Definition:Durchfallerkrankung im Zusammenhang mit einer Reise.
Häufigkeit:Reisediarrhö ist die häufigste Infektionskrankheit bei Fernreisen.
Symptome:Breiig-weiche oder wässrige Durchfälle, können blutig sein, ggf. Bauchschmerzen, Fieber, Übelkeit und Erbrechen.
Befunde:Zeichen der Dehydratation.
Diagnostik:Normalerweise keine weitere Diagnostik erforderlich.
Therapie:Außer ausreichender Flüssigkeitszufuhr ist in den meisten Fällen keine weitere Behandlung erforderlich. Nur in Ausnahmefällen werden Antibiotika verabreicht.
Allgemeine Informationen
Definition
Die Reisediarrhö (Reisedurchfall) gilt als die häufigste Infektionskrankheit bei Fernreisen.1
Reisediarrhö tritt abhängig vom Reiseland bei 20–70 % aller Reisenden auf, ca. 40 % der Betroffenen müssen durch eine Erkrankung ihre Reisepläne ändern.2
Die Ansteckungsgefahr ist vom Reiseziel abhängig.
Tritt häufiger in warmer Jahres- oder Regenzeit auf.3
Ätiologie und Pathogenese
Als Risikofaktoren für die Reisediarrhö gelten folgende Faktoren:1
Unterschiede im Hygienestandard zwischen Heimat- und Reiseland
die Nahrungsmittelhygiene vor Ort (Diätfehler)
eingeschränkte oder reduzierte Magensäuresekretion (z. B. Protonenpumpeninhibitor-Einnahme, Z. n. Gastrektomie).
Besonders betroffen sind Kinder, Schwangere, ältere Menschen sowie Personen mit Immundefiziten, eine genetische Veranlagung wird angenommen.
Die Reisediarrhö ist normalerweise eine milde bis moderate Durchfallerkrankung, die selbstlimitierend ist.
Es gibt aber auch schwere dysenterische Verläufe mit blutiger Diarrhö, meist Fieber, die zu Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlusten mit konsekutivem Nierenversagen und Kreislaufproblemen führen können.1
Mikrobiologie
Folgende bakterielle Erreger sind die häufigste Ursache:4
am häufigsten enterotoxische E. coli (ETEC) (40 %)
Bei einem Tropenrückkehrer*innen mit fieberhafter Diarrhö nach Reise in Malariagebiete soll eine sofortige Malariadiagnostik (medizinischer Notfall, Sofortdiagnostik) erfolgen.
Bei jeder fieberhaften Diarrhö (> 38,5° C) sollten Blutkulturen gewonnen werden.
Bei vorangegangener Antibiotikatherapie oder Chemotherapie sollte an Clostridium difficile gedacht werden.
Bei Eosinophilie
V. a. Strongyloides stercoralis, Isospora belli
Bei Langzeitaufenthalt im Reiseland kann eine tropische Sprue der Grund für eine Durchfallerkrankung sein.
Parasiten: Untersuchung von 2 Proben bei 2 verschiedenen Stuhlgängen
Einweisung zur stationären Behandlung bei Anzeichen schwerer Dehydrierung oder stark beeinträchtigtem Allgemeinbefinden
Therapie
Therapieziele
Der Erkrankung vorbeugen.
Flüssigkeits- und Salzhaushalt aufrechterhalten.
Allgemeines zur Therapie
Die Regulierung des Flüssigkeits- und Mineralhaushalts steht bei allen Durchfallerkrankungen an 1. Stelle.
Eine leichte Diarrhö wird symptomatisch und diätetisch behandelt.4
Bei schwereren Erkrankungen können Antibiotika in der Lage sein, die Diarrhöfrequenz zu senken und die Diarrhödauer zu verkürzen, allerdings ist für eine empirische Antibiotikatherapie die Kenntnis der Resistenzsituation in den jeweiligen Ländern unabdingbar.1
Allgemeine Maßnahmen
Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei allen Patient*innen mit infektiöser Gastroenteritis besteht in einer ausreichenden Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution.1
Bei leichten Erkrankungen reicht gesüßter Tee in Kombination mit Salzgebäck oder mit Zucker und Salz angereicherte Fruchtsaftverdünnung zur Rehydratation.
Salz- und Glukosetrinklösung (orale Rehydratationslösung, „WHO-Trinklösung“) mit einer Osmolarität von 245 mOsm/l und folgender Zusammensetzung: Glukose 13,5 g/l, Natriumchlorid 2,6 g/l, Kaliumchlorid 1,5 g/l und Natriumcitrat 2,9 g/l.
In sehr schweren Fällen (schwere Dehydrierung ≥ 10 % Körpergewicht, Kreislaufschock oder Bewusstseinsstörung) oder bei trotz antiemetischer Therapie fortbestehend schwerem Erbrechen sollte eine Infusionsbehandlung erfolgen.
Eine kurzdauernde symptomatische Therapie mit motilitätshemmenden Substanzen (z. B. Loperamid) kann bei unkompliziertem Krankheitsbild durchgeführt werden (ab einem Alter von 12 Jahren).
nicht bei blutiger Diarrhö, Fieber oder Megakolon
Symptomatische analgetische/spasmolytische Therapie kann gemäß des Stufenschemas der WHO mit Paracetamol, Metamizol (ab 10 Jahren), bei schweren Schmerzen Opioiden (z. B. Morphintropfen, auch bei Kindern, nach Körpergröße dosiert, nicht bei Ileussymptomatik oder toxischem Megakolon) sowie Butylscopolamin (ab 6 Jahren) durchgeführt werden.
Vermieden werden sollten Acetylsalicylsäure, nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) und Coxibe.
Bei Erbrechen kann eine antiemetische Therapie mit z. B. Domperidon p. o. oder Dimenhydrinat als Supp. erfolgen.
Medikamentöse Therapie
Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen: Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung. Keine Kombination mit Kortikosteroiden. Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.7
Eine empirische Antibiotikatherapie sollte eingesetzt werden:
bei Diarrhö mit Fieber und/oder Blutabgängen
bei Risikopatient*innen für Komplikationen (Immunsupprimierte, onkologische Patient*innen, Senior*innen).
Auch bei Verdacht auf bakterielle Erreger ohne Fieber und Blutabgänge kann eine empirische Antibiotikatherapie erwogen werden.
Azithromycin (500 mg/Tag p. o. für 3 Tage oder 1.000 mg einmalig p. o.), insbesondere in Südostasien, Indien und Nepal4
Ciprofloxacin (1 g/Tag p. o. oder 800 mg/Tag i. v.)
Fluorchinolone sollten nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Bewertung im Einzelfall angewendet werden.8
Insbesondere bei älteren Menschen, eingeschränkter Nierenfunktion, nach Organtransplantation und bei gleichzeitiger Behandlung mit Kortikosteroiden ist Vorsicht geboten.
Bei Anzeichen einer schwerwiegenden Nebenwirkung sollte die Behandlung beendet werden.
Bei Verdacht auf eine Infektion mit Amöben sollte bei schwerem Krankheitsbild nach Einleitung einer Diagnostik Metronidazol (3 x 10 mg/kg/Tag (max. 3 x 800 mg) i. v. oder p. o. über 10 Tage eingesetzt werden.1
anschließende Behandlung einer evtl. noch bestehenden Darmlumen-Infektion: Paromomycin 3 x 500 mg/Tag p. o. über 9–10 Tage
Loperamid
Bei ausgeprägter Durchfallsymptomatik (ohne Fieber und Blutabgang) können Motilitätshemmer eingesetzt werden. Der Einsatz soll nur kurzfristig (max. 3 Tage) erfolgen.1,9
Selbsttherapie
Da die Reisediarrhö in den meisten Fällen milde und selbstlimitierend ist, kann im Reiseland durch die Betroffenen meist selbst die Behandlung durchgeführt werden.
Das Wichtigste ist primär die orale Rehydratation.
Ggf. Motilitätshemmer und Schmerzmittel
Bei Erbrechen antiemetische Therapie mit z. B. Dimenhydrinat als Supp., alternativ Domperidon bei Jungendlichen und Erwachsenen mit 10 mg max. 3 mal tgl. (Kontraindiziert bei signifikanten Elektrolytstörungen, siehe Rote-Hand-Brief vom April 2019)
Je nach Resistenzlage des Reiselandes kann ein Antibiotikum mitgeführt werden:1
Azithromycin 1 x 1.000 mg p. o. als Einzeldosis
Rifaximin 3 x 200 mg/Tag p. o. für 3 Tage
Ciprofloxacin ist wegen der Anwendungsbeschränkungen als Selbstmedikation nicht mehr zu empfehlen (siehe oben).8
Ärztliche Hilfe sollte auch im Reiseland gesucht werden bei:1
Lebensmittelauswahl: „Boil it, cook it, peel it, or forget it“.
Die häufigsten Ansteckungsquellen sind Wasser, Salate, rohes Gemüse, Saucen, rohe Meeresfrüchte, nichtpasteurisierte Milch, ungeschältes Obst, Eiswürfel aus verunreinigtem Wasser, eihaltige Speisen wie Mayonnaise und Saucen, nicht ausreichend durchgegartes Fleisch.
regelmäßiges Händewaschen vor dem Essen, vor dem Hantieren mit Lebensmitteln, nach Toilettengang
Säuberung von Geschirr und Besteck
ausreichend Abstand, z. B. beim Vergraben von menschlichen Ausscheidungen, von Wasserstellen
Trinkwasserreinigung
Abkochen ist die beste Methode (mindestens 1 Minute mit Blasen kochen).2
Versetzen von Wasser mit Iod oder Chlor kann eine Alternative sein, tötet aber nicht Cryptosporidium oder Cyclospora ab.
Vorsicht bei Schilddrüsenstörungen!
Eine verlängerte Kontaktzeit ist erforderlich, um Giardia in kaltem oder getrübtem Wasser abzutöten.
UV-Licht ist auch zur Wasserdesinfektion geeignet.
Wasser aus ungeöffneten Flaschen ist sicher, sofern der Deckel und die Versiegelung unversehrt sind.
Silber ist zur Wasserdesinfizierung nicht geeignet, es konserviert lediglich sauberes Wasser bis zu 6 Monaten.2
Impfungen bei Reisen
Eine Impfung gegen die Vielzahl der Erreger von Reisediarrhö ist nicht verfügbar und auch nicht in Kürze zu erwarten.1
Gegen Hepatitis A gibt es eine effektive aktive Impfung, die sehr lange anhält.10
Gegen Typhus stehen ein oral und ein parenteral zu applizierender Impfstoff zur Verfügung.11
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Reisenden die Impfung gegen Cholera bei Aufenthalten in Infektionsgebieten, speziell unter mangelhaften Hygienebedingungen bei aktuellen Ausbrüchen, z. B. in Flüchtlingslagern oder bei Naturkatastrophen.12
Einige ETEC-Stämme (ca. 50 %) produzieren ein wärmeempfindliches Toxin, das dem Cholera-Toxin ähnelt. Cholera-Impfstoffe können einen gewissen Schutz vor Infektionen mit diesen ETEC-Stämmen bieten, sind für diese Indikation aber in Deutschland nicht zugelassen.
Eine Off-Label-Impfung kann für folgende Personengruppen überlegt werden:1
Reisende mit CED
Immunsupprimierte
eingeschränkte oder reduzierte Magensäuresekretion (Protonenpumpeninhibitor-Langzeit-Therapie)
Neigung zu rezidivierenden Episoden einer Reisediarrhö
chronische Erkrankungen mit erhöhtem Komplikationsrisiko.
Prophylaktische Einsatz von Antibiotika
Eine antimikrobielle Chemoprophylaxe der Reisediarrhö soll nur in besonders begründeten Einzelfällen durchgeführt werden.1
Probiotika
Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit definierter Probiotika bei bestimmten Erregern, daher kann der Einsatz erwogen werden.1,13
Nach § 42 (1) des Infektionsschutzgesetzes können durch das Gesundheitsamt für Personen, die an Salmonellose erkrankt oder dessen verdächtig sind oder Salmonellen ausscheiden, ein Tätigkeits- und Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden, wenn sie beim Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen von Lebensmittel tätig oder in Küchen von Gaststätten und sonstigen Einrichtungen mit oder zur Gemeinschaftsverpflegung beschäftigt sind.
Dies gilt entsprechend für Personen, die mit Bedarfsgegenständen, die für die dort genannten Tätigkeiten verwendet werden, so in Berührung kommen, dass eine Übertragung von Krankheitserregern auf die Lebensmittel zu befürchten ist.1
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
In den meisten Fällen verläuft die Reisediarrhö selbstlimitierend und heilt folgenlos aus.
1/4 aller Menschen, die subtropische oder tropische Länder besucht haben, kommen mit Enterobakterien zurück, die Extended-Spectrum-Betalaktamasen (ESBL) bilden und damit gegen Penicilline, Cephalosporine und Monobactame resistent sind.14
Auch andere Resistenzen kommen vor.
Eine Antibiotikaeinnahme verstärkt diesen Effekt.
Prognose
In der Regel heilt die Erkrankung nach einigen Tagen spontan aus.
Als postinfektiöse Folgeerscheinung kann eine Laktoseintoleranz auftreten.4
In 5–10 % der Fälle kommt es zu einem postentzündlichen Reizdarmsymptom.1
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. AWMF-Leitlinie Nr. 021-024. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. AWMF-Leitlinie Nr. 021-024. Stand 2015. www.awmf.org
Rieke B., Küpper T., et al. Moderne Reisemedizin : Handbuch für Ärzte, Apotheker und Reisende. Stuttgart: Gentner, 2010.
Diemert DJ. Prevention and treatment of traveler's diarrhea. Clin Microbiol Rev. 2006;19:583-594. PubMed
Robert Koch-Institut. Ratgeber für Ärzte: Hepatitis A. Stand 2019. www.rki.de
Centrum für Reisemedizin. Handbuch Reisemedizin. Krankheiten. Zugriff 8.4.2019 www.crm.de
BfArM: Fluorchinolone: Einschränkungen in der Anwendung aufgrund von möglicherweise dauerhaften und die Lebensqualität beeinträchtigenden Nebenwirkungen 16.11.18. www.bfarm.de
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Rote-Hand-Brief zu systemisch und inhalativ angewendeten Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika: Risiko von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen – Anwendungsbeschränkung. 08.04.2019 www.akdae.de
Riddle MS, Arnold S, Tribble DR. Effect of adjunctive loperamide in combination with antibiotics on treatment outcomes in traveler's diarrhea: a systematic review and meta-analysis. Clin Infect Dis. 2008;47(8):1007–1014. www.ncbi.nlm.nih.gov
Cornberg M, Manns M. Hepatitis A, B, C, D, E: Trotz gleicher Namen viele Unterschiede. Dtsch Arztebl 2015; 112: 4-8. doi:10.3238/PersInfek.2015.06.05.01 www.aerzteblatt.de
Robert-Koch-Institut. Ratgeber für Ärzte. Typhus. Stand 2019. Zugriff 4.4.2019 www.rki.de
Robert-Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin Nr. 31 9. August 2010. zugriff 4.4.2019 www.rki.de
Sazawal S, Hiremath G, Dhingra U, Malik P, Deb S, Black RE. Efficacy of probiotics in prevention of acute diarrhea: A meta-analysis of masked, randomized, placebo-controlled trials. Lancet Infect Dis 2006; 6: 374-82. PubMed
Kantele A, Lääveri T, Mero S et al. Fluoroquinolone antibiotic users select fluoroquinolone-resistant ESBL-producing Enterobacteriaceae.Travel Medicine and Infectious Disease Volume 16, March–April 2017, Pages 23-30 www.sciencedirect.com
Autor*innen
Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
Frühere Autor*innen
Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, redaktør NEL
Hermod Petersen, professor, overlege i gastroenterologi, Regionsykehuset i Trondheim
Bjørg Viggen, overlege, Gastroenterologisk seksjon, Medisinsk avdeling, Regionsykehuset i Trondheim
Dag Berild, overlege, Medisinsk klinikk, Aker Sykehus
Definition:Durchfallerkrankung im Zusammenhang mit einer Reise. Häufigkeit:Reisediarrhö ist die häufigste Infektionskrankheit bei Fernreisen. Symptome:Breiig-weiche oder wässrige Durchfälle, können blutig sein, ggf. Bauchschmerzen, Fieber, Übelkeit und Erbrechen.