Nachlassende Gesundheit im Alter

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1

Definition

Einbußen von Funktion und Belastbarkeit

  • Physiologisches Altern geht mit Funktionseinbußen und Abnahmen der Leistungsfähigkeit und der Belastbarkeit einher, die intra- und interindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sind.

Multimorbidität

  • Geriatrische Patient*innen werden nicht primär durch das Lebensalter definiert, sondern vielmehr durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer akuter und/oder chronischer Gesundheitsprobleme (geriatrische Multimorbidität). Hierzu gehören u. a.:
    • herabgesetzte körperliche Belastbarkeit/Gebrechlichkeit
      • Senilität/Altersschwäche/Frailty-Syndrom: chronische, altersbedingt herabgesetzte Belastbarkeit bei vermindertem Kraftzustand und zunehmender Gebrechlichkeit
    • Fehl- und Mangelernährung2
    • Störungen des Gastrointestinaltraktes, z. B. Dysphagie, Obstipation, Stuhlinkontinenz
    • Störungen im Flüssigkeit- und Elektrolythaushalt, insbesondere Dehydratation
    • Medikationsprobleme, z. B. Arzneimittelnebenwirkungen
    • Seh-/Hörbehinderung
    • Miktionsstörungen, z. B. Harninkontinenz
    • Instabilität, Gang-/Standunsicherheit, Sturzneigung
    • Komplikationen nach medizinischen Interventionen
    • erhöhte Infektionsgefahr bei verminderter Immunfunktion
    • Wunden (z. B. Dekubitus, Ulcus cruris)
    • kognitive Defizite
    • Störungen der Kommunikationsfähigkeit
    • Depression, Angst
    • Schmerzen
    • Schlafstörungen
    • Immobilität

Failure to Thrive Syndrome (FTT)3

  • Als geriatrisches Failure to Thrive Syndrome (FTT) (Syndrom der geriatrischen Gedeihstörung) wird die Konstellation folgender Symptome bezeichnet, die mit dem Nachlassen oder Versagen körperlicher, geistiger und sozialer Funktionen und erhöhter Mortalität eingeht:
    • Appetitverlust (Anorexie), Gewichtsverlust, Unterernährung, Dehydratation2
    • verminderte Immunfunktion
    • Depression und Inaktivität

Häufigkeit

Kranke

  • Kranke* 2021 in Deutschland (Gesamtbevölkerung 83,2 Mio.)4
    • insgesamt: 13,5 %
    • 65–70 Jahre: 10,7 %
    • 70–75 Jahre: 13,3 %
    • 75 Jahre und älter: 19,1 %
  • *Definiert nach dem Mikrozenzus des Statistischen Bundesamts. Eine Krankheit liegt demnach vor, wenn sich eine Person während des Berichtszeitraums in ihrem Gesundheitszustand so beeinträchtigt gefühlt hat, dass sie ihre übliche Beschäftigung nicht voll ausüben konnte oder wenn von Ärzt*innen oder Heilpraktiker*innen eine Diagnose gestellt und eine Behandlung durchgeführt wurde. Auch ein angeborenes Leiden oder eine Körperbehinderung sind als Krankheit einzuordnen, sofern sie regelmäßig ärztlich behandelt werden.

Pflegebedürftige

  • Pflegebedürftige Dezember 2021 in Deutschland5
    • insgesamt: 4,96 Mio. (62 % weiblich), 20 % Zuwachs gegenüber 2019 (4,13 Mio.)
    • 9 % der 70- bis 74-Jährigen
    • 82 % der über 90-Jährigen
    • 16 % vollstationär in Pflegeeinrichtungen, Rückgang um 3 % gegenüber 2019

Diagnostische Überlegungen

Assessment als Basis

  • Ein umfassendes funktionelles Assessment bildet die Grundlage aller therapeutischen Maßnahmen, die das Hauptziel verfolgen, den funktionellen Status älterer Personen zu optimieren und dadurch Selbsthilfefähigkeit, Lebensqualität und Autonomie zu verbessern bzw. zu stabilisieren.

Ursachenforschung

  • Nachlassende Gesundheit bei älteren Menschen ist multifaktoriell bedingt und kann auf gleichzeitige chronische Erkrankungen und funktionelle Beeinträchtigungen zurückzuführen sein.
  • Häufig ist es nicht möglich, die Ursachen für die nachlassende Gesundheit nachzuweisen, oder diese sind irreversibel.
  • Nachlassende Gesundheit bei älteren Menschen sollte nicht unbedingt als ein natürliches Phänomen am Ende des Lebens angesehen werden, denn in vielen Fällen liegt eine reversible Erkrankung vor.
    • Warum und wie ist der Zustand aufgetreten?
    • Wie wirken sich Veränderungen potenziell zugrunde liegender Faktoren aus?

Erstuntersuchung

  • Vier Syndrome kommen häufig vor und prädizieren eine schlechte Prognose bei älteren Menschen mit nachlassender Gesundheit:
    1. verminderte körperliche Funktion
    2. Mangelernährung
    3. Depression
    4. kognitive Beeinträchtigung

Konsultationsgrund

  • Es sind in der Regel Angehörige oder Pflegekräfte, die ärztlichen Rat suchen.

ICPC-2

  • A04 Schwäche/allgemeine Müdigkeit
  • A05 Unwohlsein
  • A28 Funktionseinschr./Behinderung (A)
  • Z28 Funktionseinschr./Behinderung (Z)

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20246
  • R53 Unwohlsein und Ermüdung
  • R54 Senilität
  • R63 Symptome, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen
    • R63.0 Anorexie
    • R63.4 Abnorme Gewichtsabnahme
    • R63.8 Sonstige Symptome, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen
  • R69 Unbekannte und nicht näher bezeichnete Krankheitsursachen

Differenzialdiagnosen

Polypharmazie

Medication Appropriateness Index (MAI): Medikation – Angemessenheit – Intervention7

  • Fragen zur Medikationsbewertung
    • Indikation
      • Gibt es eine Indikation für das Medikament?
    • Evidenz
      • Ist das Medikament wirksam für Indikation und Patientengruppe?
    • Dosierung
      • Stimmt die Dosierung?
      • Besteht eine relevante Einschränkung der Nieren- oder Leberfunktion?
    • Anwendungssicherheit
      • Sind die Einnahmevorschriften korrekt? (Applikationsmodus, Einnahmefrequenz, Einnahmezeit, Relation zu den Mahlzeiten?)
    • Anwendbarkeit
      • Sind die Handhabung und Anwendungsvorschriften praktikabel?
    • Interaktion
      • Gibt es klinisch relevante Interaktionen mit anderen Medikamenten, mit anderen Krankheiten oder Zuständen?
      • Bestehen kardiale Vorerkrankungen oder eine QT- oder AV-Verlängerung?
      • Gibt es Altersbeschränkungen?
      • Siehe auch Wechselwirkungssuche der atd Arzneimitteldatenbank (Anmerkung der Redaktion).
    • Doppelverordnung
      • Wurden unnötige Doppelverschreibungen vermieden?
    • Therapiedauer
      • Ist die Dauer der medikamentösen Therapie (seit wann verordnet?) adäquat?
    • Wirtschaftlichkeit
      • Wurde die kostengünstigste Alternative vergleichbarer Präparate ausgewählt?
  • Zusätzlich zu prüfen:
    • Unterversorgung: Wird jede behandlungsbedürftige Erkrankung therapiert?
    • Einnahmeplan: Liegt ein aktueller und schriftlicher Einnahmeplan vor?
    • Vermeidung von UAW: Ist die Nierenfunktion bekannt?
    • Adhärenz: Ist die Adhärenz zur Therapie gegeben?

Pharmakokinetik bei älteren Menschen7

  • Absorption
    • Kann bei älteren Menschen leicht verzögert sein.
    • Erkrankungen wie eine Herzinsuffizienz können die Geschwindigkeit und den Umfang der Absorption zusätzlich herabsetzen.
  • Distribution
    • Wird bei den meisten Medikamenten durch das Körpergewicht und durch altersbedingte Gewebeveränderungen beeinflusst: verringerte Muskelmasse, erhöhte Fettmasse und weniger Gesamtkörperflüssigkeit.
    • In der Praxis spielt dies meist nur eine sehr geringe Rolle.
  • Metabolismus und Ausscheidung
    • Leber- und Nierenfunktion können im Alter stark beeinträchtigt sein.
    • Der Lebermetabolismus ist variabel und hängt von Lebensalter, Genotyp, Lebensstil, hepatischem Blutfluss, Lebererkrankungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten ab.
    • Die Nierenausscheidung wird durch den Alterungsprozess beeinträchtigt, jedoch mit großen interindividuellen Variationen. Die Elimination vieler Medikamente korreliert mit der Kreatinin-Clearance, die vom 25. bis zum 85. Lebensjahr um 50 % abnimmt. Bei älteren Menschen ist eine verminderte renale Ausscheidung die häufigste Ursache für Störungen des Arzneimittelmetabolismus.
    • Bei älteren Menschen kann die völlige Elimination eines Medikaments aus Körpergeweben, auch aus dem Gehirn, sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.

Häufige Medikamentennebenwirkungen7

  • ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Antagonisten
    • erhöhtes Risiko für herabgesetzte Nierenfunktion und Hyperkaliämie
  • Aminoglykoside
    • Aminoglykoside können Nierenversagen verursachen.
    • Können zu erhöhter Serumkonzentration der Medikamente sekundär zur Nierenbeeinträchtigung führen.
  • Antidiabetika
    • Antidiabetika können Hypoglykämie verursachen.
    • Können zu Sturzneigung, Verwirrung und Hirnschäden führen.
  • Antihypertensiva
  • Antikoagulanzien
    • Können Blutungskomplikationen verursachen.
    • Eine richtig durchgeführte Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten im therapeutischen Bereich bei Vorhofflimmern (INR 2,0–3,0) bewirkt ein relativ geringes Nebenwirkungsrisiko.
    • Oft haben ältere Menschen Schwierigkeiten mit der praktischen Durchführung der oralen Antikoagulation. Deshalb sollte diese sehr gut begleitet werden.
    • Bei Kombination mit einem Thrombozytenaggregationshemmer oder NSAR: PPI verordnen.8
      • PPI nicht länger als 8 Wochen einnnehmen.9
    • Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) kommt in einer Gesamtbeurteilung der Datenlage zur Einschätzung, dass bei entsprechender Indikation sowohl eine Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA, in Deutschland in der Regel Phenprocoumon) als auch mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK), insbesondere mit Apixaban, vertretbar ist.10
  • Anticholinergika11
    • Medikamente mit anticholinergen Haupt- oder Nebenwirkungen, z. B.: 
      • ältere H1-Antihistaminika wie Hydrazin oder Promethazin
      • trizyklische Antidepressiva
      • gastrointestinale Spasmolytika und Sekretionshemmer wie Butylscopolamin oder Pirenzepin
      • urologische Spasmolytika wie Darifenacin, Fesoterodin, Oxybutynin, Solifenacin, Tolterodin
      • Muskelrelaxanzien wie Orphenadrin
      • H2-Blocker wie Cimetidin
      • Neuroleptika wie Clozapin, Haloperidol, Olanzapin, Thioridazin
      • Opioide wie Fentanyl, Methadon, Morphin, Pethidin 
      • Benzodiazepine wie Diazepam, Temazepam
    • Können Mundtrockenheit, verringerte Motilität im Verdauungstrakt, Blasenhypotonie, kognitive Defizite (siehe Artikel Demenzsymptome), Verwirrtheit, Sedierung, orthostatische Hypotonie und verschwommenes Sehen (Akkomodationsstörungen) verursachen.
    • Können zu Obstipation, Harnretention, Muskelschwäche und Sturzneigung führen.
    • Besonders bei Menschen mit Demenz sollten sie vermieden werden.
  • Antipsychotika
    • Können Sedierung, tardive Dyskinesien, Dystonie, anticholinerge Effekte und Hypotonie verursachen.
    • Können zu Sturzneigung, Frakturen, Verwirrtheit, medikamenteninduziertem Parkinson-Syndrom, Obstipation, Harnretention und auffälligem Verhalten führen.
    • Medikamentenmonitoring empfohlen unter der Behandlung mit:9
  • Betablocker
    • Betablocker können verminderte kardiale Kontraktilität, verminderte kardiale Leitfähigkeit, milde Sedierung und orthostatische Hypotonie verursachen.
    • Können zu Bradykardie, Herzinsuffizienz, Konfusion und Sturzneigung führen.
  • Beta-Rezeptor-Antagonisten als Augentropfen
    • Als Augentropen verabreichtes Timolol kann Nebenwirkungen wie kardiovaskuläre (Bradykardie, Hypotonie), respiratorische (Asthma), psychische (Konfusion, Depression) und unspezifischere Symptome (Abgeschlagenheit) verursachen.
  • Digoxin
    • Ältere Menschen sind besonders anfällig für Digitalis-Intoxikationen, die sich als Appetitlosigkeit, Übelkeit, abdominelle Beschwerden, Gewichtsabnahme, Synkopen oder Delir manifestieren.
  • Diuretika
    • Zu hohe Dosierung kann zu schwerer Dehydrierung, Obstipation, Hypotonie und Sturzneigung führen.
    • Ein Medikamentenmonitoring von NaK und eGFR wird empfohlen.
  • Metoclopramid
    • erhöhtes Risiko für extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen
  • NSAR
  • Opioidanalgetika
    • Können verminderte Darmmotilität und Sedierung verursachen.
    • Können zu Verwirrtheit und Obstipation führen.
    • Gehen mit einem hohen Risiko für Arzneimittelabhängigkeit einher.
  • Sedativa und Hypnotika
    • Sedativa und Hypnotika können ausgeprägte Sedierung, kognitive Störungen, Gangstörungen und Schwächung der psychomotorischen Fähigkeiten verursachen.
    • Können zu Sturzneigung mit Knochenbrüchen als Folge und zu Verwirrtheit führen.
    • Gehen mit einem hohen Risiko für Arzneimittelabhängigkeit einher.
  • SSRI
    • erhöhtes Risiko für Hyponatriämie
    • Bei gleichzeitiger Einnahme von NSAR und SSRI vervielfacht sich das Risiko für gastrointestinale Blutungen.
    • bei Kombination mit anderen serotonergen Medikamenten, z. B. Triptanen, MAO-Hemmern oder Tramadol, erhöhtes Risiko für ein potenziell lebensbedrohliches Serotonin-Syndrom
  • Trizyklische Antidepressiva
    • Trizyklische Antidepressiva können anticholinerge Effekte und orthostatische Hypotonie verursachen.
    • Können zu Sturzneigung, Verwirrtheit, Parkinsonismus, Obstipation und Harnretention führen.

Anamnese

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1

Besonders zu beachten

  • Einnahme von Medikamenten
    • Sowohl verschreibungspflichtige als auch nichtverschreibungspflichtige Medikamente berücksichtigen.
  • Ernährung (siehe Abschnitt Ernährung)
  • Aktuelle und frühere Erkrankungen (siehe Abschnitt Differenzialdiagnosen)
  • Bei wem ist oder war die betroffene Person in Behandlung?
    • Je stärker die kognitive Einschränkung der Betroffenen, desto wichtiger ist es, begleitende Untersuchungen und Behandlungen durch Kolleg*innen sorgfältig zu eruieren,
      • um unnötige Mehrfachuntersuchungen und -eingriffe zu vermeiden.
      • um gefährlichen Arzneimittelinteraktionen vorzubeugen.
      • um die diagnostischen und therapeutischen Überlegungen der anderen Behandelnden in einen Gesamtbehandlungsplan zu integrieren.

Bewertung der Funktionsfähigkeit

Tests

Kognitiver Status und Psyche12

Ernährung

  • Ernährungszustand und Ernährungsverhalten2
    • Was isst die Person?
    • Zugang zu Lebensmitteln?
    • Anzahl der Mahlzeiten?
    • Probleme mit dem Kauen oder Schlucken?
    • Appetit?
    • Nahrungsmenge und -zusammensetzung
      • Ausreichende Kalorienzufuhr?
      • Ausgewogene Anteile von Proteinen, Kohlehydraten und essenziellen Fettsäuren?
      • Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente?
  • Beurteilung von Ernährungszustand und -verhalten mit dem Mini Nutritional Assessment (MNA)2

Behandlungslast und Ressourcen

Leitlinie: Multimorbidität – Behandlungslast und Ressourcen1

Behandlungslast

  • Zur Ermittlung der Belastung durch die Behandlungen (Behandlungslast) soll mit den Betroffenen darüber gesprochen werden, in welchem Maße die Gesundheitsprobleme Auswirkungen auf das tägliche Leben haben können. Folgendes soll dafür eruiert werden (gekürzt):
    • Anzahl und Art der medizinischen Termine, die wahrgenommen werden und wo diese stattfinden,
    • Anzahl und Art der Medikamente, die eingenommen werden und die Häufigkeit der Einnahme,
    • jegliche Auswirkung einer Behandlung aufGesundheit oder Wohlbefinden.

Ressourcen

  • Die Ressourcen der Patientinnen und Patienten mit Multimorbidität sollen evaluiert werden: z. B.
    • Gesundheitskompetenz (Fähigkeit der Person, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, einzuschätzen und anzuwenden)
    • Anpassungsstrategien,
    • Lernkompetenzen,
    • finanzielle Lage,
    • Lebensbedingungen
    • soziale Unterstützung.

Klinische Untersuchung

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1
  • Näheres siehe Artikel Geriatrische Untersuchung.
  • Hinweise auf eine Depression oder andere psychische Störung?14
    • Kann sowohl eine Ursache als auch eine Folge der nachlassenden Gesundheit bei älteren Menschen sein.
    • Ältere Menschen mit Depressionen klagen häufig über körperliche Probleme.
    • Abgrenzung zu Demenz (s. o.)
    • Depressionen treten häufig bei chronischen Erkrankungen auf.
  • Ernährungszustand3
  • Mundhöhle2
    • Erkrankungen der Schleimhaut oder des Zahnapparats?
    • Zahnersatz, der nicht passt?
    • Schluckbeschwerden?
    • Schwierigkeiten beim Sprechen?

Ergänzende Untersuchungen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.14-15

In der Hausarztpraxis

Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment

Bei Spezialist*innen

  • Röntgen-Thorax
    • Infektion? Maligne Erkrankung?
  • Blutkultur?
    • Infektion?
  • CT, MRT?
    • Malignität, Abszess?

Maßnahmen und Empfehlungen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf dieser Referenz.1

Präferenzen und Wertvorstellungen der Betroffenen

Leitlinie: Persönliche Präferenzen und Wertvorstellungen ermitteln (Ia/A)1

  • Die Person soll ermutigt werden, ihre persönlichen Ziele und Prioritäten darzulegen. Zu klären ist dabei der Stellenwert folgender Zielbereiche:
    • Erhalt der sozialen Rolle in Berufs-/Arbeitstätigkeit, Teilnahme an sozialen Aktivitäten, Familienleben
    • Verhinderung von spezifischen Ereignissen (z. B. Schlaganfall)
    • Minimierung von Medikamentennebenwirkungen
    • Verringerung der Belastung durch Behandlungen
    • Lebensverlängerung
  • Die Einstellung der Betroffenen zu ihrer Therapie und deren möglichem Nutzen soll exploriert werden.
  • Es sollte mit der betroffenen Person geklärt werden, ob und inwieweit Partner*in, Angehörige oder Pflegende in wichtige Versorgungsentscheidungen eingebunden werden sollen.

Prioritäten von Behandelnden und Betroffenen abgleichen

  • Ein ständiger Abgleich der patientenseitigen und ärztlichen Prioritäten ist die wesentliche Voraussetzung für gute Entscheidungen.
    • Jegliche Entscheidung soll vor dem Hintergrund der sich häufig erst im Gespräch entwickelnden Patientenpräferenzen und der gemeinsamen Priorisierung von Behandlungszielen erfolgen.
    • Dies kann sich sowohl auf die Steigerung als auch auf die Verminderung der Behandlungsintensität beziehen.
    • Hierbei sollte ein Abgleich der ärztlichen Zielsetzungen (z. B. Ausschluss abwendbar gefährlicher Verläufe) und der patientenseitigen Prioritäten (z. B. Angst vor Autonomieverlust) erfolgen.

Sich mit anderen Behandelnden abstimmen

  • Es sollte in Erfahrung gebracht werden, ob seit der letzten Konsultation andere ärztliche oder nichtärztliche Gesundheitsprofessionen in Anspruch genommen wurden und mit welchem Ergebnis (Ia/B).
  • Wenn mehrere Gesundheitsprofessionen an der Behandlung von Menschen mit Multimorbidität beteiligt sind, sollten sich die Beteiligten (Erkrankte, Spezialist*innen, Hausärzt*innen, Angehörige, Pflegepersonal) hinsichtlich Diagnostik und Therapie abstimmen.

Tatsächlich genommene Medikation prüfen (A)

  • Bei der medikamentösen Behandlung soll die tatsächlich verwendete Medikation überprüft werden.
  • Gleichzeitig sollten Missverständnisse über Indikation, Wirkung und Art der Einnahme oder Anwendung geklärt und ausgeräumt werden.

Indikationen zur Überweisung

  • Eine geriatrische Basisuntersuchung kann in der hausärztlichen Praxis durchgeführt werden.12
    • Gerade die langjährige Kenntnis der Betroffenen und ihres Umfeldes ist eine gute Voraussetzung dafür, deren körperliche und psychosoziale Situation und die notwendigen therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen, etwa bei einer Alzheimer-Demenz, realistisch und treffsicher einzuschätzen.16
  • Bei Menschen mit kognitiven Defiziten ist die Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum vor allem in folgenden Situationen angezeigt:12
    • schnelle Progression oder spezifische neurologischen Ausfälle: Überweisung zur Neurologie
    • Verhaltensauffälligkeiten und schweren psychische Symptome: Psychiatrie, ggf. Gerontopsychiatrie
    • ausgeprägte Multimorbidität: Geriatrie (z. B. Ärzt*innen mit Zusatzweiterbildung)
    • Beurteilung und ggf. Neueinstellung der medikamentösen Therapie, z. B. einer Demenz oder Depression.

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Eine Krankenhauseinweisung soll im Einzelfall in Betracht gezogen werden.
    • Kann die Person zu Hause gepflegt werden?
    • Wünschen sie und ihre Angehörigen eine Einweisung?
    • Ist die Notaufnahme in einer Pflegeeinrichtung sinnvoller als im Krankenhaus?
  • Nutzen und Risiko sorgfältig abwägen.
    • Besonders für hochbetagte Menschen mit reduzierten körperlichen und kognitiven Funktionen bedeutet ein Krankenhausaufenthalt meist eine immense Belastung, mit hohem Risiko für eine weitere Funktionsverschlechterung. Hier gilt es, sorgfältig zwischen Nutzen und Risiko der stationären Maßnahme abzuwägen und die Prioritäten und Wünsche der betroffenen Person zu berücksichtigen.

Empfehlungen

Iatrogene Belastung klein halten

  • Erkrankungen identifizieren, die behandelt werden können, ohne dass die Patient*innen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt werden.
  • Nachlassende Gesundheit bei älteren Menschen tritt häufig am bevorstehenden Ende des Lebens auf, sodass Vorteile der Behandlung gegen die Nachteile abzuwägen sind.

Ernährung

  • Für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung zu sorgen, gehört meist zu den wichtigsten Maßnahmen.2
    • Ausreichende Energie- und Proteinzufuhr sicherstellen.
    • Bedingungen für die Nahrungsaufnahme verbessern.
    • Begleitung beim Essen
    • ansprechende Zubereitung der Speisen
    • Mahlzeiten zu geeigneten Zeitpunkten

Therapie einer Depression13,17

  • Psychotherapie
    • Auch in höherem Alter und ausreichender kognitiver Kapazität ist eine Psychotherapie meist sinnvoll und als bevorzugte Behandlungsform anzusehen.
  • Antidepressiva
    • Besonderheiten bei älteren Menschen
      • Die Wirksamkeit von Antidepressiva ist auch für ältere Menschen mit Depression belegt (Ib).
      • Ältere Erkrankte können in gleicher Weise behandelt werden wie jüngere (C).
      • Im Vergleich zu Jüngeren sollte das Nebenwirkungsprofil und die Verträglichkeit noch stärker beachtet werden.
    • Die Auswahl des Wirkstoffs am Neben- und Wechselwirkungspotenzial orientieren.
      • Wirksamkeitsunterschiede zwischen den beiden großen Antidepressiva-Gruppen TZA und SSRI, aber auch zu anderen bzw. neueren Antidepressiva (z. B. Moclobemid, Venlafaxin, Mirtazapin) wurden bislang nicht nachgewiesen. Bei ähnlicher Wirksamkeit orientiert sich die Substanzauswahl daher am Neben- und Wechselwirkungspotenzial.
      • Bei KHK z. B. sollen TZA wegen ihrer kardialen Nebenwirkungen nicht verordnet werden.
      • Nach Schlaganfall und bei Demenz sollten nicht-anticholinerge Antidepressiva verwendet werden, z. B. Fluoxetin oder Citalopram.
      • Bei Menschen mit Diabetes sollte der reduzierte Insulinbedarf unter SSRI sowie eine Gewichtszunahme unter Mirtazapin, Mianserin und sedierenden TZA beachtet werden. SSRI sind bevorzugt zu verwenden.
  • Näheres im Artikel Depression im Alter

Organisatorische Informationen zur Unterstützung der häuslichen Versorgung

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG). Geriatrisches Assessment der Stufe 2 – Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 084-002LG. S1, Stand 2022. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Arzneimitteltherapie bei Multimorbidität – Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 100-001. S2k, Stand 2023. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Multimorbidität - Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 053-047LG. S3, Stand 2023. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Hausärztliche Leitlinie: Multimedikation. AWMF-Leitlinie Nr. 053-043. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Klinische Ernährung in der Geriatrie. AWMF-Leitlinie Nr. 073-019. S3, Stand 2013 (abgelaufen). www.dgem.de
  • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Demenzen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-013. S3, Stand 2023 (Konsultationsfassung). www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-005. S3, Stand 2022. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Multimorbidität - Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 053-047LG. S3, Stand 2023. www.awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Klinische Ernährung in der Geriatrie. AWMF-Leitlinie Nr. 073-019, Stand 2013 (abgelaufen). www.dgem.de
  3. Werner H. Das "Failure-to-thrive-Syndrom". In: Nikolaus T (Hrsg). Klinische Geriatrie. Springer 2013. books.google.de
  4. Statistisches Bundesamt. Gesundheitszustand und -relevantes Verhalten. Kranke und Unfallverletzte nach Altersgruppen und Geschlecht. Ergebnisse des Mikrozensus 2021. www.destatis.de
  5. Statistisches Bundesamt. 5 Millionen Pflegebedürftige zum Jahresende 2021. Pressemitteilung Nr. 554 vom 21. Dezember 2022. www.destatis.de
  6. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2024. Stand 15.09.2023. klassifikationen.bfarm.de
  7. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Hausärztliche Leitlinie Multimedikation. AWMF-Leitlinie Nr. 053-043. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  8. Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). S2k-Leitlinie Arzneimitteltherapie bei Multimorbidität - Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 100-001. Stand 2023. register.awmf.org
  9. Mann NK, Mathes T, Sönnichsen A, et al. Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: PRISCUS 2.0. Erste Aktualisierung der PRISCUS-Liste. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: 3-10. PMID: 36507719.
  10. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Leitfaden Orale Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern, Stand 2019. www.akdae.de
  11. Strobach D. Anticholinerge Arzneistoffe - Erkennen, erklären, ersetzen. Pharmazeutische Zeitung online 2013; (41). www.pharmazeutische-zeitung.de
  12. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Demenzen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-013. S3, Stand 2023 (Konsultationsfassung). register.awmf.org
  13. DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, AkdÄ, BPtK, BApK, DAGSHG, DEGAM, DGPM, DGPs, DGRW (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression. Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-005. S3, Stand 2022. register.awmf.org
  14. Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG). S1-Leitlinie Geriatrisches Assessment der Stufe 2 - Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 084-002LG. Stand 2022. register.awmf.org
  15. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Geriatrisches Assessment in der Hausarztpraxis. Addendum zur Leitlinie Allgemeine Geriatrie Teil I und Teil II. AWMF-Leitlinie 053-015. S1, Stand 2017 (abgelaufen). www.pmvforschungsgruppe.de
  16. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Hausärztliche Versorgung. In: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie Demenzen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-013, Stand Januar 2016 (abgelaufen). www.awmf.org
  17. Schneider G. Depression im Alter - Psychotherapie in jedem Alter sinnvoll. InFo Neurologie & Psychiatrie 2017; 19: 6-7. www.springermedizin.de

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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