Vorzeitiger Blasensprung

Zusammenfassung

  • Definition:Ein spontaner Blasensprung vor der Geburt, ohne dass Anzeichen von Wehen vorliegen. Dadurch erhöht sich das Risiko einer Frühgeburt, und es kann zu einer Reihe anderer perinataler und neonataler Komplikationen kommen.
  • Häufigkeit:Bei 8–10 % der Gebärenden kommt es unmittelbar vor der Geburt (ab SSW 37+0) zu einem spontanen Blasensprung, ohne dass eine Wehentätigkeit besteht. Bei 3 % der Patientinnen kommt es vor der 37. SSW zu einem spontanen Blasensprung. Dieser ist für 40–50 % aller Frühgeburten verantwortlich.
  • Symptome:Abgang von Fruchtwasser, ohne dass eine Wehentätigkeit vorliegt.
  • Befunde:Sichtbarer Abgang von Fruchtwasser bzw. Fruchtwassernachweis bei vaginaler Untersuchung mit dem Spekulum.
  • Diagnostik:Vaginale Untersuchung mit sterilem Spekulum, ggf. transabdominale Sonografie, ggf. kommerzielle Tests auf Fruchtwasser.
  • Therapie:Bei einem frühen vorzeitigen Blasensprung vor der 37. SSW Antibiotikaprophylaxe, bis SSW 33+0 Gabe von Kortikosteroiden, ggf. Tokolytika; Einleitung der Geburt bei Anzeichen einer aszendierenden Infektion (Triple I; Chorioamnionitis) notwendig. Ab SSW 37+0 Geburtseinleitung.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Internationale Bezeichnungen
    • Prelabour Rupture of Membranes (PROM): Ein spontaner Blasensprung vor der Geburt, ohne dass Anzeichen von Wehen vorliegen (vorzeitiger Blasensprung).
    • Preterm Prelabour Rupture of Membranes (pPROM): Ein spontaner Blasensprung vor SSW 37+0, ohne dass Anzeichen von Wehentätigkeit vorliegen (früher vorzeitiger Blasensprung).1
  • Durch einen vorzeitigen Blasensprung erhöht sich das Risiko einer Frühgeburt, und es kann zu einer Reihe anderer perinataler und neonataler Komplikationen kommen.

Häufigkeit

  • PROM
    • Bei etwa 8–10 % (6–19 %) der Schwangerschaften1
  • pPROM
    • Der pPROM tritt als Komplikation in etwa 3 % der Schwangerschaften auf.2
    • Ist für 40–50 % aller Frühgeburten verantwortlich.3

Ätiologie und Pathogenese

  • Der pPROM ist mit aufsteigenden Genitalinfektionen assoziiert.3
  • Die Infektion wird dabei durch membranschädigende Faktoren begünstigt, wie oxidativer Stress und (sterile) Inflammation.3
    • Die Eihäute werden durch unterschiedliche Schädigungsmechanismen permeabel für Bakterien.3

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • W84 Hochrisikoschwangerschaft
  • W92 Kompliz. Entbindung, Lebendgeburt
  • W93 Kompliz. Entbindung, Totgeburt

ICD-10

  • O42 Vorzeitiger Blasensprung
    • O42.0 Vorzeitiger Blasensprung, Wehenbeginn innerhalb von 24 Stunden
    • O42.1 Vorzeitiger Blasensprung, Wehenbeginn nach Ablauf von 24 Stunden
    • O42.2 Vorzeitiger Blasensprung, Wehenhemmung durch Therapie
    • O42.9 Vorzeitiger Blasensprung, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Nachweis von Fruchtwasser 
    • abgehendes Fruchtwasser sichtbar – oder –
    • Nachweis von Fruchtwasser bei der Untersuchung mittels eines sterilen Spekulums im oberen Teil der Vagina – oder –
    • Nachweis eines Oligohydramnions per transabdominalem Ultraschall (und entsprechender Anamnese)
    • Der Nachweis eines erhöhten pH-Werts in der Vagina (pH > 7) stützt die Diagnose.
    • Bei Unsicherheit bezüglich der Diagnose kann eine Schnelltest auf Fruchtwasser durchgeführt werden. 

Differenzialdiagnosen

  • Starker Fluor genitalis5
  • Harnverlust5

Anamnese

  • Oft schwallartiger Abgang von klar bis milchig oder gelblicher Flüssigkeit aus der Scheide5
  • Manchmal auch nur leichtes kontinuierliches oder intermittierendes Tröpfeln aus der Scheide, nicht willkürlich beeinflussbar5

Wichtige Fragen

  • Zeitpunkt des Flüssigkeitsaustritts
  • Liegen Wehen vor?
  • Blutet die Patientin vaginal?
  • Hat die Patientin Fieber?
  • Wann ist der Entbindungstermin?

Klinische Untersuchung

  • Falls Anamnese nicht eindeutig:
    • Inspektion: klarer bis gelblicher Ausfluss aus der Scheide
    • ggf. Provokation des Ausflusses durch Husten der Patientin oder Fundusdruck5
  • Keine digitale Untersuchung (Gefahr der Keimverschleppung)5

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Test des pH-Werts des Fruchtwassers mit Indikatorpapier
    • Der normale pH-Wert der Vagina liegt zwischen 4,5 und 6,0, der des Fruchtwassers dagegen bei 7,1 bis 7,3.

Diagnostik im Krankenhaus

  • Vaginale Untersuchung mit sterilem Spekulum zum Nachweis von Fruchtwasser5
  • Eine vaginale Palpation sowie ein transvaginaler Ultraschall sollten möglichst nicht erfolgen, da sich dadurch das Risiko einer aufsteigenden Infektion erhöht.5
  • Transabdominaler Ultraschall zum Nachweis eines Oligohydramnions5
  • Bei Unsicherheit nach klinischer Untersuchung und transabdominaler Sonografie können kommerzielle Schnelltests zum Nachweis von Fruchtwasser eingesetzt werden.5
  • Kultur oder PCR-Analyse hinsichtlich Streptokokken der Gruppe B6
  • CTG
    • fetale Tachykardie, Fieber und erhöhtes CRP: Anzeichen einer Infektion

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei einem vorzeitigen Blasensprung oder Verdacht auf einen Blasensprung sollte die Patientin immer in eine Fachabteilung eingewiesen werden.
  • Transport ins Krankenhaus –liegend oder nicht?7
    • Wegen der Gefahr eines Nabelschnurvorfalls wird häufig ein Liegendtransport empfohlen.
    • Die Häufigkeit eines Nabelschnurvorfalls wird in der Literatur mit 0,14–0,62 % aller Entbindungen angegeben.
    • Nur 2 % der Nabelschnurvorfälle geschehen außerhalb von Kliniken.
    • Risikofaktoren für einen Nabelschnurvorfall
      • Beckenendlage oder in Querlage
      • viele vorhergehende Geburten
      • Polyhydramnion
      • Blasensprung in einer sehr frühen Schwangerschaftswoche
    • Ob ein Liegendtransport einen Nabelschnurvorfall verhindern kann, ist nicht untersucht.
    • Ab der 36. SSW und bei Schädellage ist ein Liegendtransport nicht unbedingt erforderlich.
    • bei füherer Schwangerschaftswoche oder bei einem der Risikofaktoren sicherheitshalber Liegendtransport

Therapie

Therapieziele

  • Schwangerschaft bei pPROM verlängern.
  • Aufsteigende Infektionen verhindern.

Allgemeines zur Therapie 

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Nach einem pPROM gilt es, zwischen einem erhöhten Risiko für eine neonatale Sepsis und den möglichen Folgen der Frühgeburt abzuwägen.
    • Die Häufigkeit neonataler Infektionen/Sepsis scheint bei abwartendem Verhalten nicht höher zu sein als bei sofortiger Geburt, aber Komplikationen (Atemnot mit Notwendigkeit der Unterstützung beim Kind, Intensivstation, Tod, Kaiserschnittrate) sind bei sofortiger Geburtseinleitung höher. 
    • Nach einem frühen vorzeitigen Blasensprung (pPROM) sollte bei fehlendem Hinweis für ein Triple I („Amnioninfektionssyndrom; Infection, Inflammation, or Both“) spätestens ab 37+0 SSW die Geburtseinleitung empfohlen werden.
  • Eine Geburtseinleitung soll nach vorzeitigem Blasensprung spätestens nach 24 Stunden empfohlen werden.
    • Das Risiko für ein Triple I („Amnioninfektionssyndrom“) nimmt ab 24 Stunden signifikant zu.

Medikamentöse Therapie

  • Einleitung der Geburt mit Prostaglandin-Analoga
    • Ist die 37. SSW überschritten: Geburtseinleitung dem Warten auf einen spontanen Beginn der Geburt vorziehen.1
  • Kortikosteroide zur Lungenreifung
    • Indiziert bei Patientinnen zwischen SSW 24+0 und 33+0 und pPROM.8
    • Zwischen SSW 23+0 und 23+6 erfolgt eine individuelle Einschätzung der Notwendigkeit.
    • Der Einsatz von Steroiden nach der 34. SSW wird nicht empfohlen. Sie erhöhen nachweislich die perinatale Morbidität und Mortalität.9
    • z. B. 2 x 12 mg Betamethason i. m. im Abstand von 24 h8
      • Eine routinemäßige Wiederholung wird nicht empfohlen.
  • Wehenhemmende Mittel (Tokolytika)
    • Das Ziel der Tokolyse besteht darin, die Geburt so lange hinauszuzögern, bis die Steroidtherapie ihre volle Wirkung entfaltet hat und/oder der Transport in ein geeignetes Krankenhaus erfolgen kann.
    • Die Indikation für eine tokolytische Therapie ist kritisch zu stellen und täglich zu prüfen.8
      • erhöhtes Risiko für Chorioamnionitis, kein maternaler oder neonataler Benefit nachgewiesen2
  • Antibiotikaprophylaxe
    • Bei vorzeitigem Blasensprung zwischen SSW 24+0 und 37+0 erfolgt eine Antibiotikaprophylaxe über 7 Tage.8
    • Zwischen SSW 23+0 und 23+6 erfolgt eine individuelle Einschätzung der Notwendigkeit.
    • mögliche Antibiotika: Benzylpenicillin, Clindamycin, Erythromycin intravenös10

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Bei einem pPROM kann es zu Frühgeburt, Fehllage des Kindes, Abklemmung der Nabelschnur, Oligohydramnion, nekrotisierende Enterokolitis, neurologische Störungen, intraventrikuläre Blutungen und Atemnotsyndrom kommen.11
  • Frühgeburt
    • Mit einer Inzidenz der Geburt innerhalb einer Woche von 50–75 % ist dies die häufigste Komplikation.
    • Der Zeitraum vom Blasensprung bis zur Geburt nimmt mit steigender Schwangerschaftsdauer ab.12
      • pPROM vor SSW 26: 82 % der Patientinnen haben nicht innerhalb von 7 Tagen entbunden.
      • pPROM in SSW 26–30: 76 % der Patientinnen haben nicht innerhalb von 7 Tagen entbunden.
      • pPROM in SSW 30–33: 55 % der Patientinnen haben nicht innerhalb von 7 Tagen entbunden.
      • pPROM in SSW 33–36: 10 % der Patientinnen haben nicht innerhalb von 7 Tagen entbunden.
  • Atemnotsyndrom
  • Nabelschnurkompression
  • Nabelschnurvorfall (sehr selten)
  • Aufsteigende intrauterine Infektion13
    • Bei frühem vorzeitigem Blasensprung beträgt die Inzidenz der Chorioamnionitis etwa 30 %8
    • erhöhtes Risiko neonataler Sepsis1
  • Abruptio placentae
  • Antepartaler Tod des Fetus

Quellen

Leitlinien

 
  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG). S2k-Leitlinie Geburtseinleitung. AWMF-Register Nr. 015-088, Stand 2020. register.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG). S2k-Leitlinie Geburtseinleitung. AWMF-Register Nr. 015-088, Stand 2020. register.awmf.org
  2. Meller CH, Carducci ME, Ceriani Cernadas JM, Otaño L. Preterm premature rupture of membranes. Arch Argent Pediatr 2018;116(4):e575-e581. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Menon R, Richardson LS. Preterm prelabor rupture of the membranes: A disease of the fetal membranes. Semin Perinatol. 2017 Nov;41(7):409-419. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Goldenberg RL, Culhane JF, Iams JD, Romero R. Epidemiology and causes of preterm birth. Lancet. 2008 Jan 5;371(9606):75-84. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Duff P. Preterm prelabor rupture of membranes: Clinical manifestations and diagnosis. UpToDate, last updated: Mar 22, 2022. Letzter Zugriff 9.8.23. www.uptodate.com
  6. Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e.V. (GNPI). Sepsis bei Neugeborenen - frühe Form - durch Streptokokken der Gruppe B, Prophylaxe. Registernummer: 024-020, Entwicklungsstufe: S2k, Stand 2016 (abgelaufen). register.awmf.org
  7. Hermsteiner M, von Waldenfels HA, Maul H. Liegendtransport beim Blasensprung-ein alter Zopf?!, Frauenarzt 58 (2017), Nr. 7, p: 556-558. www.frauenarzt.de
  8. Maul H, et al. Current approach in preterm prelabor rupture of membranes: new definitions? Is CRP determination useful? Are alternatives in sight?. Gynakologe. 2021; 54(3): 186–194. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Roberts D, Dalziel SR. Antenatal corticosteroids for accelerating fetal lung maturation for women at risk of preterm birth. Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 3. Art. No.: CD004454. DOI: 10.1002/14651858.CD004454.pub2. DOI
  10. Hakansson S, Kallen K. Impact and risk factors for early-onset group B streptococcal morbidity: analysis of a national, population-based cohort in Sweden 1997-2001. BJOG 2006 Dec;113(12):1452-1458. PubMed
  11. Mercer BM. Preterm premature rupture of the membranes. Obstet Gynecol 2003; 101: 178-93. PubMed
  12. Tsoi E, Fuchs I, Henrich W, et al. Sonographic measurement of cervical length in preterm prelabor amniorrhexis. Ultrasound Obstet Gynecol 2004; 24: 550-3. PubMed
  13. French L. Prevention and treatment of postpartum endometritis. Curr Womens Health Rep 2003 Aug;3(4):274-279. PubMed

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin und für Viszeralchiurgie, Kaufbeuren
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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