Hallux valgus

Zusammenfassung

  • Definition: Fehlstellung mit lateraler Abweichung der Großzehe und medialer Abweichung des ersten Mittelfußknochens.
  • Häufigkeit:Weit verbreitete Anomalie, die bei Frauen deutlich häufiger zu beobachten ist als bei Männern.
  • Symptome: Schmerzen und Druckempfindlichkeit über Großzehengrundgelenk, insbesondere medial, sowie Schwierigkeiten beim Gehen.
  • Untersuchung: Distaler Teil der Großzehe liegt 2. Zehe an oder überkreuzt diese. Köpfchen des Mittelfußknochens häufig durch mediale Exostose vergrößert, und die darüber liegende Haut ist medial gerötet, verhärtet und druckempfindlich.
  • Diagnostik: Röntgenuntersuchung.
  • Therapie: Konservative Therapie lindert Symptomatik, aber nicht Deformität. Bei deutlichen Beschwerden Operation Mittel der Wahl.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonyme: Großzehenballen, Ballenzehe
  • Fehlstellung der Großzehe1
    • laterale Deviation (Abduktion) und Valgusrotation der Großzehe sowie
    • Adduktion, Varusrotation und Subluxation des 1. Metatarsalphalangealgelenks

Häufigkeit

  • Häufigste Vorfußdeformität2
  • Globale Prävalenz3
    • 23 % bei 18- bis 65-Jährigen
    • 35 % bei Patienten > 65 Jahre
  • Frauen sind weit häufiger betroffen.4
    • flexiblere Weichteile und konstitutionelle Bänderschwäche
    • Tragen enger Schuhe mit hohen Absätzen
  • Familiäre Disposition5

Ätiologie und Pathogenese

  • Dysbalance zwischen intrinsischer und extrinsischer Fußmuskulatur sowie Bandstrukturen2
  • Verstärkung durch unpassendes Schuhwerk
  • Hallux valgus kann nach Arthritiden, Traumen oder als Folge neuropathischer Erkrankungen auftreten.

Pathogenese

  • Die Großzehe ist normalerweise um 15–20 Grad valgisiert, und die Streck- und Beugesehnen verlaufen leicht lateral der Zehenachse.
    • Ausgleich durch andere Fußmuskeln und Bandstrukturen sowie die Konfiguration des Fußskeletts, sodass insgesamt ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis besteht und die leichte Valgusstellung stabil ist.2
      • Störung des Gleichgewichts z. B. durch enge, hochhackige Schuhe
  • Bei Valgusstellung von mehr als 20 Grad zunehmende Dezentrierung der Sehnen nach lateral
      • Valgusstellung nimmt durch Sehnenzug immer weiter zu.
  • Folgen der zunehmenden Valgisierung2
    • Köpfchen des 1. Metatarsalknochens wird nach medial gedrückt.
      • Der Druck von Schuhen führt zu chronischer Reizung der medialen Bursa des Metatarsalköpfchens.
      • Mit der Zeit bildet sich eine Exostose, wodurch die Druckbeschwerden weiter verstärkt werden.
    • Laterale Verschiebung der Großzehe hat auch Auswirkungen auf benachbarte Zehen.
      • Entstehung von Hammer- oder Krallenzehenstellung möglich
    • Transfermetatarsalgie
      • Mehrbelastung der Mittelfußköpfchen II–IV bei Abrollvorgang des Fußes

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • L98 Erworbene Deformität Extremität

ICD-10

  • M20 Erworbene Deformitäten der Finger und Zehen
    • M20.1 Hallux valgus (erworben)

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische klinische Befunde mit lateraler Deviation der Großzehe

Anamnese

  • Schmerzen und Druckempfindlichkeit über dem Großzehengrundgelenk, insbesondere auf dessen medialer Seite
  • Beschwerden beim Gehen
  • Patienten berichten häufig, dass es schwierig sei, gut passende Schuhe zu finden.

Klinische Untersuchung

Hallux valgus vor und nach der Operation.
Hallux valgus vor und nach der Operation.
  • Distaler Teil der Großzehe liegt an der 2. Zehe an oder überkreuzt diese.
  • Mediale Pseudoexostose am Köpfchen des 1. Mittelfußknochen
  • Hautveränderungen
    • medial vom Köpfchen des 1. Mittelfußknochen Haut oft gerötet, hyperkeratotisch, druckempfindlich
    • Offene Stellen?
  • Beurteilung von Fußgewölbe und Rückfußstellung
  • Untersuchen Sie die Fehlstellung benachbarter Zehen.
    • Hammerzehen, Krallenzehen, Digitus-II-superductus?
  • Beurteilen Sie das Bewegungsausmaß des Großzehengrundgelenks im Seitenvergleich.
    • Neutral-Null-Methode: bei arthrotischen Veränderungen eingeschränkt, schmerzhaft und Kreptitationen
  • Gelegentlich schmerzhafte Schleimbeutel5
  • Fehlstellung flexibel oder fixiert?
    • Manuell zu korrigieren?2
  • Überprüfung benachbarter Gelenke
    • Interphalangealgelenk I, Metatasophalangealgelenk II–V, Tarsometatarsalgelenk I
    • Beweglichkeit oberes und unteres Sprunggelenk
  • Fußpulse
  • Neurologischer Status

Diagnostik beim Spezialisten

Leitlinie: Notwendige apparative Untersuchungen5

  • Röntgen Vorfuß und Mittelfuß ap und lateral unter Belastung im Stand
    • Bestimmung: Hallux valgus-Winkel (HV-Winkel)
    • Bestimmung: Intermetatarsalwinkel I/II (IM I/II-Winkel)
    • Bestimmung: Position des Metatarsale I-Kopf in Relation zu Sesambeinen
    • Beurteilung: Gelenkkongruenz des Metatarsophalangealgelenk I
    • Beurteilung: Arthrosegrad
    • Beurteilung: Metatarsus addductus

Indikationen zur Überweisung

  • Anhaltende Schmerzen

Checkliste zur Überweisung

Fuß- und Vorfußerkrankungen

  • Zweck der Überweisung
    • Diagnostik? Konservative Behandlung (orthopädische Hilfsmittel)? Operative Therapie?
  • Anamnese
    • Beginnende Fußbeschwerden? Trauma? Überlastung? Entwicklung?
    • Welche Beschwerden: Schmerzen? Ruheschmerzen? Nachtschmerzen? Startschmerzen? Gehprobleme? Ungleiche Abnutzung der Schuhsohlen?
    • Frühere Behandlungsversuche?
    • Andere relevante Erkrankungen?
    • Regelmäßige Medikamente?
    • Folgen Funktionsverlust? Arbeitsunfähigkeit?
  • Klinische Untersuchung
    • Lokaler Status: Fehlstellung? Schwellung? Farbliche Veränderung? Lokale Empfindlichkeit und Hitze? Palpationsschmerz? Peripherer Puls? Beweglichkeit? Ergebnisse der isometrischen Tests?
  • Ergänzende Untersuchungen
    • Schwellung? Lokaler Temperaturanstieg? Neuropathie? Fußdeformität? Fußgeschwüre?
    • Röntgen? Präoperativ ist eine Röntgenuntersuchung sinnvoll. Weitere Untersuchungen?

Therapie

Therapieziele5

  • Schmerzen reduzieren.
  • Fehlstellungen korrigieren.
  • Funktionalität gewinnen.

Allgemeines zur Therapie

Leitlinie: Hallux valgus – Therapie5

  • Beim Vorliegen eines symptomatischen Hallux valgus ist die operative Therapie zur Verbesserung der Schmerzsituation im Vergleich zur Einlagenversorgung oder Abwarten zu empfehlen.
  • Konservative Therapie
    • Ist bei moderaten Fehlstellungen und leichten Schmerzen zunächst in Erwägung zu ziehen.
  • Operative Therapie
    • Eine rein kosmetische Korrektur ohne Symptomatik ist nicht sinnvoll.2
    • Auch nach einer Operation wird das Tragen von geeignetem Schuhwerk empfohlen.
    • Es gibt keine Einigkeit, welche chirurgische Therapie oder welche Nachbehandlung am effektivsten ist.5

Konservative Therapie

Leitlinie: Hallux valgus – konservative Therapie5

  • Beratung
    • Aufklärung über mögliche Therapieformen und Verhaltensweisen
    • Aufklärung über Sportmöglichkeiten und optimale Schuhversorgung (weiches Oberleder, große Zehenbox)
  • Medikamentöse Therapie
    • nichtsteriodale Anti-Rheumatika (NSAR)
  • Physikalische Therapie
    • Krankengymnastik, manuelle Therapie
  • Orthopädietechnik
    • Zehenspreizer
    • Zehenpolster
    • Einlagen mit retrokapitaler Abstützung bei Metatarsalgien
    • Ballenrolle bei schmerzhafter Arthrose des Großzehengrundgelenks
    • Orthesen zur Redression

Medikamentöse Therapie

  • NSAR oral oder als lokales Gel

Operative Therapie

  • Bei anhaltenden Schmerzen und ausbleibender Wirkung der konservativen Behandlung erfolgt die operative Therapie.
    • Es muss nicht zwangsläufig der Hallux schmerzhaft sein, sondern auch durch den Hallux valgus verursachte, symptomatische Zehendeformitäten (Hammerzehe, Krallenzehe) können eine OP-Indikation zur Behebung der Deformität sein.2
  • Kontraindikationen, u. a.:1
    • ausgeprägte arterielle Verschlusskrankheit
    • Symptomfreiheit
    • Komorbiditäten mit erhöhtem kardiovaskulärem oder respiratorischem Risiko
      • Hallux valgus ist keine vital gefährdende Erkrankung, strenge Nutzen-Risiko-Abwägung.
  • Methode
    • Kombination aus knöchernem und periartikulärem Weichteil-Eingriff
    • Es gibt ca. 150 verschiedene Arten, den Hallux valgus zu operieren.2
    • Es gibt keine ideale Operationsmethode oder eindeutig zu bevorzugenden postoperativen Maßnahmen.2
    • Auswahl des Verfahrens wird individuell vom Ausmaß der Deformität und von der Erfahrung des Operateurs bestimmt.2
    • Unterschieden wird zwischen:
      • gelenkerhaltenden Operationen – Abtragung der Exostosen
      • Korrekturosteomien
      • gelenkresezierenden Operationen: Resektionsinterpositionarthroplastik, Arthrodese.5
    • Üblicherweise wird die Exostose entfernt.
      • außerdem entweder korrigierende Osteotomie am 1. Metatarsalknochen oder Weichteilplastik an Sehnen und Gelenkkapsel
    • Bei schweren Fehlstellungen oder Instabilität im Tarsometatarselgelenk ist in der Regel eine Arthrodese des Tarsometatarselgelenks nötig.5
    • Postoperativ wird je nach OP-Technik eine Verbandschuh, eine Orthese oder ein Gipsschuh mit Teil- oder Vollbelastung getragen für ungefähr 6 Wochen.
  • Wirkung
    • Die operative Therapie führt meist zu guten Ergebnissen
      • Bei einigen Patienten entstehen nach einiger Zeit jedoch Rezidive der Fehlstellung und Schmerzen.
      • In manchen Fällen dauert es lange (Monate oder Jahre), bis Besserung eintritt.
    • Die chirurgische Behandlung führte im Vergleich zur Verwendung einer Orthese oder zur Nichtbehandlung zu weniger Schmerzen und einem geringeren Grad der Beeinträchtigung nach 12 Monaten.8
    • Es bestehen keine großen Unterschiede zwischen den Erfolgsraten der verschiedenen Operationsmethoden.2
  • Patientenzufriedenheit
    • Postoperativ sind ca. 85 % der Patienten sehr zufrieden und fast 90 % schmerzfrei.
      • 10 % weniger zufriedene Patienten mit eingeschränktem Ergebnis und 5 % schlechte Ergebnisse2
    • Die Patienten sollten sich bewusst sein, dass eine Valgusstellung von 10–25 Grad normal ist und dass der Rückgang der postoperativen Schmerzen und Schwellungen mehrere Monate dauern kann.9
    • Die Patienten sollten darauf vorbereitet werden, dass der Fuß auch nach einer Operation nicht in engere Schuhe passen wird.

Postoperative Therapie

  • Röntgenkontrollen
  • Leitliniengerechte Thrombosetherapie
    • Die Patienten sollten neben Basismaßnahmen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen in Abhängigkeit von der zunehmenden Mobilisierung erhalten.10
  • Abschwellende Maßnahmen: Hochlagerung, NSAR, Eis, Lymphdrainage
  • Passive und aktive Bewegungsübungen
  • Das Tragen einer Orthese bis zu 6 Wochen ist meist erforderlich, währenddessen sollten die Patienten auf das Autofahren verzichten.
  • Auch nach operativer Korrektur Auswahl eines geeigneten Schuhwerks eminent wichtig, um Rezidiven vorzubeugen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Der Grad der Fehlstellung korreliert nicht mit den Symptomen.
  • Selbst bei schweren Fehlstellungen können Patienten asymptomatisch sein.

Komplikationen

  • Infektion
  • Wundheilungsstörungen
  • Thrombose/Embolie
  • Nerven-/Gefäßverletzung
  • Chronisch regionales Schmerzsyndrom
  • Fehlstellungsrezidiv
  • Pseudarthrosebildung
  • Osteonekrosebildung
  • Arthrosebildung

Prognose

  • Die Prognose ist unsicher.
    • Bei einigen Patienten progrediert die Erkrankung schnell, bei anderen ist sie asymptomatisch.
  • Unbehandelt meist progrediente Deformität, die jedoch nicht zwangsläufig zu Schmerzen und zu starkem Leidensdruck führt.5
  • Eine frühzeitige Korrektur von Spreizfuß und die Verwendung geeigneter Schuhe kann den weiteren Verlauf begünstigen.
  • Operativ bei > 85 % der Patienten sehr gute Ergebnisse2

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Das Tragen geeigneten Schuhwerks kann den Verlauf des Hallux valgus beeinflussen.
  • Die Rekonvaleszenzzeit nach der Operation beträgt häufig bis zu 6 Monate.
  • Patienten, die eine Orthese tragen, sollten auf das Autofahren verzichten.11

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Hallux valgus vor und nach der Operation.
Hallux valgus vor und nach der Operation.

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Hallux valgus. AWMF-Leitlinie 033-018. S2e, Stand 2015. www.awmf.org
  • AWMF Arbeitsgem. der Wiss. Medizin. Fachgesellschaften. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie. AWMF-Leitlinie 003-001. S3, Stand 2015. www.amwf.org

Literatur

  1. Frank CJ. Hallux Valgus. Medscape, last updated Jul 18, 2016. emedicine.medscape.com
  2. Wülker N, Mittag F: The treatment of hallux valgus. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(49): 857−68. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0857 www.aerzteblatt.de
  3. Nix S, Smith M, Vicenzino B. Prevalence of hallux valgus in the general population: a systematic review and meta-analysis. J Foot Ankle Res 2010; 3: 21. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Nguyen USDT, Hillstrom HJ, Li W. Factors Associated with Hallux Valgus in a Population-Based Study of Older Women and Men: the MOBILIZE Boston Study. Osteoarthritis Cartilage 2010; 18(1): 41. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Hallux valgus.AWMF-Leitlinie Nr.033-018. Stand 2014. www.awmf.org www.awmf.org
  6. Nguyen US, Hillstrom HJ, Li W, et al. Factors associated with hallux valgus in a population based study of older women and men: the MOBILIZE Boston study. Osteoarthritis Cartilage 2010; 18: 41-6. PubMed
  7. Coughlin MJ, Jones CP. Hallux valgus: demographics, etiology, and radiographic assessment. Foot Ankle Int 2007; 28: 759-77. PubMed
  8. Torkki M, Malmivaara A, Seitsalo S, Hoikka V, Laippala P, Paavolainen P. Surgery vs orthosis vs watchful waiting for hallux valgus: a randomized controlled trial. JAMA 2001; 285: 2474-80. PubMed
  9. Buciuto R. Prospective Randomized Study of Chevron Osteotomy Versus Mitchell's Osteotomy in Hallux Valgus. Foot Ankle Int 2014; 35(12):1268-76. PubMed
  10. AWMF Arbeitsgem. der Wiss. Medizin. Fachgesellschaften. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie. AWMF-Leitlinie 003-001, Stand 2015. www.awmf.org
  11. Dammerer D et al. Effect of surgical shoes on brake response time after first metatarsal osteotomy—a prospective cohort study. J Orthop Surg Res 2016;11: 14; doi: 10.1186/s13018-016-0350-9 DOI
  12. Vanore, JV, Christensen, JC, Kravitz, SR, et al. Diagnosis and treatment of first metatarsophalangeal joint disorders. Section 1: Hallux valgus. J Foot Ankle Surg 2003; 42: 112. PubMed

Autoren

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL
  • Carlos Saro Moncloa, med dr, överläkare, Ortopedkliniken, Södertälje sjukhus (Medibas)
  • Arild Aamodt, overlege/professor, Ortopedisk avdeling, Lovisenberg Sykehus, Oslo

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