Definition:Drei oder mehr aufeinanderfolgende Schläge mit Ursprung im linken Ventrikel und einer Kammerfrequenz von > 100/min. Bei einer Dauer < 30 sec liegt eine nichtanhaltende, bei ≥ 30 sec eine anhaltende ventrikuläre Tachykardie (VT) vor. Bei stets gleich konfiguriertem QRS-Komplexen handelt es ich um eine monomorphe, bei wechselnder Form des QRS-Komplexes um eine polymorphe VT.
Häufigkeit:Zunahme der ischämisch getriggerten VT mit dem Alter parallel zur Zunahme der Prävalenz der koronaren Herzkrankheit. Idiopathische VT können in jedem Alter auftreten.
Symptome:Palpitationen, Schwindel, Synkopen, Kurzatmigkeit und Brustschmerzen.
Befunde:Tachykardie, evtl. Hypotonie/Schock.
Diagnostik:Mittels 12-Kanal-EKG.
Therapie:Bei hämodynamisch relevanter VT sofortige elektrische Kardioversion, bei hämodynamisch tolerierter VT auch medikamentöse Terminierung. Behandlung der Grunderkrankung. Bei erhöhtem Risiko für plötzlichen Herztod ICD-Implantation mit prognostischer Bedeutung. Medikamentöse Therapie und Katheterablation symptomatisch wirksam durch Reduktion der Häufigkeit von VT.
Allgemeine Informationen
Definition
Kardiale Arrhythmie von 3 oder mehr aufeinanderfolgenden Schlägen mit Ursprung im Ventrikel und einer Kammerfrequenz von > 100/min1
Kurze VT bis ca. 10 Schläge werden häufig auch als „ventrikuläre Salve“ bezeichnet.
anhaltende („sustained“) VT: Dauer ≥ 30 sec
Kategorisierung anhand der Morphologie der QRS-Komplexe
monomorphe VT: gleichbleibende Morphologie des QRS-Komplexes im Verlauf der Tachykardie
polymorphe VT: wechselnde Morphologie des QRS-Komplexes
Häufigkeit
Es gibt wenige Daten zur Prävalenz von ventrikulären Tachykardien.
Zunahme der ischämisch getriggerten VT mit dem Alter parallel zur Zunahme der Prävalenz der koronaren Herzkrankheit
Idiopathische VT können in jedem Alter auftreten.3
Männer sind häufiger betroffen als Frauen aufgrund der höheren Prävalenz der KHK.3
Anhaltende VT sind der häufigste Grund für den plötzlichen Herztod (ca. 80 % der Fälle).4
Herztod durch Degeneration zu Kammerflimmern und Herz-Kreislauf-Stillstand
5–10 % der Patient*innen mit akutem Myokardinfarkt weisen anhaltende VT/Kammerflimmern prähospital auf, weitere 5 % innerhalb von 48 Stunden nach Aufnahme.1
Der plötzliche Herztod ist für etwa 25 % der kardiovaskulären Todesfälle verantwortlich.5
Nichtanhaltende VT ist ein relativ häufiger Befund sowohl bei strukturell normalen als auch strukturell veränderten Herzen.6
nichtanhaltende VT bei 5,7 % der Patient*innen mit durch Holter-Monitoring abgeklärten Palpitationen7
Auch nichtanhaltende VT ist bei struktureller Herzerkrankung mit einer Prognoseverschlechterung verbunden.1
Ätiologie und Pathogenese
Ischämische Herzkrankheit (häufigste Ursache)
Sonstige strukturelle Herzerkrankungen (siehe auch Kardiomyopathien)
verbreiterte QRS-Komplexe mit ventrikulärem Ursprung.
Ein verbreiterter QRS-Komplex ist allerdings allein nicht beweisend für den Ursprung der Erregung im Ventrikel, differenzialdiagnostisch kommen weitere Breitkomplextachykardien in Betracht (s. u.).
Unterscheidung der Breitkomplextachykardien ist häufig schwierig.
EKG-Befunde, die für eine ventrikuläre Tachykardie sprechen4
AV-Dissoziation (Kammern und Vorhöfe schlagen unabhängig voneinander)
P-Wellen sind allerdings häufig schwierig oder gar nicht zu erkennen.
Fusionsschläge und Capture Beats
Fusionsschlag
Verschmelzung eines schmalen vom Sinusknoten übergeleiteten mit einem breiten ventrikulär ausgelösten QRS-Komplex
Auftreten vor allem bei langsamen VT
Capture Beat
übergeleitete Sinusaktion mit schmalem QRS während der VT
Auftreten vor allem bei langsamen VT
Stark verbreiterte QRS-Komplexe
Linksschenkelblockmuster: > 160 ms
Rechtsschenkelblockmuster: > 140 ms
Initiales R in Abl. aVR („Nordwestachse“)
Konkordanz
gleichgerichteter Ausschlag des QRS-Komplexes in allen Brustwandableitungen
Linksschenkelblockmorphologie des QRS-Komplexes mit Rechtsachsenabweichung
Abwesenheit eines RS-Komplexes in allen präkordialen Ableitungen
Systematische Analyse mit diagnostischen Algorithmen (Brugada-Kriterien,13 aVR-Algorithmus14) kann bei der Diagnosestellung einer VT hilfreich sein.
Differenzialdiagnose der Breitkomplextachykardien
Breitkomplextachykardien können in 3 Gruppen eingeteilt werden:15
Die Kreislaufsituation ist kein zuverlässiges Kriterium zur Unterscheidung von VT und SVT, im Einzelfall kann VT gut oder SVT schlecht toleriert werden.
Ein Belastungstest wird empfohlen bei Patient*innen mit zumindest mittlerem Risiko für eine KHK zur Auslösung von Ischämie oder ventrikulärer Arrhythmie (I/B).
Ein Belastungstest wird empfohlen bei Patient*innen mit V. a. belastungsabhängige ventrikuläre Arrhythmie (einschließlich katocholaminerger polymopher ventrikulärer Tachykardie) (I/B).
LZ-EKG
24-Stunden- bis 72-Stunden-EKG sinnvoll bei täglich oder mehrmals wöchentlich auftretenden Episoden
Echokardiografie zur Bestimmung der LV-Funktion und Detektion einer strukturellen Herzerkrankung bei allen Patient*innen mit bekannter oder vermuteter ventrikulärer Arrhythmie empfohlen (I/B)
Stressechokardiografie (oder -myokardszintigrafie) empfohlen zur Detektion einer stummen Ischämie bei Patient*innen mit mittlerem Risiko für KHK und weniger aussagekräftigem Belastungs-EKG (LV-Hypertrophie, ST-Senkungen in Ruhe, LSB) (I/B)
MRT oder CT sollten erwogen werden bei nicht ausreichender Aussagekraft der Echokardiografie (IIa/B).
Koronarangiografie sollte erwogen werden bei Patient*innen mit lebensbedrohlicher VT oder überlebtem plötzlichem Herztod mit zumindest intermediärem Risiko für KHK (IIa/C).
Elektrophysiologische Untersuchung
Eine elektrophysiologische Untersuchung ist bei ausgewählten Patientenkollektiven sinnvoll:17
Um die Induzierbarkeit ventrikulärer Tachykardien zu dokumentieren.
Elektrophysiologische Untersuchung ist empfohlen bei KHK-Patient*innen mit abgelaufenem Infarkt und tachyarrhythmieverdächtigen Symptomen einschließlich Palpitationen, Präsynkopen und Synkopen (I/B).
Indikationen zur Überweisung
Patient*innen mit nachgewiesenen oder klinischem V. a. ventrikuläre Tachykardien
Therapie
Therapieziele
Die Prognose verbessern.
Symptome lindern.
Allgemeines zur Therapie
Basis jeder Therapie ist die optimale Behandlung einer Grunderkrankung.5
Akute Verschlechterung und Progredienz der Grunderkrankung sollten soweit möglich vermieden werden.5
Ergänzt wird die Basistherapie individuell durch:17
Lediglich für Betablocker ist ein prognostischer Nutzen nachgewiesen worden.
Betablocker reduzieren ventrikuläre Arrhythmien und plötzlichen Herztod bei einem breiten Spektrum kardialer Erkrankungen ohne und mit Herzinsuffizienz.5
Für Antiarrhythmika konnte in randomisierten Studien kein prognostischer Nutzen nachgewiesen werden.5
Einsatz von Antiarrhythmika daher vor allem zur Reduktion der VT-Episoden und damit symptomatischen Besserung
Für symptomatische, nicht anhaltende VT ist Amiodaron das Mittel der Wahl aufgrund wirksamer Suppression von Arrhythmien ohne Verschlechterung der Prognose.5
Ergänzende Therapie mit Antiarrythmika kann auch nach ICD-Implantation Option sein zur Verhinderung häufiger ICD-Schocks.17
Cave: Antiarrhythmika können auch proarrhythmische Effekte haben!
ICD-wirksame Therapie bei Patient*innen mit erhöhtem Risiko für plötzlichen Herztod5
Nutzen muss aber gegen jeweils gegen das Komplikationsrisiko abgewogen werden – 12-Jahres-Risiko für:5
inadäquate Schocks 20 %
Infektionen 6 %
Sondenversagen 17 %.
Das Alter sollte bei Indikationsstellung berücksichtigt werden, aber es existiert keine allgemeine obere Altersgrenze.17
Lebenserwartung sollte über 1 Jahr betragen, und die Patient*innen sollten sich in einem guten Allgemeinzustand befinden.5
Auch bei Kindern und Jugendlichen kann bei lebensbedrohlichen Arrhythmien eine ICD-Implantation notwendig werden.19
Hier ist eine besonders sorgfältige Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses notwendig, die zwei häufigsten Komplikationen sind inadäquate Schocks und mit Wachstum/Aktivität verbundene Elektrodenprobleme.19
Bei EMAH-Patient*innen (EMAH = Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern) gelten die gleichen Indikationskriterien wie bei Kindern mit angeborenen Herzfehlern.19
Bei begleitender Herzinsuffizienz mit reduzierter systolischer LV-Funktion evtl. Kombination mit kardialer Resynchronisationstherapie (ICD-CRT)
Leitlinie: ICD-Therapie zur Sekundärprävention des plötzlichen Herztods und der ventrikulären Tachykardie5
ICD empfohlen bei Patient*innen mit dokumentiertem Kammerflimmern oder hämodynamisch instabiler VT ohne reversible Ursache und unter optimaler medikamentöser Therapie (I/A)
ICD-Implantation sollte erwogen werden bei Patient*innen mit rezidivierender anhaltender VT ohne reversible Ursache unter optimaler medikamentöser Therapie (IIa/C).
Interventionelle Therapie
Aufwertung der Katheterablation von VT in neuen Leitlinien5,17
Hohe Rezidivfreiheit nach Katheterablation insbesondere bei Patient*innen mit VT nach Herzinfarkt17
Reduktion auch der Episoden mit elektrischem Sturm17
Bei ischämischer Kardiomyopathie Rezidivfreiheit von etwa 60 % nach 1 Jahr und 47 % nach 2 Jahren20
Bisher kein Nachweis einer Mortalitätsreduktion, aber effektivere Rhythmusstabilisierung als durch Antiarrhythmika und verbesserte Lebensqualität durch weniger ICD-Schocks20
Idiopathische ventrikuläre Tachykardien (Ausflusstrakttachykardie, faszikuläre Tachykardie) ohne strukturelle Herzerkrankung weisen eine gute Prognose auf.12
Nicht anhaltende VT in den ersten Tagen nach einem Infarkt sind nicht mit einer schlechteren Prognose verbunden, bei Auftreten im weiteren Verlauf sind sie mit höherer Morbidität und Mortalität assoziiert.6
Bei Patient*innen mit nichtischämischer dilatativer Kardiomyopathie ist die prognostische Bedeutung nichtanhaltender VT unklar.6
Anhaltende Tachykardien bei struktureller Herzerkrankung weisen eine schlechtere Prognose auf mit erhöhtem Risiko für plötzlichen Herztod.
Die zugrunde liegende Herzerkrankung ist maßgeblich für die Prognose.4
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Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Ventrikuläre Tachykardien und Prävention des plötzlichen Herztodes – Indikationen zur ICD-Therapie. Stand 2019. www.kinderkardiologie.org
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Drei oder mehr aufeinanderfolgende Schläge mit Ursprung im linken Ventrikel und einer Kammerfrequenz von > 100/min. Bei einer Dauer < 30 sec liegt eine nichtanhaltende, bei ≥ 30 sec eine anhaltende ventrikuläre Tachykardie (VT) vor. Bei stets gleich konfiguriertem QRS-Komplexen handelt es ich um eine monomorphe, bei wechselnder Form des QRS-Komplexes um eine polymorphe VT.