Definition:Menstruationsschmerzen, die nicht hinreichend durch einen somatischen pathologischen Befund erklärbar sind. Ursache unklar. Psychosoziale Faktoren scheinen das Erkrankungsrisiko zu beeinflussen. Pathophysiologisch vermittelt durch vermehrte Ausschüttung parakriner Hormone im Verlauf der Endometrium-Differenzierung. Diese führen zu Vasokonstriktion, Mangeldurchblutung und Krämpfen im Bereich der Uterusmuskulatur.
Häufigkeit:Sehr verbreitet unter Mädchen nach der Menarche und bei jungen Frauen, verbessert sich häufig im Laufe der Zeit und vor allem nach dem Gebären eines Kindes.
Symptome:Die Symptome bestehen in krampfartigen Schmerzen im Unterleib, der Leistengegend, dem unteren Rücken und den Innenseiten der Oberschenkel. Häufig mit Begleitsymptomen wie Übelkeit/Erbrechen, Fatigue, Reizbarkeit, Diarrhö, Lumbago. Beginnt einige Stunden, bevor die Blutung einsetzt, klingt normalerweise nach 24 Stunden ab.
Befunde:In der Regel unauffälliger somatischer Befund. Evtl. psychische Begleitsymptomatik und/oder Komorbidität.
Diagnostik:Normalerweise sind keine Zusatzuntersuchungen erforderlich.
Therapie:Physikalische Behandlung wie Wärmeapplikation oder TENS, regelmäßige körperliche Aktivität, ggf. mit dem Rauchen aufhören, evtl. verhaltenstherapeutische Interventionen. Die medikamentöse Behandlung besteht in Analgetika wie NSAR sowie in hormonellen Kontrazeptiva.
Allgemeine Informationen
Definition
Menstruationsschmerzen, die nicht hinreichend durch einen somatischen pathologischen Befund erklärbar sind.1
Beginnt bei den meisten Patientinnen 6–12 Monate nach der Menarche, wenn sich der Ovulationszyklus etabliert hat.
Die Schmerzen treten oft zu Beginn der Menstruationsblutung ein und halten meistens 8–72 Stunden an.3
Häufigkeit
Die Prävalenz unter jungen Frauen, die noch nicht entbunden haben, wird mit 20–90 % angegeben, abhängig von der verwendeten Erhebungsmethode.4-7
10–15 % sind von so starken Schmerzen betroffen, dass sie einen oder mehrere Tage im Monat arbeitsunfähig sind.4,8 Die primäre Dysmenorrhö ist unter Mädchen im Teenageralter die häufigste Ursache von wiederholtem Fehlen in der Schule.5,9-11
Das Ablösen des Endometriums während der Menstruation geht mit einer lokalen Produktion parakriner Hormone wie Prostaglandine, Leukotriene und Vasopressin einher.
Ist diese parakrine Aktivität gesteigert, resultieren:
Uteruskontraktionen, die zu einer Verminderung der Blutzufuhr und damit zur Hypoxie der Gebärmuttermuskulatur führen. Das erklärt den oft wehenähnlichen Schmerzcharakter.
Senkung der Schmerzschwelle
Begleitsymptome wie:
Übelkeit/Erbrechen
Kopfschmerz
Fiebergefühl.
Bei Anovulation, bei der kein Progesteron gebildet wird, wird auch kein Prostaglandin gebildet, und die Schmerzen sind weniger prononciert.
Die Ursache der erhöhten parakrinen Aktivität ist unklar.
Sicher ist allerdings, dass ihr keine primär endokrine Zyklusstörung zugrunde liegt, denn normale Ovulationszyklen und die daraus erfolgende Differenzierung des Endometriums sind Voraussetzung für die Produktion und Ausschüttung von Prostaglandinen.
Psychische Faktoren und Umwelteinflüsse haben einen erheblichen Einfluss auf das Schmerzerleben und scheinen maßgeblich zu Entstehung und Aufrechterhaltung einer primären Dysmenorrhö beizutragen. Dazu zählen z. B.:
soziokulturelle und familiäre Faktoren (negative Bewertung und Tabuisierung der Menstruation)
fehlgeleitete Konflikt- und Stressverarbeitung
dysfunktionale Persönlichkeitsfaktoren und Rollenidentifikationen.
Versuche der Gewichtsreduktion bei Frauen zwischen 14 und 20 Jahren verursachen erhöhte Menstruationsschmerzen unabhängig vom Body-Mass-Index.15
Kein konsistenter Zusammenhang zwischen Übergewicht und Dysmenorrhö8,12-13
Faktoren wie körperliche Aktivität und Alkoholkonsum scheinen das Auftreten einer Dysmenorrhö nicht zu begünstigen.13-14
Depression, Angst und Umbrüche im sozialen Netzwerk der Betroffenen gehen mit einer erhöhten Dysmenorrhö-Inzidenz einher16, aber nicht der sozioökonomische Status.7,11
Eine gynäkologische Untersuchung ist bei Mädchen, die noch keinen Geschlechtsverkehr hatten, und bei denen kein Hinweis auf eine sekundäre Dysmenorrhö besteht, meistens nicht notwendig.22
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Bei atypischer Symptomatik ggf.:
Ultraschall des Beckens
ggf. zum Ausschluss auslösender Ursachen
Kann indiziert sein bei fehlender Wirkung einer Therapie.24
Mögliche nichtmedikamentöse Ansätze berücksichtigen. Auch bei bislang unbefriedigenden Wirksamkeitsbelegen erscheint ein Behandlungsversuch mit diesen sehr nebenwirkungsarmen Therapieoptionen vertretbar.
Regelmäßige körperlicher Bewegung (s. u.), evtl. zusätzlich vor erwarteter Periodenblutung oder bei Beschwerdebeginn26
Nichtmedikamentöse Therapie
Lokale Wärme
Verwendung von Heizkissen/Wärmeflasche scheint genauso gut zu wirken wie NSAR (Ib).27-28
Körperliche Aktivität
Einer Cochrane-Metaanalyse zufolge ist mindestens 3-mal wöchentlich praktizierte, je 45–60 Minuten dauernde körperliche Bewegung unabhängig von der Bewegungsintensität wirksam in der Behandlung von Dysmenorrhö. Die Schmerzintensität konnte damit um 25 mm auf einer 100-mm-VAS (visuelle Analogskala) gesenkt werden.29
Verhaltenstherapie – vorläufige Hinweise auf Wirksamkeit30
kognitive Verhaltenstherapie mit Fokus auf die schmerzbezogenen Kognitionen und Verarbeitungsmuster
Biofeedback
EMG(Elektromyografie)-gestütztes Training zur Übung muskulärer Kontrolle
Entspannungsverfahren
Atemübungen nach Lamaze
Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)
Hochfrequente TENS hat sich in mehreren placebokontrollierten Studien als wirksam erwiesen.31-32
Eine Metaanalyse zeigte, dass nur hochfrequente TENS, nicht aber niedrigfrequente TENS einer Placebobehandlung überlegen war (Ia).32
Akupunktur
Vorläufige Hinweise auf Wirksamkeit bedürfen der Überprüfung in Studien höherer Qualität.33-34
Pflanzliche Mittel und Nahrungsergänzungsmittel
Die Qualität der dazu durchgeführten Studien genügt nicht, um die Wirksamkeit dieser Mittel beurteilen zu können (Ia).35
Die Wirksamkeit chinesischer Kräutermedizin ist laut Studien vielversprechend, wobei die Qualität der Studien für eine sichere Aussage zu gering ist.36
Direkt schmerzlindernd durch Hemmung der Prostaglandinsynthese.
Reduziert die Menge des Menstruationsblutes.
Ob Unterschiede zwischen der Wirksamkeit verschiedener NSAR bestehen, lässt sich anhand der bisherigen Studien nicht beurteilen (Ia).25
zugelassen zur Dysmenorrhö-Behandlung
ab dem 10. Lebensjahr: Ibuprofen
ab dem 12. Lebensjahr: Naproxen
Analgetika ohne spezifische Zulassung zur Dysmenorrhö-Behandlung
Paracetamol
Celecoxib ist in den USA bei Erwachsenen zur Dysmenorrhö-Behandlung zugelassen. Es kommt nur in besonders begründeten Fällen infrage, z. B. wenn die Vermeidung gastrointestinaler Nebenwirkungen im Vordergrund steht.
Einnahme des Medikaments möglichst 1–2 Tage vor Menstruationsbeginn9
Start mit höherer Dosierung, ggf. mit weiteren 1–2 niedrigeren Dosen während des ersten Tages fortsetzen.
Dosierung Ibuprofen
maximale Einzeldosis
200 mg bei 10- bis 12-Jährigen
400 mg bei > 12-Jährigen
maximale Tagesdosis
800 mg bei 10- bis 12-Jährigen
1.200 mg bei > 12-Jährigen
Dosierung Naproxen
maximale Einzeldosis
Erstdosis 440 mg, danach 220 mg
Dosierung Paracetamol (cave: hepatotoxische Effekte bei kumulativer Überdosierung)
maximale Einzeldosis
500 mg bei 11- bis 12-Jährigen
1.000 mg bei > 12-Jährigen
maximale Tagesdosis
2.000 mg bei 11- bis 12-Jährigen
4.000 mg bei > 12-Jährigen
Dosierung Celecoxib
maximale Einzeldosis: 100 mg
maximale Tagesdosis: 200 mg
Hormonelle Kontrazeptiva (Off-Label-Use)
Mit der Ovulationshemmung wird die Produktion von Prostaglandinen reduziert.1,38
Gestagene sind Standard in der Dysmenorrhö-Behandlung.
als Monopräparate oder in Kombination mit einem Östrogen
Bislang ist kein Präparat zu Behandlung der primären Dysmenorrhö zugelassen (Stand Dezember 2020).
Das synthetische Gestagen Dienogest ist zur Behandlung der Endometriose zugelassen.18
Es ist nicht sicher, ob ein Unterschied in der Wirksamkeit der verschiedenen Arten von oralen Kontrazeptiva besteht39-41, aber ein verlängerter Ovulationszyklus scheint die Dysmenorrhö weiter zu reduzieren.
Präparate zur transdermalen Applikation wirken weniger gut auf die Dysmenorrhö als orale Kontrazeptiva.
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e. V. (DGPM). Funktionelle Körperbeschwerden. AWMF-Leitlinie Nr. 051-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG). Diagnostik und Therapie der Endometriose. AWMF-Leitlinie Nr. 015-045. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
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Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Erika Baum, Prof. Dr. med., Professorin für Allgemeinmedizin, Biebertal (Review)
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
funktionelle Dysmenorrhö; funktionelle Körperbeschwerden; Dysmenorrhö im Jugendalter; Dysmenorrhoe
Primäre Dysmenorrhö
U-NH 05.10.17
U-MK 21.09.2018
DEGAM Baum, hat ihr Ok für die aktuellen Änderungen gegeben 15.01.21
BBB MK 07.12.2020 umfassend revidiert, aktuelle LL.
Revision at 26.10.2015 16:53:09:
DEGAM 17.5.16 Baum
GErman Version, reviewed chck go 17.5.
Definition:Menstruationsschmerzen, die nicht hinreichend durch einen somatischen pathologischen Befund erklärbar sind. Ursache unklar. Psychosoziale Faktoren scheinen das Erkrankungsrisiko zu beeinflussen. Pathophysiologisch vermittelt durch vermehrte Ausschüttung parakriner Hormone im Verlauf der Endometrium-Differenzierung. Diese führen zu Vasokonstriktion, Mangeldurchblutung und Krämpfen im Bereich der Uterusmuskulatur.
Gynäkologie
Dysmenorrhö, primäre
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