Antibiotika-assoziierte Diarrhö

Zusammenfassung

  • Definition:Durchfall infolge einer Antibiotikaeinnahme.
  • Häufigkeit:Tritt bei 5–35 % aller Antibiotikatherapien auf.
  • Symptome:Durchfall. Insbesondere bei C.-difficile-Darminfektion AZ-Minderung und starke Bauchschmerzen.
  • Befunde:Evtl. Exsikkose. In seltenen Fällen (z. B. bei toxischem Megakolon durch C.-difficile-Darminfektion) akutes Abdomen mit Anzeichen von Ileus oder Peritonitis.
  • Diagnostik:Bei milder Symptomatik und Sistieren nach Beendigung der Antibiose keine weitere Diagnostik nötig. Ansonsten Stuhluntersuchung (Mikrobiologie), Labor und Sonografie zum Ausschluss von C.-difficile-Darminfektion oder anderen Ursachen.
  • Therapie:Sobald klinisch vertretbar Absetzen vom Antibiotikum. Symptomatische Therapie. Bei C.-difficile-Darminfektion antibiotische Therapie. Präventiv simultaner Einsatz von Probiotika zu antibiotischer Therapie möglich.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Durchfallsymptomatik, die unmittelbar bis 3 Monate (oder 6 Monate, keine einheitliche Definition)1nach einer antibiotischen Behandlung auftritt und nicht durch andere Ursachen erklärt werden kann.
  • Abkürzung Antibiotika-assoziierte Diarrhö: AAD
  • Siehe auch Artikel Darminfektion mit Clostridioides.

Häufigkeit

  • Häufigste Nebenwirkung einer antibiotischen Therapie mit Inzidenz von 5–35 %2
    • mehr als 75 % der Fälle durch nichtinfektiöse Mechanismen3
    • Bei infektiösen Fällen ist in der Regel Clostridium difficile ursächlich.2
  • In deutschen Kliniken Auftreten bei etwa 13,4 % aller antibiotischen Therapien4

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Die Mehrzahl der Fälle (> 75 %) einer AAD sind nichtinfektiöser Natur.3
    • Effekte der Antibiotika auf Mukosa und Motilität des Intestinums
      • Anregung der Peristaltik u. a. durch Erythromycin, Penicilline und Clavulansäure1
    • Störungen der intestinalen Mikroflora (Dysbiose) mit sekundären trophischen und sekretionsfördernden Auswirkungen auf die Schleimhaut
  • Die häufigste infektiöse Ursache ist eine Darminfektion mit C. difficile.
    • begünstigtes Wachstum von C. difficile durch Störung der normalen Mikroflora im Dickdarm
  • Folgende Antibiotika sind besonders häufig mit Diarrhö assoziiert:5
    • Cephalosporine: deutlich höheres Risiko bei Cephalosporinen der 3. Generation
    • Breitbandpenicilline – z. B. Ampicillinderivate, Piperacillin / Tazobactam
    • Clindamycin
    • Clarithromycin: vor allem bei hoher Dosierung (3 x 500 mg)
    • Fluorchinolone.

Pathophysiologie bei nichtinfektiöser Ursache

  • Dieser Abschnitt bezieht sich auf nachfolgende Referenz.6
  • Da Antibiotika nicht selektiv zwischen pathogenen und apathogenen Bakterien unterscheiden, wird durch die Antibiotikaeinnahme die Gesamtheit der intestinalen Mikrobiota signifikant dezimiert.
  • Die dadurch reduzierte Fermentationsleistung hat zur Folge, dass vermehrt osmotisch wirkende Ballaststoffe im Kolon verbleiben, nicht in kurzkettige Fettsäuren verstoffwechselt und nicht zusammen mit Natrium und Wasser von den Kolonozyten aufgenommen werden.
  • Der Darminhalt wird weniger eingedickt, und eine Diarrhö kann resultieren.

Pathophysiologie bei C.-difficile-Infektion

  • Virulenzfaktoren Enterotoxin A und Cytotoxin B führen zu zytotoxischer Schädigung der Intestinalzellen und damit zu Diarrhö und Kolitis.7

Disponierende Faktoren

  • Kombinationstherapie mehrerer Antibiotika, Breitbandantibiotika, Langzeittherapien, wiederholte Therapien1
  • Immunsuppression1
  • Sondenernährung1
  • AAD in der Vorgeschichte1
  • Intestinale Eingriffe und Operationen1

ICPC-2

  • D70 Darminfektion
  • D73 Gastroenteritis, vermutlich infektiös

ICD-10

  • A04.7 Enterokolitis durch Clostridium difficile
  • K52.9 Nichtinfektiöse Diarrhoe, nicht näher bezeichnet
  • Y57 Unerwünschte Nebenwirkungen bei therapeutischer Anwendung von Arzneimitteln und Drogen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • AAD kann direkt nach der 1. Einnahme bis einige Monate nach Abschluss einer Antibiotikatherapie auftreten.1
  • Symptomatik reicht von selbstlimitierenden Diarrhoe-Episoden bis zur schweren, lebensbedrohlichen C. difficile-Infektion mit toxischem Megakolon. 8

Klinische Untersuchung

  • Geschwächter Allgemeinzustand
  • Ggf. Dehydrierung
  • Untersuchung vom Abdomen, u. a.:
    • Auskultation
      • meist rege Darmgeräusche
      • Stille oder metallisch klingende Darmgeräusche als Anhalt für paralytischen bzw. mechanischen Ileus?
    • Palpation
      • Abwehrspannung?
      • Erschütterungsschmerz als Anhalt für Peritonitis?

Ergänzende Untersuchungen

  • Bei selbstlimitierender Antibiotika-assoziierter Diarrhö ohne Hinweis auf schwere Erkrankung in der Regel nicht erforderlich

Blutuntersuchung

Mikrobiologie

  • Zur Ausschlussuntersuchung Stuhluntersuchung auf pathogene Keime inkl. C. difficile
    • bei entsprechender Reise-/Expositionsanamnese auch Parasiten, Amöben, Wurmeier
  • Bei nosokomialer Diarrhö (Auftreten der Symptome später als 48 Stunden nach Aufnahme ins Krankenhaus) Fokussierung der Diagnostik auf C. difficile und Norovirus3

Sonografie

  • Orientierende Beurteilung des Darmes
    • Anhalt für toxisches Megakolon
      • massiv dilatiertes Kolon
    • Anhalt für Ileus
      • u. a. Pendelperistaltik, Kalibersprung mit Dilatation der oral gelegenen Darmabschnitte
    • entzündlich veränderte Darmwände
      • Hyperperfusion, verdickte Darmwände

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Evtl. Koloskopie
    • Bei Nachweis von Pseudomembranen ist ein sofortiger Therapiebeginn gegen C. difficile, auch ohne mikrobiologischen Nachweis, indiziert.7
    • Biopsien sichern die Diagnose.
    • Cave: erhöhtes Perforationsrisiko sowie Ansteckungsrisiko für Untersucher*in bei akuter Infektion!

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei schwerer Durchfallsymptomatik mit geschwächtem Allgemeinzustand und Dehydrierung
    • meist nur bei älteren, multimorbiden Patient*innen der Fall

Therapie

Therapieziele

  • Stuhlgang normalisieren.
  • Bei infektiöser Genese
    • Erreger sanieren.
    • Ansteckung anderer Personen verhindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Bei unkomplizierter und C.-difficile-negativer AAD reichen häufig supportive Maßnahmen wie der Ausgleich von Flüssigkeitsverlusten sowie die Behebung von Elektrolytstörungen.
  • Wichtigste Maßnahme ist das Absetzen des Antibiotikums, sobald dies im klinischen Kontext möglich ist.1
  • Siehe den entsprechenden Artikel für die Therapie der C.-difficile-Darminfektion.

Symptomatische Therapie

  • Ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution3
    • Bei leichten Erkrankungen reicht gesüßter Tee in Kombination mit Salzgebäck oder mit Zucker und Salz angereicherte Fruchtsaftverdünnung zur Rehydratation.
    • Es gibt eine spezielle Salz- und Glukosetrinklösung (orale Rehydratationslösung, „WHO-Trinklösung“) mit einer Osmolarität von 245 mosmol/l und folgender Zusammensetzung: Glukose 13,5 g/l, Natriumchlorid 2,6 g/l, Kaliumchlorid 1,5 g/l und Natriumcitrat 2,9 g/l
    • In sehr schweren Fällen (schwere Dehydrierung ≥ 10 % Körpergewicht, Kreislaufschock oder Bewusstseinsstörung) sollte eine Infusionsbehandlung erfolgen.
  • Eine analgetische/spasmolytische Therapie kann gemäß des Stufenschemas der WHO mit Paracetamol, Metamizol, Opioiden sowie Butylscopolamin durchgeführt werden.3
    • Vermieden werden sollten Acetylsalicylsäure, nichtsteroidale Antiphlogistika und Coxibe.

Probiotika als Prävention

  • Laut einer Cochrane-Metaanalyse ist die Behandlung mit Probiotika in Verbindung mit Antibiotikatherapien sicher und hat eine vorbeugende Wirkung auf die AAD.9
    • Risikoreduktion um 64 % bei moderater Qualität der Evidenz
  • Besonders bei Patient*innen mit langfristigen Antibiotikatherapien, bekannter AAD-Historie oder bei der Verwendung von Antibiotika mit besonders hohem AAD-Risiko (z. B. Breitspektrumpenicilline oder Antibiotikakombinationen wie Amoxicillin / Clavulansäure) sollte die präventive Einnahme eines Probiotikums in Betracht gezogen werden.6
    • Auch bei Patient*innen mit geringem AAD-Risiko kann eine probiotische AAD-Prävention sinnvoll sein, da eine unangenehme AAD-Symptomatik die Compliance der Antibiotikaeinnahme reduzieren und somit indirekt auch den Therapieerfolg des Antibiotikums negativ beeinflussen kann.
    • Wenn Probiotika zur Prävention der AAD angewendet werden sollen, empfiehlt es sich grundsätzlich, ein Probiotikum mit evidenzbasierter Wirkung auszuwählen.
      • z. B. S. boulardii CNCM I-745 oder Lactobacillus rhamnosus GG
  • Therapiebeginn simultan, Dauer 7 Tage über das Antibiotikaende hinaus1
  • Cave: Probiotikatherapien mit vitalen Probiotika bei liegenden zentralnervösen Kathetern (ZVK, Port) sind kontraindiziert, da Katheterbesiedlungen und Fungämien mit Hefepilzen beschrieben sind!1,10

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • In der Regel spontane Ausheilung ohne weitere Behandlung nach dem Absetzen des Antibiotikums
  • C.-difficile-Darminfektionen können einen schweren, fulminanten Verlauf nehmen.

Komplikationen

Prognose

  • Eine nichtinfektiöse AAD heilt in der Regel nach Absetzen des Antibiotikums folgenlos ab.
  • C.-difficile-Darminfektion1
    • Unbehandelt hat die schwere pseudomembranöse Kolitis eine Letalität von 15–30 %.
    • Rezidivquote nach Therapie 15–25 %

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. AWMF-Leitlinie-Nr. 021-024. S2k, Stand 2015. www.awmf.org (abgelaufen)

Literatur

  1. Rosien U, Berg T, Layer P. Facharztwissen Gastroenterologie. München: Elsevier, 2021. books.google.de
  2. McFarland LV. Antibiotic-associated diarrhea: epidemiology, trends and treatment. Future Microbiol 2008; 3(5): 563-78. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. AWMF-Leitlinie-Nr. 021-024. Stand 2015. (abgelaufen) www.awmf.org
  4. Labenz J, Gross M, Kiesslich R, et al. Antibiotika-assoziierte Diarrhoe (AAD) – ein reales Problem in deutschen Kliniken?. Z Gastroenterol 2019; 57(9): 213. www.thieme-connect.com
  5. Ziegler A. Behandlung der Antibiotika-assoziierten Diarrhö. Deutsche Apotheker Zeitung 2008, Nr. 40, S. 58, 02.10.2008. www.deutsche-apotheker-zeitung.de
  6. Storr M, Stengel A. Klinische Evidenz zu Probiotika in der Prävention einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö. MMW - Fortschritte der Medizin 2021; 163: 19-26. link.springer.com
  7. Robert Koch-Institut. Infektionskrankheiten, Clostridium difficile, RKI-Ratgeber für Ärzte, Stand 2018 (Zugriff 08.12.2022). www.rki.de
  8. Lange K, Stallmach A. Antibiotika-assoziierte Diarrhoe. coloproctology 2022; 44: 389-94. link.springer.com
  9. Goldenberg JZ, Ma SSY, Saxton JD, Martzen MR, Vandvik PO, Thorlund K, Guyatt GH, Johnston BC. Probiotics for the prevention of Clostridium difficile-associated diarrhea in adults and children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 5. Art. No.: CD006095. DOI: 10.1002/14651858.CD006095.pub3 DOI
  10. Bennack E. Antibiotikainduzierte Diarrhö. Von lästig bis lebensbedrohlich. Pharmazeutische Zeitung online 19/2016. Zugriff 27.6.2017 www.pharmazeutische-zeitung.de

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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