Allgemeine Informationen
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Definition
- Infektion mit dem parasitären Fadenwurm (Nematode Onchocerca volvulus)
- Eine der wichtigsten Ursachen für Blindheit in bestimmten Teilen der Welt2
- Übertragung durch Mikrofilarien (Larven des weiblichen Wurmes) über Blut von Insekten (Kriebelmücken)
- Klinisches Bild
- Subkutane Knötchen, die erwachsene Würmer enthalten.
- Haut- und Augenveränderungen, verursacht von toten oder sterbenden Mikrofilarien
Häufigkeit
- Mehr als 30 Mio. Menschen in Afrika (Subsahara, Jemen) und Lateinamerika3,99 % davon in Ländern südlich der Sahara4
- Prävalenz allein in Tansania
- 3–4 Mio. mit Hauterkrankung
- 500.000 mit Sehstörungen
- 270.000 mit Blindheit
- Häufige Ursache für Blindheit in Afrika südlich der Sahara
- Das Infektionsmuster variiert je nach Vegetationszone (Savanne oder Regenwald).
- Westafrikanische Savannen: Augeninfektion (vor allem der vorderen Augenabschnitte) und somit die Blindheit kommen häufig vor.5
- Regenwaldgebieten Afrikas: Hautinfektion, seltener Augeninfektion (eher die hinteren Augenabschnitte)
- Bei Reisenden selten, Infektion erst bei Langzeitaufenthalte von über 12 Monaten in endemischen Gebieten6
Ätiologie und Pathogenese
- Der Mensch ist der einzig relevante Wirt.
- Vektoren: Kriebelmücken (auch Black Flies genannt), tagsüber aktiv, vornehmlich an Flussufern
- Die Mücken saugen über das Blut von infizierten Menschen Larven auf.
- Nach 6–12 Tagen sind die Larven in der Mücke infektiös.
- Mit der nächsten Blutmahlzeit erfolgt die Übertragung auf gesunde Menschen.
- Larven in subkutanen Knötchen (Onchozerkomen) reifen innerhalb eines Jahres zu weiblichen und männlichen Würmern heran.
- Weibliche Würmer produzieren Millionen von Mikrofilarien (das erste Stadium der Larve).
- Ausgewachsene O.-volvulus-Larven können bis zu 15 Jahre im menschlichen Körper leben.
- Beweglichen Mikrofilarien dringen in die Haut, in die Unterhaut, das Lymphgewebe und in die Augen ein – in Ausnahmefällen können sie im Urin gefunden werden, nur selten im Blut oder in der Zerebrospinalflüssigkeit.
- Mikrofilarien verursachen die pathologischen Charakteristika der Erkrankung wie chronische Dermatitis, Hautatrophie, Lymphadenitis, Fibrose und die okuläre Entzündung, die zur Blindheit führen kann.
Wolbachia
- Bakterien, die symbiotisch mit Onchocercacia volvulus leben.
- Sind essenziell für die Fertilität der Nematoden.
- Reduktion des Vorkommens von Wolbachia durch Gabe von Antibiotika, hemmt die Embryogenese bei den weiblichen Würmern.
- Tetrazykline, Rifampicin und Chloramphenicol werden aktiv gegen Wolbachia eingesetzt.
Prädisponierende Faktoren
- Klimatische Verhältnisse und Vorhandensein der Vektoren
ICPC-2
- A78 Infektiöse Erkrankung NNB, andere
- S73 Pedikulose/Hautbefall, anderer
ICD-10
- B73 Onchozerkose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Nachweis von Würmern oder Mikrofilarien in Hautbiopsie
Differenzialdiagnosen
- Andere Tropenkrankheiten/Wurmbefall, z. B. Loiasis, Filariose durch Mansonella-Spezies, Hakenwurm, Bilharziose, Sparganose und Zestoden
- Andere Ursachen subkutaner Knötchen (entzündliche, reaktive, granulomatöse, Stoffwechsel- und Speicherstörungen, Tumoren, Sonstige)
- Andere Ursachen juckender Hautekzeme, z. B. Skabies, Kontaktdermatitis, Dermatomyokosen
Anamnese
- Zeitraum zwischen Exposition und Auftreten der ersten Symptome: 1–3 Jahre
- Sehr schwere Infektionen führen zu chronischem Juckreiz, Hautläsionen, Sehstörungen und in einigen Fällen zur Blindheit.
Klinische Untersuchung
- Subkutane Knötchen (Onchozerkome)
- Finden sich vor allem über Knochenvorsprüngen, aber auch tief im Binde- oder Muskelgewebe, wo sie sich schwer palpieren lassen.
- typischerweise fibröse subkutane Knötchen, 0,5–3,0 cm Durchmesser, schmerzlos und beweglich
- Hautveränderungen (Onchodermatitis)
- Treten großflächig auf.
- Hierunter zählen: Pigmentveränderungen, Papeln, Schuppung, Atrophie, schlaffe Haut und akute Entzündungen.
- Durch starken Juckreiz kann es zu Exkoriationen und Lichenifikation kommen.
- Lymphadenopathie
- Die Lymphknoten in der Leiste können vergrößert sein, auch eine generalisierte LK-Schwellung kann auftreten.
- Augenveränderungen
- Verschlechterung des Sehvermögens, evtl. Blindheit
- Juckreiz, Photophobie und Veränderungen in der vorderen und hinteren Augenkammer
- u. a. Keratitis, Iritis, sekundäres Glaukom, Katarakt, Optikusneuritis, Optikusatrophie, Chorioretinitis und andere retinale oder choroidale Veränderungen
- Systemische Reaktionen
- In einer Studie in Malawi wurden bei Onchozerkose-Patient*innen vermehrt Muskel- und Gelenkschmerzen beobachtet im Vergleich zu Nicht-Infizierten.7
- Onchozerkose-Patient*innen haben ein erhöhtes Epilepsie-Risiko.8
Ergänzende Untersuchungen
- Diagnosefindung
- Stanzbiopsie zum Nachweis von Mikrofilarien im Hautschnitt
- Wahl der Biopsiestelle spezifisch nach Region
- Zentralamerika über Skapula oder Beckenkamm
- Afrika Beckengürtel, Gesäß oder Oberschenkelaußenseite
- Jemen die Wade9
- Aufzeigen von Mikrofilarien in der Kornea oder in der vorderen Augenkammer mit Spaltlampe
- Aspiration oder Exzision der Knötchen
- Nachweis
- Nur erwachsene Würmer können evtl. in den Knötchen nachgewiesen werden, daher werden oft im Frühstadium keine Erreger gefunden.
- Serologische Tests
- serologische Tests mit ELISA und Western-Blot-Techniken zum Nachweis von Antikörperbern in Haut, Tränenflüssigkeit und Urin10
- Blutuntersuchung (umstritten)10
- Eosinophilie (15–50 %), polyklonale Hypergammaglobulinämie und erhöhte IgE-Werte
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Ultraschall
- Identifizierung nicht tastbarer Onchozerkome
- Mazotti-Test
- Keine Routinediagnostik, nur bei fehlendem Nachweis mittels Stanzbiopsie oder Spaltlampe
- Orale Einnahme von 50 mg Diethylcarbamazepin (DEC) führt zum Abtöten der Microfilarien und provoziert eine systemische Reaktion mit Juckreiz, Ausschlag, Fieber und Husten, schlimmstenfalls bis hin zu Lungenödem und Schock.
- Pflastertest mit DEC
- Wird in endemischen Gebieten als Screening empfohlen.11-12
Indikationen zur Überweisung
- Zur Diagnosesicherung
Therapie
Therapieziele
- Kontrolle über die Krankheit
- Verhinderung von Komplikationen
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung ist eine Kombination aus vorbeugenden Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung, der Massenbehandlung in endemischen Gebieten und der individuellen Behandlung von infizierten Personen.
Maßnahmen zur Massenbehandlung
- Insektizide
- Verwendung in endemischen Gebieten, um Kontrolle über die Blackflies-Vektoren zu gewinnen.
- Ivermectin
- In Zusammenarbeit mit der WHO war die breite Anwendung von Ivermectin (Community-directed Treatment with Ivermectin – CDTI) die wichtigste Intervention, um die Kontrolle über die Flussblindheit zu gewinnen.13
- 2016 wurden mehr als 132 Mio. Menschen in Afrika mit CDTI behandelt. Die Behandlung muss mindestens jährlich über einen Zeitraum von ca. 15 Jahren wiederholt werden.14
- Eine signifikante Reduktion der klinischen Symptome, insbesondere der Hautveränderungen, wurde erreicht.15-16
- In einigen Ländern konnte die Onchozerkose bereits eliminiert werden (Burundi, Tschad, Äthiopien), oder die vollständige Eliminierung steht kurz bevor (Elfenbeinküste, Malawi, Mali, Uganda, Niger, Senegal).17
- Die Entwicklung von Resistenzen wird aufgezeichnet, nach alternativen Medikamenten wird geforscht. Im Jahr 2009 hat die WHO eine Phase-III-Studie in mehreren afrikanischen Ländern begonnen, in der die Wirkung von Ivermectin mit Moxidectin verglichen wird.18-19
- Eine Studie (2018) zeigt, dass Moxidectin wahrscheinlich wirksamer ist als Ivermectin, und dass eine einmal jährliche Behandlung ausreichend sein kann.20
Medikamentöse Therapie
- Die Standardbehandlung besteht heute aus einer Kombinationstherapie von Ivermectin und Doxycyclin.
Ivermectin
- Dosis: 150 µg/kg nüchtern
- Wirkung
- Reduziert im Lauf von 2–3 Tagen die Anzahl der Mikrofilarien in der Haut.
- Nach ca. 6 Monaten steigt die Zahl der Mikrofilarien wieder leicht an.21
- Wiederholte Dosen
- zweimal im Jahr (einmal vor und 4 Monate nach Doxycylinbehandlung)22
- Nebenwirkungen
- Ödeme, Fieber, Juckreiz, Lymphadenitis, Abgeschlagenheit, Hypotonie
- Vorsichtsmaßnahmen
- Ivermectin sollte bei einer gleichzeitig vorliegenden Infektion mit Loa loa Loiasis, Augenwurm) vorsichtig angewendet und nicht in der Schwangerschaft verabreicht werden.
- Es liegen keine Erfahrungen bei der Behandlung von Kleinkindern (< 90 cm Körpergröße) vor.
- Zunehmende Resistenzentwicklung wird beobachtet.22
Tetracyclin
- Doxycyclin führt über die Bekämpfung der Wolbachia-Bakterien zur Unfruchtbarkeit der weiblichen adulten Fadenwürmer und dadurch zu einer Reduktion der Mikrofilarien.23-24
- Doxycyclin 100 mg pro Tag
- Behandlung über 6 Wochen
- Wird verwendet, um infizierte Einzelpersonen außerhalb von Endemiegebieten zu behandeln.25
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Im Durchschnitt nehmen die Beschwerden nach ca. 3 Jahren Behandlung ab, können aber auch bis zu 10 Jahre lang bestehen bleiben.
Komplikationen
- Schäden an den Augen bis hin zur Blindheit
- Chronische juckende Hautentzündung
Prognose
- Im frühen Krankheitsstadium: Besserung der okuläre und dermatologischen Komplikationen unter der Therapie
- Bei fortgeschrittener Erkrankung: irreversible Folgen wie Erblindung, Hautdepigmentierung und Atrophie
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen

Onchocerca volvolus
Quellen
Literatur
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Autor*innen
- Claudia Wengert, Dr. med., Fachärztin für Innere Medizin, Geriatrie und Palliativmedizin, Hamburg
- Birgit Wengenmayer, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Freiburg
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).