Definition:Akute Gingivostomatitis im Rahmen der Infektion mit Herpes-simplex-Viren, meist vom Typ HSV-1, gelegentlich auch HSV-2.
Häufigkeit:Häufigste Manifestation einer symptomatisch verlaufenden primären HSV-Infektion im Kindesalter.
Symptome:Früh im Verlauf sind vesikuläre Läsionen in der Mundhöhle zu sehen. Die Betroffenen haben lokale Schmerzen, wollen nicht essen und trinken, fühlen sich allgemein unwohl und haben meist Fieber.
Befunde:Schmerzhafte Läsionen der bukkalen und gingivalen Mukosa und der Zunge mit Hypersalivation. Eng nebeneinander lokalisierte, mit Flüssigkeit gefüllte, gelbliche Vesikel und sich daraus bildende Ulzerationen. Evtl. zusätzlich periorale vesikuläre Läsionen. Meist vergrößerte zervikale Lymphknoten.
Diagnostik:Klinische Untersuchung, ggf. Virologie, ggf. weitere Laboruntersuchungen bei Verdacht auf Komplikationen wie Dehydrierung oder Bakteriämie.
Therapie:Kinder mit akuter Gingivostomatitis sollten viel Flüssigkeit und ggf. Eis erhalten; ggf. Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen. Der Nutzen einer antiviralen Therapie und einer Behandlung mit Antazida, H1-Antihistaminika oder Lokalanästhetika ist ungewiss.
Allgemeine Informationen
Übersicht über die verschiedenen Formen von Herpes-simplex-Infektionen siehe Artikel Herpes simplex.
Definition
Akute Gingivostomatitis im Rahmen der Infektion mit Herpes-simplex-Viren, meist vom Typ HSV-1, gelegentlich auch HSV-21
akute Form
rezidivierende Formen (bei HSV-1 meist als Herpes labialis)
Schleimhautulzera bei oraler Herpes-simplex-Infektion
Ist die häufigste Manifestation einer primären HSV-Infektion im Kindesalter.1
Die primäre Infektion verläuft in den meisten Fällen subklinisch, aber bei 10‒30 % der PatientenPatient*innen äußert sie sich als akute Gingivostomatitis herpetica.2
Akute Gingivostomatitis herpetica tritt überwiegend bei Kindern im Alter von 6 Monaten bis 5 Jahren auf, meist bei 1- bis 3-Jährigen.3-4
HSV-1-Infektionen der Mundhöhle kommen auch bei jüngeren Erwachsenen vor, dann jedoch häufiger in Form einer Infektion im hinteren Teil des Rachens (Herpangina).4
Es scheint keine saisonalen Schwankungen zu geben.
Weltweit ist die Prävalenz von HSV-Infektionen in den letzten Jahrzehnten angestiegen.
Ätiologie und Pathogenese
Infektionen mit dem Herpes-simplex-Virus, das ein DNA-Virus ist.
Eine Ansteckung mit HSV-1 erfolgt meist im Kindesalter.
Das Virus wird meist über den Speichel übertragen.
Die Inkubationszeit beträgt 3‒6 Tage, in einigen Fällen 2 Tage bis 2 Wochen.
Mit 30 Jahren weisen 50 % der Menschen in Ländern mit hohem Lebensstandard Antikörper auf gegenüber 80 % in Ländern mit niedrigerem Lebensstandard.
Klinische Manifestationen der mukokutanen HSV-1-Erkrankung werden durch eine Gewebezerstörung verursacht, eine direkte Folge der viralen Replikation und Zelllyse.1
Inokulation von HSV-1 in den Schleimhäuten oder der Haut ermöglicht es dem Virus, in die sensiblen und autonomen Nervenenden einzudringen, über die das Virus in die Zellkerne der Nervenzellganglien transportiert wird, etwa in den Trigeminuskern, wo es in die Latenzphase eintritt.
Die Reaktivierung verursacht eine rezidivierende Herpes-simplex-Viruserkrankung (Näheres siehe Artikel Herpes simplex).
Prädisponierende Faktoren
Bei Personen mit Immunschwäche kann eine HSV-1-Infektion schwer und lebensbedrohlich verlaufen.
ICPC-2
D83 Mund-/Zungen-/Lippenerkrankung
ICD-10
B00 Infektionen durch Herpesviren [Herpes simplex]
B00.2 Gingivostomatitis herpetica und Pharyngotonsillitis herpetica
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Die primäre orale Infektion verläuft meist asymptomatisch.
Die Diagnose Gingivostomatitis herpetica wird in der Regel aufgrund des klinischen Erscheinungsbilds gestellt.
Die Reaktivierung einer HSV-1-Infektion äußert sich meist durch rezidivierenden Herpes labialis, seltener auch durch Herpes genitalis oder andere Manifestationsformen. Näheres dazu siehe die Artikel:
Die Erkrankung tritt am häufigsten bei Kindern auf.
In der Prodromalphase klagt das Kind über Beschwerden/Schmerzen, will nicht essen und trinken, fühlt sich allgemein unwohl, ist reizbar, hat evtl. Fieber, möglicherweise sind die Lymphknoten vergrößert und empfindlich.
Früh im Verlauf sind vesikuläre Läsionen in der Mundhöhle zu sehen: auf Schleimhaut, Zunge, Lippen und Zahnfleisch, evtl. auch rund um den Mund.
Die Läsionen bluten leicht und können mit einem schwarzen Schorf bedeckt sein.
Die Erkrankung geht nach 7‒14 Tagen zurück.
Rezidivierende Formen
Die persistierende Infektion verläuft häufig asymptomatisch.
Rezidive manifestieren sich meist als Herpes labialis, können auch intraoral auftreten, häufig hinten auf der Gaumenschleimhaut als intraoral rezidivierender Herpes.
Rezidive sollen u. a. durch Stress, Sonnenlicht, Kälte, Traumata und Menstruation ausgelöst werden.5
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
Problematisch ist, dass PatientenPatient*innen mit einer Herpes-Infektion häufig erst vorstellig werden, wenn das Vesikelstadium vorbei ist. Dann kann es schwierig sein, die Erkrankung von anderen zu unterscheiden, die ebenfalls mit Schleimhautläsionen einhergehen (siehe Abschnitt Differenzialdiagnosen).
Gingivostomatitis herpetica
schmerzhafte Läsionen der bukkalen und gingivalen Mukosa und der Zunge mit Hypersalivation
eng nebeneinander lokalisierte, mit Flüssigkeit gefüllte, gelbliche Vesikel
Die Vesikel entwickeln sich über einige Tage. Sie sind häufig in Clustern gruppiert, platzen schnell auf und hinterlassen kleine Ulzerationen, die sich zu größeren Ulzerationen verbinden.
Das Stadium der Ulzeration dauert etwa 12 Tage.
davon etwa 6 Tage Ulkusbildung und 6 Tage Abklingen der Ulzera
Bei etwa 2/3 der betroffenen Kinder liegen auch periorale vesikuläre Läsionen vor.
Die meisten Kinder haben etwa 4 Tage lang Fieber > 38,0 °C und vergrößerte zervikale Lymphknoten.
Herpes-simplex-Rezidiv
Das Enanthem und/oder Exanthem ist durch kleine Vesikel gekennzeichnet, die häufig in Clustern angeordnet sind.
Sie sind weniger umfangreich und symptomatisch als die Primärinfektion und deutlich weniger schmerzhaft als Zoster.
Die Vesikel platzen schnell auf und hinterlassen fibrinbedeckte, sich verbindende Ulzerationen und auf der Lippe einen Schorf, der nach 7‒14 Tagen abgestoßen wird.
Bei Unklarheit oder zur Bestätigung der Diagnose oder des HSV-Typs kann eine virologische Untersuchung veranlasst werden. Bei Kindern erfolgt diese in der Regel an einem pädiatrischen Zentrum.
Verdacht auf Bakteriämie (z. B. hohes oder anhaltendes Fieber).
Therapie
Allgemeines zur Therapie
Kinder mit akuter Gingivostomatitis viel trinken lassen, evtl. Eis geben, da Dehydratation die häufigste Komplikation darstellt.
Die primäre Infektion kann mit Aciclovir-Tabletten behandelt werden, aber die PatientenPatient*innen präsentieren sich meist so spät im Verlauf, dass eine Therapie nicht mehr sinnvoll ist.
Rezidivierender intraoraler Herpes benötigt selten oder nie eine Behandlung.
Medikamentöse Therapie
Aciclovir?
Von einer Akuttherapie ist ein Nutzen nur dann zu erwarten, wenn die Therapie frühzeitig begonnen wird.
Zur Behandlung der Gingivostomatitis gibt es derzeit keine ausreichenden Wirksamkeitsbelege (Stand September 2018).
Das bislang einzige publizierte systematische Review zu dieser Fragestellung wurde von der Cochrane Collaboration wegen methodischer Mängel zurückgezogen.6
Ggf. Schmerzmittel in Form von Paracetamol oder Ibuprofen
Zu Behandlungen mit Antazida, H1-Antihistaminika oder Lokalanästhetika gibt es keine verlässlichen Wirksamkeitsbelege.7
Herpes-Infektion in der Schwangerschaft
Herpes-Rezidive sind häufig in der Schwangerschaft, führen aber selten zu einer Gefährdung des Kindes.
Bei einer zum Entbindungszeitpunkt zeitnahen Infektion kann eine Kaiserschnittentbindung erwogen werden.
Die tägliche Gabe von Aciclovir 400 mg ab der 36. SSW kann einer HSV-Läsion zum Entbindungstermin vorbeugen.8
Bei Primärinfektionen eines Herpes genitalis in der Schwangerschaft wird eine antivirale Therapie mit Aciclovir (3 x 400 mg/d) oder Valaciclovir (2 x 500–1.000 mg/d) für 7–10 Tage von den meisten Experten empfohlen.9
Bei einer akuten Primärinfektion mit HSV kann es zu Spontanabort, Frühgeburt oder intrauterine Wachstumsretardierung kommen.
In Einzelfällen kommt es zu einer viszeralen Disseminierung, die zum Tod von Mutter und Kind führen kann.9
Besonderheiten
Bei PatientenPatient*innen unter Chemotherapie
Für Aciclovir konnte eine Verringerung der Dauer der Virusausscheidung, der Schmerzen und Beschwerden sowie der Gesamtdauer des Ausbruchs nachgewiesen werden.
Bei PatientenPatient*innen mit AIDS und nach Organtransplantation sind Aciclovir-resistente HSV-Stämme beschrieben.
In diesen Fällen ist alternativ Foscarnet (3 x 60 mg/kg i. v., innerhalb von 1 h infundiert, über 3 Wochen zu geben.10
In schweren Fällen kann die Off-Label-Gabe von Brivudin (Erwachsene 1 x 125 mg/d, Kinder 3 x 5–15 mg/kg) erwogen werden.
nicht zugelassen bei immunsupprimierten PatientenPatient*innen11
Prävention
Antivirale Therapie?
In einer Metaanalyse konnte keine signifikante Wirksamkeit von Aciclovir in der Prävention des Herpes labialis festgestellt werden (Ia).12
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Die Erkrankung heilt innerhalb von 7‒14 Tagen spontan aus.
Die Virusausscheidung kann über weitere 3 Wochen andauern.
Schwerere Verläufe und erhöhtes Komplikationsrisiko bei immunkompromittierten PatientenPatient*innen
Komplikationen
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
In der Regel stellt die Erkrankung eine starke Belastung für betroffenen Kinder dar, durch:
durch systemische Infektionen mit häufigen Komponenten der kindlichen Tonsillenflora wie Kingella kingae oder Streptococcus pyogenes
Viral geschädigte Schleimhaut dient als Eintrittspforte.
Labiale Herpes-Manifestationen mit hohem Fieber treten typischerweise auch bei schweren Meningokokken- und Pneumokokken-Infektionen auf.13
Das Risiko für komplikationsreichere Manifestationen einer HSV-Infektion, z. B. virale Enzephalitis, korreliert nicht mit der Häufigkeit labialer Rezidive10,14 (Näheres siehe Artikel Herpes simplex).
Prognose
Erstmanifestation meist selbstlimitierend
Herpes labialis ist die häufigste Manifestation von Rezidiven.
Illustrationen
Schleimhautulzera bei oraler Herpes-simplex-Infektion
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Virale Meningoenzephalitis. AWMF-Leitlinie Nr. 030-100, Klasse S1, Stand 2018. www.awmf.org.
Deutsche AIDS-Gesellschaft. Opportunistische Infektionen bei erwachsenen HIV-infizierten Patienten, Therapie und Prophylaxe. AWMF-Leitinie Nr. 055-006, Stand 2015. daignet.de
Literatur
Kolokotronis A, Doumas S. Herpes simplex virus infection, with particular reference to the progression and complications of primary herpetic gingivostomatitis. Clin Microbiol Infect 2006; 12:202. PubMed
Amir J. Clinical aspects and antiviral therapy in primary herpetic gingivostomatitis. Pediatr Drugs 2001; 3:593. www.ncbi.nlm.nih.gov
Fatahzadeh M, Schwartz RA. Human herpes simplex virus infections: epidemiology, pathogenesis, symptomatology, diagnosis, and management. J Am Acad Dermatol 2007; 57: 737-63. PubMed
Arduino PG, Porter SR. Oral and perioral herpes simplex virus type 1 (HSV-1) infection: review of its management. Oral Dis 2006; 12: 254-70. PubMed
Arduino PG, Porter SR. Herpes simplex virus type I infection: overview on relevant clinico-pathological features. J Oral Pathol Med 2008; 37: 107-21. PubMed
Nasser M, Fedorowicz Z, Khoshnevisan MH et al. WITHDRAWN: Acyclovir for treating primary herpetic gingivostomatitis. Cochrane Database Syst Rev 2016; 1: CD006700. PMID: 26784280 PubMed
Faden H. Management of primary herpetic gingivostomatitis in young children. Pediatr Emerg Care 2006; 22:268-9. PMID: 16651921 PubMed
European guideline for the management of genital herpes. IUSTI/WHO European STD guidelines Editorial Board, Stand 2017. journals.sagepub.com
Mühlenbein S. Hertl M. Herpes-simplex-Infektionen. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage 2016 Thieme-Verlag S. 1439ff
Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Virale Meningoenzephalitis. AWMF-Leitlinie Nr.030-100, Klasse S1, Stand 2018. www.awmf.org
Deutsche AIDS-Gesellschaft. Opportunistische Infektionen bei erwachsenen HIV-infizierten Patienten, Therapie und Prophylaxe. AWMF-Leitinie Nr. 055-006, Stand 2015. daignet.de
Chi CC, Wang SH, Delamere FM, Wojnarowska F, Peters MC, Kanjirath PP. Interventions for prevention of herpes simplex labialis (cold sores on the lips). Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 8. Art. No.: CD010095. DOI: 10.1002/14651858.CD010095.pub2. DOI
Hacke W (Hrsg.), Poeck K (Begr.): Neurologie. Springer Berlin, Heidelberg, 2016; 514-524.
N. Suttorp, M. Mielke, W. Kiehl, B. Stück: Infektionskrankheiten. Stuttgart: Thieme 2004; 362ff.
AutorenAutor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
TerjeDie Johannessenursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, professor i allmennmedisin, redaktør NELhttps://legehandboka.no/).
Definition:Akute Gingivostomatitis im Rahmen der Infektion mit Herpes-simplex-Viren, meist vom Typ HSV-1, gelegentlich auch HSV-2. Häufigkeit:Häufigste Manifestation einer symptomatisch verlaufenden primären HSV-Infektion im Kindesalter.