Allgemeine Informationen
Definition
- Das Vaginalkarzinom geht von der Oberfläche, den Drüsen oder tieferen Strukturen in der Vagina aus.
- Die allermeisten Vaginalkarzinome sind Plattenepithelkarzinome
Häufigkeit
-
Äußerst selten1:
-
2 % aller gynäkologischen Malignome
-
pro Jahr erkranken ca. 0,4-1 von 100.000 Frauen daran
- Altersgipfel zwischen 60. und 70. Lebensjahr
-
- Entsprechend dünne Studienlage.
- Eine deutsche Leitlinie "Vaginalkarzinom, Diagnostik, Therapie und Nachsorge" ist angemeldet, die Fertigstellung ist für Sommer 2017 vorgesehen.
Ätiologie und Pathogenese
- Zusammenhang mit HPV-Infektionen
Histologie1
- Plattenepithelkarzinom: 83 %
- Malignes Melanom: 3 %
- Adenokarzinom: 8 %
- Sarkom: 3%
- Undifferenzierte, kleinzellige Karzinome und Lymphome: 3 %
Stadieneinteilung des Vaginalkarzinoms (FIGO/TNM)2:
-
- Stadium I/T1: Tumor auf die Vagina begrenzt
- Stadium II/T2: Infiltration des paravaginalen Gewebes, aber nicht bis zur Beckenwand
- Stadium III/T3: Erreichen der Beckenwand
- Stadium IV:
- IVa /T4 Infiltration der Blasen- oder Rektummukosa oder Überschreitung der Grenzen des kleinen Beckens
- IVb/M1: Fernmetastasen
- direktes Tumorwachstum außerhalb des Beckens oder Fernmetastasen
Regionäre Lymphknoten:
-
- Obere zwei Drittel der Vagina: Beckenlymphknoten
- Unteres Drittel der Vagina: inguinale und femorale Lympgknoten
- Befall regionärer Lymphknoten: N1
Ausbreitung
-
- Meist lokal destruierendes Wachstum (Parakolpium, Blase, Darm, Skelett)
- Evtl. Ausbreitung zu den regionären Lymphknoten
- Fernmetastasen (Lunge, Leber,Skelett) sind selten1
Disponierende Faktoren
- HPV-Infektion (Subtyp 16 und 18)
- Hohes Lebensalter
- Anderen gynäkologischen Erkrankungen: CIN, Zervixkarzinom, seltener Vulvatumoren
- vorangegangene Strahlentherapie
- chronische Reizzustände (z.B. bei Dauerbehandlung mit Pessar)1
ICPC-2
- X77 Bösartige Neubild. in den weiblichen Geschlechtsorganen IKA
ICD-10
- C52 Bösartige Neubildung der Vagina
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Inspektion und Palpation reichen in der Regel zur Stellung einer klinischen Diagnose aus
- Biopsie und histologische Untersuchungen bestätigen die Diagnose
Differenzialdiagnosen
- Präinvasive Beschwerden
-
- bei forgeschrittener Dysplasie und Carcinoma in situ mit nachfolgender Hysterektomie kommt es dennoch anschließend in 7,4 % der Fälle zur VAIN3
-
- Zervixkarzinom:
- greift das Karzinom auf die Zervix über, ist dieses als Zervixkarzinom zu werten1
- Vulvakarzinom:
- greift das Karzinom auf die Vulva über, ist dieses als Vulvakarzinom zu werten1
Anamnese
Klinik1:
- Vaginale Blutungen, insbesondere postkoital
- Vaginaler Fluor, übel riechen, blutig
- Miktions- und Defäkationsbeschwerden
- Schmerzen
- im Becken bei Infiltration des Plexus sakralis
- lumbal bei Harnstau
- Klinische Zeichen für Thrombose
- Asymptomatisch in 5-10 %
Klinische Untersuchung
- Gynäkologische Untersuchung inkl. Koloskopie, Schiller-Iod Probe und Pap-Abstrich der Zervix
- Meist sichtbarer Tumor, eventuell mit nicht heilenden Ulzera (zumeist im oberen Vaginaldrittel und an der Scheidenhinterwand lokalisiert1)
- Kann warzenähnliche imponieren
- Kann zu ekzemartigen Veränderungen führen
- Evtl. pigmentierte Veränderungen
- Malignes Melanom hat typisches Aussehen, Biopsie sollte vermieden werden
- Palpation der inguinalen Lymphknoten, klinische Untersuchung
Ergänzende Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
- keine, bei Verdacht sofortige Überweisung zum Gynäkologen
Diagnostik beim Spezialisten1
- Gynäkologische Untersuchung in Narkose mit Palpation der Lymphknoten in der Leiste
- Kolposkopie
- Zytologischer Zervixabstrich
- Vaginalsonografie und Endometriumbiopsie bzw. fraktionierte Abrasio zum Ausschluss eines Endometriumkarzinoms mit Vaginalmetastase
- Biopsie des Tumors
- Staging bei nachgewiesenem Vaginalkarzinom :
- Röntgenthorax
- Urogramm
- Urethrozystoskopie
- Prokto- und Rektoskopie
- MRT des Beckens, CT des Abdomens
- Skelettröntgen
Wann überweisen
- Bei Verdacht auf malignen Tumor der Vagina
Therapieziel
- Das Ziel ist Heilung bzw Erhalt der Lebensqualität
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung sollte in einer Spezialabteilung mit gynäkoonkologischer Expertise durchgeführt werden.
- Die Strahlentherapie steht im Vordergrund, da bei der Operation die Problematik der ausreichend weiten gesunden Resektionsränder besteht.
- Radiochemotherapie scheint Prognose verbessern zu können4, ist jedoch noch keine Routinetherapie
- Chemotherapie spielt aufgrund des schlechten Ansprechens beim Vaginalkarzinom eine untergeordnete Rolle
- Die Behandlung wird auf Grundlage der Stadieneinteilung des Tumors, der Histologie und des Ausgangspunkts festgelegt.
Radiatio
- häufigstes Therapiekonzept beim Vaginalkarzinom (bis zu 80 %)1
- Indikation1:
- VAIN bei älteren, nicht operablen Patientinnen
- Primärbehandlung Vaginalkarzinom
- im Stadium I und II der Operation ebenbürtig
- Nachteil: Vaginalstenosen
- Rezidivsituation Vaginalkarzinom
- Beckenwandrezidiv als palliative Therapie
- zentrale Rezidive mit besserer Prognose
Operative Behandlung
- VAIN1:
- vollständige lokale Exzision, selten Kolpektomie erforderlich
- Alternative: Lasertherapie (cave: keine histologische Kontrolle möglich)
- Vaginalkarzinom1:
- im Stadium I sinnvoll möglich, ggfs. im Stadium II (häufiger Radiatio)
- Vorteil gegenüber der Betrahlung: Erhalt der sexuellen Funktion
- Kolpektomie
- Lokalisation des Karzinoms im oberen Scheidendrittel:
- Radikale Hysterektomie, partielle Kolpektomie, pelvine Lymphonodektomie
- Lokalisation im distalen Drittel:
- radikale Kolpektomie, ggf. Vulvektomie, inguinale Lymphonodektomie
- vor primärer Radiatio: inguinale Lymphonodektomie zur Planung
- Lokalisation des Karzinoms im oberen Scheidendrittel:
- Exenteration:
- Indikation:
- Stadium IVa bei Fisteln
- im Einzelfall in der Rezidivsituation
- Anlage einer Neovagina erwägen
- Indikation:
Medikamentöse Therapie
- Remission unter Chemotherapie nur in 6-20 %1
Palliativbehandlung
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- bei 3-5 % der Patientinnen mit VAIN entsteht ein invasives Karzinom1
- Lokale Rezidive des Vaginalkarzinoms sind häufig, insbesondere innerhalb von 1,5 Jahren1
Komplikationen
- Nach Operation und Bestrahlung kann die Wundheilung lange dauern
- Deformationen des Hautbereichs mit relevanten Vaginalstenosen
- insbesondere nach Bestrahlung
- Problematisch vor allem für jüngere und sexuell aktive Patientinnen
- Fistelbildung zu Nachbarorganen
Prognose
- Die Prognose ist vom Stadium abhängig, die wichtigsten Einzelfaktoren sind die Größe des Tumors und die Häufigkeit von Metastasen.
- 5-Jahres-Gesamtüberleben bei Vaginalkarzinom:
-
- Stadium I: 73 %
- Stadium II: 51 %
- Stadium III: 33 %
- Stadium IV: > 20 %
Verlaufskontrolle
Nachsorge1
- Gründliche Kontrollen beim Gynäkologen sind aufgrund der hohen Rezidivraten wichtig
- Kontrollen alle 3 Monate im 1.-3 Jahr, alle 6 Monate im 4. und 5. Jahr, danach jährliche Kontrollen
- lokale Kontrolluntersuchung inklusive Zytologie und Vulvoskopie
- Biopsien und Reexzision können erforderlich sein
Patienteninformation
Beratungsangebot
- Empfehlung von lokaler Östrogenisierung und Hilfsmitteln (z.B. Vaginalprothesen)
- Ziel: Annehmen von Veränderungen des Körpers als Folge der Therapie und Rückkehr zu einer befriedigenden Sexualität
- Patientin darauf hinweisen, dass es sich um medizinisch notwendige Maßnahmen handelt
- Ziel: Abbau von Scheu vor dem Einsatz von Hilfsmitteln
- Narbenpflege und -massage mit östrogenhaltigen Cremes oder Vaginalzäpfchen
- Konsequente lokale Östrogenisierung nach Vaginalkarzinom sinnvoll1
- zur Vorbeugung einer ausgeprägten Narbenbildung und zur Akzeptanz eines veränderten Erscheinungsbildes
- Konsequente lokale Östrogenisierung nach Vaginalkarzinom sinnvoll1
- wasserlösliche Gleitgels
- bei Störungen der Lubrifikation
- Dilatatoren
- zum Offenhalten der Scheide
- zur Förderung der Elastizität
- zur Therapie von Stenosen
- treten insbesondere nach Radiatio auf
- Muskelentspannende Übungen (Kegel-Übungen) gegen Penetrationsscherz
- Ermutigung, frühzeitig nach Behandlungsabschluss der Therapie wieder mit sexuellen Aktivitäten zu beginnen
- Intervalle nach Operation und Abschluss der Radio(chemo)therapie:
- abhängig von der Größe, Beschaffenheit und Lokalisation der Narbe
- Intervalle zwischen 3-6 Wochen können zumeist bedenkenlos empfohlen werden, das Intervall kann auch bei 6 bis 10 Wochen liegen
- Intervalle nach Operation und Abschluss der Radio(chemo)therapie:
- Bei sexuellen Problemen: Lösung braucht Zeit:
- Trauerarbeit über irreversible Verluste und Einschränkungen sexueller Funktionen oder Erlebnismöglichkeiten erforderlich
- Vermeidung schulmedizinisch orientierter Gesprächsführung mit der Suche nach einer schellen Lösung für die Patientin
-
- mit konsekutiver Verhinderung der notwendigen Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen
-
- multiprofessionelle und interdisziplinäre Betreuung dieser Patientinnen unter Einbeziehung psycho(onko)logischer und sexualtherapeutischer Expertise
Welche schriftliche Patienteninformationen gibt es dazu
- Zytostatika – eine allgemeine Orientierung
- Bestrahlung
- Schmerzen und Schmerzbehandlung
- Lymphödem nach Operation von Unterleibskrebs
- Für alle, die wenig essen – Ernährungstipps
Lindernde Behandlung bei fortgeschrittener Krebserkrankung
- Palliativmedizin
- Angst
- Schmerzbehandlung
- Brechreiz und Erbrechen
- Verstopfung
- Mundtrockenheit
- Atembeschwerden
- Schwere Abmagerung und Entkräftung
- Es kann zu depressiven Verstimmungen oder Depressionen kommen.
- Delirium
Quellen
Literatur
- Petru E., Jonat W., Fink D., Köchli O.. Praxisbuch Gynäkologische Onkologie. Graz, Kiel und Zürich: Springer, 2011.
- Wittekind C, Meyer H-J. UICC TNM Klassifikation maligner Tumoren. Weinheim: Wiley-Blackwell, 2012.
- Schockaert S, Poppe W, Arbyn M, Verguts T, Verguts J. Incidence of vaginal intraepithelial neoplasia after hysterectomy for cervical intraepithelial neoplasia: a retrospective study. . Am J Obstet Gynecol 2008; 199(2): 113.e1-5. doi:10.1016/j.ajog.2008.02.026 DOI
- Dalrymple JL, Russell AH, Lee SW, Scudder SA, Leiserowitz GS, Kinney WK, Smith LH. Chemoradiation for primary invasive squamous carcinoma of the vagina . Int J Gynecol Cancer 2004; 14(1): 110-7. pmid:14764038 PubMed
Autoren
- Julia Trifyllis, Dr. med., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W
- Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, redaktør NEL
- Per Bergsjø, professor emeritus, dr. med., Universitetet i Bergen. Spesialist i kvinnesykdommer og fødselshjelp, forsker ved Nasjonalt folkehelseinstitutt, Oslo