Allgemeine Informationen
Definition
- Das Gilbert-Meulengracht-Syndrom ist eine autosomal-rezessiv vererbte Störung des Bilirubin-Stoffwechsels.1
- Es resultiert eine Hyperbilirubinämie mit unkonjugiertem Bilirubin
. - ohne gesteigerte Hämolyse oder zugrunde liegende Leberkrankheit
- Es resultiert eine Hyperbilirubinämie mit unkonjugiertem Bilirubin
- Synonyme
12- Morbus Gilbert-Meulengracht
- Morbus Meulengracht
- Icterus intermittens juvenilis
- Cholämie, familiäre
- Hyperbilirubinämie Typ 1
- Gilbert-Syndrom
- Das Gilbert-Meulengracht-Syndrom gehört zu den familiären Hyperbilirubinämie-Syndromen, weitere sind:
2-3- Crigler-Najjar-Syndrom
- Dubin-Johnson-Syndrom
- Rotor-Syndrom
- Summerskill-Walshe-Tygstrup-Syndrom (benigne rekurrente Cholestase).
- Crigler-Najjar-Syndrom
Charakteristisches Symptom ist ein intermittierend auftretenderIkterus, verursacht durch eine Hyperbilirubinämie mit unkonjugiertemBilirubinbei partiellem Aktivitätsmangel der hepatischen Bilirubin-Glucuronyltransferase.Eine Erhöhung des Bilirubinwerts infolge von Krankheit oder Stress kann Episoden vonGelbsuchtauslösen.Bei betroffenen Kindern und Erwachsenen werden ikterische Episoden oft durch Fasten oder Infektionen ausgelöst.Während dieser Perioden können leichteabdominelle SchmerzenundÜbelkeitauftreten.
Die übrigen Leberwerte sind unauffällig.Die Erkrankung ist ungefährlich und erfordert keine Therapie. Das Meulengracht-Syndrom ist eine harmlose Normvariante.4Die Einnahme von Medikamenten, die über die Leber verstoffwechselt werden, ist in der Regel bis auf wenige Ausnahmen problemlos möglich (siehe AbschnittTherapie).4-5
Häufigkeit
RelativBetriffthäufig,3–13 %herkunftsabhängigder Bevölkerung.3vorUnterschiedlicheallemHäufigkeit bei verschiedenen ethnischen Gruppen- am häufigsten in der europäischen Bevölkerung
Homozygotes Auftreten der Anlage bei etwa 9–17 %5-6Bei 3–10 % der Betroffenen entwickelt sich auch einIkterus(unvollständige Penetranz).
Der Ikterus trittDiagnose meistzwischenimdemTeenager-15oder jungen Erwachsenenalter.und 40. Lebensjahr erstmalig auf.1- Männer sind
42- bis 7-mal häufiger betroffen als Frauen.1
Ätiologie und Pathogenese
- Erblich bedingte Störung des Bilirubinstoffwechsels
- Autosomal rezessiver Erbgang, zur Symptomatik kommt es bei homozygoten oder compound-heterozygoten (zwei unterschiedliche, heterozygote Mutationen des gleichen Gens) Patient*innen.
73 AutosomalMittlerweile wurden mehr als 100 verschiedene Mutationen im Zusammenhang mit dem Meulengracht-rezessiverSyndromErbganggefunden.3
EsDerliegthäufigste Genotyp bei Menschen europäischer Herkunft ist ein Polymorphismusimder TATAA-Box-Sequenz des UGT1A1-Gens (Bilirubin-UDP-Glucunoryltransferase-Genvor, das die UDP-Glucunoryltransferase in der Leberzelle kodiert).- Führt zu einer reduzierten Genexpression.
- bei Heterozygotie ca. 30
2
SymptomeVerschiedene(Ikterus)weiterebeiMutationen,homozygotemdieAuftretenin anderen Populationen häufiger auftreten.
- Bilirubin entsteht beim Abbau von Hämoglobin.
DerUnkonjugiertesHäm-Anteil des Hämoglobins besteht aus einem Porphyrin-Ring(indirektes,dernichtüber Zwischenschritte zu Bilirubin abgebaut wird.- wasserlösliches) Bilirubin wird
dannzur Leberzelle transportiert und dort konjugiert, d. Bilirubinvor der Leberzelle=unkonjugiert=indirekt=an Transportproteine gekoppelt=nicht wasserlöslich=nicht ausscheidbarnach der Leberzelle=konjugiert=direkt=h. an Glucuronsäure gekoppelt=.- Konjugiertes (direktes) Bilirubin ist wasserlöslich
=ausscheidbarund wird über die Galleund Urinausgeschieden.
-
- Die Glukuronidierung
(Konjugation mit Glucoronsäure)des unkonjugierten Bilirubins in der Leberzelle ist beim Gilbert-Meulengracht-Syndrom vermindert. Es resultiert eineErhöhung des indirekten (unkonjugierten) Bilirubins im Blut.
- Die Glukuronidierung
Die Bildung konjugierten Bilirubins in den Leberzellen ist somit gestört.Die Konjugation ist Voraussetzung dafür, dass das Bilirubin über die Galle oder den Urin ausgeschieden werden kann.Indirektes, unkonjugiertes Bilirubin ist nicht wasserlöslich und kann nicht ausgeschieden werden, verbleibt jedoch nicht in der Leberzelle, sondern wird wieder ans Blut abgegeben.
Prädisponierende Faktoren
- Genetische Disposition
- positive Familienanamnese
Infektionen,PrädisponierendeFasten,Faktoren für eine Episode mit Hyperbilirubinämie/DehydratationIkterus:1,
ICPC-2
- D13 Gelbsucht
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E80 Störungen des Porphyrin- und Bilirubinstoffwechsels
- E80.4 Gilbert-Meulengracht-Syndrom
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Kriterien für die Diagnosestellung1
- Episoden von Hyperbilirubinämie mit unkonjugiertem Bilirubin
- ggf. Ikterus
- sonstige Leberwerte, LDH und Blutbild unauffällig
- keine
KrankheitszeichenZeichen einer chronischen Lebererkrankung - keine Hepatosplenomegalie
- Das wiederholte Auftreten einer Hyperbilirubinämie mit unkonjugiertem Bilirubin (über Monate und Jahre) ohne Anzeichen einer anderen Erkrankung der Leber bekräftigt die Diagnose.
- Eine genetische Untersuchung ist möglich (Gen UGT1A), jedoch in der Regel nicht notwendig.1
Differenzialdiagnosen
ÜberproduktionVermehrte Produktion von unkonjugiertem Bilirubin- Familiäre Hyperbilirubinämie-Syndrome
- Crigler-Najjar-Syndrom
- Dubin-Johnson-Syndrom
- Rotor-Syndrom
- Summerskill-Walshe-Tygstrup-Syndrom
- Chronische Lebererkrankung/Zirrhose
- Galleabflussstörungen
- Medikamenteninduzierte Hyperbilirubinämien, z. B.:
- Rifampicin
- Paracetamol in toxischer Dosierung
- Sulfasalazin
- Methyldopa
- Erythromycin
- Östrogene.5
Anamnese
Die Erkrankung verlHäuft in aller Regelufig asymptomatisch- Häufig Zufallslaborbefund einer intermittierenden unkonjugierten Hyperbilirubinämie
- Intermittierend auftretender Ikterus (ca. 50 % der Betroffenen)4
- Eine Erhöhung des Bilirubinwerts infolge von Fasten, Dehydratation, physischer Erschöpfung, Infektionen, Operationen oder Stress kann Episoden von Gelbsucht auslösen.
ManchmalDauerwirdder Episode ca. 20 Tage4
- Weitere Symptome im Zusammenhang mit einem erhöhten Bilirubinspiegel
von unspezifischen:4,6-7- Bauchschmerzen
undAbgeschlagenheitberichtet - Übelkeit,
wobeiAppetitverlust - starke
dieseMüdigkeit - Abgeschlagenheit, Antriebslosigkeit
- Konzentrationsstörungen
- depressive
Erscheinungen vermutlich eher auf auslösende Faktoren wie Infektionen oder Stress zurückzuführen sindVerstimmungen.
- Bauchschmerzen
- Die typischen Zeichen einer Cholestase wie dunkler Urin oder heller Stuhl treten bei einer verminderten Konjugation nicht auf.
BeiMedikamentenanamnese zum Ausschluss einerCholestasemedikamenteninduziertenkannBilirubinin der Leberzelle konjugiert werden, das konjugierte Bilirubin kann dann aber nicht über die Gallenflüssigkeit ausreichend ausgeschieden werden und ist daher im Darm vermindert sowie im Blut und Urin erhöht nachweisbar (heller Stuhl, dunkler Urin).Konjugiertes Bilirubin ist wasserlöslich und kann alternativ über den Urin ausgeschieden werden, nichtkonjugiertes Bilirubin kann weder über Darm noch Niere ausgeschieden werden (siehe AbschnittÄtiologie und Pathogenese).
Klinische Untersuchung
- Abgesehen von einem i. d. R. leichten, intermittierenden Ikterus ist das klinische Bild unauffällig.
Kein Bilirubin imFehlenUrinvon Anzeichen einer Anämie- Fehlen von Anzeichen einer chronischen Lebererkrankung (Spider Nävi, Palmarerythem, Enzephalopathie, Gynäkomastie)3
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Bilirubin
- Hyperbilirubinämie, fast immer geringgradig (<
- Normwerte Erwachsene: <
- Hyperbilirubinämie, fast immer geringgradig (<
- AP, Gamma-GT, GPT (ALAT), GOT (ASAT), Albumin zur Abklärung von Cholestase und Schädigung/Erkrankung der Leber
- Die übrigen Leberwerte sind unauffällig.
- Differenzialblutbild, Haptoglobin und LDH
zurzumAbklärungAusschluss einer Hämolyse- Kein Bilirubin im Urin (unkonjugiertes Bilirubin ist nicht wasserlöslich)
.
Diagnostik beimbei SpezialistenSpezialist*innen
- Die Leberbiopsie ergibt einen unauffälligen Befund und ist somit nicht
erforderlich!indiziert.3 - Eine Genanalyse ist möglich, aber ebenfalls in der Regel nicht erforderlich.1
- Provokationstests wie der Fastentest, der beim Meulengracht-Syndrom zu einem Anstieg des Bilirubins führen, sind ebenso in der Regel nicht notwendig.1
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf eine anderweitige Ursache der Hyperbilirubinämie
Bei Unsicherheit bezüglich der Diagnose möglich, meist aber nicht notwendig(Hepatologie, Gastroenterologie, Humangenetik)
Therapie
Therapieziele
- Die Erkrankung erfordert keine Therapie.8
- Es kommt zu keiner Schädigung des Leberparenchyms, sodass in der Regel keine Einschränkungen in der Synthese- und Stoffwechselfunktion der Leber zu erwarten sind.
- Zu beachten ist, dass dennoch einige wenige über die Leber verstoffwechselte Medikamente mit Vorsicht einzunehmen sind.
56 bisher: Paracetamol- Onkologika: Irinotecan9
- HIV-Medikamente/Proteaseinhibitoren: Atazanavir, Raltegravir
Gemfibrozil, Indinavir- Eine
aktuelleLiteraturrecherche (12/2019) der AKdÄ gibt insbesondere für Paracetamol Entwarnung!48- Therapeutische Dosen von
PcmParacetamol und Ibuprofen sind auch beim M. Meulengracht ohne Bedenken zu verabreichen.- Auch wenn in der Fachinformation von Paracetamol ein entsprechender Warnhinweis angegeben wird.
810
- Auch wenn in der Fachinformation von Paracetamol ein entsprechender Warnhinweis angegeben wird.
- Erhöhte Vorsicht ist nur bei Irinotecan oder Atazanavir empfohlen.
- Therapeutische Dosen von
- Weitere Einschränkungen bei der Medikamentenwahl sind nicht bekannt.
- Bei Verdachtsfällen immer Meldung an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft! (Meldung AKdÄ)
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Auf Episoden mit Ikterus können lange Phasen mit unauffälligem Bilirubinspiegel folgen.
- Interkurrente Erkrankungen sowie Fieber und Fasten lassen den Bilirubinspiegel ansteigen.
Komplikationen
- Nicht beschrieben
- Eine Missinterpretation von Laborergebnissen bei einer parallel vorliegenden
LebererkrankungErkrankung von Leber oder Gallenwegen, die eine andere Ursache hat, ist jedoch möglich.
Prognose
- Das Gilbert-Meulengracht-Syndrom geht mit einer
gutenexzellenten Prognose einher.
Verlaufskontrolle
- Kontrolluntersuchungen sind nicht erforderlich.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie PatientenPatient*innen informieren?
- Es handelt sich um eine ungefährliche Störung des Stoffwechsels, und die auffälligen Blutwerte sind ohne Krankheitswert.
- Die
PatientenPatient*innen sollten über ihre Veranlagung Bescheid wissen und ärztliches Personal vor etwaigen Blutuntersuchungen informieren. - Die Betroffenen sollten über mögliche auslösende Faktoren informiert werden, um diese möglichst zu vermeiden.1
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen

Sklerenikterus
Quellen
Literatur
- Khoury N, Olivera-Martinez MA. Gilbert Syndrome. BMJ Best Practice, last updated 06 Sep 2022, Zugriff 25.01.2023. bestpractice.bmj.com
- Orphanet. NICHT SELTENE KRANKHEIT IN EUROPA: Gilbert-Syndrom. Paris, Orphanet, 2019 www.orpha.net
LaborlexikonMemon N, Weinberger BI, Hegyi T, Aleksunes LM.BilirubinInherited(Gesamt-)disorders of bilirubin clearance. Pediatr Res. 2016 Mar;79(3):378-86. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov- Kamal S, Abdelhakam S, Ghoraba D, Massoud Y, Aziz KA, Hassan H, Hafez T, Abdel Sallam A. The frequency, clinical course, and health related quality of life in adults with Gilbert's syndrome: a longitudinal study. BMC Gastroenterol. 2019 Feb 4;19(1):22. www.
laborlexikonncbi.denlm.nih.gov NazerKingHD, Armstrong MJ.UnconjugatedOverviewHyperbilirubinemiaof Gilbert's syndrome.emedicineDrug Ther Bull.medscape2019 Feb;57(2):27-31. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov- Deutsche Leberhilfe. Morbus Meulengracht.12/2022 www.leberhilfe.org
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2014Baum E, Donner-Banzhoff N: Fatigue as the chief complaint—epidemiology, causes, diagnosis, and treatment. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 566–76.emedicinewww.medscapeaerzteblatt.comde - Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ). Paracetamol beim Morbus Meulengracht. 12/2019 www.akdae.de
DeutscheNazerLeberhilfeH.MorbusUnconjugatedMeulengrachtHyperbilirubinemia.Juli 2019wwwemedicine.leberhilfe.orgOwns Dmedscape,EvanslastJupdated Sept.Population studies on Gilbert's syndrome. J Med Genet 1975; 12: 152-62020.PubMedBosma PJ, Chowdhury BJ, Bakker C, et alemedicine.The genetic basis of the reduced expression of bilirubin UDP-glucuronosyltransferase 1 in Gilbert's syndromemedscape.N Engl J Med 1995; 333: 1171.New England Journal of Medicinecom- Gelbe Liste. PharmIndex. Paracetamol Kontraindikationen. www.gelbe-liste.de
AutorenAutor*innen
CarolineFranziskaBeierJorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin,HamburgKaufbeurenIngardDieLøgeursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL,spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NELhttps://legehandboka.no/).