Definition:Autoimmunerkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen die eigenen Schilddrüsenzellen richtet.
Häufigkeit:Häufigste Ursache einer Hypothyreose in Deutschland.
Symptome:Symptome im Rahmen der Hypothyreose wie Kälteempfindlichkeit, Müdigkeit oder Gewichtszunahme. Schilddrüse meist nicht schmerzhaft.
Befunde:Initial häufig diffuse, nicht schmerzhafte Schilddrüsenvergrößerung. Im Verlauf oft Atrophie der Schilddrüse.
Diagnostik:Bestimmung TSH und FT4. Sonografie der Schilddrüse. Anti-TPO-Antikörper bei 90 % der Patient*innen.
Therapie:Levothyroxin-Gabe bei symptomatischer Hypothyreose. Bei konservativem Therapieversagen ggf. (Hemi)Thyreoidektomie.
Allgemeine Informationen
Definition
Autoimmunerkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen die eigenen Schilddrüsenzellen richtet und im Verlauf zu einer Hypothyreose führt.1
Benannt nach dem japanischen Pathologen und Chirurgen Hakaru Hashimoto, der die Erkrankung 1912 zum ersten Mal beschrieb.1
Häufigkeit
Etwa 5 % der Bevölkerung in Deutschland sind von einer Autoimmunthyreoiditis betroffen, wobei die Hashimoto-Thyreoiditis häufiger ist als Morbus Basedow.2
Hashimoto-Thyreoiditis
Am häufigsten bei Frauen im jungen und mittleren Alter
häufigste Ursache einer Hypothyreose in Deutschland4
Ätiologie und Pathogenese
Multifaktorielle, autoimmune Erkrankung, die vermutlich dadurch entsteht, dass genetisch prädisponierte Personen einem exogenen Faktor ausgesetzt sind, der zu einer Aktivierung des Immunsystems führt.
Verschiedene Viren wurden mit der Autoimmunthyreoiditis in Verbindung gebracht, doch ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Infektion und einer Autoimmunthyreoiditis ist bislang nicht gesichert.
Hauptbeteiligte Immunzellen sind die Lymphozyten, die zum einen das Schilddrüsengewebe infiltrieren und direkt schädigen und zum anderen Auto-Antikörper produzieren. 1
Am häufigsten entwickeln die Patient*innen Auto-Antikörper gegen die Thyreoperoxidase (mikrosomales Antigen, früher „MAK“, heute Anti-TPO), jedoch finden sich auch oft Antikörper gegen den TSH-Rezeptor (TSH-Rezeptor-Antikörper, „TRAK") und gegen das Thyreoglobulin (Anti-TG, „TAK“).5
Aus Zwillingsstudien vermutet man, dass die Entwicklung einer Hashimoto-Thyreoiditis zu 80 % auf der genetischen Prädisposition und 20 % auf Umweltfaktoren und Hormoneinflüssen beruht.5
Bei klinischem Verdacht auf Hypothyreose Bestimmung des TSH-Wertes
DEGAM-Leitlinie: Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis8
Ein TSH-Wert > 4,0 mU/l weist darauf hin, dass die Hypophyse vermehrt aktiv ist, um möglicherweise eine latente oder manifeste Hypothyreose auszugleichen.
In diesem Fall empfiehlt die DEGAM folgendes Vorgehen zur weiteren Abklärung.
1. Anamnese
Faktoren mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für Hypothyreose in Anamnese?
Schilddrüsenerkrankung, Z. n. Schilddrüsenoperation
autoimmune Schilddrüsenerkrankung/Hypothyreose bei Verwandten 1. Grades
Z. n. Radiatio im Kopf-Hals-Bereich, Z. n. Radiojodtherapie bei Hyperthyreose
TPO-Antikörper nicht nachweisbar: primär subklinische (latente) Hypothyreose
3. Sonderfall
Bei Erstbefund eines TSH-Wertes > 10,0 mU/l oder eines TSH-Wertes > 4,0 mU/l und auffälligen anamnestischen Befunden sollte eine weiterführende Diagnostik eingeleitet werden.
Antikörper
Bei 90 % der Patient*innen mit Hashimoto-Thyreoiditis finden sich Antikörper gegen die Thyreoperoxidase (Anti-TPO) und bei 70 % gegen das Thyreoglobulin (Anti-TG).9
Anmerkungen der DEGAM-Leitlinie zur Antikörper-Bestimmung8
Bei latenter Hypothyreose kann einmalig eine Bestimmung der TPO-Antikörper durchgeführt werden, um den Verdacht auf eine Hashimoto-Thyreoiditis zu klären.
Bei Hashimoto-Thyreoiditis besteht ein erhöhtes Risiko für einen Übergang in eine manifeste primäre Hypothyreose.
Risikoeinschätzung für das Vorliegen von anderen Autoimmunerkrankungen (Assoziation von Thyreoiditis z. B. mit Typ-1-Diabetes)
Bei manifester Hypothyreose bringt die TPO-AK-Bestimmung für die weiteren hausärztlichen Entscheidungen keinen Zugewinn.
Patient*innen, die für ihr eigenes Krankheitsverständnis nach Ursachen ihrer Erkrankung suchen, könnten aber von dem Nachweis oder Ausschluss einer Hashimoto-Thyreoiditis profitieren.
Zu bedenken ist jedoch, dass dieses Wissen Patient*innen potenziell auch verunsichern kann und die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer somatoformen Störung begünstigen könnte.
Bei typischem Bild einer Hashimoto- (hypo- oder euthyreot, positive TPO-AK, typische Sonografie) oder postpartalen Thyreoiditis soll keine Schilddrüsenszintigrafie durchgeführt werden.
Indikationen zur Überweisung
Bei Hinweisen auf eine maligne Genese (z. B. sonografisch hypoechogene Mikronoduli, B-Symptomatik) zur Feinnadelpunktion mit histopathologischer Beurteilung
Bei persistierender Symptomatik trotz Schilddrüsenhormon-Substitution zur Evaluation einer möglichen (Hemi)Thyreoidektomie (siehe Abschnitt Operative Behandlung).
Therapie
Therapieziele
Euthyreote Stoffwechsellage
Symptomfreiheit
Allgemeines zur Therapie
Bei einer etwaigen Hypothyreose erfolgt eine Thyroxin-Behandlung.
Der Einsatz von Selen bei der Hashimoto-Thyreoiditis wird kontrovers diskutiert.
Bei symptomatischen Patient*innen mit konservativem Therapieversagen kann eine (Hemi)Thyreoidektomie in Erwägung gezogen werden.
Schwangerschaft
Mitbetreuung durch Spezialist*in empfohlen
Eine angemessen behandelte Hypothyreose stellt in der Schwangerschaft kein erhöhtes Risiko für Mutter oder Kind dar.
Die Schwangerschaft sollte geplant werden, sodass für die Patientin bei Beginn der Schwangerschaft eine gute Kontrolle über die Hypothyreose gewährleistet ist.
Die Thyroxin-Dosis muss im Laufe der Schwangerschaft häufig um mehr als 50 % angehoben werden, wobei die größte Dosiserhöhung in den ersten 24 Wochen notwendig ist.12
Das TSH sollte engmaschig kontrolliert und die Thyroxin-Dosis rasch angepasst werden.
Um eine optimale Entwicklung des Kindes zu gewährleisten, sollte der TSH-Spiegel über die gesamte Schwangerschaft hinweg im Normbereich liegen.
Bei euthyreoten, schwangeren Patientinnen mit einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse (Nachweis von Thyreoperoxidase-Antikörpern – Anti-TPO) wurde festgestellt, dass durch die Behandlung mit Levothyroxin im frühen Stadium der Schwangerschaft das Risiko eines Spontanaborts und einer Frühgeburt gesenkt werden kann.13
Schwangeren wird in Deutschland eine Supplementation von 100–150 µg (DGE) bzw. 150–200 µg (DGIM) Jod/d empfohlen.14-15
Auch Frauen mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow in Remission) kann dies gefahrlos angeboten werden.14
Initialdosis bei Patient*innen mit manifester Hypothyreose < 60 Jahre ohne Komorbiditäten:
1,6 μg/kg Körpergewicht pro Tag.
Initialdosis bei Patient*innen mit manifester Hypothyreose > 60 Jahre und/oder mit kardiovaskulären Erkrankungen:
25 μg mit Dosisanpassung in Abhängigkeit vom TSH-Wert.
Initialdosis bei Substitution einer latenten Hypothyreose:
25–50 μg/d Levothyroxin
Bei älteren (≥ 60 Jahre) und hochbetagten (≥ 85 Jahre) Patient*innen ist – nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Multimorbidität und der damit einhergehenden Polymedikation – zu prüfen, ob eine Levothyroxin-Therapie einen Benefit für die Patient*innen bringt.
Die Dosisanpassung sollte individuell orientiert an den laborchemisch ermittelten Schilddrüsenwerten und dem subjektiven Wohlbefinden der Patient*innen erfolgen.
Die Resorption von Levothyroxin ist durch Lebensmittel (z. B. Milch) und andere Medikamente (z. B. Östrogene, Salicylate, Phenytoin) beeinflusst.
Einnahme mit Wasser
zeitlicher Abstand zu Mahlzeit oder anderer Medikamenteneinnahme mindestens 30 min
regelmäßiger Einnahmezeitpunkt mindestens 30 min vor dem Frühstück oder abends vor dem Schlafengehen
TSH-Verlaufskontrollen und Dosisanpassung laut DEGAM8
TSH-Verlaufskontrolle 8–12 Wochen nach Therapiebeginn
Die hierfür notwendige Blutentnahme sollte vor Einnahme der jeweiligen Tagesdosis des Thyroxins erfolgen, jedoch ohne Unterbrechung derselben in den Tagen und Wochen vor der Blutabnahme.
Dosisanpassung
TSH < 0,4 mU/l: Dosisreduktion, TSH-Kontrolle nach 8 Wochen
TSH 0,4–4 mU/l: Dosis beibehalten, TSH-Kontrolle nach 6 Monaten.
TSH > 4,0 mU/l: Dosiserhöhung, TSH-Kontrolle nach 8 Wochen
TSH-Verlaufskontrollen sollten nach etablierter Dosis halbjährlich und schließlich nur noch jährlich durchgeführt werden.
Bei Fehlen klinischer Symptome und Levothyroxin-Dosen < 125 μg/d ist bei Patient*innen ohne Amiodaron- oder Lithiumtherapie sowie ohne Schwangerschaft nach Stabilisierung eines normalen TSH ein 2-Jahres-Kontrollintervall ausreichend.
Substitution von Selen
Möglicherweise kann die orale Substitution von Selen die Konzentration der Anti-TPO-Antikörper senken und die Lebensqualität verbessern.16
Bisherige Studien deuten darauf hin, jedoch sind Menge (80–200 μg/d) und Dauer (6 Wochen bis 12 Monate) unklar und weitere Studien notwendig.16
Operative Behandlung
Thyreoidektomie
Bei trotz Euthyreose symptomatischer Hashimoto-Thyreoiditis (Müdigkeit und Erschöpfung, Schlafstörungen, Muskel- und Gelenkbeschwerden, Trockenheit von Mund und Augen) wurde in einer randomisierten Studie mit 147 Patient*innen die Thyreoidektomie gegen die medikamentöse Standardtherapie (Hormonsubstitution) getestet.17
Signifikante Verbesserung der Lebensqualität, Fatigue-Symptomatik und Abnahme der Anti-TPO-Antikörper-Titer
Hypothese: Normalisierung der Anti-TPO-Antikörper-Titer führt zu:17
verminderter Cross-Reaktion der Antikörper mit anderen Geweben, z. B. Gelenken
Cave: Operatives Risiko gegen mögliche o. g. Vorteile abwägen.
Prävention
Physiologische Selenspiegel können der Entwicklung einer Schilddrüsenerkrankung entgegenwirken.16
Sowohl Mangel als auch Überversorgung von Selen vermeiden.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt als tägliche Selen-Zufuhr für Männer 70 µg und für Frauen 60 µg.18
Selenreiche Lebensmittel sind Paranüsse (cave: radioaktiv, kein übermäßiger Verzehr empfohlen), Pilze, Spargel und Hülsenfrüchte.19
Tierfutter darf in der Europäischen Union mit Selen angereichert werden. Deshalb können tierische Lebensmittel wie Fleisch und Ei relativ konstant zur Selenversorgung beitragen.19
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Im frühen Stadium liegt häufig eine kurze Phase der Hyperthyreose (meist einige Monate lang), im weiteren Krankheitsverlauf meist eine Hypothyreose vor.
seltene Enzephalopathie mit Bewusstseinsstörungen und Verwirrung
Abwesenheit von zentralnervösen Infektionen, Tumoren
MRT-Befunde in der Regel unauffällig
Nachweis von erhöhten Schilddrüsen-Auto-Antikörpern
Therapie: Steroidgabe
Prognose
In der Regel entwickelt sich eine dauerhafte Hypothyreose und die Schilddrüsenhormone müssen lebenslang substitutiert werden.1
Eine Subpopulation von euthyreoten Hashimoto-Thyreoiditiden mit niedrigen AK-Titern könnte ein erhöhtes Risiko für differenzierte Schilddrüsenkarzinome aufweisen, jedoch nicht der typische hypothyreote Hashimoto mit hohen TPO-AK-Spiegeln.21
In der Anfangsphase sind subakute und chronische lymphozytäre Thyreoiditis kaum zu unterscheiden.
Bei einem sonografisch nicht Hashimoto-typischen Bild und niedrigen AK-Titern sollte daher im Verlauf nach einer hypothyreoten Thyreoiditisphase eine Reduktion oder Beendigung der Substitution unter TSH-Kontrollen mit den Patient*innen besprochen werden.8
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
Der M. Hashimoto ist eine chronische, nicht heilbare Erkrankung, die sich jedoch gut behandeln lässt.1
Vanderpump MP, Tunbridge WM, French JM, et al. The incidence of thyroid disorders in the community: a twenty-year follow-up of the Whickham Survey. Clin Endocrinol (Oxf). 1995;43(1):55–68. www.ncbi.nlm.nih.gov
Heufelder A.et al. Die Thyreoiditiden: Aktueller Stand der Pathogenese, Diagnostik und Therapie. Dt Ärztebl 1998; 95: A-466–476. www.aerzteblatt.de
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Autoimmunthyreoiditis. AWMF-Leitlinie Nr. 027-040. Stand 2011. www.awmf.org
Fukata S, Kuma K, Sugawara M. Relationship between cigarette smoking and hypothyroidism in patients with Hashimoto's thyroiditis. J Endocrinol Invest 1996;19:607-612. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. AWMF Leitlinie Nr. 053-046. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
Block B. Innere Medizin - Leitlinien 2007/2008. Stuttgart: Georg Thieme, 2007.
Patel S, Giampoli E, Oppenheimer D, et al. Sonographic Features of Diffuse Hashimoto Thyroiditis: Determining Sensitivity of Features and Predictors of Malignancy. American Journal of Sonography 2018; 1(6): 1-7. americanjs.com
Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin e. V. (DGN). Schilddrüsenszintigraphie. AWMF-Leitlinie Nr. 031-011. S1. Stand 2014. Letzter Zugriff 10.12.20. www.nuklearmedizin.de
Alexander EK, Marqusee E, Lawrence J, et al. Timing and magnitude of increases in levothyroxine requirements during pregnancy in women with hypothyroidism. N Engl J Med 2004; 351: 241-49. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Negro R et al. Levothyroxine treatment in euthyroid pregnant women with autoimmune thyroid disease: effects on obstetrical complications. J Clin Endocrinol Metab 2006; 91: 2587-91. www.ncbi.nlm.nih.gov
Initative Klug entscheiden...in der Endokrinologie. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, Heft 17, 29. April 2016. www.dgim.de
Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in der Schwangerschaft. Presseinformation vom 22.09.20. Letzter Zugriff 29.11.2020. www.dge.de
Ventura M, Melo M, Carrilho F. Selenium and Thyroid Disease: From Pathophysiology to Treatment. International Journal of Endocrinology 2017. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Dralle H. Bei symptomatischer Hashimoto-Thyreoiditis ist die Thyreoidektomie der medikamentösen Therapie überlegen. Der Chirurg 2020; 91: 76. link.springer.com
Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Referenzwerte Selen. Letzter Zugriff 11.12.2020. www.dge.de
Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Ausgewählte Fragen und Antworten zu Selen. Letzter Zugriff 11.12.2020. www.dge.de
Zhou JY, Xu B, Lopes J et al. Hashimoto encephalopathy: literature review. Acta Neurol Scand 2017; 135(3): 285-90. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Paparodis R, Imam S, Todorova-Koteva K, et al. Hashimoto's Thyroiditis Pathology and Risk for Thyroid Cancer. Thyroid. July 2014, 24(7): 1107-1114. https://doi.org/10.1089/thy.2013.0588 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Definition:Autoimmunerkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen die eigenen Schilddrüsenzellen richtet. Häufigkeit:Häufigste Ursache einer Hypothyreose in Deutschland.