliegende Erkrankung? Familiäre Prädisposition?
- Derzeitige Medikation?
- Folgen?
- Klinische Untersuchung
- Lokalisierung? Größe und Beschaffenheit der Hautveränderungen?
- Allgemeinzustand?
- Apparative Diagnostik
- evtl. Hb, Leukozyten, CRP, BSG
Therapie
Therapieziel
- Die Krankheitsaktivität reduzieren.
Allgemeines zur Therapie
- Die Therapie richtet sich nach dem Alter der Patient*innen, der Grunderkrankung, der Art und Auslösung des Pemphigoids sowie der Größe der betroffenen Körperoberfläche.
- Meist werden Kortikosteroiden systemisch eingesetzt.
- Vor einer systemischen Induktionstherapie sollten Malignome, schwere Leber- oder Nierenfunktionsstörungen, akute oder chronische Infektionen (HIV-Infektion, Virushepatitis, Tuberkulose), Diabetes mellitus sowie Blutbildveränderungen ausgeschlossen werden.
- Auch der Impfstatus sollte überprüft und Impflücken, wenn möglich, geschlossen werden.6
- Bei mildem Verlauf und begrenzter Ausbreitung ist die Verabreichung eines starken topischen Glukokortikoids, z. B. Clobetasolproprionat, ggf. ausreichend.
- Eine Behandlungsalternative könnte die Gabe von Tetrazyklinen darstellen.12
Leitlinie: Stadiengerechte Therapieempfehlung bei bullösem Pemphigoid6
- Bei einem milden BP (< 10 % betroffene Körperoberfläche) wird eine topische Therapie mit Clobetasolpropionat empfohlen.
- Bei einem mittelschweren BP (10–30 % betroffene Körperoberfläche) wird eine topische Therapie mit Clobetasolpropionat empfohlen, ggf. kann eine Kombination mit einer systemischen Therapie empfohlen werden.
- Bei einem schweren BP (> 30 % betroffene Körperoberfläche) wird eine topische Therapie mit Clobetasolpropionat in der Regel in Kombination mit einer systemischen Therapie empfohlen.
Medikamentöse Therapie
Bullöses Pemphigoid
- Bei mildem Verlauf und begrenzter Ausbreitung ist die Verabreichung eines starken topischen Glukokortikoids, z. B. Clobetasolproprionat, ggf. ausreichend.
- In schwereren Fällen kommen systemische Induktionstherapien zum Einsatz:
- systemische Kortikoidgabe (0,5 mg/kg/Tag Prednisolonäquivalent), Reduktion analog der Krankheitsaktivität
- Azathioprin (2–2,5 mg/kg/Tag)
- Methotrexat (bis zu 20 mg/Woche)
- Dapson (1,5 mg/kg/Tag)
- Doxycyclin (200 mg/Tag) als Monotherapie oder zusammen mit Nicotinamid
- Mycophenolat-Mofetil (2 g/Tag)
- Methotrexat, Doxycyclin und Mycophenolat-Mofetil sind Off-label-Therapien.
- Tetrazykline haben auch antiinflammtorische Eigenschaften und stellen eine mögliche Behandlungsalternative zur Therapie mit Kortikosteroiden dar.12
- Studienergebnisse deuten darauf hin, dass der Effekt auf die Blasenbildung gleich gut ist wie bei der Behandlung mit Kortikosteroiden und dass deutlich weniger dauerhafte Nebeneffekte aufttreten.13
Schleimhautpemphigoid
- Das Schleimhautpemphigoid spricht häufig schlechter auf Therapien an als das bullöse Pemphigoid.
- Das Risiko schwerer Komplikationen rechtfertigt eine aggressivere Therapie mit Immunsuppressiva.10
Pemphigoid gestationes
- Systemische oder lokale Anithistaminika zur Juckreizlinderung
- In schweren Fällen Prednisolon
- Intravenöse Therapie mit Immunglobulinen (IVIG)
- Weiter Therapieformen wie oben postpartal
Weitere Therapien
- Wenn die systemische Induktionstherapie nicht ausreicht, können als weitere Therapien Immunadsorption/Plasmapherese6, intravenöse Immunglobuline (IVIG)14 und/oder Rituximab15 zum Einsatz kommen; diese Medikamente sollten jedoch den schwersten Formen der Erkrankung vorbehalten sein.
- Sehr große, mechanisch beeinträchtigende Blasen können steril punktiert und antiseptisch lokal behandelt werden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Erkrankung verläuft chronisch, kann aber nach Monaten bis Jahren remittieren.
- Typisch ist ein schubweiser Verlauf.
- Die Abheilung der Blasen erfolgt meist ohne Narbenbildung.
- Während einer systemischen Induktionstherapie müssen regelmäßige Laboruntersuchungen vorgenommen werden.6
- Einige der systemischen Therapien erfordern eine ausreichend lange Konzeptionsverhütung.6
- Immunserologische Autantikörpertiter zum Bestimmen der Krankheitsaktivität sollten nicht häufiger als alle 2–3 Monate erfolgen.
Komplikationen
- Nebenwirkungen infolge der Steroidtherapie:
- systemische Infektionen
- Diabetes mellitus
- Osteoporose
- Thrombosen
- gastrointestinale Ulzerationen.
- Toxische Medikamentennebenwirkungen bei immunsuppressiver Therapie
Prognose
- Ein bullöses Pemphigoid verursacht erhebliche Beschwerden, insbesondere quälenden Juckreiz.
- Die meisten Hautläsionen heilen narbenlos ab.
- Beim Schleimhautpemphigoid kann es zu einem Symblepharon kommen, einem Zusammenwachsen der Lider, was zum Erblinden führen kann.
- Die Prognose hängt insgesamt stark von der Grunderkrankung oder dem Auslöser des Pemphigoids ab.
- Die Mortalität im ersten Jahr beträgt ohne Behandlung 20–40 %.6,11
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Pemphigus vulgaris und bullöses Pemphigoid, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 013-071. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
Literatur
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- Schmidt E, Zillikens D: The diagnosis and treatment of autoimmune blistering skin diseases. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(23): 399–405 www.aerzteblatt.de
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- Schmidt E, Bröcker EB, Goebeler M. Rituximab in treatment-resistant autoimmune blistering skin disorders. Clin Rev Allergy Immunol 2008 Feb;34(1):56-64. PubMed
Autor*innen
- Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
Frühere Autor*innen
- Morten Dalaker, specialist på hudsjukdomar, Trondheim