Substitution ist in § 5 der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, BtMVV)1 wie folgt definiert:
Die Anwendung eines Substitutionsmittels, das heißt eines ärztlich verschriebenen Betäubungsmittels, bei einem opioidabhängigen Patienten im Rahmen eines Therapiekonzeptes zur medizinischen Behandlung einer Abhängigkeit, die durch den Missbrauch von (...) Opioiden begründet ist.
Im Rahmen der ärztlichen Therapie soll eine Opioidabstinenz des Patienten angestrebt werden.
Als Opioidabhängigkeitssyndrom (ICD-10 F11.2) bezeichnet man eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Opioidgebrauch entwickeln.
Typischerweise bestehen:
ein starker Wunsch, sich Opioide zuzuführen.
Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren.
anhaltender Gebrauch trotz schädlicher Folgen.
Dem Opioidgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben.
Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom.
Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf ein einzelnes Opioid beziehen, auf Opioide an sich oder auch auf ein weites Spektrum unterschiedlicher Substanzen.
Alle Opioidrezeptor-Agonisten, d. h. Liganden, die an Opioidrezeptoren binden und dort aktivierend wirken.
Die pharmakologische Wirkung sowohl der therapeutisch eingesetzten als auch der als Rauschdrogen verwendeten Opioide wird im Wesentlichen über den überwiegend präsynaptisch exprimierten µ1-Rezeptor vermittelt.
Bei den Opioiden unterscheidet man:
pflanzliche
synthetische
körpereigene (Enkephaline und Endorphine).
Opiate
im engeren Sinn: aus Schlafmohn gewonnene, am Opioidrezeptor agonistisch wirkende Alkaloide
im weiteren Sinn: alle Opioide, einschließlich der als Medikamente eingesetzten Opioidrezeptor-Agonisten
Ziele
Wesentliche Ziele der Opioidsubstitution nach § 5 (2) der BtMVV sind:
die Sicherstellung des Überlebens
die Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes
die Abstinenz von unerlaubt erworbenen oder erlangten Opioiden
die Unterstützung der Behandlung von Begleiterkrankungen oder
die Verringerung der durch die Opioidabhängigkeit bedingten Risiken während einer Schwangerschaft sowie während und nach der Geburt.
Indikation
Vorliegen einer Opioidabhängigkeit nach ICD-10 (s. o.)
Wenn eine andere strukturierte Therapie der Opioidabhängigkeit scheitert oder nicht durchführbar ist:
qualifizierte Entzugsbehandlung
Entwöhnung und nachhaltige Abstinenz.
Substitution im Rahmen der Entgiftung ist für viele Patienten eine wichtige Hilfe, um überhaupt eine anderweitig notwendige Behandlung zu beginnen, eine Anbindung an das Suchthilfesystem zu finden und aus dem verhängnisvollen Kreislauf aus Sucht und Beschaffungskriminalität herauszukommen.3
Beispiele für Situationen, in denen eine klassische abstinenzorientierte Entwöhnungtherapie nicht ohne Weiteres möglich ist:4
nach mehreren erfolglosen Therapieversuchen
bei Begleiterkrankungen
Wenn die Motivation der betroffenen Person, ihr Leben zu ändern und sich in Therapie zu begeben, noch nicht ausreicht.
Wenn die betroffene Person „unabkömmlich“ ist, etwa als alleinerziehendes Elternteil, oder weil sonst der Verlust des Arbeitsplatzes droht.
Wirksamkeitsnachweis und Erstattung
Am besten durch klinische Studien belegt ist der Nutzen der Substitutionstherapie mit Methadon oder Buprenorphin als unterstützende Behandlung beim Absetzen von Opioiden im Rahmen eines therapeutischen Konzepts.5-6
Die Substitutionsbehandlung wird von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet.
Ärztliche Qualifikation
Derzeit darf nur derjenige Arzt eine Substitutionsbehandlung vornehmen, der die „Mindestanforderungen an eine suchttherapeutische Qualifikation erfüllt, welche von den Ärztekammern festgelegt werden.“7
Ausnahmen betreffen die konsiliarisch durchgeführte Substitution und den Vertretungsfall. Beides ist in der BtMVV dezidiert geregelt.
Die Beratungskommission der zuständigen Ärztekammer kann konsiliarisch hinzugezogen werden.
Die erforderliche Qualifikation kann im Rahmen des Kurrikulums zur Zusatzweiterbildung Suchtmedizinische Grundversorgung erworben werden.8
Meldepflicht
Die Verordnung von Substitutionsmitteln an Opiodabhängige erfordert die unverzügliche Meldung folgender Angaben an die Bundesopiumstelle im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM):
Patientencode
Datum der ersten Anwendung
das verordnete Substitutionsmittel
Datum der letzten Anwendung
Name und Adresse der verordenden Ärztin/des verordnenden Arztes
ggf. Name und Adresse des suchtmedizinisch qualifizierten Konsiliararztes.
Die Ärztekammern teilen der Bundesopiumstelle mit, welche Ärzte die Mindestanforderungen an eine suchtmedizinische Qualifikation erfüllen.
ICPC-2
P18 Medikamentenmissbrauch
P19 Drogenmissbrauch
ICD-10
F11.- Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide
F11.2 Abhängigkeitssyndrom
Maßnahmen und Empfehlungen
Durchführung
Substitutionsmittel
Folgende Substitutionsmittel waren am 1. Juli 2018 in Deutschland im Einsatz:9
Methadon (39,4 % der Substitutionspatienten)
Levomethadon (35,2 %)
Buprenorphin (23,1 %)
Morphin (1 %)
Diamorphin (1 %)
Codein (1 %)
Dihydrocodein (0,1 %).
Applikationsform und -frequenz
Üblicherweise oral und täglich, Einnahme unter Aufsicht
Im November 2018 wurde ein erstes Depot-Buprenorphin zugelassen.10
Damit kann die Gabe des Substitutionsmittels über wöchentliche bis monatliche s. c. Injektionen erfolgen.
Dauer der Substitution
Die optimale Dauer ist unklar.
Mit einer 12-wöchigen Substitution scheinen höhere Abstinenzraten erreicht zu werden als mit einer 4-wöchigen. Allerdings ist die Rückfallrate in beiden Fällen hoch.
In der Regel ist die substitutionsgestützte Suchttherapie ein langwieriger Prozess.
Es gibt keinen vorgegebenen Zeitrahmen, innerhalb dessen die Abstinenz erreicht werden soll. Sie ist jedoch in den meisten Fällen als langfristiges Ziel anzustreben.
Unter der Entwöhnung geht die Opioidtoleranz schnell zurück – cave: Überdosis bei Rückfall!
Im bestimmten Fällen kann auch eine dauerhafte Substitution sinnvoll sein, z. B. bei schweren psychischen Begleiterkrankungen oder bei langjähriger Opioidabhängigkeit, die einer anderen Therapieform nicht zugänglich ist.
Bei Opioidabhängigen aus der Drogenszene ist Beikonsum sehr verbreitetet und geht in der Regel erst im im längeren Verlauf der Substitution zurück.
Vor allem zu Beginn der Substitution stellt der Beikonsum von anderen illegalen Drogen oder Alkohol wegen potenziell lebensbedrohlichen Interaktionen mit dem Substitutionsmittel ein erhebliches Risiko dar.
Unangekündigte Urinkontrollen können für eine realistische Einschätzung und ggf. Dosisanpassung hilfreich sein.
Patientenaufklärung
Therapietreue als entscheidender Prädiktor
Die Therapietreue der abhängigen Person ist entscheidend: Je früher sie gegen Substitutionsauflagen verstößt, desto geringer die Chance, in absehbarer Zeit Abstinenz zu erreichen.11-12
In der Regel ist die Therapietreue von Personen, die von verschreibungsfähigen Opioiden abhängig sind, deutlich besser als die von Heroinabhängigen.11,13
Bundesärztekammer. Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger, Berlin 2017. www.bundesaerztekammer.de
Bundesärztekammer. Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger – Anhang zur Patientenaufklärung. Berlin 2017. www.bundesaerztekammer.de
Literatur
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Bundesamt für Justiz. Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung - BtMVV). Stand 02.07.2018. www.gesetze-im-internet.de
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2020. F11.2 Opioidabhängigkeitssyndrom. Stand 20.09.2019; letzter Zugriff 28.09.2019. www.dimdi.de
Amato L, Minozzi S, Davoli M, Vecchi S. Psychosocial and pharmacological treatments versus pharmacological treatments for opioid detoxification. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 9. Art. No.: CD005031. DOI: 10.1002/14651858.CD005031.pub4. The Cochrane Library
Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen BAS Unternehmergesellschaft. Leitfaden für Ärzte zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger. 4. vollständig überarbeitete Auflage. München 2018. Zugriff: 29.09.2019. www.bas-muenchen.de
Amato L, Davoli M, Minozzi S, Ferroni E, Ali R, Ferri M. Methadone at tapered doses for the management of opioid withdrawal. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 2. Art. No.: CD003409. DOI: 10.1002/14651858.CD003409.pub4. The Cochrane Library
Gowing L, Ali R, White JM. Buprenorphine for the management of opioid withdrawal. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 3. Art. No.: CD002025. DOI: 10.1002/14651858.CD002025.pub4. The Cochrane Library
Bundesärztekammer. Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger. Berlin 2017. www.bundesaerztekammer.de
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Bericht zum Substitutionsregister. Berlin, Januar 2019. www.bfarm.de
Müller C. Einfachere Opioidsubstitution mit Buvidal - Buprenorphin-Depot: nur einmal pro Woche oder Monat. DAZ.online. Stuttgart, 19.02.1919. www.deutsche-apotheker-zeitung.de
Just J, Mücke M, Bleckwenn M. Abhängigkeit von verschreibungspflichtigen Opioiden. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 213-20. www.aerzteblatt.de
McDermott KA, Griffin ML, Connery HS et al. Initial response as a predictor of 12-week buprenorphine-naloxone treatment response in a prescription opioid-dependent population. J Clin Psychiatry 2015; 76: 189-94. PMID: 25562462 PubMed
Moore BA, Fiellin DA, Barry DT et al. Primary care office-based buprenorphine treatment: comparison of heroin and prescription opioid dependent patients. J Gen Intern Med 2007; 22(4): 527-30. PMID: 17372805 PubMed
Autoren
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
BBB 23.05.2023 neue Substitutionsrichtlinie.
AAA MK 30.09.2019, Artikel komplett neu geschrieben. Ursprünglicher Artikel war für D nicht brauchbar.
Revision at 16.11.2015 17:35:52:
German Version
document-professional
Substitution ist in § 5 der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, BtMVV)1 wie folgt definiert:
Die Anwendung eines Substitutionsmittels, das heißt eines ärztlich verschriebenen Betäubungsmittels, bei einem opioidabhängigen Patienten im Rahmen eines Therapiekonzeptes zur medizinischen Behandlung einer Abhängigkeit, die durch den Missbrauch von (...) Opioiden begründet ist.
Im Rahmen der ärztlichen Therapie soll eine Opioidabstinenz des Patienten angestrebt werden.