Zusammenfassung
- Definition:Eine durch das Japan-Enzephalitis-Virus (JEV) verursachte und durch Stechmücken übertragene Virusenzephalitis, die in Südostasien weit verbreitet ist.
- Häufigkeit:Endemisch in Südostasien und den asiatischen Pazifikstaaten. Laut WHO etwa 69.000 symptomatische Fälle pro Jahr, 10.000 davon mit tödlichem Ausgang.
- Symptome:Fieber, Kopfschmerzen, Erbrechen, epileptische Anfälle, Bewusstseinsminderung und variable fokal-neurologische Defizite.
- Befunde:Neurologische Ausfälle bei fieberhaftem Infekt.
- Diagnostik:Labordiagnostik, Erregernachweis (z. B. PCR), Antikörperbestimmung, zerebrale Bildgebung.
- Therapie:Es gibt keine spezifische Behandlung; supportive und symptomatische Therapie.
Allgemeine Informationen
Definition
- Die Japanische Enzephalitis (JE), auch Japan-B-Enzephalitis, ist eine Viruserkrankung, die in der asiatisch-pazifischen Region weit verbreitet ist.
- Das Japan-Enzephalitis-Virus (JEV) gehört zur Gattung der Flaviviren.1-3
- Übertragung durch Stechmücken
- Symptomatische Verläufe mit Enzephalitis bzw. Meningoenzephalitis selten (0,1–1 %)2,4
- Es existiert keine spezifische Behandlung, die Therapie erfolgt symptomorientiert.
- Eine Schutzimpfung gegen das JEV steht zur Verfügung und wird in Endemiegebieten empfohlen.2
Häufigkeit
- Weltweit die häufigste epidemische Enzephalitis2
- Nach Schätzungen gibt es etwa 69.000 Fälle mit Erkrankungssymptomen in den Endemiegebieten pro Jahr.1-2,4
- davon etwa 10.000 Todesfälle
- vermutlich höhere Dunkelziffer
- Die Inzidenz ist abhängig von der Impfquote der Region.
- Betroffen sind überwiegend Kinder.4
- im Erwachsenenalter oft Immunität in endemischen Gebieten
- Wiederholt regionale Ausbrüche (z. B. 2005 in Indien, 1997 in Nepal)
- Gehäuftes Auftreten im ländlichen Raum sowie in der Nähe von Reisfeldern und in wasser- und sumpfreichen Gebieten1
Ätiologie und Pathogenese
Erreger
- Der Japan-Enzephalitis-Virus (JEV) gehört zur Gattung der Flaviviren (Familie Flaviviridae).
- Verwandtschaft mit anderen Flaviviren1,4
- hohe Ähnlichkeit zu Viren der Japan-Enzephalitis-Virus-Gruppe, z. B. Murray-Valley-Enzephalitis-Virus, St.-Louis-Enzephalitis-Virus und West-Nil-Virus
- morphologische und genetische Ähnlichkeit mit dem Gelbfiebervirus1
- weitere zu der Gruppe der Flaviviren gehörende Viren:
- Das hauptsächliche Erregerreservoir bilden Schweine und Wasservögel.
Transmission
- Transmission über Stechmücken der Spezies Culex, hauptsächlich Culex tritaeniorhynchus (Reisfeldmücke)
- Hauptsächliche Übertragungszeit sind die warmen Jahreszeiten.
- Intensivierung durch Regenperioden und Erntezeiten in den Reisanbaugebieten2
- Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung über Bluttransfusionen ist beschrieben.7
Pathogenese4
- Periphere Inokulation und primäre Virusreplikation in den Lymphknoten
- Nachweis von Virus-RNA in Monozyten und T-Zellen
- Anschließend Virämie und Ausbreitung in das ZNS mit Replikation in den Neuronen
- Der Mechanismus der ZNS-Infiltration ist nicht bekannt, jedoch ist eine hämatogene Ausbreitung anzunehmen.
- Inkubationszeit etwa 5 Tage nach subkutaner Injektion und 7–10 Tage nach intranasaler Injektion
- Das klinische Bild bei symptomatischen Fällen variiert von unspezifischem Fieber bis hin zu einer schweren Meningoenzephalitis.
- manifeste Enzephalitis in etwa 0,1–1 % der JEV-Infektionen
- Die überwiegende Zahl der Infektionen verläuft asymptomatisch oder mild.
- Nach der Exposition kommt es zur Produktion neutralisierender Antikörper.
- Die niedrige Inzidenz unter Erwachsenen in Endemiegebieten suggeriert eine lebenslange Immunität.
- Nahezu alle Erwachsenen in endemischen Gebieten wurden seropositiv getestet.
Prädisponierende Faktoren
- Aufenthalt in einem endemischen Gebiet ohne Schutzimpfung
- Das Risiko für Reisende ist gering.
- Inzidenz ca. 1/200.000 bis 1/1.000.000 bei Reiserückkehrer*innen
ICPC-2
- N71 Meningitis/Enzephalitis
ICD-10
- Nach ICD-10-GM Version 20218
- A83.0 Japanische Enzephalitis (Japan-B-Enzephalitis)
Diagnostik
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4
Diagnostische Kriterien
- Klinisches Bild einer infektiösen Enzephalitis
- Aufenthalt in einem endemischen Risikogebiet
- bisher keine autochthonen Infektionen in Europa
- Diagnosesicherung durch einen serologischen oder direkten Erregernachweis
Differenzialdiagnosen
- Grippaler Infekt
- Influenza
- Malaria
- Autoimmunenzephalitis
- Bakterielle Meningitis
- Andere erregerbedingte Meningitis/Enzephalitis
- Andere Reise- und Tropen-Krankheiten
Anamnese
- Vorangegangene Aufenthalte bzw. Reisen in Endemiegebiete (Südostasien)
- erhöhtes Risiko bei gehäuften Insektenstichen
- Die Inkubationszeit liegt bei 5–15 Tagen.
- Die meisten Fälle verlaufen subklinisch oder milde unspezifisch.
- Beginn mit unspezifischen Symptomen wie Fieber oder Schnupfen
- meist 3–4 Tage vor den enzephalitischen Beschwerden
- Klinische Symptome der (Meningo-)Enzephalitis
- Kopfschmerzen
- Übelkeit und Erbrechen
- Verwirrtheit
- Bewusstseinsstörung (Vigilanzminderung)
- epileptische Anfälle
- fokal-neurologische Defizite, z. B. Lähmungen oder Sprach- und Sprechstörungen
- Hirnnervenbeteiligung, z. B. Fazialisparese
- Bewegungsstörungen, z. B. Hemiballismus oder Symptome eines Parkinson-Syndroms bei Beteiligung der Basalganglien
- Mögliche Begleitsymptome bei JEV-Infektion
- Splenomegalie
- Hepatomegalie
- Thrombozytopenie
- Lungenödem
Klinische Untersuchung
- Allgemeine körperliche Untersuchung
- Vitalparameter (z. B. Fieber)
- Organomegalie
- Neurologische Untersuchung
- Vigilanzminderung (Glasgow Coma Scale)
- Orientierung (Zeit, Ort, Person, Situation)
- Meningismus (schmerzhafte Nackensteifigkeit bei passiver Kopfneigung)
- Hirnnervenausfälle
- Sprach- oder Sprechstörungen
- motorische oder sensible Defizite
- Bewegungs- oder Koordinationsstörungen
Ergänzende Untersuchungen im Krankenhaus
- Labordiagnostik – Routine-Labor
- unspezifische Veränderungen, z. B. Leukozytose, Hyponatriämie, Thrombozytopenie
- Procalcitonin (PCT) bei viraler Meningitis meist normwertig
- Lumbalpunktion und Liquordiagnostik
- Liquorpleozytose mit erhöhter Zellzahl
- initial oft Mischpleozytose mit Lympho-, Mono- und Granulozyten, im Verlauf lymphozytäre Pleozytose
- Gesamtprotein und Laktat normal oder nur gering erhöht
- Liquorpleozytose mit erhöhter Zellzahl
- Erregerdiagnostik des Japan-Enzephalitis-Virus (JEV) im Blut oder Liquor
- JEV-spezifisches Immunoglobulin M (IgM)
- im Liquor etwa an Tag 7 nachweisbar
- JEV-Antikörper im Serum sind unspezifischer.
- auch bei milder koinzidenteller Infektion, nach Impfung oder zurückliegender Erkrankung möglich
- Kreuzreaktionen mit anderen Anti-Flavivirus-Antikörpern sind zu beachten (FSME, Gelbfieber, Dengue, West-Nil-Fieber, St.-Louis-Enzephalitis u. a.).
- direkter Erregernachweis mittels Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR)
- z. T. unzureichende Sensitivität, insbesondere aus Blut
- Nachweis aus Urin möglich
- JEV-spezifisches Immunoglobulin M (IgM)
- Zerebrale Bildgebung (MRT, nur ersatzweise CCT)
- MRT dient der Differenzialdiagnose.
- Raumforderungen oder andersartige entzündliche Prozesse wie Abszesse oder ADEM
- Asymmetrische Läsionen der Stammganglien und Thalami sind typisch bei Arboviren (u. a. FSME, JEV).
- Veränderungen im CT sind für die Diagnosestellung oft zu spät.
- Im CT sind Hypodensitäten der Thalami typisch, jedoch unspezifisch, da sie auch bei anderen Flavivirus-Enzephalitiden vorkommen.
- MRT dient der Differenzialdiagnose.
- Neurologische Zusatzdiagnostik (z. B. EEG)
- Diagnostik für JEV in Rücksprache mit Tropeninstituten und Speziallaboren
- z. B. Nationales Referenzzentrum für Tropische Infektionserreger am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg oder Speziallabor für hochpathogene virale Erreger am RKI, Berlin
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Therapie
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-5
Therapieziele
- Stabilisierung der Vitalfunktionen
- Vermeidung von Komplikationen wie Krampfanfälle und Hirndruck
- Vermeidung von langfristigen neurologischen Schäden
- Schutzimpfungen zur Prävention bei Reisen in endemische Gebiete
Allgemeines zur Therapie
- Es ist keine spezifische Therapie gegen das JEV verfügbar.
- Studien mit Interferon und Ribavirin ohne verbessertes Outcome
- Falls eine bakterielle Meningoenzephalitis nicht auszuschließen ist, wird empfohlen, zunächst zusätzlich Antibiotika zu geben (z. B. Cephalosporine der Gruppe 3).
- Symptomatische und supportive Therapie
- Flüssigkeitssubstitution
- optimales Temperaturmanagement
- ausreichende Ernährung
- Therapie vegetativer Entgleisungen und Atemstörungen
- Analgetika und Sedativa nach Bedarf
- Therapie von Komplikationen
- bei epileptischen Anfällen oder auffälligem EEG Therapie mit einem Antikonvulsivum
- bei erhöhtem Hirndruck Osmotherapeutika (z. B. Mannitol)
- therapeutischer Effekt der Entlastungstrepanation nicht gesichert
- Ausgleich von Elektrolytstörungen, z. B. Salzverlustsyndrom oder Diabetes insipidus
Prävention
- Das Ansteckungsrisiko nimmt mit Schutzmaßnahmen gegen Mückenstiche ab:
- Insektenschutzmittel
- eng anliegende, langärmelige Bekleidung
- nachts Moskitonetze, mit Insektiziden imprägniert
- Mückenbekämpfung im Umfeld von Wohnstätten.
Schutzimpfung auf Reisen
- Indikationen für eine Reiseimpfung
- Aufenthalte in Endemiegebieten (Südostasien, weite Teile von Indien, Korea, Japan, China, West-Pazifik, Nordaustralien) während der Übertragungszeit
- insbesondere bei:
- Reisen in aktuelle Ausbruchsgebiete
- Langzeitaufenthalt (> 4 Wochen)
- wiederholten Kurzzeitaufenthalten
- voraussehbarem Aufenthalt in der Nähe von Reisfeldern und Schweinezucht (nicht auf ländliche Gebiete begrenzt)
- Für Kurzzeitreisende (unter 4 Wochen) außerhalb der Übertragungszeit ist eine JEV-Impfung nicht vorrangig empfohlen.
- jedoch großzügige Indikationsstellungen bei Wunsch nach optimalem Schutz, da gute Verträglichkeit des Impfstoffes
- In Deutschland ist derzeit nur ein inaktivierter Ganzvirusimpfstoff (IXIARO) zugelassen.
- Grundimmunisierung für alle Altersklassen mit 2 Impfstoffdosen
- reduzierte Dosis für Kinder im Alter von 2 Monaten bis 3 Jahren
- Schnellimpfschema für Erwachsene im Alter von 18–65 Jahren
- Grundimmunisierung mit beiden Dosen im Abstand von 1 Woche
- Auffrischungsimpfung mit einer Impfstoffdosis
- bei weiterhin bestehender oder wiederholter Exposition nach 12–24 Monaten eine weitere Impfstoffdosis (Auffrischimpfung)
- Grundimmunisierung für alle Altersklassen mit 2 Impfstoffdosen
- Die Grundimmunisierung sollte ca. 1 Woche vor Aufenthalt in einem Endemiegebiet abgeschlossen sein.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4
Verlauf
- In den meisten Fällen verläuft die Infektion asymptomatisch oder mit milden, unspezifischen Beschwerden.
- Die JEV-Enzephalitis ist eine schwere Erkrankung mit hoher Mortalitätsrate und neurologischen Komplikationen und Folgeschäden.
Komplikationen
- Erhöhter Hirndruck
- Epileptische Anfälle
- Sind mit erhöhtem Hirndruck und schlechter Prognose assoziiert.
- Postinfektiöses Guillain-Barré-Syndrom
Prognose
- Stark variierende Mortalitätsraten von 5–50 %
- Hohe Rate an neurologischen Folgeschäden unter den Überlebenden (30–50 %)
- schwere motorische Defizite (ca. 30 % der Überlebenden)
- kognitive und sprachliche Defizite (ca. 20 %)
- rezidivierende Krampfanfälle (ca. 20 %)
- Studien mit langem Beobachtungszeitraum zeigen, dass viele Kinder nach JEV-Enzephalitis nicht das vorherige Bildungsniveau erreichen.
- Nach durchgestandener Infektion besteht vermutlich lebenslange Immunität.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Virale Meningoenzephalitis. AWMF-Leitlinie Nr. 030-100. S1, Stand 2018. www.awmf.org
Literatur
- Robert Koch-Institut (RKI). Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung zur Impfung gegen Japanische Enzephalitis bei Reisen in Endemiegebiete und für Laborpersonal in Epidemiologisches Bulletin 18/2020, 30. April 2020. www.rki.de
- World Health Organization (WHO). Fact Sheet: Japanese encephalitis. Stand 9. Mai 2019. abgerufen am 25.06.2021. www.who.int
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Virale Meningoenzephalitis. AWMF-Leitlinie Nr. 030-100. Stand 2018. www.awmf.org
- Turtle L, Solomon T. Japanese encephalitis - the prospects for new treatments. Nat Rev Neurol. 2018;14(5):298‐313. doi:10.1038/nrneurol.2018.30 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Kling K, Bogdan C, Ledig T et al. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu Reiseimpfungen. Epid Bull 2021; 14: 1–182 www.rki.de
- Simon-Loriere E, Faye O, Prot M et al. Autochthonous Japanese Encephalitis with Yellow Fever Coinfection in Africa. N Engl J Med 2017; 376: 1483–5. DOI: 10.1056/NEJMc1701600 DOI
- Cheng VCC, Sridhar S, Wong SC et al. Japanese Encephalitis Virus Transmitted Via Blood Transfusion, Hong Kong, China. Emerg Infect Dis 2018; 24. DOI: 10.3201/eid2401.171297 DOI
- Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 23.06.2021. www.dimdi.de
Autoren*innen
- Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
- Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breisgau
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).