Zusammenfassung
- Definition:Upper Tract Urothelial Carcinomas (UTUC) sind Malignome, die vom Übergangsepithel (Urothel) der Harnwege und des Nierenbeckens ausgehen. Der größte Risikofaktor ist Rauchen.
- Häufigkeit:Geschätzte Inzidenz in industrialisierten Staaten: 2/100.000 pro Jahr.
- Symptome:Mikro- oder Makrohämaturie in 80 % der Fälle, Flankenschmerzen in 20 % der Fälle.
- Befunde:Mikrohämaturie häufig als Zufallsbefund, klinischer Status in frühen Stadien meist unauffällig.
- Diagnostik:CT-Urografie (Goldstandard) ergänzt durch Urinzytologie und Zystoskopie.
- Therapie:Multimodales Therapiekonzept, eine Heilung kann nur durch eine operative Entfernung des Tumors erreicht werden. Ergänzend dazu zytostatische und Immuntherapie.
Allgemeine Informationen
Definition
- Als Urothelkarzinome des oberen Harntrakts (Upper Tract Urothelial Cancer, UTUC) werden vom Urothel ausgehende maligne Tumore bezeichnet.
- Auch im Bereich der Harnblase treten Urothelkarzinome auf, diese machen mit ca. 90 % sogar den größten Anteil aus, werden aber gesondert beschrieben.
- Bei ca. 17 % der Patient*innen mit einem UTUC findet sich auch ein Urothelkarzinom der Harnblase.4
Häufigkeit
- Die jährliche Inzidenz der UTUC liegt bei ca. 2/100.000.5
- Der Erkrankungsgipfel liegt dabei um das 70. LJ.
- Männer sind im Verhältnis zu Frauen zwei- bis dreimal so häufig betroffen.
Ätiologie und Pathogenese
- Papillärer Tumor, ausgehend vom Urothel, das die Harnwege vom Nierenbecken bis zum äußeren Teil der Urethra auskleidet.
- Etwa 25 % der Karzinome weisen histologisch in Anteilen eine nicht-urotheliale Differenzierung auf, reine Plattenepithelkarzinome sind sehr selten.1
- Die Ausbreitung kann durch direktes Einwachsen in die umliegenden Strukturen oder über vaskuläre oder lymphatische Bahnen erfolgen.
- Die Prädilektionsstelle für UTUC in den oberen Harnwegen ist das Nierenbecken.6-8
Prädisponierende Faktoren
- Als Risikofaktoren gelten Rauchen9 und die Aufnahme von in Pflanzen enthaltenden Aristolochiasäuren.10-11
- Aristolochiasäuren sind nachweisbar in Pflanzen, die zur Familie der Osterluzeigewächse gehören.
- Einige dieser Pflanzen werden vor allem im asiatischen Raum zur Herstellung traditioneller Arzneimittel verwendet.
- Zigarettenrauchen ist für die Entwicklung von UC der größte Risikofaktor12; Schätzungen zufolge sind 70 % aller Fälle bei Männern und 40 % bei Frauen darauf zurückzuführen.
- Eine erhöhte Inzidenz von UTUC in den oberen Harnwegen wird beim Lynch-Syndrom (HNPCC) beobachtet.13
Pathologie
Klassifikation nach TNM14
- T: lokales Tumorstadium
- Tx: Primärtumor kann nicht beurteilt werden.
- T0: kein Hinweis auf Vorliegen eines Primärtumors
- Ta: nichtinvasives papilläres Karzinom
- Tis: Carcinoma in situ
- T1: Tumor infiltriert subepitheliales Bindegewebe,
- T2: Tumor infiltriert Muskularis,
-
- T2a: Infiltration der oberflächlichen Muskulatur
- T2b: Infiltration der tiefen Muskulatur
-
- T3:
- Nierenbecken: Tumor infiltriert durch die Muskulatur in das peripelvine Fettgewebe oder Nierenparenchym.
- Harnleiter: Tumor infiltriert durch die Muskulatur in das periureterale Fettgewebe.
- T4: Tumor infiltriert Nachbarorgane oder durch die Niere in das perirenale Fettgewebe.
- T3:
- N: Lymphknotenbefall
- Nx: Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden.
- N0: keine regionären Lymphknotenmetastasen
- N1: Metastase(n) in solitärem Lymphknoten, 2 cm oder weniger in größter Ausdehnung
- N2: Metastase(n) in solitärem Lymphknoten, mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung oder in multiplen Lymphknoten, keiner mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
- N3: Metastase(n) in Lymphknoten, mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
- M: Fernmetastasen
- M0: Keine Fernmetastasen
- M1 Fernmetastasen
UICC-Stadieneinteilung
- Stadium 0: Tis, N0, M0
- Stadium Ia: T1, N0, Mo
- Stadium Ib: T2, N0, M0
- Stadium IIa: T3, N0, M0
- Stadium IIb: T4, N0, M0
- Stadium IIIa: jedes T, N1, M0
- Stadium IIIb: jedes T, N2, M0
- Stadium IV: jedes T, jedes N, M1
Grading
- G1: gut differenziert
- G2: mäßig differenziert
- G3: schlecht differenziert
- G4: nicht differenziert
ICPC-2
- U77 Bösart. Neubild. Harnorgane, and.
ICD-10
- C65 Bösartige Neubildung des Nierenbeckens
- C66 Bösartige Neubildung der Harnblase
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Häufigstes Symptom ist eine schmerzlose Hämaturie.15
- 2/3 der UTUC weisen bei Diagnosestellung bereits ein invasives Wachstum auf.16
Differenzialdiagnosen
- Harnwegsinfekt
- Nierenstein
- Nierenzellkarzinom
- Striktur im Ureter
Anamnese
- Makro- oder Mikrohämaturie in ca. 80 % der Fälle1
- Flankenschmerzen treten bei ca. 20 % der Patient*innen auf.
- Symptome wie Fatigue, Gewichtsverlust, Leistungsknick und Knochenschmerzen sind bei Diagnosestellung selten und deuten auf einen fortgeschrittenen Verlauf und Metastasierung hin.
Klinische Untersuchung
- In frühen Stadien unauffälliger klinischer Status
- In fortgeschrittenen Stadien evtl. palpable Raumforderung im Bereich der Flanken, Hinweis auf Pleuraergüsse oder Aszites.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Urin-Status zum Nachweis einer Mikrohämaturie
- Orientierende Laboruntersuchung (Blutbild, Retentionsparameter, Elektrolyte, Leberwerte, LDH)
- Ultraschall des Abdomens
Diagnostik bei Spezialist*innen
- CT-Urografie17-18
- Goldstandard zur Beurteilung der oberen Harnwege und zur Stadieneinteilung
- MRT-Urografie19
- als Alternative zum CT bei Patient*innen mit Kontraindikationen (z. B. Kontrastmittelallergie)
- CT Thorax/Abdomen20
- zum erweiterten Staging und zur Beurteilung von Lymphknoten- und Fernmetastasen
- Urinzytologie21
- selektiv, im Bereich des Ureters
- hohe Aussagekraft bei „High Risk“-Tumoren
- Zystoskopie22
- zum Ausschluss eines Blasenkarzinoms
- Ureteroskopie23
- zur Biopsiegewinnung bei suspekten Veränderungen
- bessere Beurteilung flacher, im CT ggf. nicht detektierbarer Läsionen
Indikationen zur Überweisung
- Bei V. a. einen Prozess in den oberen Harnwegen (auffälliger U-Status, Flankenschmerzen, sonografisch erweitertes Nierenbecken oder dilatierter Ureter, ggf. sonografische Darstellung von Gewebsveränderungen)
Therapie
Therapieziele
- Kurativer, multimodaler Ansatz in lokal begrenzten Stadien
- Palliative Therapie mit Ziel der Symptomkontrolle bei metastasierter Erkrankung, multimodale Konzepte ebenfalls etabliert
Therapie lokal begrenzter, nicht metastasierter Tumorstadien
Operative Therapie
- Nephroureterektomie (RNU) mit Blasenmanschette24
- Goldstandard bei „High Risk“-Tumoren24
- „High Risk"-Kriterien:25 schlechte Differenzierung, multifokale Erkrankung, Tumor > 2 cm, Hydronephrose, Blasenkarzinom in der Vorgeschichte
- Wichtig: En-bloc-Entfernung ohne Eröffnung des Nierenhohlraumsystems und ohne Kontakt zum Tumor!
- als offenes Verfahren oder als laparoskopische/roboterassistierte RNU26
- Vorteil hier: geringere Morbidität
- ggf. zusätzliche Lymphknotendissektion27
- empfohlen bei nicht-metastasierten „High Risk"-Tumoren
- Goldstandard bei „High Risk“-Tumoren24
- Organerhaltende Chirurgie28
- Endoskopische Therapie29
Zytostatische Therapie
- Neoadjuvante Chemotherapie
- Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass durch eine präoperative Chemotherapie ein „Downstaging“32-33 des Tumors erfolgen und das Rezidivrisiko vermindert werden kann.
- hohe Ansprechrate mit kompletten Remissionen v. a. bei „High Grade“-Karzinomen33-34
- verwendete Substanzen: möglichst Cisplatin-basierte Regime35
- alternativ, bei Patient*innen mit eingeschränkter Nierenfunktion: Carboplatin/Gemcitabine
- Adjuvante Chemotherapie
- fragliche Verbesserung des Outcomes36-37
- möglicherweise verringertes Risiko für das Auftreten von Fernmetastasen
- Ein limitierender Faktor ist die postoperativ verringerte Nierenfunktion, v. a. bei Verwendung cisplatinhaltiger Therapieregime.
- Instillation lokaler Agenzien
Immuntherapie
- Teils kontroverse Studienlage40
- Als Erhaltungstherapie im Anschluss an die Chemotherapie
- Bei Progress unter/nach platinhaltiger Chemotherapie
- Checkpoint/PD-L1-Inhibitoren
Strahlentherapie
- Der Stellenwert einer adjuvanten Strahlentherapie wird kontrovers beurteilt.41
- z. Zt. kein etabliertes Verfahren, da fraglicher Benefit für die Patient*innen42
Therapie metastasierter Tumorstadien
Allgemein
- In den allermeisten Fällen palliatives Therapiekonzept mit Ziel der Symptomkontrolle
- Individuelles, multimodales Vorgehen abhängig vom Allgemeinzustand der Patient*innen und vorliegenden Komorbiditäten
- Radikale RNU und Metastasektomie bei gutem Ansprechen auf neoadjuvante Therapie sind in selektierten Fällen erfolgversprechend.43
Zytostatische Therapie
- Wenn möglich Einsatz Cisplatin-haltiger Therapien2,35
- Bei Vorliegen von Kontraindikationen Therapie mit PD-L1-Inhibitoren oder Carboplatin/Gemcitabin bei negativem PD-L1-Status
- Ziel: Symptomkontrolle, bestenfalls „Downstaging“ des Tumors/Reduktion der Metastasen und Erreichen einer Operabilität
Immuntherapie
- Etablierter Therapieansatz bei metastasierter Erkrankung
- Erhaltungstherapie mit Avelumab nach platinhaltiger Chemotherapie44
- PD-L1-Inhibitoren als Alternative bei Patient*innen die keine Cisplatin-haltige Therapie erhalten können.45-47
- Second Line, bei Progress nach Cisplatin48
Operative Therapie
- Radikale Nephroureterektomie49-50
- in ausgewählten Fällen nach gutem Ansprechen auf die neoadjuvante Chemotherapie
- Metastasektomie
Strahlentherapie
- Ergänzend zu o. g. Verfahren oder als Monotherapie bei sehr fragilen Patient*innen
- Symptomkontrolle, Schmerzlinderung, Begrenzung des lokalen Tumorwachstums und Kontrolle von Obstruktionen
Supportive Therapie
- Kontrolle von Schmerzen, Blutungen und Harnstau
- lokale Kontrolle durch Chemo- oder Strahlentherapie, Einlage von Ureterstents, ggf. Anlage einer perkutanen Nephrostomie
- Behandlung von Therapie-induzierten Nebenwirkungen, z. B. Zytostatika-assoziierte Übelkeit und Erbrechen
- Symptomkontrolle bei Knochenmetastasen durch lokale Bestrahlung und Einsatz von Bisphosphonaten oder spezifischen Antikörpern1
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Hohes Risiko für lokale Rezidive oder das Auftreten eines Blasenrezidivs
- engmaschige Nachsorgen mit Zystoskopie, Urinzytologie und CT-Urografie
- Lymphogene und hämatogene Metastasierung
Komplikationen
- Therapie-assoziierte Komplikationen
- Verlust der Nierenfunktion nach RCU
- Perforationen und Strikturbildung nach endoskopischer Therapie
- Nierenversagen und Immunsuppression unter zytostatischer Therapie
- Nebenwirkungen der Immuntherapie
- Tumor-bedingte Komplikationen
- organüberschreitendes Wachstum, Gefäßinvasion
- Kompression von Organen und Gefäßen
Prognose
Prognostische Faktoren
- Alter
- Tabakkonsum9,12,52
- erhöhte Mortalität
- erhöhtes Rezidivrisiko
- erhöhtes Risiko für das Auftreten von Blasenkarzinomen
- Tumorstadium- und Differenzierung
- Tumoren, die die Muskularis infiltrieren (ab T2), gehen mit einer schlechteren Prognose einher.
- Gleiches gilt für niedrig differenzierte Tumoren
- Tumorhistologie52-53
- Karzinome mit mikropapillären, plattenepithelialen oder sarkomatösen Anteilen sind mit einer schlechteren Prognose assoziiert.
- Tumorgröße, Lokalisation, Multifokalität52,54
- Tumoren ab einer Größe von 2 cm weisen sehr häufig ein muskelinvasives Wachstum auf.
- Weitere prognostisch ungünstige Faktoren sind multifokale Tumoren oder Tumoren, die im Ureter lokalisiert sind.
- Auch das Vorliegen einer Hydronephrose geht mit einer Prognoseverschlechterung einher.
- Vorliegen von Lymphknotenmetastasen
Gesamtüberleben
- Tumorspezifisches Gesamtüberleben (CSS) abhängig vom Tumorstadium1
- T1, N0: 5-Jahres-Gesamtüberleben von 86 %
- T2, N0: 5-Jahres-Gesamtüberleben von 77 %
- T3, N0: 5-Jahres-Gesamtüberleben von 63 %
- T4, N0/jedes T, N1-3: 5-Jahres-Gesamtüberleben von 39 %
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
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Autor*innen
- Kristin Haavisto, Dr. med., Fachärztin für Innere Medizin und Hämato-/Onkologie, Münster
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).