Definition:Störung der Kreislauffunktion durch Hypovolämie mit Organminderperfusion und Missverhältnis von Sauerstoffangebot und -verbrauch.
Häufigkeit:Ursachen sind Blutungen, Verbrennungen, gastrointestinale oder renale Flüssigkeitsverluste, Verluste in den dritten Raum (z. B. Ileus, Peritonitis, Pankreatitis), starkes Schwitzen.
Symptome:Agitation oder Apathie, blasse Haut und Kaltschweißigkeit, Tachypnoe.
Befunde:Hypotonie und Tachykardie, verlängerte Kapillarfüllungszeit, Oligurie.
Diagnostik:Neben dem klinischen Aspekt erfolgt die Diagnose durch nichtinvasive oder invasive Blutdruckkontrolle, arterielle und zentralvenöse Blutgasanalyse einschließlich Laktatmessung sowie Quantifizierung der Urinproduktion.
Therapie:Intensivbehandlung mit Volumentherapie, Bluttransfusionen bei Hämorrhagie als Ursache.
Allgemeine Informationen
Definition
Schock ist eine Störung der Kreislauffunktion mit einem Missverhältnis von Sauerstoffangebot und -verbrauch.1
Der hypovolämische Schock entsteht als Folge eines intravasalen Volumenmangels mit kritisch reduzierter kardialer Vorlast.1
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
Einteilung des hypovolämischen Schocks anhand der auslösenden Faktoren in 4 spezielle Formen:1
hämorrhagischer Schock durch akuten Blutverlust ohne wesentliche Gewebsschädigung (z. B. Stichverletzung)
traumatisch-hämorrhagischer Schock durch Blutung und Gewebeschädigung mit Mediatorenfreisetzung (z. B. Polytrauma)
traumatisch-hypovolämischer Schock ohne akute Blutung bei gleichzeitiger Gewebeschädigung mit Mediatorenfreisetzung (z. B. Verbrennungen)
hypovolämischer Schock im engeren Sinn durch Abnahme des zirkulierenden Volumens (z. B. Hyperthermie, Ileus, unzureichende Flüssigkeitszufuhr).
Pathophysiologie
Barorezptorvermittelte sympathoadrenerge Reaktion aufgrund des Blutdruckabfalls
Anstieg der Herzfrequenz
Vasokonstriktion und Zentralisation des Kreislaufs
Umverteilung des Blutvolumens zugunsten von Herz und Gehirn
Minderperfusion von Haut, Niere und Splanchnikusgebiet
Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems durch renale Minderperfusion
weitere Zunahme der Vasokonstriktion
Aldosteronausschüttung (Kompensationsmechanismus mit Natrium- und Wasserretention)
Barorezeptorvermittelte ACTH-, Kortisol- und ADH-Ausschüttung (Kompensationsmechanismus mit Natrium- und Wasserretention)
Bei prolongierter Organminderperfusion Entwicklung von:
Notfallausweis vorhanden?1 (z. B. Hormonersatztherapie bei Erkrankungen der Hypophyse oder der Nebennieren)
Mangelnde Flüssigkeitszufuhr?
Aufenthalt in großer Hitze?
Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung ist die Methode der Wahl zur Erkennung eines Schockzustands!2
Allgemeine Untersuchung bei V. a. hypovolämischen Schock1,3
Ganzkörperinspektion zum Nachweis/Ausschluss relevanter Verletzungen und Prellmarken
Haut
verminderter Hautturgor
blasse, kühle Haut
trockene Schleimhäute
verzögerte Kapillarfüllungszeit (normal 2–3 sec, bei älteren Patient*innen bis 4 sec)
Herz/Kreislauf
schwacher, schneller Puls
initial orientierende palpatorische Bestimmung zur Einschätzung des systolischen Blutdrucks möglich
evtl. positiver Schockindex bei Tachykardie und Hypotonie: Herzfrequenz/systolischer Blutdruck > 1
keine validierten hämodynamischen Grenzwerte für das Vorliegen eines hypovolämischen Schocks4
Grundsätzlich gilt aber Kombination aus systolischem Blutdruck < 90 mmHg, Tachykardie und Blut- oder Volumenverlust als Zeichen des hypovolämischen Schocks.4
Prüfung der Stabilität von Thorax und Beckenring bei Trauma
Weitere diagnostische Maßnahmen (in der Klinik)
Diese Referenz1 bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.
Engmaschige Blutdruckmessung
oszillometrisch oder auskultatorisch
in der Klinik invasive Messung
kontinuierliche Überwachung
Möglichkeit für wiederholte arterielle Blutgasanalyse (BGA)
Kontinuierliche EKG-Ableitung
Messung der arteriellen O2-Sättigung durch Pulsoxymetrie
Arterielle BGA
Beurteilung des Gasaustauschs (pO2, pCO2)
Beurteilung des Säure-Basenhaushalts (pH, Basenexzess)
Basendefizit gibt Hinweis auf Ausmaß des Schockzustands bzw. auf den Therapieerfolg.
Bestimmung von Laktatkonzentration und Laktat-Clearance (Änderung der Laktatkonzentration über die Zeit)
Indikator der Gewebehypoxie
Messung des zentralen Venendrucks (ZVD)
Hinweis auf Volumenstatus
Aussagekraft begrenzt, da durch weitere Parameter beeinflusst
Die Aussagekraft des ZVD zur Diagnose eines Volumenmangels bzw. zur Volumensteuerung wird zunehmend kritisch betrachtet.5
Messung der zentralvenösen O2-Sättigung (SvO2)
Hinweis für Ausmaß der O2-Ausschöpfung
Messung der Urinproduktion mittels Blasendauerkatheter (BDK)
Ziel stündliche Urinproduktion > 0,5 ml/kg KG
Durchführung eines „Passive Leg Raise"-Manövers (PLR)5
Feststellung von Volumenmangel/Volumenreagibilität durch passives Anheben der Beine mit Autotransfusion von 300–450 ml Blut
Zur initialen Beurteilung kann die Veränderung des Blutdrucks durch PLR verwendet werden (im weiteren Verlauf evtl. Beurteilung durch Messung des Schlagvolumens)
Labor
Blutbild
Hb in der Initialphase des hämorrhagischen Schocks noch normal, da Verdünnung erst nach einiger Zeit
Jede Person mit einem Verdacht auf einen Volumenmangel soll insbesondere mit der Fragestellung Blutung, Dehydratation, Sepsis oder anderer Differenzialdiagnosen für einen Volumenverlust unter Berücksichtigung der Anamnese körperlich untersucht werden.
Bei der Diagnose eines Volumenmangels sollen ergänzend Parameter wie Laktat, Laktat-Clearance, Rekapillarisierungszeit, SvO2, Hämatokrit oder Base Excess (BE) erhoben werden.
Für die Diagnose eines Volumenmangels bei spontan atmenden sowie bei beatmeten Patient*innen soll der ZVD sowohl bei perioperativen als auch bei intensivmedizinischen Patient*innen nicht verwendet werden.
Wenn durchführbar, soll zur Diagnose eines Volumenmangels/einer Volumenreagibilität ein standardisiertes „Passive Leg Raise"-Manöver durchgeführt werden.
Bei Intensivpatient*innen kann zur Untersuchung des Volumenstatus eine transthorakale Echokardiografie erfolgen.
Die sonografische Messung der Vena cava inferior kann bei Intensivpatient*innen zur Diagnose eines Volumenmangels durchgeführt werden.
Therapie
Therapieziel
Durchbrechen des Schockgeschehens durch Wiederherstellung einer ausreichenden Gewebsoxygenierung
Verhinderung des Absinkens der Körperkerntemperatur < 36 °C
zur Vermeidung von negativen Wirkungen auf die Gerinnung
zur Vermeidung von Herzrhythmusstörungen
Intravenöse Flüssigkeitstherapie
Die intravenöse Flüssigkeitsgabe erfolgt primär mit Kristalloiden (Ringer-Lösungen) oder ggf. künstlichen Kolloiden (Gelatine), ggf. ergänzt durch Blutprodukte.
Humanalbumin und Plasmaproteinlösungen vor allem auch aus Kostengründen nicht zum primären Volumenersatz indiziert4
Kristalloide verteilen sich gleichmäßig auf den Intravasalraum und das Interstitium, sodass sie sowohl dem Volumenersatz wie auch dem Flüssigkeitsersatz dienen.1
im Vergleich zu Kolloiden etwa das 5-fache Volumen zum Volumenersatz notwendig1
Kolloidale Lösungen verbleiben idealerweise im Intravasalraum und dienen daher dem Volumenersatz.1
HES soll bei Intensivpatient*innen nicht mehr verwendet werden.5
Die Vorzüge von kristalloiden vs. kolloidalen Lösungen werden kontrovers diskutiert.3-5
Vorteile von Kristalloiden
gute Verträglichkeit
keine Nebenwirkungen auf Niere und Gerinnung
Vorteile von Kolloiden
effiziente Volumenwirkung durch Infusion von Makromolekülen
Beachten bei Kolloiden:
Nicht bei Sepsis, Nierenfunktionsstörung oder bei kritisch kranken Patient*innen!
Nach dem vordringlichen Auffüllen des intravasalen Volumendefizits mit Kolloiden weiterer Volumenersatz zusätzlich mit Kristalloiden im Verhältnis etwa 1:14
Sofern eine rasche Applikation notwendig ist, sollten komprimierbare Gebinde zur Schnellinfusion verwendet werden.5
Im Gegensatz zum hämorrhagischen Schock häufig eher protrahiertes Geschehen
Möglichst allmählichen und nicht schlagartigen Ausgleich des Volumendefizits anstreben.
Volumenausgleich grundsätzlich mit balancierten Kristalloiden
Kolloide nur bei bedrohlicher Hypotonie zur Therapieeinleitung
Hyperosmolare Lösungen sind kontraindiziert.
Zielwerte der initialen Volumentherapie
MAP > 65 mmHg
stündliche Urinproduktion > 0,5 ml/kg KG
zentralvenöse O2-Sättigung > 70 %
ZVD 5–10 mmHg
Aufgrund der häufig bestehenden Elektrolytstörungen engmaschige Kontrollen
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf und Prognose sind individuell sehr unterschiedlich abhängig von Schwere und Dauer des Schockgeschehens sowie Komorbiditäten.
Bei protrahiertem Schock droht ein zunehmendes Multiorganversagen mit letztlich therapierefraktärem Schock und Tod
Leitlinie: Intensivmedizinische Therapie des Volumenmangels5
Der Volumenersatz bei Intensivpatient*innen sollte mit balancierten kristalloiden bzw. balancierten kolloidalen Lösungen erfolgen.
Wenn eine akute Hypovolämie allein mit Kristalloiden nicht ausreichend therapiert werden kann, können darüber hinaus Gelatine und Humanalbumin zum Einsatz kommen.
HES soll bei Intensivpatient*innen nicht verwendet werden.
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Intravasale Volumentherapie beim Erwachsenen. AWMF-Leitlinie 001-020. S3, Stand 2020. www.awmf.org
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Interdisziplinäre Behandlungspfade zur Versorgung von Patienten mit hypovolämischem Schock. Empfehlung der interdisziplinären Arbeitsgruppe (IAG) Schock der DIVI, Stand 2009. www.divi.de
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Schockformen der IAG Schock der DIVI, Stand 2004. www.divi.de
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenbehandlung. AWMF-Leitlinie 012-019. S3, Stand 2016. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Interdisziplinäre Behandlungspfade zur Versorgung von Patienten mit hypovolämischem Schock. Empfehlung der interdisziplinären Arbeitsgruppe (IAG) Schock der DIVI, Stand 2009. www.divi.de
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Mutschler M, Paffrath T, Wölfl C. The ATLS1 classification of hypovolaemic shock: A well established teaching tool on the edge? Injury, Int. J. Care Injured 2014; 45S: S35-S38. dx.doi.org
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Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenbehandlung. AWMF-Leitlinie 012-019, Stand 2016. www.awmf.org
Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Störung der Kreislauffunktion durch Hypovolämie mit Organminderperfusion und Missverhältnis von Sauerstoffangebot und -verbrauch. Häufigkeit:Ursachen sind Blutungen, Verbrennungen, gastrointestinale oder renale Flüssigkeitsverluste, Verluste in den dritten Raum (z. B. Ileus, Peritonitis, Pankreatitis), starkes Schwitzen.