Palliative Behandlung bei Delir

Zusammenfassung

  • Definition:Das Delir oder Delirium ist ein Syndrom, das sich durch Störungen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik und der Emotionalität äußert. Es setzt abrupt ein und zeigt einen fluktuierenden Verlauf.
  • Häufigkeit:Delir kann substanzinduziert sein oder als Komplikation einer somatischen Erkrankung auftreten, häufig bei älteren Menschen mit schlechtem Allgemeinbefinden und bei Schwerkranken im Krankenhaus.
  • Symptome:Es wird zwischen hyperaktivem, hypoaktivem und gemischtem Symptommuster unterschieden.
  • Befunde:Veränderte kognitive Leistung, veränderte Wahrnehmung und Stimmung, verändertes Aktivitätsniveau.
  • Diagnostik:Die Diagnose kann meist aufgrund der Anamnese und des klinischen Bilds gestellt werden. Ggf. zusätzlich neurologische oder neuropsychologische Untersuchungen sowie Abklärung möglicher organischer Ursachen.
  • Therapie:Auslösende Faktoren ermitteln und behandeln. Medikamentöse Behandlung mit Haloperidol, ggf. in Kombination mit Benzodiazepinen.

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.1-5
  • Näheres zur Delirbehandlung siehe auch Artikel Delir.

Definitionen

Delir bei organischen Erkrankungen

  • Das Delir oder Delirium ist ein Syndrom, das sich durch Störungen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik und der Emotionalität äußert. Es ist durch eine akute organische Erkrankung bedingt, setzt abrupt ein und zeigt einen fluktuierenden Verlauf.
    • Die Bewusstseinsstörung beeinträchtigt die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten oder zu lenken. Sie ist häufig von eingeschränkter Merkfähigkeit, Desorientierung oder Wahrnehmungsstörungen begleitet, die nicht auf Demenz zurückzuführen sind.
    • Das Syndrom muss organische Ursachen/Auslöser haben.
  • Delire werden in 3 Formen eingeteilt:
    1. hyperaktives Delir
    2. hypoaktives Delir
    3. gemischtes Delir.
  • Die Erkrankung ist potenziell lebensbedrohlich und durch hohe Morbidität und Mortalität gekennzeichnet.
  • Delire sind in der Regel reversibel, können jedoch wochen- oder monatelang anhalten, vor allem bei älteren, hospitalisierten oder allgemein geschwächten Personen.

Palliativmedizin

  • Die Palliativmedizin beschäftigt sich mit der Behandlung von Menschen mit einer progredienten und weit fortgeschrittenen, unheilbaren Erkrankung und kurzer Lebenserwartung (häufig auf unter 9–12 Monate angesetzt) sowie der Forschung und Entwicklung von Therapien in diesem Bereich.
  • Das Fachgebiet widmet sich hauptsächlich der Behandlung von Krebskranken. Die therapeutischen Grundsätze sind jedoch auch für andere Erkrankungsgruppen, z. B. progressive neurologische Erkrankungen, relevant.

Häufigkeit

  • Wird häufig übersehen und unterdiagnostiziert.
  • Die letzten Lebenswochen gehen bei sehr vielen Menschen mit einem Delir einher (bis zu 90 %).
    • Die Sterbephase ist meist von einem terminalen Delir begleitet.
  • Delir ist eine Komplikation somatischer Erkrankungen, die häufig bei älteren Menschen mit schlechtem Allgemeinbefinden und bei Schwerkranken im Krankenhaus auftritt.
    • Bei Krebskranken wird eine Prävalenz von 20–80 % angegeben.
  • Im Krankenhaus
    • Bei 20–25 % aller im Krankenhaus Behandelten und bei 30–50 % der älteren Patient*innen tritt ein Delir auf. Es ist eine der häufigsten Komplikationen bei Krankenhausaufenthalten. Etwa jedes dritte Delir ist wahrscheinlich medikamenteninduziert.
    • In medizinischen Notfallabteilungen beträgt die Prävalenz 14–24 %, nach einer Operation 15–53 % und bei Kranken auf der Intensivstation 70–87 %.
    • Bei Kranken mit Delir ist die Mortalität doppelt so hoch wie bei Personen, die von derselben Krankheit betroffen sind, aber kein Delir haben.

Ätiologie und Pathogenese

  • Unzureichend geklärt
  • Das EEG zeigt eine diffus reduzierte kortikale Aktivität.
  • Effekte von Entzündung (u. a. Zytokine) und chronischem Stress (u. a. Kortisol) auf das Gehirn scheinen eine Rolle zu spielen.
  • Zusammentreffen einer mangelnden funktionellen Reserve (Resilienz) des Gehirns mit prädisponierenden Belastungsfaktoren (s. u.)

Prädisponierende Faktoren

  • Hirnorganische Erkrankungen, einschl. Demenz
  • Frühere Hirnschäden, ggf. Tumor/Metastasierung im Gehirn
  • Hohes Alter
  • Schwere körperliche Erkrankungen
  • Reduzierter Allgemeinzustand, Unterernährung, Gebrechlichkeit
  • Eingeschränkte Mobilität
  • Suchterkrankungen
  • Hör- oder Sehstörungen
  • Veränderte Umgebung, neue Kontaktpersonen, ungewohnte Eingriffe und Behandlungsmaßnahmen
  • Vorausgehende Operationen
  • Früheres Delir

Mögliche Auslöser

Substanzinduziert

  • U. a. folgende Substanzklassen können ein Delir auslösen:
    • Schmerzmittel, z. B. Opioide
    • Sedativa/Hypnotika, z. B. Benzodiazepine
    • Narkotika
    • Arzneimittelklassen mit anticholinergen Haupt- oder Nebeneffekten, z. B.:
      • trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin oder Doxepin
      • Antiparkinson-Medikamente, z. B. Benzatropin, Biperiden, Trihexyphenidyl, Metixen
      • Antipsychotika, z. B. Chlorpromazin, Thioridazin, Clozapin, Olanzapin 
      • Antimuskarinika gegen überaktive Blase, z. B. Oxybutynin, Tolterodin, Fesoterodin, Darifenacin, Solifenacin
      • inhalative Bronchodilatativa, z. B. Ipratropium, Tiotropium, Aclidiniumbromid
      • Mydriatika, z. B. Atropin, Scopolamin, Homatropin, Tropicamid
      • Antiepileptika, z. B. Phenytoin.
    • Kortikosteroide
    • Stimulanzien
    • Herzglykoside
    • Alkohol
  • Wechselwirkungen und Polypharmazie
    • Mit der Zahl der kombinierten Substanzen erhöht sich das Delirrisiko.
  • Überdosierung der genannten Substanzen
  • Absetzen psychotroper Substanzen, z. B.:

Somatische Grunderkrankung

Weitere Auslöser

Diagnostik

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.1-5

Leitlinie: Delir in der Sterbephase – Diagnostik2

  • Die Symptome eines Delirs sollen so früh wie möglich erkannt werden, u. a.:
    • rascher Beginn
    • fluktuierender Verlauf
    • Bewusstseinsstörung
    • Störung der Aufmerksamkeit und des Denkens
    • gestörter Tag-Nacht-Rhythmus.
  • Das Betreuungsteam sollte in der Früherkennung eines Delirs bei Sterbenden und dem verbalen und nonverbalen Umgang mit Delir-Betroffenen geschult werden.

Diagnostische Kriterien

Delir-Kriterien nach DSM-56

  • A. Störung der Aufmerksamkeit (d. h. verminderte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf einzelne Stimuli zu richten, zu fokussieren, aufrechtzuerhalten und gezielt zu wechseln) und Bewusstseinsstörung (verminderte Orientierung in der Umgebung)
  • B. Das Störungsbild entwickelt sich innerhalb eines kurzen Zeitraums (gewöhnlich innerhalb weniger Stunden oder Tage), stellt eine Veränderung des ursprünglichen Aufmerksamkeits- und Bewusstseinszustands dar, und der Schweregrad fluktuiert meist im Tagesverlauf.
  • C. Zusätzliche Beeinträchtigung kognitiver Funktionen (z. B. Beeinträchtigung des Gedächtnisses, Desorientiertheit, Störungen des Sprachgebrauchs, der visuell-räumlichen Fähigkeiten oder der Wahrnehmung)
  • D. Die Störungsbilder aus den Kriterien A und C können nicht besser durch eine andere, vorbestehende, gesicherte oder sich entwickelnde neurokognitive Störung erklärt werden, und sie treten nicht im Kontext einer stark reduzierten bzw. fehlenden Wachheit, wie dem Koma, auf.
  • E. Hinweise aus der Vorgeschichte, körperlichen Untersuchung oder Laboruntersuchungen, dass das Störungsbild die direkte körperliche Folge eines medizinischen Krankheitsfaktors, einer Substanzintoxikation oder eines Substanzentzugs ist (z. B. durch Substanzen mit Missbrauchspotenzial oder durch die Einnahme eines Medikaments) oder Folge der Exposition gegenüber einem Toxin oder durch multiple Ätiologien verursacht ist.

Diagnostische Strategie

  • Bei der Diagnostik sollte versucht werden, die zugrunde liegende Ursache zu klären, da Delire potenziell reversibel sind.
  • Eine Ausnahme bildet das terminale Delir, das Teil der Sterbephase ist.

Differenzialdiagnosen

Psychische Störung

Organische Erkrankung

  • Siehe Abschnitt Mögliche Auslöser. Viele der dort aufgeführten Krankheiten/Ursachen können einerseits ein Delir auslösen, andererseits auch in ihrem klinischen Bild einem Delir ähneln.

Sonstiges

Anamnese

Drei klinische Subtypen von Delir

  1. Hyperaktiv: Unruhe, Erregung, Halluzinationen, unangemessenes Verhalten (ca. 30–35 %)
  2. Hypoaktiv: Apathie, eingeschränkte Motorik, inkohärentes Sprechen, Teilnahmslosigkeit (ca. 20–25 %)
  3. Mischtyp (ca. 40–45 %)

Klinisches Bild

  • Häufig schwankt der Verlauf während des Tages, wobei auch symptomlose Phasen vorkommen.
  • Ein Delir kann sich als Vergesslichkeit, Desorientierung, veränderte Stimmung und verändertes Verhalten äußern.
    • Bei einigen Erkrankten kommt es zu Erregung (15–45 %).
    • hypoaktiv, keine Erregung, häufig in der terminalen Phase (bis zu 80 %)
  • Kennzeichnend ist der abrupte Beginn.

Symptomdomänen

  • Kognition
    • Aufmerksamkeitsstörungen, Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, Konzentrationsstörungen, Desorientierung
  • Wahrnehmung
    • Optische Halluzinationen sowie Illusionen (Fehldeutung von Sinneseindrücken) sind häufig.
    • paranoide Deutungen von Eindrücken
  • Aktivität
    • Häufig verhalten sich die Betroffenen still und zurückgezogen.
    • psychomotorische Verlangsamung
  • Verhalten
    • Reizbarkeit, Aggressivität oder ängstlich-vermeidendes Verhalten
  • Stimmung
  • Schlaf
    • Schlafstörungen, Veränderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus

Symptomerfassung

  • Die ESAS-Skala/der MIDOS-Fragebogen können bei der Ermittlung der Symptome ein nützliches Werkzeug sein, sowohl um eine Diagnose stellen, als auch um der weiteren Entwicklung der Symptome folgen zu können.

Klinische Untersuchung

  • Kompletter klinischer Status, einschließlich neurologischer Untersuchung mit dem Ziel, die auslösende Ursache zu ermitteln.

Klinische Hilfsmittel

  • MMST (Mini-Mental-Status-Test)
    • Der MMST misst den Verlust kognitiver Funktionen (keine Unterscheidung zwischen Delir und Demenz).
    • 4 der 20 Aufgaben/Fragen des MMST sind ausreichend, um Delir zu prädizieren (Sensitivität und Spezifität > 0,9).
      1. Die Jahreszahl des aktuellen Jahres angeben.
      2. Das heutige Datum angeben.
      3. „Schwert“ rückwärts buchstabieren.
      4. Eine Figur abzeichnen/abmalen.
  • CAM (Confusion Assessment Method)
    • geeignet zur Diagnose und zur Überwachung von Deliren
    • CAM baut auf den Kriterien für Delire auf, wie in DSM-IIIR und DSM-IV beschrieben.
  • MDAS (Memorial Delir Assessment Scale)
    • Wird verwendet, um den Typ und den Umfang des Delirs einzustufen.
    • Geeignet, um den Verlauf von Deliren in der Klinik oder im Rahmen von Studien zu überwachen.

Leitlinie: CAM-Instrument – Confusion Assessment Method2

  • Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf (= 1 Punkt*) – fremdanamnestisch zu klären.
    • Gibt es Hinweise für eine akute Veränderung des geistigen Zustandes der Patientin/des Patienten gegenüber seinem Normalverhalten?
    • Gibt es Tagesschwankungen innerhalb der qualitativen oder quantitativen Bewusstseinsstörung?
  • Störung der Aufmerksamkeit (= 1 Punkt*)
    • Hat die Patientin/der Patient Mühe, sich zu konzentrieren?
    • Ist sie/er leicht ablenkbar?
  • Denkstörungen (= 1 Punkt)
    • Hat die Patientin/der Patient Denkstörungen im Sinne von inkohärentem, paralogischem, sprunghaftem Denken?
  • Quantitative Bewusstseinsstörung (= 1 Punkt)
    • jeder Zustand außer „wach“ wie:
      • hyperalert
      • schläfrig
      • stuporös oder
      • komatös.
  • Die mit * bezeichneten Punkte sind für die Diagnose obligatorisch.
  • Beurteilung: 3 und mehr Punkte: wahrscheinlich Delir. Sensitivität 95–100 %, Spezifität 90–95 %

Ergänzende Untersuchungen

  • Werden auf der Grundlage der vorliegenden Symptome und Beschwerdebilder sowie ggf. der auslösenden Ursachen festgelegt.
  • Blut- und Harnuntersuchung
  • Pulsoxymetrie

Spezielle fachärztliche Diagnostik

  • Serumspiegel etwaiger Medikamente
  • Röntgen, um Pneumonie, Herzinsuffizienz sowie andere Ursachen der Hypoxie auszuschließen.
  • EKG zum Ausschluss eines Myokardinfarkts
  • Ggf. Blutgase
  • Ggf. CT oder MRT des Gehirns: Nicht als Standarduntersuchung angezeigt, wenn kein Verdacht auf eine primäre ZNS-Erkrankung besteht.
  • Ggf. Liquordiagnostik

Therapie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.2,4-5

Therapieziel

  • Abklingen des Delirs

Allgemeines zur Therapie

  • Die wichtigste Maßnahme besteht darin, die auslösenden Faktoren zu ermitteln und zu behandeln.
  • Häufig ist eine Rehydrierung oder die Reduzierung der Dosis des auslösenden Medikaments wirksam.
  • Eine gründliche Aufklärung von Angehörigen und Pflegenden sowie eine optimale Behandlungsplanung sind wichtig.

Leitlinie: Delir in der Sterbephase – Therapie2

  • Sterbende mit deliranter Symptomatik sollten durch folgende Allgemeinmaßnahmen behandelt werden:
    • ruhige und orientierungsfördernde Umgebung
    • Sturzprophylaxe
    • ruhige Kommunikation und
    • Kontinuität in der Betreuung.
  • Bei Sterbenden mit einem Delir und der Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung kann Haloperidol, ggf. in Kombination mit einem Benzodiazepin (Off-Label-Use), zur Therapie des Delirs eingesetzt werden.
    • Dosierung: z. B. 0,5–2 mg alle 2–12 Stunden
    • Bei fehlender Wirksamkeit von Haloperidol auf die hyperaktive Symptomatik gibt es gute klinische Erfahrungen mit einer Kombination von niedrigpotenten Antipsychotika (z. B. Levomepromazin) und/oder Benzodiazepinen (z. B. Lorazepam oder Midazolam) mit Haloperidol.
      • Allerdings liegen hierfür keine Studien vor.
    • Bei Vorherrschen einer sehr agitierten Form des Delirs kann auch Levomepromazin als Monotherapie indiziert sein.
    • Benzodiazepine sind als alleinige medikamentöse Therapie des Delirs nicht indiziert.

Maßnahmen und Empfehlungen

  • Maßnahmen zur Schlafhygiene: Für einen klaren Tagesrhythmus sorgen.
  • Einschränkung von Reizen
    • Für entsprechende Hör- und Sehhilfen sorgen.
    • Kathetereinsatz, intravenöse Zugänge oder andere physische Hindernisse möglichst einschränken.
  • Realitätsorientiertheit
    • Mit der betroffenen Person kommunizieren, um ihre Orientiertheit zu verbessern.
  • Möglichst stabiler Personalkontakt
  • Vertraute Möbel oder Gegenstände (Bilder o. Ä.) im Krankenzimmer aufstellen.
  • Körperliche Aktivität
    • Frühe Mobilisation, Immobilisation vermeiden.
  • Therapeutische Maßnahmen
    • Nahrungsaufnahme und Flüssigkeitshaushalt überwachen.
    • Schmerzen prüfen/behandeln.
    • Blasen- und Darmfunktion überwachen.
    • Medikamenteneinnahme prüfen.

Medikamentöse Therapie

  • Neuroleptikum, z. B.:
    • Haloperidol 0,5–2 mg oral bis zu 4 x tgl.
      • Alternativ: 0,5 mg intravenös alle halbe Stunde, bis die Wirkung eintritt.
    • Zu möglichen Alternativen bei Agitiertheit siehe Artikel Delir.
  • Ggf. zusätzlich Benzodiazepin, wenn eine Sedierung erforderlich ist, z. B.:
    • Midazolam 1–5 mg tgl. s. c.
    • Lorazepam 0,5–2,5 mg p. o./s. l.

Zwangsbehandlung?7

  • Delir-Patient*innen sind in der Regel nicht einwilligungsfähig.
  • Bei nicht einwilligungsfähigen Personen kann eine gesetzliche Betreuung eingerichtet werden.
  • Wird eine ärztliche Behandlung, z. B. intensivmedizinische Maßnahmen, Reanimation oder künstliche Ernährung, in einer gültigen Patientenverfügung ausgeschlossen, dann ist das rechtlich bindend und insbesondere in der Palliativsituation eine wertvolle Entscheidungshilfe im Sinne des erklärten Patientenwillens.
  • Ärztliche Behandlung gegen den natürlichen Willen der behandelten Person:
    • Ist in der Palliativsituation nur selten notwendig und gerechtfertigt.
    • Ist nur bei fehlender Krankheitseinsicht und Selbst- oder Fremdgefährdung, die anderweitig nicht abgewendet werden kann, zulässig.
    • Erfordert in der Regel die Einweisung in eine geschlossene stationäre Einrichtung. Unter welchen Voraussetzungen eine Zwangseinweisung erfolgen kann, ist im Einzelnen in länderspezifischen Unterbringungsgesetzen (PsychKG oder UBG) geregelt.
    • Immobile Personen dürfen unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb stationärer Einrichtungen gegen ihren natürlichen Willen ärztlich behandelt werden.8-10

Delir in der Sterbephase

  • Hypoaktives Delir
    • Bei sehr kurzer Lebenserwartung ist eine Behandlung in der Regel nicht angezeigt.
  • Hyperaktives Delir
    • Evtl. auslösende Faktoren, die behandelt werden können, sind zu ermitteln.
      • Schmerzen, Dehydrierung, Hypoxie, Angst
    • zur Linderung von Angst oder Unruhe ggf. Sedierung
  • Evtl. Haloperidol (z. B. 0,5–2 mg alle 2–12 Stunden), ggf. in Kombination mit Benzodiazepin (Off-Label-Use) (Dosierung s. o.)

Weitere palliative Therapien

Prävention

  • Eine akute Erkrankung, die Einweisung ins Krankenhaus oder in eine Pflegeeinrichtung können bei Älteren oder bei Personen mit schweren chronischen Erkrankungen ein Delir auslösen.
  • Die Beachtung möglicher Delir-Risikofaktoren trägt dazu bei, ein Delir in manchen Fällen zu vermeiden.

Leitlinie: NICE – Prävention von Deliren4

  1. Stabilität in der therapeutischen Umgebung sicherstellen.
    • Menschen mit erhöhtem Delirrisiko sollten möglichst von Personen betreut werden, die ihnen vertraut sind.
    • Transporte zwischen verschiedenen Bettplätzen, Räumen oder Stationen auf das absolut Notwendige beschränken.
  2. Maßgeschneidertes multimodales Interventionspaket
    • Risikoassessment: Bei Menschen mit erhöhtem Delirrisiko innerhalb von 24 Stunden nach der Einweisung klinische Faktoren ermitteln, die zu einem Delir beitragen können.
    • Auf Basis dieses Assessments für eine multimodale Intervention sorgen, orientiert am individuellen Bedarf der Person und am Versorgungssetting.
  3. Multidisziplinäres Team
    • Das mutlidiziplinäre Behandlungsteam sollte darin geschult sein, Delire zu erkennen und vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen.
  4. Auf kognitive Ausfälle oder Desorientierung achten.
    • Gute Beleuchtung und Sehhilfen sicherstellen.
    • Höruntersuchung, ggf. Maßnahmen ergreifen, um die Hörfähigkeit zu verbessern.
    • Uhren, Kalender u. Ä. zur Verfügung halten.
    • Erklären Sie der erkrankten Person, wo sie sich befindet, wer sie ist und welche Funktion Sie selbst innehaben.
    • Regelmäßige Besuche von Familie und Freund*innen erleichtern.
  5. Dehydrierung und Obstipation vermeiden.
    • Für ausreichende Flüssigkeitszufuhr sorgen.
      • Die betroffene Person auffordern, zu trinken.
      • Bei Bedarf ggf. subkutane oder intravenöse Flüssigkeitszufuhr anbieten.
    • Für das Management der Flüssigkeitsbilanz bei Komorbiditäten wie Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz ggf. fachlichen Rat einholen.
  6. Hypoxämie vermeiden.
    • Normale Sauerstoffsättigung im Blut mit den entsprechenden Maßnahmen sicherstellen.
    • Begrenzte Verlässlichkeit von Pulsoxymetern beachten.
  7. Infektionen bemerken.
    • Auf Infektionen untersuchen: Harnwegs-, Atemwegs- oder Hautinfektion treten am häufigsten auf.
    • Katheterisierung nach Möglichkeit vermeiden.
  8. Immobilität oder eingeschränkte Mobilität prüfen.
    • Nach Operationen früh mobilisieren.
    • Zum Gehen anregen, ggf. mit entsprechenden Hilfsmitteln, die jederzeit zugänglich sein sollten.
    • Zu Bewegungsübungen ermuntern, auch wenn die Patientin/der Patient nicht gehen kann.
  9. Schmerzen erkennen und behandeln.
    • Bei Demenzkranken oder bei Kommunikationsproblemen anderer Art auf nonverbale Anzeichen von Schmerzen achten.
    • In allen Fällen, in denen Schmerzen festgestellt oder vermutet werden, soll eine angemessene Schmerzbehandlung begonnen und überwacht werden.
  10. Medikation prüfen.
    • Besonders wichtig, wenn mehrere Medikamente verwendet werden.
    • Art und Zahl der Medikamente als potenzielle Auslöser von Deliren prüfen.
  11. Ernährungsstatus prüfen.
    • leitliniengerechte Ernährung*
    • Bei Zahnprothesen prüfen, ob sie gut passen.
  12. Auf sensorische Beeinträchtigungen prüfen.
    • Sehen und Hören untersuchen, bei Bedarf Zugang zu Hilfsmitteln sichern.
    • Die korrekte Anpassung von Hörgeräten und Brillen prüfen.
    • Ggf. Ohrenschmalz entfernen.
  13. Für guten Schlaf sorgen.
    • Schlafhygienemaßnahmen
    • Pflegemaßnahmen oder Behandlungen zur Schlafenszeit vermeiden.
    • Einnahmezeiten der Medikamente so anpassen, dass sie den Schlaf nicht stören.
    • Lärm in Schlafphasen vermeiden.

* Zur leitliniengerechten Ernährungstherapie in Palliativsituationen siehe den Artikel Kachexie und Dehydratation in der Palliativmedizin.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. AWMF-Leitlinie Nr. 128-001OL. S3, Stand 2020. www.dgpalliativmedizin.de
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. AWMF-Leitlinie Nr. 030-006. S1, Stand 2020. www.awmf.org

Literatur

  1. Pisani M. Assessment of delirium. BMJ Best Practice. Last reviewed: 22 Jan 2023, last updated: 26 Jul 2022. newbp.bmj.com
  2. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. AWMF-Leitlinie Nr. 128-001OL. S3, Stand 2020 www.dgpalliativmedizin.de
  3. Neufeld KJ, Thomas C. Delirium: definition, epidemiology, and diagnosis. J Clin Neurophysiol. 2013;30:438-442. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Delirium: prevention, diagnosis and management in hospital and long-term care. London: National Institute for Health and Care Excellence (NICE); 2023 Jan 18. PMID: 31971702 PubMed
  5. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. AWMF-Leitlinie Nr. 030-006, S1. Stand 2020. www.awmf.org
  6. American Psychiatric Association. Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5®. Deutsche Ausgabe herausgegeben von Falkai P und Wittchen HU. Mitherausgegeben von Döpfner M, Gaebel W, Maier W et al. Göttingen: Hogrefe 2018.
  7. Betreuungsrechtliche Praxis BtPrax Online-Lexikon Betreuungsrecht: Zwangsbehandlung. Bundesanzeiger-Verlag, Köln. Stand 21.02.2023 www.lexikon-betreuungsrecht.de
  8. Bundesverfassungsgericht Pressemitteilung Nr. 59/2016 vom 25. August 2016: Die Beschränkung ärztlicher Zwangsbehandlung auf untergebrachte Betreute ist mit staatlicher Schutzpflicht nicht vereinbar. www.bundesverfassungsgericht.de
  9. Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten. Bundesgesetzblatt, 17. Juli 2017; S. 2426-28. www.bgbl.de
  10. Stellungnahme der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts sowie zur Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung BT-Drucks. 19/24445. Stand 09.12.2020 www.lebenshilfe.de

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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