Harnwegsinfektionen in Pflegeeinrichtungen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Unkomplizierte Harnwegsinfektion
    • Eine Harnwegsinfektion (HWI) wird als unkomplizierte Harnwegsinfektion eingestuft, wenn im Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Anomalien, keine relevanten Nierenfunktionsstörungen und keine relevanten Begleiterkrankungen vorliegen, die eine Harnwegsinfektion bzw. gravierende Komplikationen begünstigen.1-2
    • Die meisten Patient*innen in Pflegeeinrichtung haben gemäß dieser Definition eine komplizierte Harnwegsinfektion und tragen ein erhöhtes Risiko für Komplikationen.
  • Untere Harnwegsinfektion (Zystitis)
    • Wird angenommen, wenn sich die akuten Symptome nur auf den unteren Harntrakt beziehen, z. B. neu aufgetretene Schmerzen beim Wasserlassen (Algurie), imperativer Harndrang, Pollakisurie, Schmerzen oberhalb der Symphyse.1
  • Obere Harnwegsinfektion (Pyelonephritis)
    • Sollte dann angenommen werden, wenn sich bei den akuten Symptomen z. B. auch Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Fieber (> 38 °C) finden.1
  • Asymptomatische Bakteriurie
    • Hiervon spricht man, wenn in einer Urinkultur bei asymptomatischen Patient*innen mindestens 105 koloniebildende Einheiten (KBE)/ml nachgewiesen werden. Da sich hieraus keine therapeutische oder prognostische Konsequenz ergibt, wird eine Urinuntersuchung bei asymptomatischen Patient*innen i. d. R. nicht empfohlen.2
  • Rezidivierende Zystitis
    • Eine rezidivierende Harnwegsinfektion wird angenommen, wenn eine Rezidivrate von ≥ 2 symptomatischen Episoden pro Halbjahr oder ≥ 3 symptomatische Episoden pro Jahr vorliegen.2

Häufigkeit

  • Die Häufigkeit einer symptomatischen oder asymptomatischen Bakteriurie steigt mit zunehmendem Alter und Morbidität.1
  • Bei 5 % der asymptomatischen Bakteriurien entwickelt sich im Verlauf eine symptomatische Infektion.3
  • In Pflegeeinrichtungen tritt bei 25–50 % der Frauen und bei 15–40 % der Männer eine Bakteriurie auf.1
  • Die Mehrzahl der Patient*innen mit transurethralem Verweilkatheter entwickelt nach 30 Tagen eine Bakteriurie, oft mit polymikrobieller Flora.3

Ätiologie und Pathogenese

  • Häufige Erreger der unkomplizierten HWI
    • Escherichia coli
    • Enterokokken
    • Proteus1 
  • Häufige Erreger der Katheter-assoziierten HWI3
    • Escherichia coli (43,6 %)
    • Enterokokken (23,0 %)
    • Pseudomonas aeruginosa (10,7 %)
    • Klebsiellen (10,3 %)
    • Proteus (9,6 %)
  • Resistenzen (Daten von GERMAP 2012)4
    • prozentualer Anteil resistenter Stämme von E. coli im ambulanten Bereich
      • gegen Ampicillin 42 %
      • gegen Cotrimoxazol 30 %
      • gegen Ciprofloxacin 20 %
      • gegen Nitrofurantoin 0,8 %
    • Enterokokken haben eine natürliche Resistenz gegen alle Cephalosporine.

Prädisponierende Faktoren

  • Hohes Alter
  • Inkontinenz
  • Katheterisierung
  • Obstipation
  • Komorbidität 
  • Reduzierter Allgemeinzustand
  • Risikofaktoren für rezidivierende Harnwegsinfekte sind:
    • Diabetes mellitus
    • funktionelle Behinderung
    • vorangegangener Geschlechtsverkehr
    • Operation im Bereich des Urogenitaltraktes
    • Harnverhalt 
    • Urininkontinenz.1

Leitlinie: Brennen beim Wasserlassen1

Häufige komplizierende Faktoren und Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf einer Harnwegsinfektion in der Hausarztpraxis

  • Auswahl von Faktoren, die bei geriatrischen Patient*innen zutreffen können:
    • männliches Geschlecht
    • funktionelle oder anatomische Besonderheiten
    • Z. n. OP
    • immunsupprimierte Patient*innen
    • Fieber, Flankenschmerz
    • urologische/renale Erkrankung
    • Nierensteine
    • innerhalb der letzten 2 Wochen:
      • Anlage eines Urinkatheters
      • Entlassung aus einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung
      • Antibiotikatherapie in den letzten 2 Wochen.

ICD-10

  • N39.0 Harnwegsinfektion, Lokalisation nicht näher bezeichnet
  • N39.0 B95.2 Harnwegsinfektion durch Enterokokken
  • N39.0 B96.2 Harnwegsinfektion durch Escherichia coli
  • N10 Akute tubulointerstitielle Nephritis
  • N11.0 Nichtobstruktive, mit Reflux verbundene chronische tubulointerstitielle Nephritis
  • N11.1 Chronische obstruktive Pyelonephritis
  • N11.8 Sonstige chronische tubulointerstitielle Nephritis
  • N11.9 Chronische tubulointerstitielle Nephritis, nicht näher bezeichnet
  • N12.0 Tubulointerstitielle Nephritis, nicht als akut oder chronisch bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  1. Klinik
    • lokale oder allgemeine Symptome einer Harnwegsinfektion
  2. Urindiagnostik
    • Urinstreifentest: Nachweis von Leukozyten, Blut und/oder Nitrit
    • Urinkultur: Nachweis einer Bakteriurie
    • Ein positiver Befund in der Urindiagnostik ist nicht aussagekräftig bei asymptomatischen Patient*innen. Dies gilt insbesondere für Patient*innen mit Dauerkatheter!5
  3. Bildgebung

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Spezifische Symptome einer Harnwegsinfektion können sein:1-2
    • Dysurie, Pollakisurie
    • imperativer Harndrang
    • Schmerzen oberhalb der Symphyse
    • Flankenschmerzen
    • klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Temperatur > 38 °C.
  • Spezifische Symptome können v. a. bei älteren Patient*innen vollständig fehlen oder bei älteren Menschen schwierig zu deuten sein.
    • Die Eigenanamnese ist oft nur eingeschränkt möglich, die Fremdanamnese durch das Pflegepersonal liefert wichtige Hinweise.
  • Prädiktoren für HWI bei Bewohner*innen einer Pflegeeinrichtung1 
    • In einer Studie an Bewohner*innen einer Pflegeeinrichtung – ohne Katheterträger*innen – haben sich folgende Faktoren als prädiktiv für einen HWI erwiesen:6
      • Dysurie (Risikorate 1,49; 1,07–1,90)
      • Änderung im Aussehen des Urins (Risikorate 1,46; 1,14–1,79)
      • Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten (Risikorate 1,38; 1,03–1,74)
    • weitere Prädiktoren bei geriatrischen Patient*innen
      • sexuelle Aktivität, vorangegangener Geschlechtsverkehr
      • Urininkontinenz
      • Vaginitis
      • kognitive Einschränkungen
      • funktionelle Behinderungen
      • Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens
      • Diabetes mellitus
      • Operationen im Urogenitalbereich
      • Harnverhalt
  • Allgemeine Symptome
    • reduzierter Allgemeinzustand
    • Unruhe, Verwirrtheit
    • Appetitlosigkeit
    • Sturzneigung
    • Übelkeit, Erbrechen.
  • Allgemeine Symptome können die einzigen Symptome sein.
  • Bei VerwirrtheitszuständenDelir oder Verhaltensstörungen bei Demenz sollte eine Harnwegsinfektion oder eine andere Infektionskrankheit ausgeschlossen werden.

Klinische Untersuchung

  • Häufig keine oder nur wenige lokale Symptome
    • evtl. Schmerzempfindlichkeit im Bereich der Blase
    • evtl. Schmerzempfindlichkeit im Oberbauch oder Nierenlager

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Urindiagnostik

Leitlinie: Brennen beim Wasserlassen1

Uringewinnung

  • Für eine orientierende Urinuntersuchung (z. B. mittels Teststreifen) kann bei entsprechender Fragestellung auf eine Gewinnung von Mittelstrahlurin (zugunsten von Spontanurin) sowie auf eine Reinigung des Introitus vaginae bzw. der Glans penis verzichtet werden.
  • Weiterführende laborchemische und/oder mikrobiologische Untersuchungen erfordern jedoch eine exakte Gewinnung und Verarbeitung des Urins, in der Regel von Mittelstrahlurin. Kontaminationen durch Urethral- und/oder Umgebungsflora sind hierbei gering zu halten.

Urinmikroskopie

  • Mit der Urinmikroskopie kann bei entsprechender Erfahrung eine Harnwegsinfektion weitgehend ausgeschlossen werden (Ia).

Bakteriologische Kultur

  • Urinproben für die kulturelle mikrobiologische Diagnostik sind unverzüglich zu verarbeiten.
  • Bei einer Probengewinnung am Nachmittag oder in den Nachtstunden und bei fehlender Transport- bzw. sofortiger Verarbeitungsmöglichkeit der Probe, ist der Urin gekühlt bei 2–8 °C zu lagern.
  • Indikationen zur Durchführung einer Urinkultur sind z. B.:
  • Wenn bei Männern mit einer Harnwegsinfektion eine Indikation zur Antibiotikatherapie gestellt wird, sollte vor Therapiebeginn eine Urinkultur durchgeführt und entsprechend resistenzgerecht behandelt werden (B).
  • Indikationen1-3
    • nicht routinemäßig (kein Screening auf Bakteriurie)
    • nur bei klinischem Verdacht auf eine Infektion
    • ggf. zur Therapiekontrolle
    • bei unklarem Fieber
  • Bewertung
    • Weil asymptomatische Bakteriurien bei geriatrischen Patient*innen sehr häufig vorkommen, ist weder ein positiver Streifentest noch eine positive Urinkultur allein ausreichend, um einen Harnwegsinfekt zu diagnostizieren.1
  • Urinteststreifentest1
    • Sind Nitrit und Leukozytenesterase negativ, dann liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Bakteriurie vor (Negativ prädiktiver Wert 88 %).1,7
    • Mögliche Störfaktoren beachten – siehe Tabelle Urinstreifentest, Störfaktoren.
  • Urinkultur1
    • Goldstandard zur Diagnostik eines Harnwegsinfekts
    • Probe aus dem Mittelstrahl, sofern möglich
    • Einmalkatheterisierung, wenn Mittelstrahl nicht möglich ist.
    • Urinprobe unverzüglich bearbeiten.
    • Bei später Probengewinnung (nachmittags oder nachts) oder fehlendem Transport muss die Probe bei 2–8 °C gelagert werden.
    • Die Grenzen für den Nachweis unrinpathogener Errreger liegen bei:1
      • 103 cfu/ml für die Diagnose eines akuten Harnwegsinfektes bei Frauen (Mittelstrahlurin)
      • 104 cfu/ml für die Diagnose einer akuten Pyelonephritis (Mittelstrahlurin)
      • 105 cfu/ml für die Diagnose einer asymptomatischen Bakteriurie (Mittelstrahlurin)
        • bei Frauen Nachweis in zwei konsekutiven Kulturen
        • bei Männern einer Kultur
      • bei Gewinnung durch Katheter und einzelner Bakterienspezies >   102 cfu/ml.
    • Urinkatheterprobe3
      • Einmalkatheter (nur bei Frauen)
        • Wenn ein Mittelstrahlurin nicht gewonnen werden kann.
        • Durchführung nur von einer im transurethralen Katheterismus geschulten Person
        • Möglichst Katheterset verwenden.
        • hygienische Händedesinfektion und aseptisches Katheterisieren mit sterilen Handschuhen
        • Auffangen der Urinprobe im Einmalbecher, die erste Portion verwerfen.
      • Dauerkatheter
        • bakteriologische Untersuchung nur bei klinischer Symptomatik oder vor Operationen am Harntrakt oder aus epidemiologischen Gründen
        • Bei Verdacht auf einen Harnwegsinfekt bei Patient*innen mit liegendem Harnwegskatheter sollte eine Urinkultur aus einem neugelegten Urinkatheter gewonnen werden (B).1
        • keine Diskonnektion von Katheter und Drainagesystem außer bei spezifischen Indikationen
        • Probengewinnung durch Punktion und Aspiration nur an der dafür vorgesehenen patientennahen Entnahmestelle eines geschlossenen Harndrainagesystems2-3
        • hygienische Händedesinfektion vor und nach jeder Manipulation am Blasenverweilkatheter oder Drainagesystem
        • Ansammeln des Urins durch Abklemmen des Ableitungsschlauchs 3–5 cm distal der Entnahmestelle
        • Wischdesinfektion mit einem geeigneten alkoholischen Präparat an der dafür vorgesehenen Entnahmestelle
        • Desinfektionsmittelreste mit sterilem Tupfer entfernen.
        • Einmalhandschuhe anziehen vor Punktion der Entnahmestelle mit einer sterilen 10- bis 20-ml-Spritze.

Bildgebende Diagnostik

Leitlinie: Brennen beim Wasserlassen1

  • Bei Patient*innen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen sollten eine Urinkultur und einmalig eine Sonografie erfolgen. Eine weitere invasive Diagnostik sollte nicht erfolgen (B).
  • Bei der Diagnostik der akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen sollen zum Ausschluss von komplizierenden Faktoren weitergehende Untersuchungen (z. B. Sonografie) erfolgen (A).

Diagnostik bei Spezialist*innen

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei unklarer Diagnose
  • Bei schwerem Verlauf
    • Kreislaufinstabilität, V. a. Sepsis
    • Übelkeit, Erbrechen
    • Delir
  • Zur parenteralen Therapie
  • Bei Grunderkrankungen, die das Auftreten von schwerwiegenden Komplikationen wahrscheinlich machen:

Therapie

Therapieziele

  • Infektionsherd sanieren.
  • Komplikationen verhindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Da bei Bewohner*innen von Pflegeinrichtungen zumeist komplizierende Faktoren vorliegen, ist bei Symptomatik in der Regel eine Antibiotikatherapie indiziert.
    • Bei der Auswahl des Medikaments ist neben der lokalen Resistenzlage auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Begleiterkrankungen und ggf. eine Anpassung der Dosis bei Niereninsuffizienz zu achten.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Praktische Empfehlungen, bei denen der sichere Nachweis einer direkten Wirkung weitestgehend aussteht:1
    • ausreichende Trinkmenge (mind. 2 l/d; Kontraindikationen beachten, z. B. Herzinsuffizienz)
    • vollständige, regelmäßige Entleerung der Blase
    • Wärmeapplikation bei Schmerzen
    • Abwischtechnik nach dem Stuhlgang von vorne nach hinten

Medikamentöse Therapie

  • Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen:
    • Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung.
    • Keine Kombination mit Kortikosteroiden.
    • Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.8

Leitlinie: Brennen beim Wasserlassen1

  • Kriterien für die antibiotische Behandlung eines Harnwegsinfektes bei geriatrischen Patient*innen:

Patient*innen ohne Katheter

  • Akute Dysurie allein oder Fieber (37,9 °C oder Anstieg um 1,5 °C über die individuelle Basistemperatur) und eines der folgenden Symptome:
    • neu aufgetretener oder verstärkter Harndrang
    • Pollakisurie
    • suprapubische Schmerzen
    • Makrohämaturie
    • schmerzhaftes Nierenlager
    • Harninkontinenz.

Patient*innen mit Urindauerkatheter (transurethral oder suprapubisch)

  • Akute Dysurie allein oder Fieber (37,9 °C oder Anstieg um 1,5 °C über die individuelle Basistemperatur) oder eines der folgenden Symptome:
    • neu aufgetretener Schmerz der Nierenlager
    • Schüttelfrost mit oder ohne erkennbare Ursache
    • Verschlechterung des mentalen Zustands, z. B. neu aufgetretenes Delir.

Einschränkungen

  • Einschränkend zu diesen Kriterien soll Folgendes bedacht werden:
    • Auch schwere Infekte im Alter gehen häufig ohne Fieber einher. Bei bis zu 30 % der geriatrischen Patient*innen fehlt Fieber als Symptom im Rahmen eines schweren Infektes.
    • Die Harninkontinenz als Kriterium ist nur ein schwacher Prädiktor. Eine Beschränkung z. B. auf Patient*innen mit neu aufgetretener Inkontinenz ist nicht vorgenommen worden.
  • Keine Antibiotikatherapie bei asymptomatischer Bakteriurie!
  • Patient*innen mit Blasenverweilkathetern haben i. d. R. eine Bakteriurie, die nur bei Symptomen einer klinischen Infektion behandelt wird.
    • Dies gilt auch beim Nachweis von Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) oder ESBL-produzierenden gramnegativen Stäbchenbakterien.
    • Übelriechender oder trüber Urin sind keine Indikationen zur Therapie.

Leitlinie: Antibiotische Behandlung bei Harnwegsinfekten1-2,5

Empfehlung für eine Antibiotikatherapie1

  • Keine Antibiotika bei asymptomatischer Bakteriurie
  • Grundsätzliche Überlegungen vor einer Antibiotikatherapie:
    • korrekte Diagnosestellung
    • kritische Indikationsstellung
    • Lokale Resistenzlage bedenken.

Unkomplizierte untere Harnwegsinfektion2

  • Nach DEGAM-Leitlinie
    • Bei der akuten unkomplizierten Zystitis sollte eine antibiotische Therapie empfohlen werden (B).
      • Bei Patient*innen mit leichten/mittelgradigen Beschwerden kann die alleinige symptomatische Therapie als Alternative zur antibiotischen Behandlung erwogen werden (B).
      • Eine partizipative Entscheidungsfindung mit den Patient*innen ist notwendig (B).
    • Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann Mannose empfohlen werden. Alternativ können verschiedene Phytotherapeutika (z. B. Präparate aus Bärentraubenblättern [max. 1 Monat], Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel) erwogen werden (C).
    • Bei unkomplizierter Zystitis soll vorzugsweise eines der folgenden Antibiotika eingesetzt werden (in alphabetischer Reihenfolge) (A):
      • Fosfomycin-Trometamol, 3.000 mg 1 x für 1 Tag
      • Nitrofurantoin, 50 mg 4 x tgl. für 7 Tage
      • Nitrofurantoin Retardform, 100 mg 2 x tgl. für 5 Tage
      • Nitroxolin, 250 mg 3 x tgl. für 5 Tage
      • Pivmecillinam, 400 mg 2–3 x tgl. für 3 Tage
      • Trimethoprim (bei Resistenzraten < 20 %), 200 mg 2 x tgl. für 3 Tage.
    • Fluorchinolone und Cephalosporine sollen nicht als Antibiotika der 1. Wahl bei der unkomplizierten Zystitis eingesetzt werden (A).
  • Nach Leitlinie der DGU werden vier Antibiotika zur möglichen Erstlinientherapie bei unkomplizierter Harnwegsinfektion bei Frauen empfohlen.2
    1. Fosfomycin-Trometamol, Einmaldosis 3 g
      • Die hohen Behandlungskosten und die relative Kontraindikation bei Niereninsuffizienz (GFR < 80 ml/min) sind zu beachten.
      • Einnahme nüchtern (ca. 2 Stunden vor bzw. nach der Mahlzeit)9
    2. Nitrofurantoin: 50 mg 4 x/d über 7 Tage2 oder Retardform (2 x 100 mg für 5 Tage)2
      • Kann aufgrund niedriger Resistenzraten und Kollateralschäden als Alternative zu Fosfomycin-Trometamol bei der empirischen Therapie der unkomplizierten Zystitis eingesetzt werden.
      • Nitrofurantoin kann interstitielle Pneumonien und Lungenfibrosen sowie Neuropathien verursachen und ist bei Niereninsuffizienz kontraindiziert.
      • Ist kostengünstig.
    3. Nitroxolin: 250 mg 3 x/d über 5 Tage
    4. Pivmecillinam: 400 mg 2- bis 3-mal/d über 3 Tage
      • Ein Betalaktam-Antibiotikum, das ausschließlich zur Behandlung einer Zystitis zugelassen ist.
      • seit 2016 in Deutschland zugelassen
    • Darüber hinaus kann Trimethoprim (200 mg 2 x/d über 3 Tage) eingesetzt werden, wenn die lokalen Resistenzraten unter 20 % liegen.

Leichte bis mittelschwere Pyelonephritis bei gesunden Erwachsenen (keine Risikofaktoren)2

  • Orale Therapie
  • Ciprofloxacin 500–750 mg 2 x tgl. über 7–10 Tage
  • Levofloxacin 750 mg 1 x tgl. über 5 Tage
  • Cefpodoxim-Proxetil 200 mg 2 x tgl. über 10 Tage
    • Cefpodoxim wird in der DEGAM-Leitlinie als gleichwertige Therapieoption genannt.1
  • Bei klinischer Besserung nach 72 Stunden Fortsetzung der Behandlung; bei fehlender Besserung Umstellung auf parenterale Therapie mit anderen Antibiotika, möglichst nach Resistogramm (s. u.)
  • Urinkultur am 4. Therapietag und ca. 10 Tage nach Therapieende

Komplizierte Harnwegsinfektion5

  • Empfohlene Medikamente
    • Amoxicillin + Aminoglykosid
    • Cephalosporin der 2. Generation + Aminoglykosid
    • Cephalosporin der 3. Generation i. v. bei systemischen Symptomen
    • Ciprofloxacin (z. B. 500–750 mg 2 x tgl. über 7–10 Tage) nur, falls
      • lokale Resistenzraten < 10 % – oder –
      • keine Hospitatalisierung erforderlich ist – oder –
      • eine Betalaktam-Allergie vorliegt.
  • Nicht verwendet werden sollten aufgrund der Resistenzlage:
    • Amoxicillin +/– Clavulansäure
    • Trimethoprim +/– Sulfamethoxazol.

Katheterassoziierte Harnwegsinfekte5

  • Keine Therapie bei asymptomatischen Patient*innen, unabhängig vom Nachweis einer Bakteriurie
  • Keine prophylaktische Antibiotikagabe
  • Entfernung oder Wechsel des Katheters vor Beginn der antibiotischen Behandlung
  • Abnahme einer Urinkultur vor Therapiebeginn
  • Keine Verwendung von topischen Antibiotika
  • Strenge Indikationsstellung für Anlage eines Dauerkatheters
  • Dauer der Behandlung: 7 Tage1

Weitere Therapien

  • Behandlung einer ggf. vorhandenen Obstipation
  • Spasmolytika haben keine kausale Wirkung gegen die Infekterreger. Ihr Nutzen zur Symptomkontrolle ist nicht erwiesen.1
  • Analgetische Therapie bei Bedarf unter Beachtung der Kontraindikationen/Begleiterkrankungen/Medikamentenwechselwirkungen.

Prophylaxe bei rezidivierendem HWI

  • Die beste Prävention ist die restriktive Indikationsstellung zur Anlage eines Harnblasenkatheters.1
    • Bei liegendem Harnblasenkatheter sollte die Indikation fortlaufend überprüft werden. 
  • Bei rezidivierenden Infektionen (mind. 3 Infektionen pro Jahr oder mind. 2 Infektionen in 6 Monaten) sollten prophylaktische Maßnahmen erwogen werden.2
    • Bei älteren Frauen sollte vor Beginn einer antibiotischen Prophylaxe eine vaginale Östrogentherapie (0,5 mg Estriol/d) durchgeführt werden.2
    • Bei Patient*innen mit Diabetes mellitus und stabiler Stoffwechsellage hängt die therapeutische Strategie von den klinischen Symptomen und prädisponierenden Faktoren (zusätzliche Pilzinfektionen, Arzneimittelinteraktionen) ab.2
    • Vor Beginn einer antibiotischen Prophylaxe sollte das Immunprophylaktikum OM-89 oral über 3 Monate eingesetzt werden.2
      • Enthält Zellwandbestandteile von 18 uropathogenen E.-coli-Stämmen.
      • Auch die Immunprophylaxe durch einen parenteral zu verabreichenden Wirkstoff kann versucht werden.
    • Die Einnahme von Mannose kann empfohlen werden. Darüber hinaus kann die Verwendung von Phytopharmaka (z. B. Präparate aus Bärentraubenblättern [max. 1 Monat], Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel) versucht werden.2
    • Ein eindeutiger prophylaktischer Nutzen von Cranberry-Präparaten bei geriatrischen Patient*innen konnte nicht belegt werden.1
  • Weitere vorbeugende Maßnahmen zur Prophylaxe einer HWI können u. a. sein:10
    • Regelmäßig viel trinken (z. B. 2–3 l/d).
    • Analhygiene
    • keine übertriebene Genitalhygiene.
  • Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau sollte nach Versagen von Verhaltensänderungen und nicht-antibiotischen Präventionsmaßnahmen sowie bei hohem Leidensdruck der Patientin eine kontinuierliche antibiotische Langzeitprävention über 3–6 Monate eingesetzt werden.2
  • Antibiotische Langzeitprophylaxe (lokale Resistenzlage beachten!)2
    • Cotrimoxazol 40/200 mg 1 x tgl.
    • Cotrimoxazol-Trimethoprim 40/200 mg 3 x/Woche
    • Nitrofurantoin 50–100 mg 1 x tgl.
    • Cefaclor 125–250 mg 1 x tgl.
    • Norfloxacin 200 mg 1 x tgl.
    • Ciprofloxacin 125 mg 1 x tgl.
    • Fosfomycin-Trometamol 3 g alle 10 Tage
    • Bei allen Präparaten die Vorteile der prophylaktischen Anwendung gegen mögliche Nebenwirkungen abwägen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Normalerweise tritt nach 1–3 Tagen der Antibiotikatherapie eine Besserung ein.

Komplikationen

Prognose

  • Harnwegsinfektionen haben i. d. R. eine gute Prognose.
  • Hohes Alter und Komorbidität können eher zu Komplikationen führen.

Verlaufskontrolle

  • Überprüfung des klinischen Zustandes nach 48–72 h
    • Bei Besserung Therapie fortsetzen.
    • Bei ausbleibender Besserung ist i. d. R. eine parenterale Therapie erforderlich.
  • Urinkontrolle bei symptomfreien Patient*innen ist nicht erforderlich (bei Pyelonephritis nach 4 Tagen).2

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Bakterien im Urin sind ein häufiges Phänomen und bedürfen nur einer Therapie, wenn sie Beschwerden verursachen.
  • Generell hat eine Harnwegsinfektion eine gute Prognose, doch hohes Alter und ein reduzierter Gesundheitszustand erhöhen das Risiko für einen komplizierten Verlauf.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU). Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 043-044. S3, Stand 2017. www.awmf.org
  • European Association of Urology (EAU). EAU Guidelines on Urological Infections. Update 2022. www.uroweb.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Brennen beim Wasserlassen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Brennen beim Wasserlassen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-001. S3, Stand 2018. www.awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU). Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 043-044, Stand 2017. www.awmf.org
  3. Bundesgesundheitsblatt 2015. Prävention und Kontrolle Katheter-assoziierter Harnwegsinfektionen. Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim RKI. 58: 641-650. Springer 2015. www.rki.de
  4. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V., Infektiologie Freiburg. GERMAP 2012 – Bericht über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland. Antiinfectives Intelligence, Rheinbach, 2014. www.bvl.bund.de
  5. European Association of Urology (EAU). EAU GUIDELINES ON UROLOGICAL INFECTIONS. Update 03/2022. www.uroweb.org
  6. Juthani-Mehta M, Quagliarello V, Perrelli E, Towle V, Van Ness PH, Tinetti M. Clinical features to identifyurinary tract infection in nursing home residents: a cohort study. Journal of the American Geriatrics Society. 2009;57(6): 963-70. PMID: 19490243 PubMed
  7. Sundvall PD, Gunnarsson RK. Evaluation of dipstick analysis among elderly residents to detect bacteriuria: a cross-sectional study in 32 nursing homes. BMC Geriatrics. 2009; 9: 32. PMID: 19635163 PubMed
  8. BfArM. Fluorchinolone: Einschränkungen in der Anwendung aufgrund von möglicherweise dauerhaften und die Lebensqualität beeinträchtigenden Nebenwirkungen 16.11.18. www.bfarm.de
  9. Gelbe Liste Fachinformation: Fosfomycin Aristo® 3000 mg www.gelbe-liste.de
  10. Zieschang M, Walter S. Alles Cipro? Unkomplizierte Harnwegsinfektionen werden heute anders behandelt. Arnzeimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDAE), Bd. 42, Heft 4, Okt. 2015. akdae.de

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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