Zusammenfassung
- Definition:Immunologische Komplikationen nach Infektionen mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Lancefield-Gruppe A (GAS). Hierzu zählen das akute rheumatisches Fieber (ARF), die Poststreptokokken-Glomerulonephritis (ASPGN), die Poststreptokokken-reaktive Arthritis, die Chorea minor und das PANDAS.
- Häufigkeit:In westlichen Industrienationen inzwischen sehr seltene Erkrankungen. Weltweit regional gehäuftes Auftreten mit potenziellen Langzeitfolgen. Die Erkrankungen treten überwiegend im Kindesalter auf.
- Symptome:Abhängig von der Erkrankung, z. B. Fieber, Polyarthritis, Palpitationen, Chorea und/oder Hautmanifestationen bei rheumatischem Fieber (ARF). Hämaturie, Ödeme und Hypertonie bei Poststreptokokken-Glomerulonephritis (ASPGN).
- Befunde:Abhängig von der Erkrankung Polyarthritis, Fieber, Herzgeräusche, subkutane Knötchen, Erythema marginatum, periphere Ödeme, arterielle Hypertonie, Hämaturie, hyperkinetische Bewegungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten.
- Diagnostik:Labordiagnostik, Erregernachweis (Kultur, Antikörpertiter, Schnelltest) sowie spezifische weitere Diagnostik (z. B. Echokardiografie, MRT).
- Therapie:Antibiotikatherapie der Streptokokken-Infektion. Je nach Schweregrad der Komplikationen spezifische Therapie. Antibiotika-Rezidivprophylaxe nach immunologischen Poststreptokokken-Erkrankung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Infektionen mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Lancefield-Gruppe A (S. pyogenes, GAS) können zu einer Reihe nichteitriger, immunologischer, postinfektiöser Erkrankungen führen.1-5
- Gruppe-A Streptokokken führen u. a. zu Pharyngitis, Tonsillitis, Scharlach sowie Haut- und Weichteilinfektionen.
- Postinfektiöse, immunologische Erkrankungen umfassen:2-4,6
- akutes rheumatisches Fieber (ARF)
- Poststreptokokken-Glomerulonephritis (ASPGN)
- Poststreptokokken-reaktive Arthritis (PSRA)
- Chorea minor (Sydenham)
- PANDAS (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal Infections)
Häufigkeit
- In westlichen Industrienationen sind postinfektiöse, immunologische Komplikationen (ARF, ASPGN) seit Jahrzehnten rückläufig und heutzutage sehr selten.1-3
- Akutes rheumatisches Fieber (ARF)2-3
- Inzidenz von 0,1–1 pro 100.000 Einw. pro Jahr in Westeuropa und Nordamerika
- Betrifft überwiegend Kinder ab dem 5. Lebensjahr (Häufigkeitsgipfel 10. Lebensjahr).
- Poststreptokokken-Glomerulonephritis (ASPGN)3
- seltene Erkrankung, aber eine der häufigsten Ursachen einer Glomerulonephritis im Kindesalter zwischen dem 2. und 12. Lebensjahr
- Weltweit sehr variable Erkrankungshäufigkeit1,3,5
- abhängig von geografischen und sozioökonomischen Verhältnissen teils weiterhin höhere Inzidenzen und Morbidität und Mortalität durch schwere Verläufe
- u. a. Indien, Afrika südlich der Sahara, Australien, Neuseeland
- Inzidenz des ARF von 10–120 pro 100.000 Einw. pro Jahr in Osteuropa, dem Mittleren Osten, Asien und Australien
- abhängig von geografischen und sozioökonomischen Verhältnissen teils weiterhin höhere Inzidenzen und Morbidität und Mortalität durch schwere Verläufe
Ätiologie und Pathogenese
- Siehe Artikel Streptokokken-Infektionen (S. pyogenes/GAS).
- Primärinfektion1-3,5,7-8
- beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS, Streptococcus pyogenes) führen zunächst zu einer lokalen Infektion.2-3,5,7-8
- meist akute Pharyngitis, Tonsillitis oder Scharlach, seltenere Hautinfektionen (Impetigo, Erysipel)
- Immunologische Komplikationen1,3,5,8
- Das M-Protein ist ein Oberflächenantigen von Streptococcus pyogenes.
- Die vom Körper gebildeten Streptokokken-Antikörper (gegen das M-Protein) zeigen eine Kreuzreaktion gegen körpereigene Antigene.
- strukturelle Ähnlichkeit zwischen den M-Proteinen der Streptokokken und körpereigenen Geweben (z. B. Myosin)
- postinfektiöse Autoimmunreaktion durch „molekulares Mimikry“
- Schädigung des betroffenen Gewebes durch verschiedene Mechanismen
- durch Immunkomplexablagerungen bei Glomerulonephritis
- durch überschießende Immunantwort bei akutem rheumatischem Fieber (ARF)
- durch antikörpervermittelte Schädigung der Basalganglien bei Chorea minor und PANDAS (Anti-Basalganglien-Antikörper, ABGA)9-11
- Postinfektiöse immunologische Erkrankungen treten typischerweise wenige Wochen nach der Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Lancefield-Gruppe A auf.1-5
Prädisponierende Faktoren
- Zurückliegende Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Lancefield-Gruppe A (GAS)
- Herkunft aus Regionen mit hoher Inzidenz von rheumatischem Fieber3,12
- Armut, Unterernährung, niedriger sozioökonomischer Status3,5
- Crowding (überdurchschnittliche Anzahl an Personen pro Haushalt bzw. pro Wohnraum)2-3,5,12
- Genetische Disposition (u. a. HLA-Antigene der MHC-Klasse II)2,5,12
ICPC-2
- K71 Rheumatisches Fieber/Herzerkrankung
- U88 Glomerulonephritis/Nephrose
ICD-10
- I00 Rheumatisches Fieber ohne Angabe einer Herzbeteiligung
- I01 Rheumatisches Fieber mit Herzbeteiligung
- I01.0 Akute rheumatische Perikarditis
- I01.1 Akute rheumatische Endokarditis
- I01.2 Akute rheumatische Myokarditis
- I01.8 Sonstige akute rheumatische Herzkrankheit
- I01.9 Akute rheumatische Herzkrankheit, nicht näher bezeichnet
- I02 Rheumatische Chorea
- I02.0 Rheumatische Chorea mit Herzbeteiligung
- I02.9 Rheumatische Chorea ohne Herzbeteiligung
- I05 Rheumatische Mitralklappenkrankheiten
- I06 Rheumatische Aortenklappenkrankheiten
- I07 Rheumatische Trikuspidalklappenkrankheiten
- I09 Sonstige rheumatische Herzkrankheiten
- N00 Akutes nephritisches Syndrom
- N08 Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N08.0 Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
Rheumatisches Fieber
Definition
- Siehe Artikel Rheumatisches Fieber.
- Das akute rheumatische Fieber (ARF) ist eine systemische Fiebererkrankung nach einem Streptokokken-Infekt der oberen Atemwege.2,4-5
- Betrifft überwiegend Kinder ab dem 5. Lebensjahr (Häufigkeitsgipfel 10. Lebensjahr).
Symptome
- Erkrankungsbeginn1,5
- ca. 3 Wochen (10–28 Tage) nach einer Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS)
- Typische Beschwerden umfassen:1-3,5
- Fieber
- Müdigkeit und Abgeschlagenheit, allgemeines Krankheitsgefühl
- „wandernde“ Gelenkschmerzen in den großen Gelenken
- Herzrasen und Palpitationen
- Dyspnoe
- Hautveränderungen (Erythem)
- unkontrollierte Bewegungen und Unruhe bei Chorea minor
- Hinweise auf vorangegangenen Streptokokken-Infekt
- v. a. Pharyngitis, Tonsillitis, Scharlach
(Poly-)Arthritis
- Häufigstes Symptom (> 75 % der Fälle)2,5
- Arthritiden mehrere Gelenke (Polyarthritis), stark schmerzhaft
- Schwellung, Druckempfindlichkeit, Überwärmung, Bewegungsschmerz des betroffenen Gelenkes
- Die Entzündung „wandert" typischerweise vom großen Gelenk zu Gelenk.2,5
- Knie, Sprunggelenk, Ellbogen- und Handgelenk sind häufig betroffen.
- Periartikuläre Fibrose der MCP-Gelenke kann zu Ulnardeviation führen (Jaccoud-Arthritis).
- Üblicherweise selbstlimitierend nach bis zu 4 Wochen3,5
- Gutes Ansprechen auf nichtsteroidale Antiphlogistika
Karditis
- Pankarditis (Myokarditis, Endokarditis, Perikarditis) mit variablem Verlauf in 50–70 % der Fälle2,5
- schwerwiegendste Manifestation der Erkrankung
- Die Endokarditis mit Klappenbeteiligung (Valvulitis) führt in erster Linie zu Klappeninsuffizienzen.
- Kann zu einer Herzinsuffizienz mit letalem Ausgang führen.
- vorwiegend linkskardiale Klappeninsuffizienzen2,5
- Mitralklappeninsuffizienz (75–80 % der Fälle)
- Aortenklappeninsuffizienz (ca. 30 % der Fälle, selten als einzige Klappe)
- Trikuspidal- oder Pulmonalklappe (< 5 % der Fälle)
- Klinische Zeichen der Herzbeteiligung sind:
- allgemeines Krankheitsgefühl
- verminderte Belastbarkeit, Dyspnoe sowie Zeichen der Herzinsuffizienz
- pathologische Herzgeräusche bei Endokarditis mit Klappenschädigung
- klinische Zeichen der Myokarditis bzw. Perikarditis
- Perikardreiben, inadäquate Tachykardie, Arrhythmien, Galopprhythmus
- Eine subklinische Karditis lässt sich echokardiografisch diagnostizieren.5,13
Chorea minor
- Die Chorea minor kann eigenständig oder als Symptom des ARF auftreten.3,5
- Plötzliche, unfreiwillige, unregelmäßige, schnelle, asymmetrische Bewegungen von Gliedmaßen oder Kopf und Gesicht
- häufig begleitet von neuropsychiatrischen Symptomen (z. B. emotionale Instabilität, psychotische Episoden)
- Die Symptomatik dauert üblicherweise 2–3 Monate an, in der Regel selbstlimitierend.
Hautmanifestationen
- Hautmanifestationen sind selten (0–10 %), aber spezifisch für das ARF.2,5
- Subkutane Knötchen2,5
- feste, schmerzlose, subkutane Knötchen mit Durchmesser bis zu 2 cm
- insbesondere über den Knochen an den Streckseiten der Extremitäten und entlang der Wirbelsäule tastbar
- Erythema marginatum (anulare)5
- makulopapulöses, stammbetontes Exanthem
- praktisch nie im Gesicht, an Hand- oder Fußsohlen
- randbetont hellrot-bräunliche Effloreszenz, zur Mitte hin heller
- nicht juckend oder schmerzhaft
- rasche Ausbreitung, transiente Manifestation
- makulopapulöses, stammbetontes Exanthem
Diagnostik
- Rheumatisches Fieber ist eine klinische Diagnose und wird anhand der Jones-Kriterien gestellt.2-3,13-14
Leitlinie: Diagnosekriterien des akuten rheumatischen Fiebers2-3
Jones-Kriterien13
- Ein akutes rheumatisches Fieber gilt als diagnostiziert, wenn
- 2 Hauptkriterien (Majorkriterien) – oder –
- 1 Hauptkriterium und 2 Nebenkriterien (Minorkriterien) erfüllt sind.
- Hauptkriterien (Majorkriterien)
- Karditis (klinisch oder subklinisch mittels Echokardiografie)
- Polyarthritis
- Chorea minor
- Erythema marginatum (anulare)
- subkutane Noduli
- Nebenkriterien (Minorkriterien)
- Erweiterung der Kriterien für Patient*innen aus Risikopopulationen3,13
- Definition der Risikogruppe
- hohe Inzidenz für ARF (≥ 2 pro 100.000 Schulkinder) – oder –
- hohe Prävalenz der rheumatischen Herzerkrankung (≥ 1 pro 1.000 Populationsjahren)
- Bei nicht sicherer Zuordnung wird ein erhöhtes Risiko angenommen.
- Monoarthritis oder Polyarthralgie sind als Majorkriterien zu werten.
- Monoarthralgie, Fieber ≥ 38 °C oder eine BSG ≥ 30 mm/1 h oder CRP ≥ 3,0 mg/dl sind als Minorkriterien zu werten.
- Definition der Risikogruppe
- Ausnahmen (Diagnose außerhalb der Jones-Kriterien)
- Karditis mit klarem anamnestischem Bezug zu einem vorangegangenen Streptokokken-Infekt
- Chorea minor (nach Ausschluss anderer ZNS-Erkrankung)
- Rezidiv eines ARF
- Nachweis einer Streptokokken-Infektion
- kultureller Nachweis von Gruppe-A-Streptokokken (GAS)
- positiver Antigen-Nachweis
- erhöhter oder ansteigender Streptokokken-Antikörpertiter
Therapie
Leitlinie: Therapie des akuten rheumatischen Fiebers2-3
- Behandlung durch Kinderärzt*innen, vorrangig mit Expertise in Kardiologie, Rheumatologie und/oder Infektiologie
- Antibiotische Behandlung der Streptokokken-Infektion
- sofortiger Therapiebeginn nach Rachenabstrich und Streptokokken-Schnelltest
- Das Antibiotikum der Wahl ist Penicillin.
- Penicillin V für 10 Tage
- Dosierung: 100.000 IE/kg KG/d oral
- Dosisintervall: in 3 ED max. 3 x 1,2 Mega
- bei Penicillin-Allergie alternativ
- Makrolide, z. B. Clarithromycin für 10 Tage
- Cephalosporine für 10 Tage
- Behandlung der systemischen Inflammation
- symptomatische Therapie mit hochdosiert NSAR
- z. B. Ibuprofen 30 mg/kg/d in 3 ED
- bis zur Entfieberung und Normalisierung der Entzündungsparameter
- Die historische Empfehlung zur hochdosierten ASS-Therapie ist aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen nicht mehr aktuell.
- symptomatische Therapie mit hochdosiert NSAR
- Behandlung der Polyarthritis
- symptomatische Therapie mit NSAR
- Ibuprofen, alternativ Naproxen
- Ggf. niedrig-dosierte orale Glukokortikoide, falls NSAR nicht toleriert werden.
- Physiotherapie, lokale Kryo- oder Wärmetherapie
- symptomatische Therapie mit NSAR
- Behandlung der schweren Karditis (Herzinsuffizienz, AV-Block)
- initial Prednisolon
- 2 mg/kg KG/d, max. 80 mg/d in 2–3 ED
- Dosisreduktion frühestens nach 2 Wochen
- weitere Reduktion unter Überlappung mit NSAR15
- übliche Therapie einer Herzinsuffizienz gemäß Leitlinien
- initial Prednisolon
- Weder NSAR noch Steroide beeinflussen die Prognose einer Herzklappenbeteiligung.
- Sekundärprophylaxe
- Langzeit-Chemoprophylaxe mit (Depot‑)Penicillin nach ARF oder rheumatischer Herzerkrankung über mindestens 5 Jahre
Poststreptokokken-Glomerulonephritis
Definition
- Siehe Artikel Glomerulonephritis.
- Die akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis (ASPGN) ist eine immunvermittelte Komplikation nach Streptokokken-Infektionen.3,5,7-8
- Häufigkeit3,5,7-8,16
- eine der häufigsten Ursachen einer Glomerulonephritis im Kindesalter
- in westlichen Industrienationen sehr selten, in anderen Regionen weiterhin endemische Häufung (Inzidenzen von 9,5–28,5 pro 100.000 Einw. pro Jahr)
Symptome
- Erkrankungsbeginn3-4
- ca. 10 Tage (1–5 Wochen) nach einer Tonsillopharyngitis (Pharyngitis, Tonsillitis, Scharlach) mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS)
- ca. 3 Wochen nach einer Hautinfektion (Impetigo, Erysipel) mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS)
- Symptome3,7-8
- Leichte oder subklinische Erkrankungsverläufe sind häufig.
- nephritisches Syndrom
- Mikro- oder Makrohämaturie
- Proteinurie
- Ödeme, auch des Gesichts
- Oligurie
- arterielle Hypertonie (ca. 50 % der Kinder)
- nephrotisches Syndrom (selten)
- Allgemeinsymptome
- Müdigkeit und Abgeschlagenheit, allgemeines Krankheitsgefühl, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen
Diagnostik
- Labordiagnostik wie bei Glomerulonephritis inkl. Nierenretentionsparameter (Kreatinin, Harnstoff)
- Urinstatus8
- Urinmikroskopie (Urinsediment)
- Nierenbiopsie verzichtbar bei unkompliziertem Verlauf und typischer Konstellation3,8,17
Therapie
- Antibiotische Therapie der Streptokokken-Infektion3,8
- Symptomatische Therapie der Glomerulonephritis2,8
- Kontrolle des Flüssigkeitshaushalts und des Blutdrucks
- Flüssigkeits- (2 l) und Salzrestriktion (2–2,5 g) in der akuten Phase
- bedarfsgerechte antihypertensive Therapie
- keine klare Evidenz für Kortikosteroide oder Immunsuppressiva
- Hämodialyse
- nur in seltenen Fällen bei Volumenüberladung oder metabolischer Entgleisung (3–5 % in Entwicklungsländern)8
- Prognose
- gute Prognose mit meist vollständiger Rückbildung8
- klinische Besserung in der Regel 1–2 Wochen nach Symptombeginn
- Restitution der Nierenfunktion nach etwa 4 Wochen
- sehr selten Verläufe mit chronischer Niereninsuffizienz8,17
- gute Prognose mit meist vollständiger Rückbildung8
Poststreptokokken-reaktive Arthritis
Definition
- Poststreptokokken-reaktive Arthritis (PSRA) bzw. Poststreptokokken-Arthritis bezeichnet die isolierte Manifestation einer Polyarthritis nach Infektion mit Streptokokken der Lancefield-Gruppe A (GAS).2,5,18
- Jones-Diagnosekriterien des rheumatischen Fiebers (ARF) sind nicht erfüllt.2,5,18
- Die Erkrankung tritt meist ab dem 4. Lebensjahr mit Häufigkeitsgipfel im 10. Lebensjahr auf.2
- zweiter Häufigkeitsgipfel zwischen dem 21. und 37. Lebensjahr
Symptome
- Erkrankungsbeginn ca. 1–2 Wochen nach der Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS)1-2
- Schmerzhafte Polyarthritis der großen Gelenke1,19
- in der Regel stärker ausgeprägt und länger anhaltend als die Arthritis beim rheumatischen Fieber
- Knie, Sprunggelenk, Hüftgelenk und Handgelenk sind häufig betroffen.
Therapie
- Antibiotische Therapie der Streptokokken-Infektion
- Häufig schlechteres Ansprechen auf NSAR als bei rheumatischem Fieber1,3,5
- Nach der Erkrankung meist Langzeit-Sekundärprophylaxe mit (Depot‑)Penicillin für mindestens 1 Jahr1
Chorea minor (Sydenham)
Definition
- Siehe Artikel Chorea minor (rheumatische Chorea).
- Neuropsychiatrische immunologische Komplikation nach Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS)2,5,9,11
- a. e. postinfektiöse, antikörpervermittelte Schädigung der Basalganglien durch Anti-Basalganglien-Antikörpern (ABGA)
- Manifestation im Rahmen eines akuten rheumatischen Fiebers oder als isoliertes Syndrom2-3
- Die Erkrankung tritt meist im Alter von 5–15 Jahren auf.
Symptome
- Erkrankungsbeginn
- sehr variabel, Spätkomplikation bis zu 6 Monate nach der Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS)
- Bewegungsstörungen1-2,5,11
- plötzliche, unfreiwillige, unregelmäßige, schnelle, asymmetrische Bewegungen von Gliedmaßen bzw. Kopf und Gesicht (Chorea)
- Gangstörung
- Sprechstörung
- Grimassieren
- Schreibstörung
- Psychiatrische Symptome1-2,11
- emotionale Instabilität, Unruhe, Angst
- Zwangsstörungen
- Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS)
- Tic-Störungen
- In der Regel selbstlimitierende Symptomatik nach etwa 2–4 Monaten2,5,9,20
Therapie
- Antibiotische Therapie der Streptokokken-Infektion1,3,9
- Ggf. symptomatische Therapie der Chorea (z. B. mit Antiepileptika oder Tiaprid)
- Nach der Erkrankung meist Langzeit-Sekundärprophylaxe mit (Depot‑)Penicillin für mindestens 5 Jahre9
PANDAS und PANS
Definition
- Neuropsychiatrische Erkrankung und Sonderform der Zwangsstörung bei Kindern nach Infektion mit Streptokokken der Lancefield-Gruppe A (GAS)6,10,15,17,21
- PANDAS: „Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal Infections“
- PANS: „Pediatric Acute Onset Neuropsychiatric Syndrome“
- Möglicherweise vergleichbarer Pathomechanismus bzw. Unterform der Chorea minor Sydenham2,6,17,22
- Schädigung von Basalganglien und kortikalen Strukturen durch Autoantikörper
- Assoziation zu familiärer Prädisposition für Autoimmunerkrankungen
- Häufigkeit
Symptome
- Erkrankungsbeginn17,22
- akuter Beginn in zeitlichem Zusammenhang mit einer Streptokokken-Infektion
- z. T. episodischer Verlauf mit Rückbildung der Symptome
- Symptome6,10,17,22
- Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen
- Tic-Störungen
- Angst
- Irritabilität und emotionale Instabilität
- Schlafstörungen
- ADHS/Hyperkinetische Störung
- Depression
- Störungen der Nahrungsaufnahme
Therapie
- Antibiotische Therapie der Streptokokken-Infektion6,9,23
- Therapie der neuropsychiatrischen Symptome (z. B. Zwangsstörung)6,10,17,22
- Psychotherapie und Support (kognitive Verhaltenstherapie)
- medikamentöse Therapie (z. B. SSRI)
- Immunsuppressive oder -modulatorische Therapien6,17,23-24
- z. B. Kortikosteroide, Anti-CD20-Antikörper, Plasmapherese, intravenöse Immunglobuline (IVIG)
- sehr begrenzte Evidenzlage, somit individuelle und personalisierte Therapieentscheidungen
Diagnostik
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Basis-Labordiagnostik1-2,12
- Differenzialblutbild, Nierenretentionswerte (Kreatinin, Harnstoff), Leberwerte (Bilirubin, GGT, GOT, GPT, AP), Elektrolyte (Natrium, Kalium)
- Entzündungsparameter (BSG und CRP häufig erhöht)
- Urinstatus (z. B. Hämaturie, Proteinurie)
Nachweis von Streptokokken2-3
- Erregernachweis2-3
- Siehe Artikel Streptokokken-Infektionen (S. pyogenes/GAS).
- Kultur
- kultureller Nachweis von Streptokokken aus dem Rachenabstrich
- Goldstandard, jedoch häufig negativ
- Antigen-Nachweis
- Nachweis von Streptokokken-Antigen
- mangelnde Sensitivität
- Streptokokken-Antikörpertiter
- erhöhte Streptokokken-Antikörpertiter (stark erhöht bzw. Titeranstieg um 2 Stufen)
- Antistreptolysin-Titer (ASL) 1 Woche nach Infektion (max. Titer 3–6 Wochen nach Infektion)
- Antidesoxyribonuklease-B-Titer (ADNase) 1–2 Wochen (max. Titer 6–8 Wochen nach Infektion)
- Eine vorangegangene Antibiotikatherapie kann die Entwicklung der Antikörperreaktion möglicherweise verhindern.
- nur in 8 % der Fälle negativer Test und fehlender Titeranstieg
- Bei klinischem Verdacht und negativer Testung ggf. nach 2 Wochen Wiederholung20
EKG
- Bei V. a. rheumatisches Fieber mit kardialer Beteiligung12
Prävention
Präventive Wirkung von Antibiotika
- Derzeit keine klare Evidenz, dass durch eine unselektierte antibiotische Therapie von Streptokokken-Tonsillopharyngitiden immunologische Komplikationen (ARF oder ASPGN) verhindert werden.3
- Risikoreduktion durch Antibiotikagabe für ARF und APSGN ausschließlich nachgewiesen durch kontrollierte Studien, die vor 1961 durchgeführt wurden.
- Cochrane-Metaanalyse zur Antibiotikatherapie bei Halsschmerzen25
- Poststreptokokken-Glomerulonephritis (ASPGN) zu selten für eine statistische Aussage
- akutes rheumatisches Fieber (ARF) innerhalb von 2 Monaten seltener als in der Kontrollgruppe (allerdings Fälle insbesondere in den 1950ern)
Leitlinie: Antibiotische Therapie bei Halsschmerzen3
- Laut aktueller DEGAM-Leitlinie Halsschmerzen sollte bei Kindern und Jugendlichen (Alter ≤ 15 Jahre) mit akuten Halsschmerzen ohne Red Flags bei negativem Schnelltestergebnis für GAS auf eine antibiotische Therapie verzichtet werden.
- In westlichen Industrienationen geringe Inzidenzen für immunologische Komplikationen, sodass die präventive Wirkung eines Antibiotikums nicht in die Überlegung zur Entscheidung einfließen sollte.
- Weitergehende individuelle Beratung, Diagnostik und Therapie bei erhöhtem Risiko für immunologische Komplikationen
- besondere Lebensbedingungen
- Vorerkrankungen
- Reise-/Migrationsanamnese
- ethnische Zugehörigkeit
- Poststreptokokken-Erkrankungen in der Eigen- oder Familienanamnese
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
- Mögliche Spätfolgen einer Mandelentzündungen
- Gruppe-A-Streptokokkeninfektionen
- Rachenentzündung (Pharyngitis)
- Mandelentzündung (Tonsillitis)
- Rheumatisches Fieber
- Chorea minor
Video
- TrainAMed Rachenabstrich (Universität Freiburg)
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Halsschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-010. S3, Stand 2020. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Zwangsstörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-017. S3, Stand 2022. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Diagnostik und Behandlung von Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 028-007. S3, Stand 2021. www.awmf.org
Literatur
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- Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Rheumatisches Fieber - Poststreptokokkenarthritis im Kindes- und Jugendalter. Stand 2013 (abgelaufen). www.kinderkardiologie.org
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Halsschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-010. S3, Stand 2020 www.awmf.org
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Autor*innen
- Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Hamburg
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).