Definition:Beim Kabuki-Syndrom handelt es sich um eineangeborene Erkrankung mit charakteristischem Aussehen, verzögerter Entwicklung und verschiedenen typischen Fehlbildungen. Ursächlich sind Varianten im KMT2D-Gen, seltener im KDM6A-Gen; meistens de novo entstanden.
Häufigkeit:Die Prävalenz wird auf 1–9/100.000 geschätzt. Beide Geschlechter sind gleichermaßen häufig betroffen.
Symptome:Charakteristisches Aussehen (lange Lidspalten, stark geschwungene Augenbrauen kurze Columella, große abstehende Ohren), Skelettanomalien (Anomalien der Wirbelsäule, Brachydaktylie V), milde bis moderate geistige Behinderung, postnatale Wachstumsverzögerung; daneben sind weitere strukturelle und funktionale Auffälligkeiten beschrieben (z. B. Schielen, Gaumenspalten, Herzfehler, Hörverlust, herabgesetzte Immunantwort, etc.).
Befunde:Kardinalsymptome (typische faziale Auffälligkeiten, Skelettanomalien, persistierende fetale Fingerspitzenpolster, milde bis moderate geistige Behinderung, postnatale Wachstumsverzögerung) in Kombination mit weiteren strukturellen und/oder funktionalen Auffälligkeiten.
Diagnostik:Die Diagnose kann gestellt werden bei Individuen mit infantiler Hypotonie, Entwicklungsverzögerung und/oder geistiger Behinderung in Kombination mit 1) typischen Gesichtsauffälligkeiten und/oder 2) einer heterozygoten pathogenen Variante im KMT2D-Gen/KDM6A-Gen.
Das Kabuki-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung, die in den meisten Fällen auf eine De-novo-Mutation (neu entstandene Veränderung) im KMT2D-Gen zurückzuführen ist.1-2
Das Syndrom ist durch auffällige Gesichtszüge, strukturelle Fehlbildungen und Lernstörungen sowie milde bis moderate geistige Behinderung gekennzeichnet.3
Die Prävalenz in Japan wird mit 1 pro 32.000 angegeben.5
Die Erkrankung tritt in allen Teilen der Erde auf.
Die genaue Häufigkeit in Deutschland ist nicht bekannt, doch aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Zahlen aus Japan auf den Rest der Welt übertragbar.
Das Syndrom tritt bei beiden Geschlechtern gleich häufig auf.5
Ursachen
Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen mit klinischen Merkmalen des Kabuki-Syndroms sind Mutationen im KMT2D-Gen nachweisbar.
Seltener sind Varianten im KDM6A-Gen auf dem X-Chromosom ursächlich.1,3,5-6
Da in etwa 1/4 der Fälle keine Mutation in einem der beiden bekannten Gene nachweisbar ist, kommen auch Defekte in weiteren, noch nicht identifizierten Genen als mögliche Ursache des Kabuki-Syndroms infrage.
Autosomal-dominante (KMT2D) bzw. X-chromosomale Vererbung (KDM6A)
In den meisten Fällen sind die Mutationen de novo (also nicht bei den Eltern von Betroffenen nachweisbar) entstanden, daher besteht nur ein geringes Wiederholungsrisiko für Geschwister von Betroffenen.
Das Wiederholungsrisiko wird auf 1 % geschätzt, da die Möglichkeit eines parentalen Keimzellmosaiks besteht.3
Das Kabuki-Syndrom ist eine Diagnose, die bei Kindern mit auffälligen Gesichtszügen, Lernstörungen und Verzögerungen der psychomotorischen Entwicklung in Betracht gezogen werden sollte.3
Diagnosesicherung kann erfolgen bei:
langen Lidspalten in Kombination mit typischen Auffälligkeiten des Gesichts (mindestens 2 der unter auffällige Gesichtszüge genannten Punkte sollten zutreffen)
und/oder heterozygote pathogene Variante im KMT2D-Gen oder heterozygote/hemizygote Variante im KDM6A-Gen.3-4
Typische Symptome
Erstmals wurde das Syndrom 1981 von den Japanern Yoshikazu Kuroki und Norio Niikawa beschrieben.5
Das Aussehen von Betroffenen erinnert an geschminkte Schauspieler der traditionellen japanischen Theaterform Kabuki – daher der Name.
An ein Kabuki-Syndrom sollte bei jeglicher Kombination folgender Auffälligkeiten gedacht werden:3,5,7
auffällige Gesichtszüge
lange Lidspalten mit Eversion des seitlichen Drittels des Unterlids
bogenförmige Augenbrauen, im äußeren Drittel weniger dicht
eingesunkene Nasenspitze
große und leicht abstehende („becherförmige“) Ohren
Vertiefungen in der Struktur des Außenohres („Ear Pits“) bei etwa 20 % der Patient*innen
Überwachung von Körpergröße, Gewicht und Kopfumfang anhand der Perzentilenkurven3
Bei Geburt zeigen viele Betroffene normale Größenwerte; postnatal kommt es zu einem verlangsamten Wachstum (ohne Behandlung nach ca. 12 Monaten auffällig).7
Im Jugend- und Erwachsenenalter entwickeln viele Betroffene Übergewicht.
Neurologie
Muskuläre Hypotonie
Kann zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme führen.
Relativ häufig entwickeln sich zu wenige und zu kleine Zähne, die in einem größeren Abstand zueinander stehen.
Ein kleiner Zahnbogen und Bissprobleme sind möglich. Bei manchen Patient*innen entwickeln sich ungewöhnlich geformte Zähne (vor allem Schneidezähne).
Augen und Sehvermögen
Auffälligkeiten bei mehr als 1/3 der Patient*innen1,3
Bei etwa der Hälfte der Patient*innen mit Kabuki-Syndrom weisen die Augen Unregelmäßigkeiten auf.
Zu den häufigsten Befunden zählen Ptosis, Strabismus und eine blaue Sklera. Seltener sind Brechungsfehler, grauer Star, verzögerte Sehentwicklung und Nystagmus (unwillkürliche rhythmische Augenbewegungen) sowie andere Arten von Sehstörungen zu beobachten.
Bei etwa 25 % der Patient*innen mit Kabuki-Syndrom sind Lageanomalien der Niere, eine Hydronephrose oder andere Nieren-/Harnwegsdefekte zu beobachten.
Auch ein verkleinerter Penis und eine Harnröhrenfehlbildung (Hypospadie) sind beschrieben.
Gastrointestinaltrakt
Neugeborene sollten auf Fehlbildungen des Verdauungssystems untersucht werden.
Hernien sind bei 10 % der Patient*innen zu beobachten.
Andere Magen-Darm-Anomalien sind selten und treten bei schätzungsweise 5 % der Patient*innen auf.
Am häufigsten betreffen die Anomalien Anus und Rektum (Fisteln, Analatresie).1,3
Muskuloskelettales System
Hypermobile Gelenke kommen bei 50–75 % der Patient*innen vor.
Achten Sie auf die mögliche Entwicklung einer Skoliose (Seitabweichung der Wirbelsäule).
Ein verminderter Kopfumfang (Mikrozephalie) kann vorliegen.1
Endokrines System
Häufig setzt die Brustentwicklung vorzeitig ein.
Auch bei Jungen mit dem Kabuki-Syndrom ist ein Brustwachstum möglich. Dieses bildet sich jedoch in der Regel spontan wieder zurück.
Kleinwuchs
Ohne Wachstumshormontherapie liegt die durchschnittliche Größe im Erwachsenenalter –2.99 SD und –1.08 SD unterhalb der Zielgröße bei männlichen Betroffenen und zwischen –5,57 and –1,47 SD bei weiblichen Betroffenen.3
Hyperinsulinismus
Kann als Symptom bereits bei Neugeborenen auftreten.
Blut und Immunabwehr
Häufige und wiederkehrende Infektionen (z. B. Otitis media) finden sich bei dem Großteil der Betroffenen.1,3
Bei V. a. Kabuki-Syndrom sollte zur weiteren Abklärung der Verdachtsdiagnose und zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen eine Überweisung zu einer pädiatrischen und humangenetischen Praxis erfolgen.
Therapie
Das Kabuki-Syndrom erfordert eine interdisziplinäre Behandlung (in Deutschland z. B. in speziellen sozialpädiatrischen Zentren), die die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen berücksichtigt.10
Die klinische Symptomatik kann sehr stark variieren und erfordert daher eine individuell an jede betroffene Person angepasste Therapie.3,10
Therapeutenteam aus Logopäd*innen, Physiotherapeut*innen, Psycholog*innen, Kardiolog*innen, Kinderneurolog*innen etc.
Bei Patient*innen mit überbeweglichen Gelenken sollten Aktivitäten mit möglicher Gelenkschädigung vermieden werden (z. B. Trampolinspringen).
Prognose
Die Prognose ist im Allgemeinen gut, wenn schwerwiegendere Komplikationen wie z. B. Herzfehler adäquat behandelt werden.3
Die Autonomie von Betroffenen kann eingeschränkt sein und u. U. eine lebenslange Unterstützung erfordern.
Boniel S, Szymańska K, Śmigiel R, Szczałuba K. Kabuki Syndrome-Clinical Review with Molecular Aspects. Genes (Basel). 2021 Mar 25;12(4):468. doi: 10.3390/genes12040468. PMID: 33805950; PMCID: PMC8064399. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
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Autor*innen
Laura Morshäuser, Dr. med., Ärztin, Karlsruhe
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Kabuki-Syndrom
BBB MK 02.12.2021 umgeschrieben und für Deutschland angepasst.
Definition:Beim Kabuki-Syndrom handelt es sich um eine angeborene Erkrankung mit charakteristischem Aussehen, verzögerter Entwicklung und verschiedenen typischen Fehlbildungen. Ursächlich sind Varianten im KMT2D-Gen, seltener im KDM6A-Gen; meistens de novo entstanden.