Definition: Anscheinend lebensbedrohliches Ereignis (ALE)/Apparent Life Threatening Event (ALTE). Passagerer, plötzlich eintretender und lebensbedrohlich erscheinender Zustand bei Säuglingen.
Häufigkeit: 0,6-4,0/1000 Lebendgeborene.
Symptome: Apnoe, Blässe, Zyanose oder andere Verfärbungen der Haut, schlaffer oder steifer Muskeltonus, Würgen oder Anzeichen von Ersticken.
Befunde: Zum Zeitpunkt der ärztlichen Vorstellung meist asymptomatisch.
Diagnostik: Detaillierte Anamnese. Keine routinemäßige apparative Diagnostik. Ggf. gezielte Untersuchungen in Abhängigkeit von Risikofaktoren und vermuteter zugrundeliegender Erkrankung. Ünerwachung am Speichermonitor und evtl. Ereignismonitoring über 4–6 Wochen.
Therapie: Beenden des akuten Ereignisses durch Stimulation oder Reanimation, Therapie der Grunderkrankung.
Allgemeine Informationen
Definition
Plötzlich einsetzender, lebensbedrohlich wirkender Zustand bei Säuglingen, der mit einer Kombination aus Apnoe, Veränderung der Hautfarbe (Blässe, Zyanose, Plethora, Erythem), Veränderung des Muskeltonus, Würgen oder Erstickungssymptomatik einhergeht.1
Der akute Zustand wird durch Stimulation oder Reanimation therapiert.
Zum Zeitpunkt der ärztlichen Vorstellung ist das Kind zumeist asymptomatisch.
Ein ALE selbst ist keine Diagnose, sondern Ausdruck einer zugrunde liegenden Erkrankung, die jedoch in etwa 23–50 % der Fälle unbekannt bleibt.2-3
Die American Academy of Pediatrics schlägt seit 2016 die Änderung der Nomenklatur von ALTE (Apparent Life Threatening Event) zu BRUE (Brief Resolved Unexplained Event/kurzzeitiges, wieder beendetes, unerklärtes Ereignis) vor. Ziel ist, die Diagnose auf Kinder ohne identifizierbare zugrunde liegende Erkrankung zu beschränken und die möglicherweise irreleitende Zuweisung „threatening/lebensbedrohlich“ zu vermeiden.
Durch Anamnese und klinische Untersuchung werden Risikogruppen identifiziert, an denen sich das Ausmaß der weiteren Diagnostik orientieren soll.
Die vorgeschlagene Nomenklatur hat sich noch nicht durchgesetzt, allerdings bietet die die Einteilung in Risikogruppen eine hilfreiche Handreichung für das weitere diagnostische Vorgehen.
Höheres Risiko für ein erneutes BRUE oder eine ernsthafte zugrunde liegende Störung
Grund für 0,6–0,8 % aller Notfallvorstellungen von Kindern < 1 Jahr2
Auftreten meist bei Kindern < 1 Jahr
Höchste Inzidenz zwischen der 1. Lebenswoche und dem 2. Lebensmonat, die meisten Episoden bei Kindern < 10 Wochen1
Ätiologie und Pathogenese
ALE ist Ausdruck einer zugrunde liegenden Erkrankung/Störung, keine eigenständige Diagnose.
Der kausale Zusammenhang zwischen identifizierten Krankheiten, Risiken und Umständen und dem ALE kann häufig nicht bewiesen werden.
Es scheint kein Zusammenhang zwischen ALE und SIDS (Sudden Infant Death Syndrome) zu bestehen.3
Mögliche Auslöser, zusammengetragen aus einer Übersichtsarbeit mit 8 Studien und 643 Patienten (in Klammern Angabe der Häufigkeit der Diagnose als Ursache für ein ALE)2
P28 Sonstige Störungen der Atmung mit Ursprung in der Perinatalperiode
P28.3 Primäre Schlafapnoe beim Neugeborenen
P28.4 Sonstige Apnoe beim Neugeborenen
R06 Störungen der Atmung
R06.0 Dyspnoe
R06.1 Stridor
R06.2 Ziehende Atmung
R06.3 Periodische Atmung
R06.4 Hyperventilation
R06.5 Mundatmung
R06.6 Singultus
R06.7 Niesen
R06.8-Sonstige und nicht näher bezeichnete Störungen der Atmung (Exkl.: Apnoe beim Neugeborenen (P28.4), Schlafapnoe (G47.3-), Schlafapnoe beim Neugeborenen (primär) (P28.3))
R06.80 Akutes lebensbedrohliches Ereignis im Säuglingsalter, Apparent life- threatening event [ALTE], Near-missed SIDS [sudden infant death syndrome]
R09 Sonstige Symptome, die das Kreislaufsystem und das Atmungssystem betreffen
R09.0 Asphyxie
R09.2 Atemstillstand
R09.8 Sonstige näher bezeichnete Symptome, die das Kreislaufsystem und das Atmungssystem betreffen
Diagnostik
Diagnostische Überlegungen
Einheitliche Richtlinien für eine systematische Diagnostik bei ALE existieren nicht.
Wesentlich sind eine ausführliche Anamnese und eine Einschätzung des Risikos für eine ernsthafte zugrunde liegende Erkrankung oder das Auftreten eines weiteren ALE, die eine weitere gezielte Diagnostik erfordern.
Es gibt keine Indikation für routinemäßige apparative oder laborchemische Diagnostik bei einem asymptomatischen Kind.
Weiterführende Diagnostik aufgrund eines erhöhten Risikos für ein erneutes ALE oder eine ernsthafte zugrunde liegende Störung ist angezeigt bei:5-9
Stimulation oder Reanimation zur Therapie des akuten Ereignisses
Ggf. Behandlung der Grunderkrankung
Es gibt derzeit keinen Konsensus zum Einsatz von Heimmonitoren. In den bislang untersuchten und publizierten Studienpopulationen wurde Heimmonitoring bei jeweils individuell definierten Risikogruppen für meist max. 6 Wochen durchgeführt. In Ermangelung vergleichbarer Daten und ausreichender Fallzahlen kann keine allgemeine Aussage zur Verbesserung des Outcomes getroffen werden. Bei symptomlosen Kindern ohne erhöhtes Risiko eines erneuten ALE gibt es keine Indikation für Heimmonitoring. Der Einsatz eines Heimmonitors ist individuell zu diskutieren bei:
Fehlbildungen der oberen Atemwege, Tracheostomie, neurologische, metabolische oder andere Erkrankungen mit dem Risiko einer Störung der Respiration.3
Beim Einsatz eines Heimmonitors ist ständiger medizinischer und technischer Support zu gewährleisten, um im Fall eines erneuten Ereignisses adäquat reagieren zu können, außerdem sind ein Reanimationstraining sowie eine umfassende Aufklärung und Beratung der Eltern/Betreuungspersonen des Kindes unerlässlich.3
Empfehlungen für Patienten
Ggf. Reanimationstraining für Eltern (in jedem Fall, wenn Monitor mit nach Hause gegeben wird)
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Bei 10 % der Kinder tritt innerhalb der ersten Tage bis Wochen ein erneutes Ereignis auf.5
Kommt es innerhalb von 4 Wochen nach erstem ALE zu keinem weiteren Ereignis auf, ist das Risiko für ein weiteres ALE im Vergleich zu Kindern ohne ALE nicht mehr erhöht.5,10
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Tieder JS, Altman RL, Bonkowsky JL et al. Management of Apparent Life-Threatening Events in Infants: A Systematic Review. The Journal of Pediatrics 2013; 163: 94-99. dx.doi.org
Committee on Fetus and Newborn. American Academy of Pediatrics. Apnea, sudden infant death syndrome, and home monitoring. Pediatrics 2003; 111: 914-7. pmid:12671135 PubMed
Autoren
Anne Strauß, Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
Ulrike Arendt, Dr. med., Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Leipzig
Elisabeth Olhager, med dr och överläkare, Barn- och ungdomsmedicinska kliniken, Linköping-Motala
Kurt Østhuus Krogh, specialist inom barnsjukdomar, barne- og ungdomsklinikken, St. Olavs Hospital, Trondheim