Zusammenfassung
- Definition:Potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit Blasenbildung und Ablösung der Haut, die toxinvermittelt durch Staphylokokken verursacht wird.
- Häufigkeit:Sehr seltene Erkrankung, die vor allem Kleinkinder betrifft.
- Symptome:Hautläsionen beginnen häufig mit entzündlichen Rötungen im Bereich von Augen und Mund. Innerhalb von 24 Stunden Ausbreitung mit Blasenbildung, Fieber und deutlich reduziertem Allgemeinzustand.
- Befunde:Infekt mit Staphylokokken (z. B. Pharyngitis oder Otitis media). Schmerzhaftes Erythem. Leicht platzende Blasen der Haut; Schleimhaut nicht betroffen. Positives Nikolski-Zeichen.
- Diagnostik:Klinische Diagnose mit Nachweis von Staphylokokken in Kulturen des Infektionsherds.
- Therapie:Schnellstmögliche Antibiotikagabe und stationäre Behandlung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit Blasenbildung und Ablösung der Haut, die toxinvermittelt durch Staphylokokken verursacht wird.1
- vor allem Kleinkinder betroffen
- Synonyme: Dermatitis exfoliativa neonatorum, staphylogenes Lyell-Syndrom, Morbus Ritter (von Rittershain)
Häufigkeit
- Deutschland2
- Inzidenz 0,09–0,13 Fälle pro 100.000 Einw.
- USA1
- Inzidenz 7,67 Fälle pro 100.000 Kinder
- Inzidenz 45,1 Fälle pro 100.000 Kinder < 2 Jahre
- Insgesamt sehr seltene Erkrankung, die vor allem bei Neugeborenen und Kleinkindern auftritt.
- Altersgipfel der Erkrankung 2–3 Jahre3
Ätiologie und Pathogenese
- Einige Stämme von Staphylococcus aureus erzeugen exfoliative Toxine, die durch Hydrolysierung vom Protein Desmoglein-1 zu Epidermolyse und Blasenbildung führen.4
- Primärer Infektionsfokus zumeist in Kopf-Hals-Region (z. B. Konjunktivitis, Otitis media, Pharyngitis), bei Neugeborenen auch umbilikal oder in der Haut (Impetigo, Weichteilinfektion, besonders unter der Windel)4
- Cave: klinisch manifeste Infektion muss nicht vorliegen!
- Ausbreitung der Toxine über den Blutweg
- Blasenbildung jedoch nur in der Haut; Schleimhäute sind nicht betroffen.5
- Geringeres Auftreten bei Erwachsenen vermutlich durch mehr vorhandene Antikörper gegen Exotoxine sowie bessere renale Clearance von Exotoxinen5
Prädisponierende Faktoren
- Neugeborene und Säuglinge mit Staphylokokkeninfektion
- Erwachsene mit geschwächtem Immunsystem (verminderte Antikörper) oder Nierenversagen (verminderte renale Exotoxin-Ausscheidung)1
ICPC-2
- S99 Hautkrankheit, andere
ICD-10
- L00.- Staphylococcal scalded skin syndrome [SSS-Syndrom]
- L00.0 Befall von weniger als 30 % der Körperoberfläche
- L00.1 Befall von 30 % der Körperoberfläche und mehr
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Stellen der Verdachtsdiagnose bei klinischem Bild
- akut auftretende Hauterkrankung bei Kleinkindern mit Blasenbildung und schmerzhaftem Erythem
- gleichzeitiges Vorliegen einer Staphylokokkeninfektion (Cave: klinisch oft inapparent!)
- Diagnosesichernd
- mikrobiologischer Nachweis von exotoxinbildendem Staphylokkenstamm aus dem mutmaßlichen Infektionsfokus3
Differenzialdiagnosen
- Im Anfangsstadium mit Bildung von ggf. nässenden Erythemen im Bereich von Augen und Mund
- allergischer Hautausschlag
- Impetigo contagiosa
- Bullöse Impetigo contagiosa tritt nur lokal begrenzt auf.
- Wenn sich Ausschlag auf andere Körperregionen ausbreitet:
- viral bedingtes, schmerzloses Exanthem
- Scharlach.
- Bei Blasenbildung: toxische epidermale Nekrolyse
- Spaltbildung in tieferen Hautschichten
- Betrifft auch die Schleimhäute.
Anamnese
- Anhalt für Staphylokokkeninfektion?
- Hautläsionen beginnen häufig mit entzündlichen Rötungen im Bereich von Augen und Mund; in dieser Phase häufig guter Allgemeinzustand.
- Ausbreitung der Läsionen innerhalb von 24 Stunden auf große Teile des Körpers; hinzu kommen Fieber und verschlechterter Allgemeinzustand.
- Im weiteren Verlauf Schmerzzunahme des Ausschlags und Bildung von Blasen auf der Haut, die leicht platzen.
Klinische Untersuchung
- Fokussuche: Anzeichen für Infektion mit Staphylokokken, z. B.:
- Schmerzhaftes Erythem
SSS-Syndrom
- Blasenbildung, besonders an mechanisch belasteten Stellen, allerdings keine Schleimhautbeteiligung4
- Positives Nikolski-Zeichen
- durch Verschieben von vormals gesunder Haut (z. B. durch Holzspatel) Bildung von Blasen provozierbar
- Im späteren Verlauf deutlich reduzierter Allgemeinzustand
Stationäre Diagnostik
- Bakterienkultur aus mutmaßlichem Infektionsherd
- Blutkultur bei Kindern in der Regel negativ3
- Labor
- CRP und BSG erhöht, Leukozyten oft normwertig und nicht erhöht5
- Üblicherweise nicht notwendig bei eindeutigem klinischem Bild, aber Möglichkeit zur weiteren Erhärtung der Diagnose3
- PCR-Nachweis von exfoliativen Toxinen
- Histologie: oberflächliche epidermale Spaltbildung
Indikationen zur Einweisung
- Bei klinischem Verdacht notfallmäßige Klinikeinweisung
Therapie
Therapieziel
- Sanierung der Staphylokokkeninfektion
Allgemeines zur Therapie
- Schnellstmögliche intravenöse empirische Antibiotikagabe
Medikamentöse Therapie
- Antibiotikum der Wahl: Flucloxacillin4
- bei Penicillin-Allergie: Makrolid
- Dazu Kombination mit Clindamycin3-4
- Hemmt die Exotoxin-Bildung.
Supportive Maßnahmen
- Positiv-Empfehlungen3
- adäquate Wundversorgung, evtl. Einsatz von topischen Antibiotika wie Mupirocin
- Aufrechterhaltung des Volumen- und Elektrolythaushalts
- ggf. Paracetamol bei Schmerzen und/oder Fieber
- Negativ-Empfehlungen3
- Einsatz von NSAR (Gefahr: Verschlechterung Nierenfunktion!)
- Einsatz von Kortison (Gefahr: verminderte Immunabwehr der Staphylokokkeninfektion!)
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Unter Antibiotikatherapie häufig rasche Besserung innerhalb weniger Tage
- Vollständige Ausheilung ohne Narbenbildung normalweise innerhalb von 2–3 Wochen3
Komplikationen
- Sepsis
- Dehydrierung
- Elektrolytentgleisungen
Prognose
- Bei Kleinkindern Letalität etwa 4 %3
- Bei Erwachsenen Letalität 50–60 %6
- mitursächlich die häufig vorliegenden Vorerkrankungen, wie Immundefizienz und/oder Niereninsuffizienz
Patienteninformationen
Patienteninformation in Deximed
Illustrationen

SSSS betrifft in erster Linie Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder, evtl. auch Erwachsene mit Immunschwäche oder Niereninsuffizienz.

Die Erkrankung beginnt in der Regel mit einer Rötung der Haut um die Augen und um den Mund. Im Laufe eines Tages ist der Allgemeinzustand reduziert und das Exanthem kann den ganzen Körper bedecken.
Quellen
Literatur
- Staiman A, Hsu DY, Silverberg JI. Epidemiology of staphylococcal scalded skin syndrome in U.S. children. BJD 2018; 178(3): 704-8. onlinelibrary.wiley.com
- Mockenhaupt M, Idzko M, Grosber M, et al. Epidemiology of staphylococcal scalded skin syndrome in Germany. J Invest Dermatol 2005; 124(4): 700-703. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Leung AKC, Barankin B, Leong KF. Staphylococcal-scalded skin syndrome: evaluation, diagnosis, and management. World Journal of Pediatrics 2018; 14: 116-20. link.springer.com
- Fabri M. Kutane Infektionen durch Staphylokokken und Streptokokken. hautnah dermatologie 2021; 37: 34-42. link.springer.com
- King RW. Staphylococcal scalded skin syndrome. Medscape, last updated May 13, 2019. emedicine.medscape.com
- Stanley JR, Amagai M. Pemphigus, Bullous Impetigo, and the Staphylococcal Scalded-Skin Syndrome. N Engl J Med 2006; 355: 1800-10. PubMed
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).