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Körperliche Aktivität, insbesondere bei Übergewicht und Adipositas

Allgemeine Informationen

  • Bewegung ist gesundheitsfördernd, wird in vielen Teilen der Bevölkerung aber zu wenig praktiziert.1
  • In Deutschland ist über die Hälfte der Erwachsenen übergewichtig.2
  • Die Folge des Bewegungsmangels und Übergewichts ist der Vormarsch sog. Zivilisationskrankheiten, die die weltweiten wie deutschen Todesursachenstatistiken anführen, allen voran kardiovaskuläre Erkrankungen.3-4
  • Es gibt auch Hinweise darauf, dass langes Sitzen, unabhängig vom Grad der körperlichen Aktivität, zu einem erhöhten Risiko von Herz-Gefäß-Erkrankungen, Krebserkrankungen, Typ-2-Diabetes und zu einem frühen Tod führt.5
  • Die präventiv wie auch therapeutisch wirksamen Effekte eines angemessenen Aktivitätsniveaus sind gut gesichert. Sie gelten für eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen, darunter KHK6-10, Typ-2-Diabetes11-12, Krebserkrankungen13 und psychiatrische Erkrankungen.14
  • Der entscheidende Schritt mit der höchsten Wirksamkeit besteht von der Inaktivität zur moderaten körperlichen Aktivität.15
  • Die Ursachen des Bewegungsmangels sind vielfältig und wahrscheinlich überwiegend umwelt- und systembedingt. Lösungsansätze sollten daher insbesondere auf der politischen Ebene entwickelt werden.16 Dies entlässt die Hausärzt*innen jedoch nicht aus ihrer Verantwortung.
  • Als Primärversorger haben Hausärzt*innen gute Kontakte zur Allgemeinbevölkerung und zu besonders gefährdeten Patientengruppen.
  • Das Hausarztsetting kann nachweislich Patient*innen darin unterstützen, den Umfang ihrer körperlichen Aktivität langfristig auf das empfohlene Niveau zu erhöhen (geschätzte NNT von 12–25, vgl. geschätzte NNT für Raucherentwöhnung 50–120).17 Bereits eine geringe Steigerung der körperlichen Aktivität reduziert Risiken und verbessert Prognosen.

Definitionen

Definition von körperlicher Aktivität

  • Körperliche Aktivität ist von Sport abzugrenzen. Deutlich wird der Unterschied unter Zuhilfenahme des Begriffspaars unstrukturierte und strukturierte körperliche Aktivität.
    • Sport stellt „eine gezielte, strukturierte körperliche Aktivität dar, u. a. mit dem Ziel, den Energieumsatz zu steigern und die körperliche Fitness (z. B. Ausdauer, Kraft, Geschicklichkeit und Gleichgewicht) auszubauen“.
    • (Unstrukturierte) körperliche Aktivität ist „jegliche körperliche Bewegung, initiiert durch die Skelettmuskulatur, die zu einer wesentlichen Erhöhung des Energieverbrauchs über das Ruheniveau hinaus führt".18 Sie entspricht jeder körperlichen Betätigung und Bewegung im Alltag (z. B. Treppensteigen, Spaziergänge, Besorgungen zu Fuß, Gartenarbeit).

ESC-Leitlinie: Empfehlungen zur körperlichen Aktivität19

  • Gesunden Erwachsenen aller Altersklassen wird mindestens 150 Minuten gemäßigtes aerobes Fitnesstraining in der Woche (je 30 Minuten an 5 Tagen/Woche) oder 75 Minuten/Woche intensives aerobes Fitnesstraining (je 15 Minuten an 5 Tagen/Woche) oder eine gleichwertige Kombination beider empfohlen.
  • Um den Nutzen bei gesunden Erwachsenen zu erhöhen, wird eine allmähliche Steigerung der Dauer von gemäßigtem aerobem Fitnesstraining auf 300 Minuten in der Woche bzw. auf 150 Minuten in der Woche bei intensivem aerobem Fitnesstraining empfohlen. Auch hier ist eine Kombination möglich.
  • Eine regelmäßige Erfassung und Beratung zur körperlichen/sportlichen Aktivität wird empfohlen, um das Engagement zu verbessern und nötigenfalls eine Steigerung der körperlichen/sportlichen Aktivität im Lauf der Zeit zu unterstützen.
  • Sport sollte mehrmals die Woche betrieben werden, jeweils ≥ 10 Minuten dauern und gleichmäßig über die Woche verteilt werden, d. h. auf 4–5 Tage in der Woche, vorzugsweise täglich.
  • Personen mit geringem Risiko wird Sport uneingeschränkt empfohlen.
  • Personen mit bevorzugt sitzender Lebensweise mit Risikofaktoren, die eine intensivere körperliche Aktivität beabsichtigen, sollten sich zuvor einer sorgfältigen klinischen Untersuchung (ggf. einschl. Belastungstest) unterziehen.

Definition von Übergewicht und Adipositas

  • Der Body-Mass-Index (BMI) ist das am häufigsten verwendete Maß zur Definition von Übergewicht und Adipositas. Er wird als das Verhältnis von Körpergewicht zum Quadrat der Körpergröße (kg/m2) berechnet.2
    • Untergewicht < 18,5
    • Normalgewicht 18,5–24,9
    • Übergewicht 25,0–29,9
    • Adipositas 30 oder höher
      • Adipositas ist von der WHO als eigenständige Krankheit eingestuft (ICD-10 E66).
  • Ein Nachteil bei der Verwendung des BMI ist es, dass er nicht zwischen Fett- und Muskelmasse unterscheidet.
  • Da die Ansammlung von Fett im Bereich des Bauches ein unabhängiger Risikofaktor für verschiedene Erkrankungen ist, ist es ebenfalls wichtig, ein Maß für das Bauchfett zu haben.
  • Ein einfaches Maß dafür ist der Taillenumfang.
    • Er sollte bei Männern nicht über 102 cm und
    • bei Frauen nicht über 88 cm liegen.
  • DEGAM-Sondervotum zur Messung des Taillenumfanges
    • Nach Ansicht der DEGAM ist es in der Primärversorgung nicht sinnvoll, bei allen Patient*innen den Taillenumfang zu messen, ohne die individuelle Ausgangssituation zu berücksichtigen. Schwellenwerte in diesem Kontext sind wenig hilfreich. Viel wichtiger ist die Gesamtschau der einzelnen Risikofaktoren und Komorbiditäten sowie die Einschätzung der Körperform unter Einbeziehung des Körpergewichts.20

Epidemiologie

Körperliche Aktivität 

  • In Deutschland ist der Anteil der körperlich Aktiven in den letzten Jahren signifikant gestiegen, trotzdem achtet nur etwa 1/3 der Erwachsenen auf ausreichende Bewegung.21
  • In Deutschland üben nur 42,6 % der Frauen und 48,0 % der Männer mindestens 2,5 Stunden in der Woche aerobe körperliche Aktivität aus.22
  • Für alle Altersgruppen bei Frauen und Männern gilt:
    • Je höher der Bildungsstand, desto häufiger wird die empfohlene körperliche Aktivität erreicht.22

Übergewicht und Adipositas

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
    • Insgesamt Betroffene
      • In Deutschland sind 54,0 % der Erwachsenen von Übergewicht einschließlich Adipositas betroffen.
      • Mit zunehmendem Alter steigt sowohl bei Frauen als auch bei Männern die Prävalenz von Übergewicht und/oder Adipositas an.
    • Übergewicht
      • Männer haben mit 43,3 % häufiger Übergewicht als Frauen (28,8 %).
    • Adipositas
      • etwa 18 % der Erwachsenen in Deutschland, keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern

    Hausärztliche Interventionen zur Steigerung des Aktivitätsniveaus von Patient*innen

    • Strukturierte wie unstrukturierte körperliche Aktivität wirken sich positiv auf die Gesundheit aus. Patient*innen sollten unabhängig von individuellen Trainingszielen zu alltäglicher Aktivität ermuntert werden (z. B. Treppensteigen, Spaziergänge, Besorgungen zu Fuß, Gartenarbeit).
    • Körperliche Aktivität ist für viele Erkrankungen eine effektive Therapieform.

    Welche Patient*innen profitieren?

    • Die körperliche Aktivität von Patient*innen kann durch Primärversorger*innen gesteigert werden. Jedoch ist der Effekt klein bis moderat.
      • Besonders effektiv ist die Beratung bei bisher inaktiven Patient*innen und wenn mehrere verschiedene Techniken zur Verhaltensveränderung eingesetzt werden.17
    • In internationalen Leitlinien werden folgende Patientengruppen für Beratungen bezüglich körperlicher Aktivität empfohlen, da bei ihnen die größten Effekte zu erwarten sind:23
      • Patient*innen mit überwiegend sitzendem Lebensstil bzw. inaktive Menschen
      • chronisch kranke Patient*innen (KHK, Diabetes mellitus, Depression etc.)
      • Patient*innen mit erhöhtem Risiko für Folgeerkrankungen (Übergewicht, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, psychische Belastung etc.).

    Welche Methoden und Inhalte sind geeignet?

    • Die Wahl geeigneter Inhalte und Techniken von Interventionen zur Aktivitätssteigerung von Patient*innen sollte in erster Linie auf der Grundlage wissenschaftlicher Evidenz beruhen. Andererseits ist eine Anpassung an die jeweiligen Patient*innen und das Gesamtsetting erforderlich.
    • Zeit ist ein begrenztes Gut in der täglichen Praxis. Die einzelnen Elemente der Beratungsarbeit können jedoch zeitsparend auf mehrere Schultern innerhalb des Praxisteams verteilt werden.24
    • Verhaltensorientierte Verfahren scheinen am effektivsten zu sein, in Abgrenzung von z. B. kognitiven Methoden.17
      • Sie umfassen u. a. das gemeinsame Zielesetzen von Ärzt*innen und Patient*innen, begleitendes Feedback oder Instruktionen zum Self-Monitoring. Insgesamt ist eine Kombination mehrerer Komponenten ratsam. 
    • Interventionen zur Aktivitätssteigerung von Patient*innen folgen meist einem dreistufigen Fahrplan.24
      • Eruieren Sie das für die/den Patient*in übliche Maß an Bewegung.
      • Statten Sie die Patient*innen mit allen Informationen aus, die sie für die Aufnahme eines angemessenen Trainingsprogramms benötigen.
      • Stehen Sie den Patient*innen während des Trainings unterstützend zur Seite, sodass sie an dem Programm festhalten.
    • In vielen Publikationen wird speziell für die Hausarztpraxis das einprägsame 5-A-Schema empfohlen24, das ursprünglich für die Raucherentwöhnung entwickelt wurde:25
      • Assess – Das Aktivitätsniveau der Patient*innen bestimmen.
      • Advise – Die Patient*innen zu ihren individuellen Gesundheitsrisiken und den Chancen beraten, wenn sie ihr Aktivitätsniveau erhöhen.
      • Agree – Gemeinsam mit den Patient*innen einen individuellen Aktionsplan festlegen.
      • Assist – Gemeinsam mit den Patient*innen Strategien entwerfen, die ein Festhalten am Aktionsplan bei etwaigen Hindernissen ermöglichen.
      • Arrange – Das weitere Vorgehen, Follow-up-Sitzungen planen.
    • Grundlegende Aspekte der Beratungsarbeit, die eine anhaltende Wirkung versprechen, sind:24
      • Follow-up mit Feedback
      • partizipative Zielsetzung mit den Patient*innen
      • Informationen über Bewegungsangebot vor Ort, z. B. von Selbsthilfegruppen, Sportvereinen, Fitnessstudios, Krankenkassen.

    Alltägliche Aktivitäten

    • Es ist wichtig, aus einem inaktiven Lebensstil mit Auto, Bus, Bahn, Fahrstuhl, Rolltreppen, Sessel, Fernsehen etc. auszubrechen.
    • Beispielsweise mit einem „Geh-Programm“ starten:
      • Zu Fuß zur Arbeit und nach Hause gehen oder mindestens einen Teil der Strecke zu Fuß zurücklegen, Treppen als herausfordernde Anstiege nutzen, das Auto stehen lassen und stattdessen kleine Besorgungen in der Nähe zu Fuß erledigen, ins Kino „gehen“ oder Freunde und Bekannte zu Fuß besuchen usw.
    • Der Vorteil mit einem solchen Plan ist, dass er langsam, aber sicher zu einer besseren Kondition führt, ohne größere Verletzungsrisiken, die sich bei ungewohnten Aktivitäten erhöhen.
    • Alle, die nicht so gut in Form sind und deshalb keine große Lust haben anzufangen, können sich dadurch motivieren, dass sie höchstwahrscheinlich größere Fortschritte machen, als jene, die eine bessere Kondition haben.

    Aufbau eines Trainingsprogramms

    Vor Trainingsbeginn

    • Beurteilung der Belastbarkeit durch Anamnese und Befunde, ggf. Belastungs-EKG, Echokardiografie
    • Ausschluss von Kontraindikationen
    • Einteilung in Risikogruppen
      • Überwachung durch medizinische Kontrolluntersuchungen nötig?
      • Zusätzliches Monitoring (Herzfrequenz) während des Trainings mit Zielvorgaben für den Trainingsbereich?
      • Ärztliche Überwachung, z. B. in einer Herzsportgruppe, notwendig?
    • Für Breiten- oder Gesundheitssport sollte die allgemeine Beratung zur Vermeidung von Fehlbelastungen im Vordergrund stehen. In aller Regel genügt hier eine gründliche Anamnese, Beratung und eine Gesundheitsuntersuchung, wie sie im Bereich der GKV vorgesehen ist. Lediglich bei hinweisenden Beschwerden oder gravierenden Vorerkrankungen sind weitere Untersuchungen indiziert. Eine Pathologisierung dieses Bereiches ist unbedingt zu vermeiden, allerdings sind individuelle Hinweise zur Vermeidung von sportbedingten Fehlbelastungen hilfreich.

    Aerobes Ausdauertraining

    • Geeignete Sportarten: Laufen, Schwimmen, Gehen, Radfahren, Ergometer, Stepper etc.
    • Die Trainingsintensität kann durch 5 Faktoren gesteuert werden:
      1. Herzfrequenz
      2. Leistung in Watt
      3. Sauerstoffaufnahme
      4. Blutlaktatspiegel
      5. Steuerung nach der BORG-Skala (Maß für subjektives Belastungsempfinden)26
    • Für moderates Ausdauertraining empfohlen:15  
      • 45–65 % der Herzfrequenzreserve, Borg-Wert: 11–13
      • Dauer: 30 min oder mehr pro Trainingseinheit
    • Für intensives Ausdauertraining empfohlen:15 
      • 65–85 % der Herzfrequenzreserve, Borg-Wert: 13–16
      • Dauer: 20 min oder mehr pro Trainingseinheit

    Krafttraining

    • Den ganzen Körper, d. h. möglichst viele Muskelgruppen, trainieren.
    • Empfehlung zur Trainingssteuerung15
      • Intensität: 30 % der Maximalkraft („one repetition maximum")
      • Umfang: 6–8 Übungen, 10–15 Wiederholungen
      • Verlauf: Steigerung auf 50–60 %
    • Effekte u. a.:
      • Stabilisieren des Bewegungsapparates
      • Kompensation der Abnahme der Muskelmasse mit fortschreitendem Alter
      • Verbesserung der Insulinempfindlichkeit
      • Verbesserung des Muskelmetabolismus

    Koordinationstraining

    Kombination der körperlichen Aktivität mit Ernährungsumstellung

    • Bei übergewichtigen/adipösen Patient*innen, die eine niedrigkalorische Diät beginnen, ist körperliche Aktivität wichtig, um einem Muskelverlust entgegenzuwirken.28
      • Hinsichtlich der Qualität des Gewichtsverlustes (Verhältnis zwischen Fettverlust und Verlust von Muskelgewebe) führt die Kombination aus Ernährungsumstellung und Bewegung zu signifikant besseren Ergebnissen als eine alleinige Diät.
    • Der Erhalt oder die Zunahme der Muskelmasse ist wichtig für das Ausmaß des Ruhestoffwechsels, auch wenn die Diät beendet ist.

    Leitlinien

    • In zahlreichen Leitlinien wird auf die Bedeutung von körperlicher Aktivität für die Gesundheit hingewiesen.  
    • Beispielhaft seien hier die Empfehlungen aus den DEGAM-Praxisempfehlungen20,29 und der interdisziplinären S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas"30 aufgeführt.

    DEGAM-Leitlinie: Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskularen Prävention29

    • Alle Personen sollten zu regelmäßiger körperlicher Aktivität ermutigt werden.
    • Kombination und Auswahl der körperlichen oder sportlichen Aktivität sollten sich an Vorlieben und Fähigkeiten der Einzelnen orientieren.
    • Jede regelmäßige moderate Bewegungseinheit >10 min zählt.
    • Ab täglich 15 min oder 90 min/Woche moderat intensiver Bewegung sind Effekte zu erwarten.

    DEGAM-Leitlinie: Hausärztliche Versorgung von Patient*innen  mit Adipositas/Übergewicht20

    Wer soll bei welcher Gelegenheit wie angesprochen werden?

    • Die DEGAM spricht sich dafür aus, nicht Grenzwerte allein festzulegen, oberhalb derer Hausärzt*innen aktiv werden sollten, sondern von der als ganzer gesehenen Lebens-, Gesundheits- und Behandlungssituation der Patient*innen auszugehen. Patientenkontakte, in denen bereits mit Adipositas verknüpfte Begleiterkrankungen Beratungsinhalt sind, können genutzt werden, Patient*innen auf die Adipositas anzusprechen.
    • Suchen übergewichtige Patient*innen im Zusammenhang mit Erkrankungen wie Diabetes, Schlafapnoe-Syndrom, Hypertonie, Gonarthrose usw. ärztlichen Rat, sollten sie auf die Rolle des Übergewichtes angesprochen werden. Das kann bereits im Erstkontakt, bei der Gesundheitsuntersuchung und im Rahmen einer gemeinsamen Risikobetrachtung, etwa im arriba®-Programm, und im Rahmen der DMP erfolgen. Ideale Voraussetzung ist in der Regel, dass zuvor eine vertrauensvolle, verstehende Beziehung etabliert werden konnte.

    Was soll bei der Gesprächsführung beachtet werden?

    • Respekt vor den Patient*innen bewahren und Beschämung vermeiden.
    • Erfahrung von Scham ist ein häufiges Erleben adipöser Patient*innen: Sowohl bei Kindern und Jugendlichen in der Schule, als auch am Arbeitsplatz erfahren adipöse Menschen Ausgrenzung und Diskriminierung. Soziales Ansehen und berufliche Chancen können durch Adipositas beeinträchtigt sein. Auch Arztpraxen schützen die Patient*innen nicht automatisch vor solchen Erfahrungen, zumal Behandler*in und Patient*in nicht selten unterschiedlichen Schichten angehören. Da eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Ärzt*in und Patient*in eine Basis für jede Änderung der Lebensweise darstellt, ist eine verstehende und annehmende, ärztliche Haltung basal und wichtiger als jede reine Wissensvermittlung. Eine Anamnese, die der Biografie, der Herkunftsfamilie und dem sozialen Umfeld Beachtung schenkt, ist Voraussetzung. Sie liefert Hinweise auf traumatische Erfahrungen, Lernerfahrungen in der Familie („Welche Rolle spielte das Essen in Ihrer Herkunftsfamilie?") und Hinweise auf Lebensleistungen, die später ressourcenorientiert aufgegriffen werden können.

    Wie kann Motivation zur Änderung geschaffen oder erhalten werden?

    • Ziele der Patient*innen und ihre Ambivalenz zur Änderung klären (Motivational Interviewing).
    • Innere Bilder zum Übergewicht und innere Bilder für eine Änderung der Situation ansprechen: „Welche inneren Bilder verbinden Sie mit Ihrem Übergewicht?"
    • Distanzierende Gesprächstechniken, um mit dem Thema zu konfrontieren oder um auf die Folgen eines Beibehaltens des Übergewichts hinzuweisen: „Experten würden sagen, dass...."
    • Zirkuläre Fragetechniken, um aktuelles Umfeld mit negativen oder unterstützenden Faktoren zu eruieren: „Wie, glauben Sie, würde Ihre Frau/Ihr Mann reagieren, wenn Sie es schafften, abzunehmen?"
    • Paradoxe Interventionen, um Patient*innen zu einem eigenen Benennen positiver Ziele zu bringen: „Ich könnte mir vorstellen, dass Abnehmen zu belastend für Sie ist."
    • Ressourcenorientierte Interventionen:
      • „Wo ist es Ihnen schon einmal gelungen, etwas zu verändern?"
      • „Wann haben Sie schon einmal etwas Neues gelernt?"
      • „Wann waren Sie schon einmal mutig?"
    • Auch sprachlich positive Bilder schaffen und Negativziele vermeiden. (Kein: Nie wieder! Stattdessen: Ich möchte wieder das Sommerkleid des letzten Jahres anziehen können, mit meinen Freunden wieder wandern können, mit Freunden unbeschwert ins Restaurant zum Essen gehen können, mich wieder selbstständig pflegen können.)
    • Ziele ärztlicherseits eher bescheiden und erreichbar formulieren und gemeinsam festhalten.

    DAG-Leitlinie: Prävention und Therapie der Adipositas30

    • Menschen mit Übergewicht und Adipositas sollen dazu motiviert werden, ihre körperliche Aktivität im Alltag zu steigern.
    • Übergewichtige und adipöse Menschen sollen auf die gesundheitlichen Vorteile (metabolische, kardiovaskuläre und psychosoziale) der körperlichen Aktivität hingewiesen werden, die unabhängig von der Gewichtsreduktion entstehen.
    • Im Rahmen der Patientenberatung sollen verständliche und realistische Ziele für die Ausübung der körperlichen Aktivität gesetzt werden.

    Weitere Informationen

    Patienteninformationen

    Patienteninformationen in Deximed

    Quellen

    Leitlinien

    • Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. ESC-Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Stand 2016. www.leitlinien.org
    • Deutsche Adipositas Gesellschaft. Prävention und Therapie der Adipositas. AWMF-Leitlinie Nr. 050-001. S3, Stand 2014. www.awmf.org
    • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. DEGAM-Praxisempfehlung zur hausärztlichen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Adipositas/Übergewicht, Stand 2016. www.degam.de
    • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention. Registernummer 053–024. Stand 2016. www.awmf.org

    Literatur

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    3. WHO. The top ten causes of death. Fact sheet. Stand Mai 2018. Letzter Zugriff 27.08.2020. www.who.int
    4. Statistisches Bundesamt. Todesursachen in Deutschland 2018. Letzter Zugriff 27.08.2020. www.destatis.de
    5. Biswas A, Oh PI, Faulkner GE, et al. Sedentary Time and Its Association With Risk for Disease Incidence, Mortality, and Hospitalization in Adults: A Systematic Review and Meta-analysis. Ann Intern Med. 2015;162(2):123-132. doi:10.7326/M14-1651. DOI
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    29. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM). Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention. Registernummer 053 – 024. Stand 2016. www.awmf.org
    30. DAG: Adipositas – Prävention und Therapie, Stand 2014, AWMF-Leitlinie 050 - 001. www.awmf.org

    Autor*innen

    • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
    • Erika Baum, Prof. Dr. med., Professorin für Allgemeinmedizin, Biebertal (Review) 
    • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
    • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Sport; Fitness; Gewichtsabnahme; Muskelaufbau; hausärztliche Beratung; Motivation; Training; Trainingsplan; aerobes Training; anaerobes Training; Krafttraining; Ausdauertraining
Körperliche Aktivität, insbesondere bei Übergewicht und Adipositas
BBB MK 08.09.2020, gründlich überarbeitet, aktuelle LL berücksichtigt und mit 41617 und 41620 zu einem Artikel zusammengefasst. Revision at 24.07.2015 09:59:46: Små endringer. chck go 16.8.; DEGAM Baum 15.11.16, MK 22.12.16; DEGAM Baum 23.12.16
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Bewegung ist gesundheitsfördernd, wird in vielen Teilen der Bevölkerung aber zu wenig praktiziert.1 In Deutschland ist über die Hälfte der Erwachsenen übergewichtig.2
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