Allgemeine Informationen
Definition
- Kompression des N. ischiadicus durch den M. piriformis1
- diffuse Schmerzen im Gluteal- und Beinbereich inkl. Leistenbereich
- teilweise mit Instabilitätsgefühl
- Häufig bei gut trainierten Personen mit kräftiger, aber schlecht gedehnter Muskulatur
- Ausschlussdiagnose, deren genaue Definition im orthopädischen Fachbereich stark diskutiert wird.2-5
Häufigkeit
- Verhältnis Frauen:Männer 6:11
- Ist die Ursache von bis zu 6 % aller Ischias-Schmerzen.6
- Prävalenz von bis zu 17 % bei chronischen Lendenwirbelsäulen-Schmerzen7
- Vor allem Kraftsportler und Bodybuilder sind für Irritationen des N. ischiadicus anfällig.
Funktionelle Anatomie des M. piriformis
- Birnenförmiger („piriformis“) Muskel
- Verlauf
- Ursprung an der lateralen Innenfläche des Os sacrum sowie Os ischii
- dorsaler Austritt aus dem Becken durch das Foramen ischiadicum majus
- Ansatz am Trochanter major des Femurs
- Funktion
- Außenrotation und Abduktion im Hüftgelenk
- zusätzlich schwache Extension im Hüftgelenk
- Benachbarte Strukturen
- Ventral des M. piriformis befindet sich der Plexus sacralis.
- Der N. ischiadicus zieht zwischen dem knöchernen Becken und M. piriformis Richtung Beinrückseite.
- Die anatomische Engstelle („Foramen infrapiriforme“) ist anfällig für eine Kompression des Nervs.
Ätiologie und Pathogenese
- Mögliche Ursachen
- Trauma im Glutealbereich
- Eine konsekutive Muskelverhärtung oder Hämatom führt zur Einklemmung.8
- Ist wahrscheinlich die häufigste Ursache.
- anatomische Variante mit Verlauf des N. ischiadicus durch den M. piriformis9
- bei etwa 4 % aller Menschen mittel- oder nordeuropäischer Abstammung
- myofasziales Schmerzsyndrom durch Triggerpunkte im M. piriformis10
- Hypertrophie des M. piriformis durch starkes, einseitiges Training10
- Trauma im Glutealbereich
Prädisponierende Faktoren
- Trauma des Glutealbereichs
- Ist wahrscheinlich der Hauptrisikofaktor für die Entwicklung eines Piriformis-Syndroms.10
- Spinalkanalstenose
- Kann zu Verhärtung des M. piriformis führen.1
- Anatomische Varianten mit Verlauf des N. ischiadicus durch den M. piriformis9
- Z. n. Laminektomie11
- Hypertrophie des M. piriformis
- Skifahrer, Rennradfahrer und LKW-Fahrer sind besonders gefährdet.1
ICPC-2
- Bursitis/Tendinitis/Synovitis NNB
ICD-10
- G57.0 Läsion des N. ischiadicus
- G57.8 Sonstige Mononeuropathien der unteren Extremität
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Anamnese und klinische Befunde, die auf die Erkrankung hinweisen.
- Der Konsens über exakte klinische Kriterien steht aus.
- Bildgebende oder elektrodiagnostische Verfahren, die eine eindeutige Diagnose ermöglichen würden, fehlen.12
- Ausschlussdiagnose
Differenzialdiagnosen
- Unspezifischer Kreuzschmerz
- Harnleitersteine
- Endometriose
- Lumbale Bandscheibenschäden mit Radikulopathie
- Verletzung der ischiokruralen Muskulatur
- Spondylolyse und/oder Spondylolisthesis
- ISG-Dysfunktion
- Iliakalvenenthrombose
- Andere Nervenkompressionssyndrome im Hüftbereich
- Spinalkanalstenose
Anamnese
- Ältere Traumata
- Bis zu mehrere Jahre nach einem Glutealtrauma kann ein Piriformis-Syndrom auftreten.
- Lokalisierung der Schmerzen
- Schmerzprovokation
- am typischsten Schmerzaggravation beim Sitzen
- bei bis zu 97 % der Patienten13
- Patienten müssen beim Autofahren oft anhalten, aussteigen und sich in der Hüfte strecken, bevor sie weiterfahren können.
- Andere, eher seltene Symptome sind:
- Beschwerden beim Stuhlgang
- Schmerzen in den Labia majora bei Frauen bzw. dem Skrotum bei Männern
- Dyspareunie bei Frauen
- Schmerzen beim Aufstehen aus dem Bett.
- am typischsten Schmerzaggravation beim Sitzen
- Sporttreibende beschreiben es oft so, als ob die Oberschenkelmuskulatur zu kurz wäre, und dass sie bei Sprints nicht mehr die maximale Geschwindigkeit erreichen.
Klinische Untersuchung
- Ausschlussdiagnose14
- Mituntersuchung der LWS und des Hüftgelenks15
- Es existiert kein Goldstandard bei der Diagnostik des Piriformis-Syndroms.10
- Häufig liegen keine neurologischen Defizite vor.10
- Rektale oder vaginale Untersuchung
- schmerzhafter, verspannter Ursprung an der lateralen Beckenwand palpabel
- bei fast 100 % der Patienten positiver Befund10
- Palpation der „Piriformis-Linie“ auf Triggerpunkte
- Patient in Sims-Position (beispielhaft für die Untersuchung der rechten Seite)
- Patient in Linksseitenlage
- linkes Hüft- und Kniegelenk gestreckt
- rechtes Hüft- und Kniegelenk gebeugt
- Ablegen des rechten Knies auf ein Kissen für mehr Stabilität
- Eine imaginäre Verbindungslinie zwischen dem Trochanter major und Foramen ischiadicum majus ziehen.
- Einteilung der Linie in 3 Drittel
- Bei bis zu 92 % der Patienten sind schmerzhafte Triggerpunkte zwischen dem medialen und mittleren Drittel palpabel.16
- Patient in Sims-Position (beispielhaft für die Untersuchung der rechten Seite)
- Positives Freiberg-Zeichen17
- Patient in Rückenlage, passive max. Innenrotation des Hüftgelenks
- dadurch starke Dehnung des M. piriformis
- bBei > 50 % der Patienten positiv13
- Patient in Rückenlage, passive max. Innenrotation des Hüftgelenks
- Kraftminderung
- isometrische Tests der Außenrotation und der Abduktion der Hüfte im Seitenvergleich
- Mitunter kann die Untersuchung auch Schmerzen provozieren.
- Glutealatrophie und Beinverkürzung sind auf der betroffenen Seite möglich.18
- Vergleich von Ischias- und Piriformis-Syndrom
- Im Falle des Piriformis-Syndroms gibt es in der Regel keine neurologischen Defizite.
- Das Lasègue-Zeichen ist meistens bei beiden Diagnosen positiv.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Blutuntersuchungen sind ohne zusätzlichen Nutzen.
Diagnostik beim Spezialisten
- Bildgebende Diagnostik
- CT oder MRT sind nur zum Ausschluss anderer Erkrankungen sinnvoll.1
- EMG
- Ein pathologisch verlängerter peronealer H-Reflex ist hinweisgebend für ein Piriformis-Syndrom.
- FAIR-Test (Flexion, Adduktion, InnenRotation) zur max. Belastung des M. piriformis
- Verlängerung > 5 ms ist verdächtig auf ein Piriformis-Syndrom.19
- Ein pathologisch verlängerter peronealer H-Reflex ist hinweisgebend für ein Piriformis-Syndrom.
- Diagnostische Injektion von einem Lokalanästhestikum
Indikationen zur Überweisung
- Bei unklarer Diagnose oder zum Ausschluss anderer Erkrankungen
Checkliste zur Überweisung
Piriformis-Syndrom
- Zweck der Überweisung
- Bestätigende Diagnostik? Therapie?
- Anamnese
- Wann haben die Beschwerden begonnen? Welche auslösenden Faktoren gab es? Entwicklung?
- Symptome: Schmerzen? Lokalisierung? Auslösende Umstände? Welche Auswirkungen gibt es auf sportliche oder sonstige körperliche Aktivitäten?
- Weitere relevante Erkrankungen? Regelmäßige Medikamente?
- Welche Therapien wurden bereits versucht und mit welchem Resultat?
- Konsequenzen?
- Klinische Untersuchung
- Schmerzlokalisierung? Isometrischer Test der Außenrotation sowie der Abduktion der Hüfte?
- evtl. periphere neurologische Befunde (vgl. Ischias)
- Ergänzende Untersuchungen
- Evtl. Ergebnisse einer Ultraschalluntersuchung, einer MRT oder eines anderen diagnostischen Verfahrens?
Therapie
Therapieziele
- Vollständiger Rückgang der Schmerzen sowie evtl. Funktionseinschränkungen
Allgemeines zur Therapie
- Multimodale konservative Therapie mit gutem Effekt10
- körperliche Schonung, Anpassung des Trainingsprogramms bei Sportlern20
- Krafttraining reduzieren, mehr dehnen.
- Physiotherapie
- evtl. Analgetika zur schmerzfreien Beübung
- Injektion von Lokalanästhetika in schmerzhafte Triggerpunkte
- körperliche Schonung, Anpassung des Trainingsprogramms bei Sportlern20
Empfehlungen für Patienten
- Vermeidung von Aktivitäten, die die Beschwerden hervorrufen.
- Vor dem Dehnprogramm die Muskulatur durch Applikation von Wärme lockern.
- Dehnen des M. piriformis, beispielhafte Übung für den rechten M. piriformis:
- Patient in Rückenlage, Flexion des Hüft- und Kniegelenks der rechten Seite
- Linke Hand umfasst den rechten Fußaußenrand und zieht ihn in Richtung der linken Schulter.
- Rechte Hand drückt das rechte Kniegelenk nach unten rechts.
- Es sollte ein Dehnungsgefühl im lateralen Glutealbereich auftreten.
- Patient in Rückenlage, Flexion des Hüft- und Kniegelenks der rechten Seite
- Zudem die M. iliopsoas, M. tensor fasciae latae sowie Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur in das Dehnprogramm einbeziehen.
- Cave: Vorsichtiges, sanftes Dehnen, um eine weitere Reizung des Nerves zu vermeiden!1
- Bei sitzenden Tätigkeiten alle 20 min aufstehen und strecken.
- Warme Vollbäder nehmen.
Medikamentöse Therapie
- Zunächst NSAR, ggf. zusätzlich Muskelrelaxanzien und Mittel gegen neuropathische Schmerzen21
- Injektionstherapie mit einem Lokalanästhetikum
- Ultraschall-, CT- oder MRT-geführte Injektionen können die richtige Platzierung der Injektion sicherstellen.22-23
- Die Injektion eines Lokalanästhetikums ist sehr effektiv.24
- Kortikosteroide haben keinen zusätzlichen Nutzen.24
- Injektionstherapie mit Botulinum Toxin Typ A
Weitere Behandlungen
- Physiotherapie als elementarer Bestandteil der multimodalen Therapie10
- Wärme, Ultraschall, Anleitung von Dehnübungen
- Behandlung von Triggerpunkten
- Manipulationstherapie
- mögliche Alternative
- Operation
- bei Versagen der konservativen und Injektionstherapie
- Spaltung der Piriformis-Sehne oder Neurolyse
- insbesondere bei posttraumatischen Patienten mit sehr guten Ergebnissen8
Prävention
- Auch Symptomfreiheit erreicht ist, sollte ein tägliches Dehnprogramm fortgeführt werden.
- Gang- und Haltungsanalyse sowie Auswahl des passenden Schuhwerks1
- Fehlbelastung mit Überanspruchung des M. piriformis vermeiden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Prognose
- Bei adäquater Therapie mit Physiotherapie und Injektionen ist die Prognose sehr gut.1
- Nach 6 Wochen Therapie kaum Beschwerdepersistenz bzw. Rezidive1
- Nach einem operativem Eingriff können die sportlichen Aktivitäten nach 2–3 Monaten wiederaufgenommen werden.1
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Literatur
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Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
Paul Ackermann, docent och bitr överläkare, Ortopediska kliniken, Karolinska universitetssjukhuset (Medibas)