Allgemeine Informationen
Definition
- Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, bei der das Enzym Alpha-1-Antitrypsin vermindert zirkuliert und in den Leberzellen akkumuliert. Es gibt mehrere Genotypen. Nur bei einem Teil der Anlageträger wird die Erkrankung klinisch manifest.
- Die Erkrankung kann zu Leberzirrhose, Lungenemphysem und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) führen.1
- Es handelt sich um eine unterdiagnostizierte Krankheit, bei der viele Betroffene jahrelang über unerklärliche Beschwerden klagen und häufig den Arzt aufsuchen.2-
43 - Die Krankheit wurde erstmals 1963 von Laurell und Eriksson beschrieben.4-5
-6
Häufigkeit
- Die Häufigkeit von Alpha-1-Antitrypsin-Mangel wird oft unterschätzt.
- Prävalenz: etwa 1/2.500 in Westeuropa6-7
-8 - 2–5 % der europäischen Bevölkerung trägt eine pathogene genetische Anlage in heterozygoter Form.
87 - Bei COPD-Patienten
- 1–2 % der COPD-Fälle sind auf einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel zurückzuführen.8-9
-10
- 1–2 % der COPD-Fälle sind auf einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel zurückzuführen.8-9
Ätiologie und Pathogenese
- Die Erkrankung wird durch Mangel oder Funktionsverlust des Enzyms Alpha-1-Antitrypsin verursacht.
Normale Funktion von Alpha-1-Antitrypsin
- Das Enzym ist ein Serin-Protease-Hemmer, der eine zentrale Rolle bei der Inaktivierung von neutrophiler Elastase und anderen Proteasen spielt und das Protease-Antiprotease-Gleichgewicht aufrecht erhält.10-11
-12 - Alpha-1-Antitrypsin wird in der Leber gebildet und gelangt über den Blutkreislauf in die Lunge. Zusätzlich wird es auch lokal in den Makrophagen und den bronchialen Epithelzellen gebildet.
1312 - Alpha-1-Antitrypsin stellt einen wichtigen Schutzmechanismus gegen überschießende Effekte der neutrophilen Elastase dar, die durch Proteolyse und Entzündungsreaktion zu einer Zerstörung des Lungengewebes und Emphysem führen.
- Bei einigen Untertypen der Erkrankung akkumuliert fehlgefaltetes Alpha-1-Antitrypsin in den Leberzellen und führt zu einer chronischen Schädigung.
Genetik
- Die Erkrankung wird autosomal-rezessiv vererbt. Beide Allele müssen fehlerhaft sein, damit es zu einem Ausbruch der Erkrankung kommt.
- Das Gen für das Enzym liegt auf Chromosom 14 (SERPINA 1).
- Zur Nomenklatur wird das Kürzel PI (Proteaseinhibitor) verwendet, gefolgt von einem oder zwei Buchstaben für das Allel.
- M – normales Allel
- Z und S – häufigste pathogene Varianten
- Es existieren mehr als 100 weitere, größtenteils sehr seltene Varianten.
1413 - Die Nomenklatur ist historisch bedingt in der Wanderungsgeschwindigkeit des Proteins in der Gelelektrophorese (M – medium, S – slow, Z – very slow).
- Der häufigste pathogene Genotyp in Europa ist PI*ZZ. Hierbei kommt es zu einer Akkumulation von fehlgefaltetem Alpha-1-Antitrypsin in den Leberzellen.
- Heterozygote Varianten (z. B. PI*MZ oder PI*MS) stellen möglicherweise einen Risikofaktor für COPD dar.
98 - Die Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel sind vom Genotyp abhängig.
1514
siehe Tabelle: Alpha-1-Antitrypsin-Mangel-Spiegel
Pathologie
- Zu den Lebererkrankungen gehören:
- ein cholestatischer Ikterus bei Neugeborenen (neonatale Hepatitis) bis hin zum Leberversagen im Kindesalter
- Chronische Hepatitis und Zirrhose, die bei Erwachsenen auftritt.
- hepatozelluläres Karzinom.
- Lungenerkrankungen
- Alpha-1-Antitrypsin-Mangel vermindert die Fähigkeit der Lunge, sich gegen elastolytische Schäden zu schützen14-15
-16, und fast 60 % der Betroffenen entwickeln schwerwiegende Lungenerkrankungen. - Dies erhöht das Risiko für ein frühzeitig auftretendes, schweres Emphysem und wird durch Rauchen beschleunigt.
1110
- Alpha-1-Antitrypsin-Mangel vermindert die Fähigkeit der Lunge, sich gegen elastolytische Schäden zu schützen14-15
Disponierende Faktoren
- Erbkrankheit
- Eine klinische Manifestation hängt vom Genotyp und den Alpha-1-Antitrypsin-Spiegeln ab.
- Die Manifestation von Lungenerkrankungen wird durch Exposition von Zigarettenrauch und andere Schadstoffen wie Abgasen begünstigt.
- Darüberhinaus gibt es weitere modifizierende Faktoren wie Varianten in anderen Genen.
98
ICPC-2
- D97 Leberkrankheit IKA
- R95 Emphysem
ICD-10
- E88.0 Störungen des Plasmaproteinmetabolismus, nicht anderweitig klassifiziert
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Wichtigster diagnostischer Test derzeit ist die Bestimmung von Serum Alpha-1-Antitrypsin-Spiegeln.
1716 - Sind Serumspiegel erniedrigt, so schließt sich eine genetische Testung an.
Differenzialdiagnosen
- Andere Ursachen für Leberzirrhose und Lungenerkrankungen
Klinische Manifestationen
- Ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel kann prädisponierend sein für:
- Lungenerkrankungen – COPD, Emphysem und Bronchieektasie
1817 - Lebererkrankungen – chronische Hepatitis, Zirrhose oder Lebertumoren
1918 - Hauterkrankungen (deutlich seltener) – Pannikulitis
2019 - Vaskulitis – z. B. granulomatöse Polyangiitis (ehemals Wegener-Granulomatose)
2120
- Lungenerkrankungen – COPD, Emphysem und Bronchieektasie
Lungenerkrankungen
- Typische Merkmale eines Emphysems, das mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel assoziiert wird, sind frühes Auftreten (im Alter zwischen 40 und 50 Jahren), panlobuläre Verteilung und ungewöhnliche emphysematöse Veränderungen in der Lungenbasis.
1817,2221 - Das Krankheitsbild ist jedoch sehr variabel – bei einigen Patienten fehlen jedoch auch o. g. Veränderungen.1,
1716 - Symptome sind chronischer Husten und Atemnot. Häufig wird die Diagnose eines Asthma bronchiale gestellt.
1716 - In der Lungenfunktion zeigt sich früh eine Diffusionsstörung (verminderter Kohlenmonoxid-Transferfaktor), während eine obstruktive Ventilationsstörung mit verminderter FEV1 erst später messbar ist.
1716 - Auch Bronchiektasie tritt vermehrt auf.1,
1514 - Rauchen sowie Exposition gegenüber anderen inhalativen Noxen beschleunigt das Fortschreiten der Erkrankung. Diese Umweltfaktoren erklären jedoch die Variabilität im klinischen Bild bei Betroffenen nicht vollständig.
1716 - Gemäß WHO sollten alle Patienten mit COPD oder Asthma, das erst im Erwachsenenalter auftritt, auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel getestet werden.
2322
Lebererkrankungen
- Lebererkrankungen wie Hepatitis, Zirrhose und hepatozelluläres Karzinom können eine klinische Manifestation des Alpha-1-Antitrypsin-Mangels sein.
- Eine Leberfunktionsstörung kann bereits im Kindesalter auftreten (z. B. prolongierter Ikterus neonatorum)
- Eine Testung auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist bei unklaren chronischen Lebererkrankungen indiziert.
2423 - Es gibt keinen klinischen Befund, mit dem sich eine durch Alpha-1-Antitrypsin-Mangel verursachte Lebererkrankung von Lebererkrankungen anderer Ursachen unterscheiden lässt.
Weitere Manifestationen
- Pannikulitis
- schmerzhafte Entzündung des subkutanen Fettgewebes
- Sehr selten, tritt bei 1 von 1.000 Personen mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel auf.
- Vaskulitis
- granulomatöse Polyangiitis (antiPR3/c-ANCA-positive Vaskulitis)
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Ggf. Leberwerte
- Lungenfunktion
- Obstruktive Ventilationsstörung?
- Gestörte Diffusionskapazität (CO-Transferfaktor)?
Wer sollte auf AAT-Mangel getestet werden?2524
- Jeder Patient mit COPD oder Asthma im Erwachsenenalter
1716,2423- insbesondere Patienten mit Lungenempysem in jungem Alter oder ohne Risikofaktoren (Nichtraucher)
- Patienten mit Lebererkrankung unklarer Genese
2423 - Bei Bronchiektasie unklarer Genese
- Bei nekrotisierender Pannikulitis
- Bei granulomatöser Polyangiitis
- Eltern, Geschwister und ggf. Kinder eines Patienten mit diagnostiziertem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (nach vorheriger Beratung)
2423
Diagnostik beim Spezialisten
- Serum-Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel
- Untersuchung des Genotyps als BestätigungstesT
1716- primärer Test bei Testung von Verwandten
- Hierfür sollte das Einverständnis der Patientin/des Patienten vorliegen.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Therapie
Therapieziele
- Das Fortschreiten der Lungenerkrankung verlangsamen.
- Komplikationen von Lungen- und Lebererkrankung vorbeugen und behandeln.
Allgemeines zur Therapie
- Lungenerkrankung
- Für die Behandlung von Personen, die aufgrund eines Alpha-1-Antitrypsin-Mangels erkrankt sind, gelten die allgemeinen COPD-Behandlungsprinzipien.
- Rauchstopp, Impfungen, Bronchodilatoren, Rehabilitation etc.
- darüber hinaus: Substitutionstherapie
- Lebererkrankung
- keine spezifische Therapie möglich
- Behandlung nach den allgemeinen Prinzipien für chronische Lebererkrankungen
Substitutionstherapie
- Es steht gepooltes Alpha-1-Antitrypsin von Spendern zur sog. Substitutions-/Augmentationstherapie zur Verfügung.
- In Deutschland wird eine Substitutionstherapie häufig durchgeführt und auch unter gewissen Vorraussetzungen von den Krankenkassen bezahlt. Gemäß deutschen Leitlinien soll der Einsatz „erwogen werden“.
2625 - Die Behandlung ist umstritten; Empfehlungen unterscheiden sich international.
1716,2524 - Einige Studien zeigten eine Verlangsamung des Fortschreitens der obstruktiven Ventilationsstörung, andere eine Verlangsamung des Fortschreitens des Lungenemphysems in der Computertomografie. Metaanalysen kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen.26-27
-28 - Vorraussetzung für die Behandlung ist ein dauerhafter Rauchstopp.
1716
Empfehlungen für Patienten
- Rauchstopp sowie Meiden weiterer inhalativer Noxen wie Luftverschmutzung
- Meiden exzessiven Alkoholkonsums
Prävention
- Eltern, Geschwister und ggf. Kinder von Patienten mit diagnostiziertem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel sollten auf die Möglichkeit einer genetischen Testung hingewiesen werden.
Weitere Behandlungsoptionen
- Lungentransplantation
- keine kausale Therapie
- Lebertransplantation
- kausale Therapie
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Variabel
- Häufig bis zum 40.–50. Lebensjahr asymptomatisch
- Allmähliches Fortschreiten der Lungenerkrankung
Komplikationen
- COPD und Emphysem
- Leberzirrhose
- Leberversagen
- Erhöhtes Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom
Prognose
- Die häufigste Todesursache bei Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist respiratorische Insuffizienz (50–72 %) gefolgt von Leberzirrhose
(10–13 %).2928-3130
Verlaufskontrolle
- Lungenerkrankung
- gemäß den Empfehlungen für COPD
- Lebererkrankung
- bei Risikokonstellation (z. B. PI*ZZ Phänotyp), jedoch nicht manifester Lebererkrankung: z. B. jährliche Verlaufskontrolle mit körperlicher Untersuchung und Laborkontrolle und einmalige Sonografie
- bei manifester Lebererkrankung gemäß den entsprechenden Empfehlungen, z. B. halbjährliche Sonografie
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Wichtigste Maßnahme, um ein Fortschreiten der Lungenerkrankung zu verhindern ist ein dauerhafter Rauchverzicht. Auch andere inhalative Noxen (z. B. Luftverschmutzung) sollten nach Möglichkeit gemieden werden.
- Über die Möglichkeit einer Substitutionstherapie
- Weitere Familienmitglieder können betroffen sein.
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Patientenorganisationen
- Alpha1 Deutschland e. V. – Gesellschaft für Alpha-1-Antitrypsinmangel-Erkrankte
Kompetenzzentren
Leitlinie
- Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Nicht-alkoholische Fettlebererkrankungen. AWMF-Leitlinie Nr. 021-025. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V., Deutschen Atemwegsliga: Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD). AWMF Registernummer 020-006. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
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Autoren
- Dietrich August, Dr. med., Assistenzarzt in Weiterbildung für Innere Medizin, Freiburg
- Ingard Løge, spesialist i allmennmedisin, redaktør NEL
- Hermod Petersen, professor og overlege, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet og Medisinsk avdeling, Regionsykehuset i Trondheim
- Eiliv Brenna, spesialist i gastroenterologi og overlege, Medisinsk avdeling, Regionsykehuset i Trondheim