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Arzneimittelinduzierte Bewegungsstörungen

Zusammenfassung

  • Definition:Verschiedene Bewegungsstörungen können durch Medikamente, insbesondere neuroaktive Substanzen, verursacht werden.
  • Häufigkeit:Abhängig von der Medikamentenklasse und der Art der Bewegungsstörung; häufig z. B. bei Pharmakotherapie mit Antipsychotika.
  • Symptome:Symptome umfassen Hypo- und Hyperkinesien, z. B. Parkinsonoid, Tremor, Chorea, Dystonie, Akathisie.
  • Befunde:Klinische und ausführliche neurologische Untersuchung mit Augenmerk auf das motorische System (Kraft, Koordination, Körperhaltung, Muskeltonus, Reflexstatus).
  • Diagnostik:Im Wesentlichen klinische Diagnose im Zusammenhang mit Medikamentenanamnese; zusätzliche Untersuchungen (Labordiagnostik, Bildgebung) zur Differenzialdiagnostik oder bei schwerer Erkrankung, z. B. malignem neuroleptischen Syndrom (MNS).
  • Therapie:Reduktion der Dosierung oder Absetzen des auslösenden Medikaments; ggf. Wechsel des Medikaments und/oder symptomatische Behandlung der Bewegungsstörung.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Eine arzneimittelinduzierte Bewegungsstörung kann durch eine Reihe verschiedener, meist neuroaktiver, Medikamente verursacht werden und in der klinischen Ausprägung sehr variabel sein.
    • Eine häufige Ursache ist eine Therapie mit Antipsychotika (Neuroleptika) im Rahmen einer Schizophrenie.1
      • Nebenwirkungen treten oft in den ersten Tagen und Wochen auf, sind dosisabhängig und meist reversibel bei Dosisreduktion oder Absetzen.
    • Unterscheidung nach dem zeitlichen Verlauf in akute und chronische Bewegungsstörungen
  • In den meisten Fällen interagieren die entsprechenden Medikamente mit dem extrapyramidalmotorischen System, das für die unwillkürliche Koordination von Bewegungsabläufen, die nicht über die Pyramidenbahn vermittelt sind, zuständig ist.1-2
    • Die Folge sind extrapyramidal-motorische Störungen (EPS).1
    • Nebenwirkungen werden durch einen Antagonismus am Dopaminrezeptor, insbesondere dem D2-Rezeptor, verursacht.1
  • Die Bewegungsstörungen äußern sich häufig als Störung des Bewegungsausmaßes (Hyper- oder Hypokinesien).
    • Hypokinesien (verminderte Bewegungen)
    • Hyperkinesien (überschießende Bewegungen)
  • Wichtig sind die Aufklärung vor Beginn einer Therapie über mögliche unerwünschte Wirkungen und die Abfrage von Symptomen während der Therapie mit entsprechenden Medikamenten.1
  • Der erste Behandlungsschritt besteht meist in der Reduktion oder dem Absetzen des ursächlichen Medikamentes und ggf. einer symptomatischen medikamentösen Behandlung.

Ätiologie und Pathogenese

Extrapyramidal-motorisches System2

  • Das extrapyramidal-motorische System beschreibt eine Gruppe von Zentren im Großhirn und Hirnstamm sowie die entsprechenden Bahnen im Rückenmark, die an der unwillkürlichen Steuerung von Bewegungsabläufen beteiligt sind.
    • Die Extrapyramidalmotorik ist z. B. an Stütz- und Haltebewegungen und der Aufrechterhaltung des Spannungszustands der Muskulatur (Tonus) beteiligt.
    • Es steht damit dem pyramidalen System, das im Wesentlichen willkürliche Motorik über die Pyramidenbahn vermittelt, gegenüber.
  • Neben Teilen des motorischen Kortex und den Basalganglien sind Kerngebiete im Hirnstamm, z. B. der Nucleus ruber und die Formatio reticularis wichtige Teile des extrapyramidalen Systems.
  • Die extrapyramidalen Bahnen sind motorische Projektionen im Rückenmark, die nicht in der Pyramidenbahn verlaufen.
    • Durch Innervation der distalen Muskulatur wird der Tonus der distalen Extremitäten beeinflusst.
    • Durch Innervation der proximalen Muskulatur werden Massenbewegungen von Rumpf und proximalen Extremitäten koordiniert.
  • Wesentliche Aufgaben des extrapyramidal-motorischen Systems
    • Steuerung von Ausmaß, Richtung, Kraft und Geschwindigkeit einer Bewegung (Basalganglien)
    • Orientierungs-, Ausweich- und Stützbewegungen 
    • aufrechte Körperhaltung
    • Zielmotorik
    • Muskeltonus
  • Erkrankungen, die die Basalganglien betreffen werden häufig als „extrapyramidale Erkrankungen“ bezeichnet.
    • Neuroanatomisch umstritten, da die Basalganglien ebenso an der pyramidalen Motorik beteiligt sind.2
    • Im Falle von Antipsychotika entstehen die medikamentös induzierten Bewegungsstörungen als Folge einer hemmenden Wirkung am Dopamin-Rezeptor (D2-Blockade).1

ICPC-2

  • A85 Unerwünschte Wirk. eines Medikaments
  • A84 Vergiftung durch medizin. Substanz

ICD-10

  • G21 Sekundäres Parkinson-Syndrom
    • G21.0 Malignes Neuroleptika-Syndrom
    • G21.1 Sonstiges arzneimittelinduziertes Parkinson-Syndrom
  • G24.- Dystonie
    • G24.0 Arzneimittelinduzierte Dystonie
  • G25.- Sonstige extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
    • G25.1 Arzneimittelinduzierter Tremor
    • G25.3 Arzneimittelinduzierter Myoklonus
    • G25.4 Arzneimittelinduzierte Chorea
    • G25.6 Arzneimittelinduzierte Tics und sonstige Tics organischen Ursprungs

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Medikamenteninduziertes Parkinson-Syndrom  (Parkinsonoid)

  • Syndrom mit Ruhetremor, Rigor, Hypo-/Bradykinesie und posturaler Instabilität1
  • Häufige Ursachen eines medikamenteninduzierten Parkinson-Syndroms1,3
    • klassische Antipsychotika (Neuroleptika)
    • Antiemetika
    • Reserpin
    • Lithium
    • Kalziumantagonisten: Cinnarizin, Flunarizin
    • Valproinsäure.
  • Geschätzte Häufigkeit des antipsychotikainduzierten Parkinsonoids von 15–50 % der Fälle unter Therapie mit Antipsychotika der 1. Generation1

Tremor

  • Unwillkürliche rhythmische Bewegung eines oder mehrerer Körperteile
    • Es gibt verschiedene Arten von Tremor, wie z. B. Ruhetremor, Haltetremor und Aktionstremor.
    • Ein medikamenteninduzierter Tremor ist oft sehr feinschlägig.
  • Häufige Ursachen eines medikamenteninduzierten Tremors4
    • Antiepileptika
    • Lithium
    • Valproinsäure
    • Ciclosporin A

Chorea

  • Choreatische Bewegungsstörungen5
    • unwillkürliche, rasche, unregelmäßige Bewegungen
      • Betroffen sind meist Extremitäten, Gesicht, Nacken und Rumpf.
      • Unwillkürliche Bewegungen können von den Patient*innen so beeinflusst werden, dass sie in scheinbar willkürliche übergehen.
    • Zunahme der Symptome durch Stress und körperliche Aktivität (weitgehendes Sistieren im Tiefschlaf)
  • Ursachen für Medikamenten- und drogeninduzierte Chorea5
    • Dopaminrezeptorantagonisten (z. B. Phenothiazin, Butyrophenon, Benzamide) inkl. Antiemetika (Metoclopramid)
    • Medikamente zur Behandlung des M. Parkinson (L-DOPA, Dopaminagonisten, Anticholinergika)
    • Antiepileptika (z. B. Phenytoin, Carbamazepin, Valproinsäure, Gabapentin, Lamotrigin)
    • Kalziumkanalblocker (Cinnarizin, Flunarizin, Verapamil)
    • Lithium; trizyklische Antidepressiva; Anti-Malaria-Medikamente; Steroide; orale Kontrazeptiva; Antihistaminika, Psychostimulanzien; Baclofen, Digoxin, Ciclosporin, Theophyllin u. a.
  • Sekundäre, medikamenteninduzierte Chorea nicht zu verwechseln mit der Huntington-Krankheit (Chorea Huntington).

Dystonie

  • Unwillkürliche Kontraktionen und Spasmen verschiedener Muskelgruppen und ggf. schmerzhafte Fehlhaltungen oder Bewegungsstörungen6
    • Eine Dystonie kann fokal, segmental oder generalisiert auftreten.
  • Medikamente sind die häufigste Ursache für sekundäre Dystonien.
    • Antipsychotika, Levodopa, Metoclopramid, Antihistaminika, Antiepileptika
  • Antipsychotika-assoziierte Frühdyskinesien1
    • meist Muskulatur des Halses, des Nackens, der Augen und des Rumpfes betroffen
    • z. B. Torticollis, Blickkrämpfe (okulogyre Krise), Opisthotonus, Zungen- und Schlundkrämpfe, Laryngospasmus sowie Arm- oder Handverkrampfungen
    • Ursache sind meist klassische Antipsychotika.1
      • Das Risiko korreliert mit Potenz und Dosis des Medikaments.
      • Jüngere Patient*innen und Männer sind häufiger betroffen.

Akathisie

  • Bewegungsunruhe und quälende innere Anspannung
    • Bewegungsdrang kann generalisiert auftreten, ist aber meist auf die Beine begrenzt (Sitzunruhe).
    • Typisch sind ein Hin- und Herschaukeln, Aufstehen und Hinsetzen, Trippeln auf der Stelle und dauerndes Übereinanderschlagen der Beine im Sitzen.1
  • Ursache sind meist klassische Antipsychotika (starker Dopamin-Antagonismus)
    • bei ca. 20–30 % der Antipsychotika der 1. Generation1
    • Beginn in den ersten Tagen möglich oder nach Wochen und Monaten der Therapie
  • Akathisie ist mit einem erhöhtem Risiko von Suizidalität verbunden.1

Spätdyskinesie (tardive Dyskinesien)

  • Unwillkürliche, stereotype Bewegungsmuster
    • z. B. orofaziale Kaubewegungen, Schluckautomatismen, Schmatzen, Grimassieren, Zungenbewegungen, Kopfwendungen, beständiges Blinzeln und andere Hyperkinesien
  • Spätdyskinesien können irreversibel sein.
  • Ursache sind meist Antipsychotika der 1. Generation.
    • bei klassischen Antipsychotika Inzidenz von 4–8 % pro Behandlungsjahr1
  • Für viele Patient*innen subjektiv nicht sehr beeinträchtigend
    • Reduziert jedoch die Lebensqualität und kann zu Stigmatisierung und sozialen Problemen führen.
  • Auch spontane Spätdyskinesien ohne antipsychotische Behandlung sind bei Schizophrenie beschrieben.1

Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)

  • Seltenes, aber potenziell lebensbedrohliches Syndrom mit extrapyramidal-motorischen Störungen (v. a. Rigor), Bewusstseinsstörung, autonomer Dysfunktion und CK-Erhöhung
  • Klinische Charakteristika eines malignen neuroleptischen Syndroms (MNS)1
    • Einnahme von antidopaminergen Substanzen oder Entzug von Dopamin-Agonisten innerhalb der letzten 72 Stunden
    • Hyperthermie > 38 °C (mind. 2 Messungen) und starkes Schwitzen
    • Rigor und zusätzliche neurologische Symptome (Hypersalivation, Akinesie, Dystonie, Trismus, Myoklonus, Dysarthrie, Dysphagie)
    • Bewusstseinsstörung oder Delir
    • Zeichen autonomer Dysregulation (z. B. Tachykardie, Blutdruck-Erhöhung, Urininkontinenz, Schwitzen)
    • Tachypnoe (bei respiratorischer Azidose)
    • Rhabdomyolyse und Hypermetabolismus
    • mindestens 4-fach erhöhte CK
    • weitere Laborwerte: Leukozytose; Erhöhung BSGCRP, Transaminasen, LDH; Abnahme Eisen im Serum, Elektrolytverschiebungen, Anstieg der Liquorproteine
  • Ursache sind meist hochpotente, klassische Antipsychotika.1
    • Häufigkeit von etwa 0,02–0,04 %
    • Beginn in den ersten 2–4 Wochen nach Beginn der Therapie
    • in seltenen Fällen auch bei anderen neuroaktiven Substanzen (z. B. Antidepressiva)

Anamnese

  • Anamnese bezüglich der Beschwerden
    • Art der Bewegungsstörungen
    • Dauer der Bewegungsstörungen
    • betroffene Körperregionen
  • Medikamentenanamnese
  • Begleiterkrankungen
  • Familienanamnese

Klinische Untersuchung

  • Allgemeine körperliche Untersuchung
  • Neurologische Untersuchung mit besonderem Augenmerk auf:
    • Gangbild
    • Koordination
    • Muskelkraft
    • Muskeltonus
    • Reflexstatus
    • Tremor oder stereotype Bewegungsmuster.
  • Neuropsychologischer Status (psychomotorische Verlangsamung, Gedächtnisstörungen, Sprachfluss)

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Abhängig von etwaigen Grunderkrankungen und möglichen Differenzialdiagnosen
  • Einteilung und Klassifikation der motorischen Nebenwirkungen
    • z. B. anhand der Barnes Akathisia Rating Scale1
  • In bestimmten Fällen erforderlich:
    • Bestimmung des Medikamentenspiegels („Therapeutic Drug Monitoring“, TDM)
    • Erhebung motorischer Scores
      • z. B. Unified Parkinson's Disease Rating Scale (UPDRS) oder Unified Huntington's Disease Rating Scale (UHDRS)
    • weitergehende Labordiagnostik inkl. Liquoruntersuchung
    • zerebrale Bildgebung (CT oder MRT)
    • neurologische Funktionsdiagnostik (z. B. EEG)

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Die vorrangigsten Behandlungsoption bei medikamenteninduzierten Bewegungsstörungen sind:1
    • Dosisreduktion
    • Absetzen des auslösenden Medikaments
    • Umstellung auf ein anderes Präparat
      • z. B. Wechsel von einem hochpotenten, klassischen Antipsychotikum zu einem atypischen Antipsychotikum (z. B. Clozapin)
  • In einigen Fällen kann eine symptomatische Therapie zur Linderung der Beschwerden sinnvoll sein.
    • Häufig werden zur akuten Behandlung Anticholinergika eingesetzt.
      • in Deutschland v. a. Einsatz von Biperiden
      • zur Behandlung des Parkinson-Syndroms sowie medikamentös bedingter und sonstiger extrapyramidaler Symptome
  • Vor Beginn einer antipsychotischen Behandlung Aufklärung über mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen, deren Symptome und Therapiemöglichkeiten1

Medikamentöse Therapie

Parkinson-Syndrom

  • Dosisreduktion oder Wechsel zu einem Medikament mit geringerem Risiko für ein medikamenteninduziertes Parkinson-Syndrom (Parkinsonoid)
  • Ggf. Anticholinergika (Biperiden) mit langsamer Steigerung

Tremor

  • Absetzen oder Wechsel des Medikaments
  • Manche Patient*innen profitieren von nichtselektiven Betablockern (z. B. Propranolol)

Chorea

  • Absetzen oder Wechsel des Medikaments
  • Antipsychotika können die Bewegungsstörungen mindern.

Dystonie

  • Absetzen oder Wechsel des Medikaments
  • Ggf. Anticholinergika (Biperiden) bei extrapyramidale Symptomen
    • akuter Einsatz bei Zungen- und Schlundkrämpfen, Torticollis oder Blickkrämpfen (okulogyre Krise)

Leitlinie: Therapie bei Antipsychotika-induzierten Nebenwirkungen1

  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sollen aktiv erfragt und dokumentiert werden.
    • Bei Verdacht soll eine entsprechende Abklärung und Therapie angeboten werden.
  • Erste Behandlungsoption – in Abhängigkeit von der Schwere der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (Risiko-Nutzen-Evaluation) soll angeboten werden:
    • Dosisreduktion
    • Umstellung auf ein anderes Präparat
    • Absetzen des Medikaments.
  • Weitere Behandlungsmöglichkeiten, falls Dosisreduktion/Absetzen/Wechsel nicht möglich bzw. erfolgreich

Frühdyskinesien

  • Reduktion/Absetzen/Wechsel des Medikaments
  • Alternativ Gabe eines Anticholinergikums
    • in Deutschland v. a. Biperiden (1–2 x 2–4 mg/d)
      • Alternativpräparate sind Benzatropin oder Trihexyphenidyl.
    • Gabe parenteral oder oral
      • v. a. bei laryngealen und pharyngealen Spasmen parenterale Gabe bevorzugt
    • Gabe so früh wie möglich beenden und nicht prophylaktisch durchführen.
      • kognitive Nebenwirkungen von Anticholinergika

Akathisie

  • Erkennen dieser unerwünschten Wirkung ist wesentlich.
    • Patient*innen äußern diese nicht unbedingt, oder es wird als psychomotorische Unruhe gedeutet.
    • ggf. mittels Skala (Barnes Akathisia Rating Scale)7
  • Dosisreduktion oder Umstellung auf ein Medikament mit geringerem Risiko
  • Alternativ bei hohem Leidensdruck sind verschiedene pharmakologische Behandlungsversuche möglich.
    • z. B. Gabe von 5-HT2A-Rezeptorantagonisten (z. B. Mirtazapin), Anticholinergika oder Betablockern
    • Es gibt jedoch keine gute Evidenz.1,8

Parkinsonoid

  • Reduktion/Absetzen/Wechsel des Medikaments
    • Nach Absetzen der Medikation sind die Symptome meist rückläufig bzw. verschwinden ganz.
  • Falls nicht möglich, Gabe von Anticholinergika (z. B. Biperiden)
    • alternativ in bestimmten Fällen L-Dopa oder Dopaminagonisten
  • Bei anticholinerger bzw. dopaminerger Therapie sind akute Exazerbationen der Symptome möglich.

Spätdyskinesien

  • Absetzen bzw. eine Dosisreduktion des Antipsychotikums
    • Risiko einer erneuten psychotischen Exazerbation1,9
    • Dyskinesien können sich zunächst vorübergehend verschlimmern („Absetzdyskinesien“).
  • Metaanalysen fanden keine überzeugende Evidenz für folgende Substanzen:
    • cholinerge Substanzen, anticholinerge Substanzen, GABA-Rezeptoragonisten, Kalziumkanal-Blocker, katecholaminerge Substanzen, Östrogen, Lithium und Benzodiazepine.1,10-14
  • Ggf. Wechsel auf Clozapin oder andere Substanzen mit weniger extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen (z. B. Olanzapin oder Quetiapin)
  • Ggf. zusätzliche Gabe von Tetrabenazin
    • bei mittelschweren bis schweren Spätdyskinesien zugelassen
    • vergleichbare Substanz Valbenazin in den USA zugelassen
    • Nebenwirkungen: extrapyramidal-motorische Symptome, Depression
  • Ggf. zusätzliche Gabe von Vitamin B61,15
  • Ggf. zusätzliche Gabe von Vitamin E1,16

Malignes neuroleptisches Syndrom

  • In der Regel Behandlung auf der Intensivstation
    • Stabilisierung und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen
    • Flüssigkeitshaushalt und Risikofaktoren optimieren
    • Fiebersenkung
    • Verhinderung von Komplikationen
  • Sofortiges Absetzen des auslösenden Agens
  • Spezifische Pharmakotherapie abhängig vom Schweregrad des MNS
    • Stadium I (medikamenteninduziertes Parkinsonoid)
      • Anticholinergika
    • Stadium II (medikamenteninduzierte Katatonie)
      • Lorazepam (bis 8 mg/d)
    • Stadium III (frühes, mildes MNS)
      • Lorazepam (bis 8 mg/d)
    • Stadium IV (moderates MNS)
      • Lorazepam (bis 8 mg/d)
      • Bromocriptin (bis 15 mg/d)
      • Amantadin (bis 300 mg/d)
    • Stadium V (schweres MNS)
      • Dantrolen (bis 10 mg/d)
      • Bromocriptin (bis 15 mg/d)
      • Amantadin (bis 300 mg/d)
  • „Katatones Dilemma“
    • diagnostische Unsicherheit in der Abgrenzung des MNS zu einer katatonen Psychose
    • Antipsychotika können eine Katatonie verursachen (MNS), stellen aber auch eine wichtige Therapieform der Katatonie im Rahmen einer Schizophrenie dar.
    • Eine Fehldiagnose kann das jeweilige Krankheitsbild extrem verschlechtern.
    • Benzodiazepine (Lorazepam 4–8 mg/d) insofern bei leichten Formen des MNS und diagnostischer Unsicherheit empfohlen
  • Nach einem stattgehabten MNS
    • Wiederaufnahme einer antipsychotischen Therapie vorrangig mit Antipsychotika mit wenig D2-Antagonismus erst 2 Wochen nach dem MNS empfohlen
    • Prävention eines erneuten MNS
      • Schnelles Eindosieren verhindern.
      • Hohe Dosierungen verhindern.
      • Depot-Präparater verhindern (lange Halbwertszeit).
      • Dokumentation des Vorfalls (z. B. Patientenpass) und Weitergabe an alle Behandler*innen

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Extrapyramidale Störungen als Nebenwirkungen von Antipsychotika treten meist in den ersten Tagen bis Wochen auf.
    • dosisabhängig und meist reversibel bei Dosisreduktion, Absetzen oder Wechsel des Medikaments
  • Spätdyskinesien (tardive Dyskinesie) können noch Monate bis Jahre nach Beginn der medikamentösen Therapie mit Antipsychotika auftreten und mitunter irreversibel sein.

Komplikationen

Prognose

  • Die meisten arzneimittelinduzierten Bewegungsstörungen sind nach Absetzen des auslösenden Medikaments reversibel.
    • Spätdyskinesien (tardive Dyskinesien) können persistieren, wenn sie nicht frühzeitig erkannt und die auslösenden Antipsychotika abgesetzt werden.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Schizophrenie. AWMF-Leitlinie Nr. 038-009. S3, Stand 2019. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Dystonie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-039. S1, Stand 2012. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Chorea/Morbus Huntington. AWMF-Leitlinie Nr. 030-028. S2k, Stand 2017. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Schizophrenie. AWMF-Leitlinie Nr. 038-009. Stand 2019. www.awmf.org
  2. Martin Trepel. Neuroanatomie - Struktur und Funktion, 5. Auflage. München: Elsevier, 2012. shop.elsevier.de
  3. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): Idiopathisches Parkinson-Syndrom, AWMF-Leitlinie Nr. 030 - 010, Stand 2016. www.awmf.org
  4. Bötzel, K; Tronnier, V; Gasser, T. Differenzialdiagnose und Therapie des Tremors. Dtsch Arztebl 2014; 111(13): 225-36. pmid:10.3238/arztebl.2014.0225 www.aerzteblatt.de
  5. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Chorea / Morbus Huntington. AWMF-Leitlinie Nr. 030 - 028, Stand 2017. www.awmf.org
  6. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Dystonie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-039, Stand 2012. dgn.org
  7. Barnes TR. A rating scale for drug-induced akathisia. Br J Psychiatry. 1989 May;154:672-6. PubMed PMID: 2574607 www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Lima AR, Soares-Weiser K, Bacalthchuk J, Barnes TRE. Benzodiazepines for neuroleptic-induced acute akathisia (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 1, 2002. Oxford: Update Software. The Cochrane Library
  9. Soares-Weiser K, Rathbone J. Neuroleptic reduction and/or cessation and neuroleptics as specific treatments for tardive dyskinesia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 1. Art. No.: CD000459. DOI: 10.1002/14651858.CD000459.pub2 DOI
  10. Alabed S, Latifeh Y, Mohammad HA, Rifai A. Gamma-aminobutyric acid agonists for neuroleptic-induced tardive dyskinesia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 4. Art. No.: CD000203. DOI: 10.1002/14651858.CD000203.pub3. DOI
  11. Soares-Weiser K, Irving CB, Rathbone J. Miscellaneous treatments for neuroleptic-induced tardive dyskinesia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2003, Issue 2. Art. No.: CD000208. DOI: 10.1002/14651858.CD000208. DOI
  12. Bergman H, Bhoopathi PS, Soares-Weiser K. Benzodiazepines for antipsychotic-induced tardive dyskinesia. Cochrane Database Syst Rev 2018 Jan 20; 1: CD000205. doi:10.1002/14651858.CD000205.pub3 DOI
  13. Tammenmaa I, McGrath J, Sailas EES, Soares-Weiser K. Cholinergic medication for neuroleptic-induced tardive dyskinesia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2002, Issue 3. Art. No.: CD000207. DOI: 10.1002/14651858.CD000207. DOI
  14. Soares KVS, McGrath JJ. Anticholinergic medication for neuroleptic-induced tardive dyskinesia (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4, 2000. Oxford: Update Software. The Cochrane Library
  15. Adelufosi AO, Abayomi O, Ojo TM. Pyridoxal 5 phosphate for neuroleptic-induced tardive dyskinesia. Cochrane Database Syst Rev 2015; 4: CD010501. pmid:25866243 PubMed
  16. Soares-Weiser K, Maayan N, McGrath J. Vitamin E for neuroleptic-induced tardive dyskinesia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 2. Art. No.: CD000209. DOI: 10.1002/14651858.CD000209.pub2. DOI

Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breisgau
  • Die ursprüngliche Version dieses ArtikelArtikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
G21; G210; G211; G24-; G240; G25-; G251; G253; G254; G256
A84; A85
Extrapyramidal-motorische Störungen; EPS; Parkinson-Syndrom; Hyperkinesie; Hypokinesie; Parkinsonoid; Tremor; Chorea; Dystonie; Dyskinesien; Akathisie; Sitzunruhe; Ballismus; ballistisch; Überbeweglichkeit; Unterbeweglichkeit; Hemiballismus; Restless-Legs-Syndrom; Spätdyskinesie; Tardive Dyskinesie; Antipsychotika; Neuroleptika; Klassische Neuroleptika; FGA; Malignes neuroleptisches Syndrom; MNS
Arzneimittelinduzierte Bewegungsstörungen
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CCC MK 13.10.2020 Revision entsprechend der neuen LL. chck go 22.3. CCC MK 22.10.2018, komplett überarbeitet
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Definition:Verschiedene Bewegungsstörungen können durch Medikamente, insbesondere neuroaktive Substanzen, verursacht werden. Häufigkeit:Abhängig von der Medikamentenklasse und der Art der Bewegungsstörung; häufig z. B. bei Pharmakotherapie mit Antipsychotika.
Neurologie
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