Zusammenfassung
- Definition:Karzinom am Gebärmutterhals, Zervixkarzinom, tritt als Plattenepithelkarzinom (ca. 80 %) oder als Adenokarzinom auf. Die Infektion mit dem humanen Papillomavirus (HPV) ist in der Regel eine Voraussetzung für die Entwicklung des Karzinoms.
- Häufigkeit:4.600 Neudiagnosen in Deutschland jährlich, Inzidenz 11/100.000 Frauen/Jahr.
- Symptome:Kontaktblutungen, unregelmäßige Blutungen, vaginaler Ausfluss; häufig asymptomatisch.
- Befunde:In der frühen Phase gibt es häufig keinen pathologischen klinischen Befund.
- Diagnostik:Screening durch Zytologie (Pap-Abstrich) und HPV-Test. Diagnose durch Portiobiopsie und Histologie; ggf. Staging-Untersuchungen.
- Therapie:In frühen Stadien primäre Operation mit oder ohne adjuvante Radio-(Chemo-)Therapie. In fortgeschrittenen Stadien primäre Radio-(Chemo-)Therapie.
Allgemeine Informationen
- Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Artikel auf diesen Referenzen.1-2
Definition
- Zervixkrebs, Zervixkarzinom, Gebärmutterhalskrebs
- Krebs, der von der Schleimhaut in der Endo- oder Ektozervix ausgeht.
- Siehe auch Artikel Zervix-Präkanzerosen.
Häufigkeit
- 2008 war das Zervixkarzinom weltweit das dritthäufigste Karzinom bei Frauen. Inzwischen liegt es an 4. Position.3
- Im Jahr 2020 erkrankten weltweit rund 600.000 Frauen3, in Deutschland im Jahr 2018 4.320 Frauen an einem Zervixkarzinom.4
- Die Zahl der Todesfälle in Europa, die auf diesen malignen Tumor zurückzuführen sind, betrugen im Jahr 2020 25.989, weltweit 341.831.3
- Das Vorkommen schwankt stark geografisch. Am höchsten sind Inzidenz und Mortalität auf dem afrikanischen Kontinent (Inzidenz bis zu 60/100.000/Jahr).5-6
- Situation in Deutschland
- Inzidenz: ca. 10–11 Neuerkrankungen/100.000 Frauen/Jahr (2005–2018)4
- Der Altersgipfel liegt bei 40–59 Jahren. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 55 Jahren, bei In-situ-Karzinomen liegt es bei 34 Jahren.6
- Eine Besonderheit des Zervixkarzinoms gegenüber vielen anderen Krebsarten ist der Anstieg der Inzidenz bereits bei Patientinnen ab 30 Jahren auf ein ähnliches Niveau wie im höheren Alter.6
- Seit 1970 ist die Anzahl auf 1/4 des Ausgangswertes abgesunken. Dies wird vor allem auf eine verbesserte Genitalhygiene und Früherkennungsprogramme zurückgeführt.6
- Seit 2005 sind die Erkrankungszahlen nahezu konstant.6
- Jährlich versterben etwa 1.500–1.600 Frauen an einem Zervixkarzinom (2013–2018).6
Ätiologie und Pathogenese
Allgemeines
- Ein Zervixkarzinom entwickelt sich aus dysplastischen Vorläuferläsionen (zervikale intraepitheliale Neoplasie, CIN).1
- CIN 1: leichte Dysplasie
- CIN 2: mittelgradige Dysplasie
- CIN 3: hochgradige Dysplasie und Carcinoma in situ
- Vorläuferläsionen können sich spontan zurückbilden, fortbestehen oder zu einem Karzinom fortschreiten.
- Die Wahrscheinlichkeit einer malignen Progression steigt mit dem Dysplasie-Grad. Rund 60 % der CIN-1-Läsionen bilden sich spontan zurück, jedoch nur etwa 1/3 der CIN-3-Läsionen.
Humanes Papillomavirus (HPV)
- Allgemeines
- Eine Infektion mit HPV ist die wichtigste Ursache und vermutlich Voraussetzung für die Entstehung eines Zervixkarzinoms.
- Eine Infektion mit HPV liegt bei bis zu 99,8 % der Zervixkarzinom-Fälle zugrunde.7
- Die Hochrisiko-HPV-Typen 16 und 18 sind in etwa 70 % der Fälle für die Erkrankung verantwortlich.8
- Mindestens 13 weitere HPV-Typen gelten als Hochrisikoviren.
- HPV gilt als eines der stärksten Karzinogene beim Menschen.8
- HPV ist darüber hinaus für Karzinome der Vagina, des Penis, des Oropharynx und des Anus verantwortlich.9
- Infektion
- Die Übertragung erfolgt fast ausschließlich durch Sexualverkehr. In Einzelfällen kann das Virus auch über Schmierinfektion übertragen werden.9
Co-Faktoren
- Rauchen (> 15 Zigaretten pro Tag)10
- Immunsupprimierte Patientinnen (HIV, Medikamente)
- Früher Beginn der sexuellen Aktivität (< 14. Lebensjahr)
- Häufig wechselnde Geschlechtspartner*innen (> 4 in 10 Jahren)
- Andere Infektionen (z. B. Herpes genitalis, Chlamydien, Gonokokken)11
- Niedriger sozioökonomischer Status
- Unzureichende Intimpflege
- Langzeiteinnahme oraler Kontrazeptiva > 5 Jahre (ggf. Confounder)
- Geburtenzahl
- Genetische Risikofaktoren
Karzinogenese
- Die Entwicklung der Erkrankung erfordert 4 entscheidende Schritte:8
- Infektion der zervikalen Transformationszone mit HPV
- virale Persistenz
- Entwicklung einer prämalignen Vorstufe (Dysplasie)
- Durchbruch der Basalmembran.
Pathologie
- Die histologische Einteilung erfolgt gemäß der Klassifikation der WHO.
- Plattenepithelkarzinom (ca. 80 %) von der Transformationszone
- Adenokarzinom (< 20 %) vom Zylinderepithel in der Zervix
- Andere seltenere Formen sind adenosquamöses Karzinom und kleinzelliges Karzinom.
ICPC-2
- X75 Zervixkarzinom
ICD-10
- C53 Bösartige Neubildung der Cervix uteri12
- C53.0 Endozervix
- C53.1 Ektozervix
- C53.8 Cervix uteri, mehrere Teilbereiche überlappend
- C53.9 Cervix uteri, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnosestellung erfolgt durch einen histologischen Befund.
- Näheres zum diagnostischen Vorgehen siehe Artikel Zervix-Präkanzerosen.
- Weitere Untersuchungen richten sich nach dem Stadium. Empfohlen werden bei allen Patientinnen eine gynäkologische Untersuchung und Sonografie des Beckens (vaginal) und der Nieren.
Differenzialdiagnosen
- Krankheiten, die Blutungen, Ausfluss oder eine sichtbare Läsion an der Zervix mit sich führen.
- Zervizitis
- Polypen
- Papillom
- Kondylom
- Syphilis
- Primäre Syphilis kann als Wunde auf der Zervix auftreten.
- Ulcus molle
- Iatrogene Ursachen (orale Kontrazeptiva, Spirale, Hormonersatztherapie)
- Endometriumkarzinom mit Invasion der Zervix
- Andere maligne Erkrankungen der Zervix: Sarkom, Lymphom, Metastasen
- Einwucherungen von Karzinomen in der Blase oder im Rektum
Anamnese
- Das Zervixkarzinom ist im frühen Stadium meist asymptomatisch. Bei Symptomen ist die Erkrankung möglicherweise schon fortgeschritten, was die Bedeutung des Screenings unterstreicht.
- Anomale Blutungen
- zwischen den Menstruationen
- während oder nach dem Geschlechtsverkehr
- nach der Menopause
- Auffälliger Ausfluss: wässrig, purulent, blutig oder übelriechend
- Schmerzen im Unterleib oder Abdomen spontan oder während des Geschlechtsverkehrs
- Bei fortgeschrittener Erkrankung
- Becken- und Rückenschmerzen
- abdominelle oder Harnwegssymptome
- Ausstrahlung von Schmerzen in die Beine
- tiefe Beinvenenthrombose oder Ödembildung
- Fistel zwischen Blase und Vagina oder zwischen Vagina und Rektum
- reduzierter Allgemeinzustand: Appetitlosigkeit, Abmagerung, Anämie, Urämie
Klinische Untersuchung
- Genereller Organstatus, der in der Regel normal ist, ausgenommen in weit fortgeschrittenen Fällen.
- In diesem Fall können pathologische Lymphknoten in der Leiste oder supraklavikulär, Ödeme in den unteren Extremitäten, Aszites, Pleuraflüssigkeit und Hepatomegalie nachweisbar sein.
Diagnostik bei Spezialist*innen
Gynäkologische Untersuchung
- Mit Inspektion und Palpation der Zervix
- In der frühen Phase liegt häufig kein pathologischer klinischer Befund vor, vor allem, wenn der Tumor endozervikal liegt.
- Kontaktblutungen
- Seröser, purulenter oder blutiger Ausfluss
- Palpation kann einen Überblick über die lokale Ausdehnung geben.
Diagnostik
- Zytologische Untersuchung
- Siehe auch Artikel Zervixzytologie.
- Kolposkopie mit Biopsie
- Methode der Wahl bei Verdacht auf Zervixkarzinom
- ggf. in Vollnarkose
- Konisation
- Kann im Rahmen einer Kolposkopie erfolgen.
- Kann bei der Beurteilung der Eindringtiefe helfen (diagnostisch).
- Kann zur Behandlung von dysplastischen Vorläuferläsionen angewandt werden (therapeutisch).
- HPV-Testung
- hilfreich in der Beurteilung der Progressionswahrscheinlichkeit für prämaligne Läsionen
Staging
Sonografie
- Transvaginal und Nierenultraschall
- zur Beurteilung der lokoregionären Tumorausbreitung
- in jedem Stadium indiziert
- Skalenus-Ultraschall
- zum Ausschluss von Lymphknotenmetastasen
- Anwendung nur bei klinischem Verdacht und ab Stadium IB2
CT oder MRT
- Becken
- zur Abklärung des Lymphknotenstatus und zur Beurteilung der lokalen Ausbreitung
- bei Unklarheit nach sonografischer Untersuchung und bei Patientinnen mit fortgeschrittener Erkrankung (FIGO-Stadium IB2–IVA)
- MRT ist die bevorzugte Untersuchungsmethode. Die CT-Untersuchung sollte durchgeführt werden, wenn eine MRT-Untersuchung nicht durchgeführt werden kann.
- Abdomen/Thorax
- bei Patientinnen mit lokal fortgeschrittener Erkrankung (ab FIGO-Stadium IB2)
- zum Ausschluss von Organ- und Lymphknotenmetastasen (extrapelvine Tumorausbreitung)
- hier bevorzugte Anwendung der CT-Untersuchung
Rekto- und Zystoskopie, Urografie
- Nur in Ausnahmefällen bei fortgeschrittener Erkrankung und Verdacht auf Tumorausdehnung in Nachbarorgane
Operatives Staging
- Erlaubt die Beurteilung von Lymphknoten, Peritoneum und der lokalen Tumorausbreitung.
Röntgen-Thorax
- Zum Ausschluss von Lungenmetastasen
- Mittlerweile weitgehend durch CT-Untersuchung ersetzt
PET/PET-CT/PET-MRT
- Nur in Ausnahmefällen, vor allem bei metastasierter Erkrankung und in Rezidivsituationen
Tumormarker
- Ggf. zur Verlaufsbeurteilung (nur falls bei Primärdiagnose erhöht)
- Plattenepithelkarzinome: Squamous-cell-carcinoma-Antigen (SCC) im Serum
- Adenokarzinome: Carcinoembryonales Antigen (CEA) und Cancer-Antigen 125 (CA-125)
Stadien
- Verschiedene Systeme finden Anwendung zur Stadieneinteilung, wobei FIGO- und TNM-Status für die Therapie entscheidend sind.
- FIGO (Fédération Internationale de Gynécologie et d'Obstétrique): Klinisches Staging, das keine Rücksicht auf evtl. Lymphknoten- oder Organmetastasen nimmt, was aber von wesentlicher prognostischer Bedeutung ist.
- TNM: Beinhaltet Informationen zu lokaler Tumorausdehnung (T), Lymphknotenbefall (N), Organmetastasen (M) und ggf. weiteren Parametern.
- UICC (Union Internationale Contre le Cancer): Fasst verschiedene TNM-Stadien zusammen und erlaubt Aussagen über die Prognose.
Staging: International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) 20181,13
- Stadium I: Tumor begrenzt auf Zervix (die Ausbreitung auf die Gebärmutter wird ignoriert).
- Stadium IA: invasives Karzinom ausschließlich durch Mikroskopie diagnostiziert; Stromainvasion bis max. 5 mm Tiefe, gemessen von der Basis des Epithels
- Stadium IA1: Stromainvasion ≤ 3 mm in die Tiefe
- Stadium IA2: Stromainvasion 3–5 mm
- Stadium IB: makroskopisch sichtbare Läsion, auf die
Zervix beschränkt, oder mikroskopische Läsion > T1a2/IA2 - Stadium IB1: makroskopisch sichtbare Läsion ≤ 2 cm in größter Ausdehnung
- Stadium IB2: makroskopisch sichtbare Läsion > 2 cm aber ≤ 4 cm in größter Ausdehnung
- Stadium IB3: makroskopisch sichtbare > 4,0 cm in
größter Ausdehnung
- Stadium II: Tumor infiltriert jenseits des Uterus, aber nicht bis zur Beckenwand und nicht bis zum unteren Drittel der Vagina.
- Stadium IIA: ohne Infiltration des Parametriums
- Stadium IIA1: klinisch sichtbare Läsion ≤ 4,0 cm in größter Ausdehnung
- Stadium IIA2: klinisch sichtbare Läsion > 4 cm im größten Durchmesser
- Stadium IIB: Tumor mit Infiltration des Parametriums, aber nicht bis zur Beckenwand
- Stadium III: Tumor breitet sich bis zur Beckenwand aus und/oder befällt das untere Drittel der Vagina und/oder verursacht Hydronephrose oder Niereninsuffizienz.
- Stadium IIIA: Tumor infiltriert das untere Drittel der Vagina, keine Ausbreitung zur Beckenwand.
- Stadium IIIB: Tumor breitet sich bis zur Beckenwand aus und/ oder verursacht Hydronephrose oder Niereninsuffizienz.
- Stadium IIIC (früher IVA): Metastasen in pelvinen und/oder paraaortalen Lymphknoten
- Stadium IV: Tumor infiltriert die Schleimhaut von Blase oder Rektum oder überschreitet die Grenze des kleinen Beckens (histologisch bestätigt).
- Stadium IVA: Ausbreitung in Organe des kleinen Beckens
- Stadium IVB: Fernmetastasen
Indikationen zur Überweisung
- Bei jedem klinischen Verdacht auf ein Zervixkarzinom
- Wenn gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen über längere Zeit nicht wahrgenommen wurden.
Therapie
Therapieziele
- Heilung
- Ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern.
- Die Lebensqualität verbessern.
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung von Patientinnen mit einem Zervixkarzinom erfolgt in der Regel interdisziplinär an einem gynäkologischen Krebszentrum oder onkologischen Zentrum.
- Die Patientin soll in die Behandlung im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung einbezogen werden. Um eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, wird eine Patientenleitlinie bereitgestellt (s. u.).
- In die Wahl der Therapie sollten folgende Faktoren einbezogen werden:
- Allgemeinzustand
- Lebenssituation der Patientin
- Stadium der Erkrankung
- Menopausenstatus
- potenzieller Kinderwunsch
- Nebenwirkungen (kurz- und langfristig)
- Risikofaktoren (insbesondere histopathologisch).
- Die Behandlung erfolgt nach dem Stadium der Erkrankung. In Abhängigkeit hiervon beinhaltet sie – in unterschiedlicher Reihenfolge – eine oder mehrere der folgenden Modalitäten:
- Operation
- Bestrahlung
- Chemotherapie.
- Orientierende Einteilung
- in frühen Stadien (lokal begrenzte Erkrankung): primär operative Therapie
- in fortgeschrittenen Stadien (Lymphknotenmetastasen oder histopathologische Risikofaktoren): primäre Radio-(Chemo-)Therapie
- bei hoher Wahrscheinlichkeit für Rezidive: adjuvante Radio-(Chemo-)Therapie
Leitlinie: Therapie nach FIGO-Stadium (vereinfacht)1
- Stadium IA1 (Mikrokarzinom)
- einfache Hysterektomie
- bei Kinderwunsch ggf. Konisation
- bei Lymphgefäßinfiltration: zusätzlich Entfernung von Wächterlymphknoten beidseits (Sentinellymphonodektomie)
- Stadium IA2
- Hysterektomie (ggf. mit Adnexektomie beidseits) ohne Resektion der Parametrien
- bei Kinderwunsch ggf. Konisation mit Zervixkürettage oder radikale Trachelektomie mit prophylaktischer Permanentcerclage (nach operativem Staging)
- bei histologischem Nachweis von Lymphknotenmetastasen: lediglich operatives Staging und Lymphonodektomie, anschließend primäre Radio-(Chemo-)Therapie
- Stadium IB1 und IIA1
- bei fehlenden Lymphknotenmetastasen: radikale Hysterektomie
- bei Kinderwunsch operatives Staging und radikale Trachelektomie mit prophylaktischer Permanentcerclage falls Tumor < 2 cm
- bei histologischem Nachweis von Lymphknotenmetastasen: lediglich operatives Staging und Lymphonodektomie, anschließend primäre Radio-(Chemo-)Therapie
- Stadium IB2, IIA2 und IIB
- bei fehlenden Lymphknotenmetastasen: radikale Hysterektomie mit Ausräumung der Lymphknoten im Becken
- bei histologischem Nachweis von Lymphknotenmetastasen: lediglich operatives Staging und Lymphonodektomie, anschließend primäre Radio-(Chemo-)Therapie
- Primäre Radio-(Chemo-)Therapie wird in Stadium IIB bevorzugt.
- Stadium III
- operatives Staging oder interventionelle Abklärung der Ausbreitung
- primäre Radio-(Chemo-)Therapie
- Die Bestrahlung erfolgt als Kombination aus externer Bestrahlung und Brachytherapie.
- Stadium IVA
- primäre Radio-(Chemo-)Therapie
- Die Bestrahlung erfolgt als Kombination aus externer Bestrahlung und Brachytherapie.
- Stadium IVB
- palliative Systemtherapie
- Best Supportive Care
- palliativmedizinische Frühintervention
- symptomorientiert ggf. Operation oder Radio-(Chemo-)Therapie
Operative Therapie
Allgemeines
- Primäre Therapie der Wahl in frühen Stadien, wenn eine vollständige operative Entfernung des Tumorgewebes möglich ist.
- Bei Unklarheit sollte ein operatives Staging erfolgen, das zur Entscheidung über die primäre Therapieform (Operation versus Radio-[Chemo-]Therapie) führt.
- Bei histologischem Nachweis von Lymphknotenmetastasen im Rahmen des Stagings erfolgt lediglich die Entfernung der Lymphknoten. Die primäre Behandlungsform ist in diesen Fällen die Radio-(Chemo-)Therapie.
- Eine vorherige radikale Hysterektomie bietet in diesen Fällen keine Vorteile gegenüber einer primären Radiochemotherapie.
Konisation
- Entfernung eines Gewebekegels (Konus) der Zervix
- Die Exzision erfolgt in der Regel mittels elektrischer Schlinge.
- Alternativen sind die Laser- und Messerkonisation.
- Kann ambulant erfolgen.
- Fertilitätserhaltend
- Indikationen
- bei prämalignen Vorläuferläsionen (insbesondere CIN 3)
- in frühen, lokal begrenzten Stadien eines Zervixkarzinoms (IA1–IB1) bei Kinderwunsch
Hysterektomie
- Die offene Operation ist mit höheren Überlebensraten assoziiert und sollte daher gegenüber dem laparoskopischen Zugang bevorzugt werden.1,14
- Totale/einfache Hysterektomie
- Entfernung des Uterus (inkl. Zervix)
- Kann bei Stadium IA1 erwogen werden.
- Radikale Hysterektomie („Wertheim-Operation“)
- Umfasst die Entfernung von Uterus, Zervix und des oberen Teils der Vagina sowie der Parametrien.
- Ggf. werden auch Adnexe und Lymphknoten reseziert.
- Das Plattenepithelkarzinom streut im Gegensatz zum Adenokarzinom selten zu den Ovarien, und in diesen Fällen ist es häufig möglich, die Eierstöcke zu bewahren.
- in den meisten Fällen Therapie der Wahl in frühen Stadien
Fertilitätserhaltende Operationsmöglichkeiten
- Konisation, ggf. mit Zervixkürettage
- Radikale Trachelektomie (Zervixamputation)
- Nach der Trachelektomie wird um den Isthmus uteri eine Zerklage gesetzt. Die Zerklage liegt dann unter der Schleimhaut verborgen.
- Spätere Geburten sollten als Kaiserschnitt erfolgen.
Weitere chirurgische Optionen
- Ovariopexie
- Verlagerung der Eierstöcke an die Beckenwand
- Die Ovarien liegen so nicht im späteren Bestrahlungsfeld.
- zum Erhalt der intrinsischen Ovarialfunktion bei prämenopausalen Patientinnen
- Exenteration
- je nach Ausmaß mit Anlage von künstlichem Darmausgang, Neoblase und Neovagina
- Kann in Erwägung gezogen werden bei extensiver lokaler Tumorausdehnung (FIGO IVA) oder Lokalrezidiven.
- Da die Operationsmorbidität erheblich ist, sollte sie möglichst nur in kurativer Intention erfolgen.
Bestrahlung
- Primäre Therapie der Wahl bei lokal fortgeschrittenem Zervixkarzinom und bei histologischem Nachweis von Lymphknotenmetastasen
- Tumoren in der Zervix und im Uterus sind wegführend, da das strahlensensitive Tumorgewebe von relativ strahlenresistentem Gewebe umgeben ist.
- Primäre Strahlentherapie, Indikationen
- FIGO-Stadium III–IV
- FIGO-Stadium IIB2 bevorzugt gegenüber Hysterektomie
- bei jedem Nachweis von Lymphknoten- oder Fernmetastasen
- ggf. bei Vorhandensein histopathologischer Risikofaktoren
- Wunsch der Patientin
- Inoperabilität
- Adjuvante Strahlentherapie nach primär operativer Therapie
- bei unvollständiger (R1-)Resektion
- bei Auftreten von Lymphknoten- oder Fernmetastasen bei Vorhandensein von Risikofaktoren
- bei palliativer Therapie
- meist Kombination mit cisplatinhaltiger Chemotherapie
- in der Regel Kombination von externer Bestrahlung und Brachytherapie
- Brachytherapie (intrakavitäre Bestrahlung)
- Dient in erster Linie der Therapie des Ursprungstumors bzw. der Verhinderung von Lokalrezidiven.
- Die Planung und Kontrolle erfolgen über MRT-Untersuchungen.
- Vor Beginn wird oft zunächst ein Zervikalröhrchen platziert, um spätere Einführung der Strahlenquelle in den Zervikalkanal ohne weitere Narkose zu ermöglichen.
- Die Strahlungsquelle selbst wird für die Dauer der einzelnen Sitzungen über einen Applikator eingebracht („Afterloading“).
- Externe Bestrahlung, in der Regel mit Gammastrahlung
- Dient in erster Linie der Therapie und Verhinderung von Lymphknoten- und Fernmetastasen.
Medikamentöse Therapie
- Siehe auch Artikel Onkologische Therapien, Medikamente.
- Zervixkarzinome sind vergleichsweise Zytostatika-resistent.
- Die Chemotherapie wird in erster Linie zusammen mit Bestrahlung angewandt.
- Dies erhöht die Wirkung der Bestrahlung („Radiosensensitizer“).
- Eingesetzt werden vor allem cisplatinhaltige Therapien.
- Kombination Cisplatin/Paclitaxel und Bevacizumab
- Erstlinientherapie bei persistierender, rezidivierter oder metastasierter Erkrankung
- Checkpoint-Inhibitor
- Pembrolizumab ist in den USA seit 2019 zur Therapie PD-L1 positiver Zervixkarzinome nach Therapieversagen in der Erstlinientherapie zugelassen.
- In Deutschland bislang nur nach Zusage der Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich.
- Anwendung als primäre oder adjuvante Behandlung (siehe Abschnitt Bestrahlung)
- Im Rahmen von Studien werden neoadjuvante sowie konsolidierende (nach abgeschlossener Radio-(Chemo-)Therapie) Therapiekonzepte erprobt. Ihr Stellenwert ist bislang unklar.
Supportive Behandlung
- Anämie
- häufig unter Radio-(Chemo-)Therapie
- Der Hämoglobinwert sollte überwacht werden.
- Bei Werten unterhalb von 10 g/dl (6,2 mmol/l) sollte eine Korrektur durch Transfusion erfolgen.
- Konsequente antiemetische Therapie bei Radio-(Chemo-)Therapie
- Psychoonkologische Betreuung
- Das Thema Sexualität aktiv ansprechen.
- Physiotherapie, z. B. bei Belastungsinkontinenz oder Lymphödem
- Medizinisch-onkologische Rehabilitation
Palliative Behandlung
- Ziele
- Lebensqualität verbessern.
- Symptome kontrollieren.
- Lebensverlängerung
- Palliative Radio-(Chemo-)Therapie
- Symptomgerichtete, palliative Strahlentherapie kann bei Tumoren/Metastasen eingesetzt werden, z. B. bei Schmerzen, Blutungen, Darm- oder Harnwegsstenosen.
Prävention
Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien
- Näheres siehe Artikel Humanes Papillomavirus (HPV) und Zervix-Präkanzerosen.
Screening
Leitlinie: Zytologie- und HPV-basiertes Screening2
- Es gibt keinen Beleg, dass ein zytologisches Screening mit 1-jährigem Intervall dem 2-jährigen Intervall überlegen ist.
- Frauen über 65 Jahren sollen motiviert werden, weiterhin an der Krebsfrüherkennung teilzunehmen. Bei Frauen über 65 Jahren mit mehrfach negativen Ergebnissen in der HPV-Pap-Kotestung kann über eine Beendigung der Zervixkarzinom-Früherkennung gesprochen werden.
- Für Frauen nach totaler Hysterektomie ist der Nutzen eines Screenings nicht belegt, unabhängig davon, ob dieses Zytologie- oder HPV-Test-basiert ist.
- HPV-positive Frauen nach totaler Hysterektomie sollten weiter am organisierten Screening teilnehmen.
- Frauen nach suprazervikaler Hysterektomie sollen am organisierten Screening weiter teilnehmen.
Organisiertes Screening
- Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im September 2016 im Rahmen der aktualisierten Krebs-Früherkennungsrichtlinie ein Konzept zur Zervixkarzinom-Vorsorge in Deutschland erarbeitet, das als „organisiertes Screeningprogramm“ seit 1. Januar 2020 zur Verfügung steht. Das Screening soll in einer mindestens 6-jährigen Testphase evaluiert werden.
- Eckpunkte des Screeningprogramms
- Frauen im Alter von 20–65 Jahren sollen alle 5 Jahre von ihren Krankenkassen angeschrieben und über das Screening informiert werden.
- Frauen im Alter von 20–34 Jahren soll eine jährliche zytologische Untersuchung angeboten werden.
- Zusätzlich soll bei Frauen ab 35 Jahren auch eine Testung auf eine HPV-Infektion erfolgen. In dieser Altersgruppe soll die Untersuchung außerdem bei unauffälligen Befunden nur alle 3 Jahre erfolgen.
Weitere Präventionsmaßnahmen
- Rauchen abgewöhnen.
- Safer Sex
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Entwicklung eines Karzinoms dauert lange; von der Infektion über die Entwicklung von Dysplasien bis hin zum invasiven Karzinom vergehen in der Regel Jahre oder Jahrzehnte.
- Symptome können bei einem Zervixkarzinom erst in fortgeschrittenen Stadien auftreten, insbesondere wenn diese intrazervikal wachsen.
- Zunächst kommt es zu einer lokal-invasiven Ausbreitung in die Nachbarorgane.
- Spät treten Metastasen auf. Die Streuung verläuft in erster Linie lymphogen. Hämatogene Metastasen in Lunge, Leber, Skelett und Gehirn sind selten.
Komplikationen
Bei radikaler Hysterektomie
- Lymphödem bei 10–15 %
- Persistierende Harnentleerungsbeschwerden (Urinretention, rezidivierende Harnwegsinfekte, Urininkontinenz) bei ca. 10 %
- Blasen-Scheiden- oder Ureter-Scheiden-Fisteln bei 1–2 %
- Bestrahlung zusätzlich zur radikalen Hysterektomie erhöht die Komplikationsfrequenz.
- Lymphödem bei 20–30 %
- persistierende Darmsymptome (Diarrhö, Darmentleerungsdrang) bei ca. 20 %
- persistierende sexuelle Dysfunktion (Dyspareunie, Blutungen beim Geschlechtsverkehr, trockene Schleimhaut) bei ca. 20 %
Bei Bestrahlung
- Näheres siehe auch Artikel Strahlentherapie.
- Akute Nebenwirkungen sind häufig, aber meist mäßig und vorübergehend (2–4 Wochen).
- vor allem gastrointestinale und urologische Beschwerden wie Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen sowie Schmerzen beim Wasserlassen
- Die Beschwerden gehen sukzessiv nach Beendigung der Bestrahlung zurück, können bei einigen Patientinnen aber über viele Monate andauern.
- Späte Folgen der Strahlentherapie können Monate oder Jahre nach der Behandlung auftreten und sind meist chronisch.
- Die Häufigkeit nimmt mit zunehmendem Krankheitsstadium zu.
- in mindestens 1/4 der Fälle Spätfolgen
- Harn- und Stuhlinkontinenz
- Darmstenose, Fistelbildung, Darmperforation (selten)
- Strahlenzystitis mit reduzierter Blasenkapazität und Dysurie
- Strahlenproktitis mit Diarrhö
- sexuelle Dysfunktion aufgrund von Blutungen, Dyspareunie, verkürzter oder verengter Scheide
- Verlust der Ovarialfunktion bei jungen Patientinnen
- Sekundärmalignome?16-17
- Ob das Risiko für Sekundärmalignome nach Beckenbestrahlung erhöht ist, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden.
- Wenn, dann ist der Effekt aber nur klein und rechtfertigt in keinem Fall den Verzicht auf eine leitliniengerechte Strahlentherapie.
Prognose
- Die 5-Jahres-Überlebensrate bei Zervixkarzinom liegt in Deutschland bei 65–69 %.4,9
- Kleinzellige Karzinome mit neuroendokriner Differenzierung sind mit einer schlechten Prognose verbunden.
- Die Prognose steht in direktem Zusammenhang mit der Größe des Tumors und der Ausbreitung zum Zeitpunkt der Behandlung.
- Relative 5-Jahres-Überlebensrate nach UICC-Stadium
- 0: 100 %
- I: 95 %
- II: 75 %
- III: 58 %
- IV: 21 %
Verlaufskontrolle
- Die Nachsorge wird von Spezialist*innen organisiert.
- Obligat
- Anamnese
- rektovaginale Untersuchung
- Spekulumeinstellung
- Zytologie
- Fakultativ
- Kolposkopie
- HPV-Testung
- Vaginalsonografie des kleinen Beckens
- Sonografie des harnableitenden Systems
- Eine routinemäßige Kontrolle von Tumormarkern wird derzeit nicht empfohlen.
- In den ersten 3 Jahren: Kontrolle alle 3 Monate
- In den folgenden 2 Jahren: Kontrolle alle 6 Monate
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Weitere Informationen
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM): Die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs
- Deutsche Krebshilfe: Verschiedene Broschüren zur Krebstherapie, Prävention und Früherkennung
- Gesundheitsinformation.de: Gebärmutterhalskrebs
Video
- TrainAMed Impfen (Universität Freiburg)
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Krebsgesellschaft (DKG), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientin mit Zervixkarzinom. AWMF-Leitlinie Nr. 032-033OL. S3, Stand 2021. www.awmf.org
- Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien. AWMF-Leitlinie Nr. 082-002. S3, Stand 2020. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Prävention des Zervixkarzinoms. AWMF-Leitlinie Nr. 015-027OL. S3, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Krebsgesellschaft (DKG), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG): Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientin mit Zervixkarzinom. AWMF-Registernummer 032-033OL. S3, Stand 2021. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG): S3-Leitlinie Prävention des Zervixkarzinoms. Registernummer 015-027OL, 31.12.2017. www.awmf.org
- World Health Organization. International Agency for Research on Cancer. Global Cancer Observatory (GLOBOCAN) 2020. Accessed April 11, 2022. gco.iarc.fr
- Robert Koch-Institut. Zentrum für Krebsregisterdaten. Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) ICD-10 C53. Stand 29.11.2021. Zugriff 12.04.2022 www.krebsdaten.de
- Ferlay J, Soerjomataram I et al: GLOBOCAN 2012 v1.0, Cancer Incidence and Mortality Worldwide: IARC CancerBase No. 11. Lyon, France: International Agency for Research on Cancer; 2013. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
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Autor*innen
- Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
- Erika Baum, Prof. Dr. med., Professorin für Allgemeinmedizin, Biebertal (Review)
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).