Zusammenfassung
- Definition:Akute oder chronische, mehr oder weniger starke Schmerzen im Nacken. In der Regel nicht spezifisch, das heißt, es gibt weder eine behandelbare Ursache, noch ist ein abwendbar gefährlicher Verlauf erkennbar.
- Häufigkeit:Nackenschmerzen treten bei 30–50 % der erwachsenen Bevölkerung mindestens einmal im Jahr auf.
- Symptome:Schmerzen im Nacken, nicht immer von Schulterschmerzen abgrenzbar.
- Befunde:Es kann eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung auftreten.
- Diagnostik:Zusätzliche Untersuchungen sind selten nötig. Nur bei Hinweis auf einen abwendbar gefährlichen Verlauf oder eine spezifische Ursache sollte eine Bildgebung erfolgen.
- Therapie:Ermittlung der prädisponierenden Faktoren, Aufklärung und Beratung der Patient*innen, NSAR, körperliche Betätigung, evtl. manuelle Therapie, Krankengymnastik.
Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2
Red Flags |
Abwendbar gefährlicher Verlauf |
Akutes neurologisches Defizit:
Störungen der Vigilanz, Paresen |
Schlaganfall, intrakranielle Blutung, Subarachnoidalblutung, Nervenwurzel-/Myelonkompression |
Krampfanfall |
Schlaganfall, intrakranielle Blutung, Subarachnoidalblutung |
Nausea/Erbrechen |
erhöhter intrakranieller Druck, Subarachnoidalblutung |
Akuter Schwindel mit spontanem, ungeordnetem Nystagmus (uni- oder multidirektional mit Richtungswechsel vertikal/horizontal/rotatorisch und nicht supprimierbar bei visueller Fixation) |
Schlaganfall, intrakranielle Blutung |
Meningeale Zeichen |
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Hautausschlag (Purpura) |
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Schlagartiges Auftreten starke Nackenschmerzen, Ausstrahlung in okzipitale Region, vordere Halsregion, Kiefer |
Arteriendissektion (Karotis-/Vertebralisdissektion), Subarachnoidalblutung |
Ausstrahlung in Thorax, Arm und/oder Kiefer |
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Fieber > 38,5 °C Schüttelfrost |
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Kürzliches HWS-Trauma (Verkehrsunfall), kürzliche HWS-Manipulation, bekannte Osteoporose |
Luxation, HWS-Verletzung, HWS-Fraktur |
Allgemeine Informationen
Definition
- Akute oder chronische, mehr oder weniger starke Schmerzen im Nacken
- In der Regel nicht spezifisch, das heißt, es gibt weder eine behandelbare Ursache, noch ist ein abwendbar gefährlicher Verlauf erkennbar.
- Keine andere Ursache als angespannte und schmerzhafte Muskulatur feststellbar3
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Schmerzen in dem Gebiet, das nach oben durch die Linea nuchalis superior, nach unten durch den ersten Brustwirbel und seitlich durch die schultergelenksnahen Ansätze des Musculus trapezius begrenzt wird.
- Einteilung nach Dauer
- akute (0–3 Wochen Dauer)
- subakute (4–12 Wochen Dauer)
- chronische (länger als 12 Wochen Dauer)
- Einteilung nach Ätiologie
- nicht spezifisch
- keine spezifisch behandlungs- oder abklärungsbedürftige Ursache
- spezifisch
- Verdacht auf radikuläre Reizung, Trauma, Z. n. Operation, Systemerkrankung etc.
- nicht spezifisch
Häufigkeit
- Nackenschmerzen treten bei 30–50 % der erwachsenen Bevölkerung mindestens einmal im Jahr auf.
- Nackenschmerzen machen 4 % aller Beratungsanlässe in der Hausarztpraxis aus.4
- Geschlecht und Alter
- Frauen sind stärker betroffen.
- Die Prävalenz steigt mit dem Alter, dies gilt vor allem für chronische Beschwerden.
- Akute Schmerzen sind am häufigsten bei jungen Erwachsenen.
- Konsequenzen
- Sie sind eine der häufigsten Ursachen für krankheitsbedingte Fehlzeiten.
Ätiologie und Pathogenese
- Die Ätiologie der Myalgie im Nacken ist multifaktoriell. Durch eine schlechte Haltung, eine einseitige monotone Belastung und Überstreckung können Schmerzen im Nacken entstehen.
- Andere Faktoren, die zu einer Myalgie im Nacken führen können, sind Ängstlichkeit, Depressivität und Stress.4
- Auch bei mittels bildgebender Verfahren belegten degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule sind myofasziale Schmerzen meist die Hauptursache für Nackenschmerzen.
- Nicht-spezifische Nackenschmerzen4
- keine spezifisch behandlungs- oder abklärungsbedürftige Ursache
- Spezifische Nackenschmerzen4
- Trauma
- radikuläre Reizung
- Systemerkrankung (Neoplasie, Infektion, Entzündung, Osteoporose, Langzeitmedikation mit Steroiden)
- Z. n. Operation im HWS-Bereich
Prädisponierende Faktoren
- Mögliche Risikofaktoren sind z. B. Übergewicht, Schwangerschaft und Arbeitssituation4
- Psychische Belastungen (Stress, Arbeit), Ängstlichkeit, Depressivität und Somatisierung sind Risikofaktoren für chronische Verläufe.4-5
ICPC-2
- L01 Nackensymptomatik/Beschwerden
ICD-10
- M54.9 Rückenschmerzen nicht näher bezeichnet: Zervikalbereich
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klinische Diagnose4
- basierend auf Anamnese und körperlicher Untersuchung
- Ohne Hinweis auf spezifische Ursache oder abwendbar gefährlichen Verlauf ist keine Bildgebung erforderlich.
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Hinweise auf abwendbar gefährliche Verläufe
- Trauma, Z. n. Operationen, Neurologie
- radikuläre Symptomatik
- sensible oder motorische Ausfälle
- Parästhesien
- Meningismus
- Bewusstseinsstörung
- gleichzeitige Kopfschmerzen mit Übelkeit, Erbrechen, Schwindel
- Osteoporose oder Langzeitmedikation mit Steroiden
- Hinweis auf Systemerkrankung/extravertebrale Ursache (Neoplasie, Infektion, Entzündung)
- Fieber
- reduzierter Allgemeinzustand
- Gewichtsverlust
Anamnese
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Schmerzcharakteristika
- Ausstrahlung in den Arm (dermatombezogen/dermatomübergreifend)?
- Motorische Ausfälle/Taubheitsgefühl/Parästhesien (dermatombezogen)?
- Eigene Behandlungsversuche (u. a. Medikamente)?
- Allgemeinzustand (Bewusstseinsstörung, Fieber, reduzierter Allgemeinzustand, Gewichtsverlust)?
- Systemerkrankungen (Neoplasie/Osteoporose)?
- Steroidmedikation?
- Gleichzeitige Kopfschmerzen mit Übelkeit, Erbrechen, Schwindel?
- Risikofaktoren für chronische Verläufe (Arbeit, Stimmungslage)?
Klinische Untersuchung
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Inspektion
- Haltung
- Deformitäten
- Verletzungszeichen
- Mobilität
- Palpation
- Dornfortsätze und Querfortsätze
- muskuläre Verspannungen
- Hauttemperatur
- Beweglichkeitsprüfung
- Ante-, Retroflexion
- Rotation
- Seitneigung
- Meningismus?
Weitere Diagnostik in der Hausarztpraxis
- Bei Verdacht auf eine ernste Ursache4
- Labor: BB, Differenzialblutbild, BSG, CRP, ggf. Ca, Eiweißelektrophorese, Nierenwerte, AP
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Keine Bildgebung ohne Hinweis auf spezifische Ursache oder abwendbar gefährlichen Verlauf4
- Röntgen
- Röntgen ist als Routineuntersuchung nicht angezeigt.
- Degenerative Veränderungen treten häufig bereits früh im Erwachsenenalter auf und sind in der Regel nicht symptomgebend.
- MRT
- Eine MRT kann bei neurologischen Anfällen oder anderen Hinweisen auf eine ernste Ursache indiziert sein.
- Elektrophysiologie
- zum Nachweis einer Nervenaffektion
Indikationen zur Überweisung
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Bei Hinweis auf eine eindeutige Ursache der Symptome kann eine Überweisung an Neurologie, Orthopädie oder Innere Medizin erforderlich sein.
- Im Notfall stationäre Einweisung (Meningismus, Kopfschmerzen mit Erbrechen, akut verschlechterter Allgemeinzustand, Bewusstseinstrübung, neurologische Ausfälle nach Trauma oder Operation)
Therapie
Allgemeines zur Therapie
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Beratung über
- den zumeist harmlosen Charakter der Nackenschmerzen
- die hohe spontane Besserungstendenz
- die Neigung zu Rezidiven.
- Ermitteln und Ansprechen prädisponierender Faktoren (Übergewicht, Schwangerschaft, Arbeitssituation, chronischer Stress, Depressivität oder Ängstlichkeit).
- Beratung zum Selbstmanagement
- Bewegung soll empfohlen werden.
- Lokale Wärme kann empfohlen werden.
- Kurzfristig können NSAR empfohlen werden.
- Körperliche Aktivität und Physiotherapie werden empfohlen.
- Mobilisation (u. a. postisometrische Relaxation) und Manipulation können angeboten werden.
- Bei subakuten und chronischen Nackenschmerzen kann Krankengymnastik angeboten werden.
- Akupunktur kann bei chronischen Nackenschmerzen helfen.
- Ruhigstellungen sollen nicht durchgeführt werden.
- Injektionstherapien (Neuraltherapie, Quaddeln) sollen nicht durchgeführt werden.
- Muskelrelaxanzien sollen nicht empfohlen werden.
Empfehlungen für Patient*innen
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Frühe Wiederaufnahme der Aktivität
- Bewegung
- Krankengymnastik
- Erlernen von Entspannungsverfahren
Medikamentöse Therapie
- Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
- Bei akuten und subakuten Nackenschmerzen können kurzfristig NSAR eingenommen werden.
- Beispiel: Ibuprofen 400–600 mg 3 x tgl.
Weitere Therapien
- Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
- Krankengymnastik
- Kann bei subakuten und chronischen Nackenschmerzen angeboten werden.
- Manuelle Therapie
- Mobilisation und Manipulation können bei akuten, subakuten und chronischen Nackenschmerzen angeboten werden.6
- Bewegungstherapie (Qigong, Atemübungen, Kraftübungen, Fitnesstraining, Dehnübungen allein)
- moderate Evidenz für Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung
- Dehnübungen allein haben keinen nachweisbaren Effekt.
- Akupunktur
- moderate Evidenz für kurzfristige Schmerzlinderung
- Verhaltenstherapie
- moderate Evidenz für eine kurzfristige Schmerzlinderung
- Kann bei chronischen Nackenschmerzen durchgeführt werden.
- Unzureichende Evidenz für eine Empfehlung von:
- mechanischer Traktion
- Massage
- Elektrotherapie: TENS (Tranksutane elektrische Nervenstimulation), Iontophorese, Magnetfeld
- Patientenedukation (Ratschläge zu körperlicher Aktivität, Stressmanagement, Arbeitsplatzergonomie)
- multidisziplinäre biopsychosoziale Rehabilitation.
- Nicht angeboten werden sollen:
- Steroidinjektionen
- Muskelrelaxanzien
- Injektionstherapie mit Lokalanästhetika.
Prävention
- Eine ergonomische Anpassung und Bewegung wurden in mehreren Studien untersucht, aber die Qualität der Studien ist im Allgemeinen nicht ausreichend.7
- Es ist unklar, welche Bedeutung ergonomische Maßnahmen haben.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Nackenschmerzen gehen in der Regel innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen von selbst vorüber.
- Bei vielen Betroffenen kommt es zu wiederkehrenden Beschwerden, manche Patient*innen zeigen einen chronischen Verlauf.
- Nackenschmerzen sind in vielen Branchen die häufigste Ursache für Fehlzeiten.
Prognose
- Werden die Schmerzen durch eine Überlastung hervorgerufen, ist die Prognose gut.
- Bei psychosozialen Ursachen besteht ein Risiko für eine Chronifizierung.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
Leitlinie: Handlungsempfehlung Nackenschmerzen4
- Wesentliche Bestandteile der Beratung sollten der zumeist harmlose Charakter der Nackenschmerzen, die hohe spontane Besserungstendenz und die Neigung zu Rezidiven sein.
- Die Grenzen von Diagnostik und Therapie sollten offen angesprochen werden.
- Patient*innen sollten auf mögliche Risikofaktoren für Nackenschmerzen aufmerksam gemacht (z. B. Übergewicht, Schwangerschaft und Arbeitssituation) und offen auf chronischen Stress, Depressivität oder Ängstlichkeit angesprochen werden.
- Patient*innen, die regelmäßig NSAR einnehmen, sollten auf mögliche Nebenwirkungen hingewiesen werden.
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Nackenschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-007. S1, Stand 2016. www.awmf.org
Literatur
- Schaufelberger M, Meer A, Furger P, Derkx H et al. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
- Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
- Barreto TW, Svec JH. Chronic Neck Pain: Nonpharmacologic Treatment. Am Fam Physician. 2019 Aug 1;100(3):180-182. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. DEGAM S1 Handlungsempfehlung Nackenschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-007, Stand 2016. www.awmf.org
- Smedley J, Inskip H, Trevelyn F, Buckle P, Cooper C, Coggon D. Risk factors for incident neck and shoulder pain in hospital nurses. Occup Environ Med 2003; 60: 864-9. PubMed
- Gross A, Langevin P, Burnie SJ, Bédard‐Brochu MS, Empey B, Dugas E, Faber‐Dobrescu M, Andres C, Graham N, Goldsmith CH, Brønfort G, Hoving JL, LeBlanc F. Manipulation and mobilisation for neck pain contrasted against an inactive control or another active treatment. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 9. Art. No.: CD004249. DOI: 10.1002/14651858.CD004249.pub4. www.cochranelibrary.com
- Hoe VCW, Urquhart DM, Kelsall HL, Zamri EN, Sim MR. Ergonomic interventions for preventing work‐related musculoskeletal disorders of the upper limb and neck among office workers. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 10. Art. No.: CD008570. DOI: 10.1002/14651858.CD008570.pub3. www.cochranelibrary.com
Autor*innen
- Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).