Allgemeine Informationen
Definition
- Infektionen der Hand erfordern eine schnelle Behandlung, um dauerhafte Schäden und Störungen der Handfunktion zu verhindern.1
Häufigkeit
- Alle Altersgruppen sind betroffen mit Häufung bei Patient*innen mit systemischen Grunderkrankungen, die die Entstehung einer Infektion nach einem vorausgegangenen Trauma begünstigen.1
- z. B. Diabetes mellitus, HIV-Infektion, Tumorerkrankungen
- Häufigste Vorstellungsgründe sind Paronychien, Panaritien sowie infizierte Tierbissverletzungen.1
- In etwa 5 % der Fälle „komplizierte Infektion“ mit Ausbreitung in die Gelenke, Sehnenscheiden und andere Weichteilstrukturen oder den Knochen2
Ätiologie und Pathogenese
- Posttraumatische Ursachen stellen den führenden Grund für Infektion dar.
- Schnitt- und Stichwunden, Tier- und Menschenbiss, aber häufig auch Bagatellverletzungen1
- Durch Trauma entsteht eine Eintrittspforte für Keime, die sich in Hand entlang vorhandener Leitstrukturen ausbreiten können.1
- Insbesondere bradytrophe Sehnenscheiden sind wenig resistent gegenüber Infektionen.
- Durch Kommunikation der Beugesehnenscheide des Kleinfingers und des Daumens auf Höhe des Karpalkanals kann eine zeitgleiche Phlegmone beider entstehen, die V‑Phlegmone.1
ICPC-2
- S09 Infizierter Finger/Zeh
ICD-10
- L03.01 Phlegmone an Fingern
- L03.10 Phlegmone an der oberen Extremität, inkl. Hand
Differenzialdiagnosen
Paronychie (Nagelfalzentzündung)
- Siehe Artikel Paronychie.
- Häufigste Infektion des Fingers, ausgehend von Staphylokokken-Infektionen durch oberflächliche Hautverletzungen1
- Frühphase der Infektion: schmerzhafter, geschwollener und geröteter Nagelwall1
- konservativer Therapieversuch mit täglichen Handbädern sowie oraler Antiphlogistika- und Antibiotikaanwendung unter Ruhigstellung des Fingers
- Bei fortgeschrittenen Infektionen mit Progression zu Panaritium ist eine chirurgische Inzision notwendig.
Panaritium
- Oberbegriff für alle eitrigen Entzündungen an den Fingern3
- Rötung und Schwellung der Fingerbeere mit meist sichtbarer Eiteransammlung
Phlegmone
- Siehe Artikel Phlegmone.
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
- Nicht-abszedierende, eher diffuse Weichgewebeinfektionen, ausgehend von Wunden und Ulzera durch S. aureus u. a. Bakterien, die klar von streptogenen Erysipeln abzugrenzen sind, werden pragmatisch nach der Dringlichkeit der chirurgischen Intervention eingeteilt:
Begrenzte Phlegmone
- Meist durch Staphylococcus aureus, aber auch durch Streptococcus pyogenes (Gruppe-A-Streptokokken) oder bestimmte gramnegative Bakterien ausgelöste Infektion der Dermis und Subkutis ohne Notwendigkeit einer chirurgischen Versorgung
- Die Behandlung erfolgt mit Ruhigstellung und Antibiotikagabe.
Phlegmone
- Komplizierte Weichgewebeinfektion mit Indikation zur chirurgischen Versorgung
- Bezieht auch tiefergelegenes Weichgewebe (Faszie und/oder Muskelschicht) ein und macht eine chirurgische Versorgung notwendig (z. B. Débridement, Entfernung von infektionsunterhaltenden Fremdkörpern).
- Häufig mit Lymphangitis, Lymphadenitis und Fieber
Sehnenscheidenphlegmone
- Bradytrophe Sehnenscheiden sind wenig resistent gegenüber Infektionen.1
- Bei der Beugesehnenscheidenphlegmone sind die Finger leicht geschwollen, überwärmt, werden gebeugt gehalten und die Fingerstreckung ist schmerzhaft.
- Bei der Streckseitensehnephlegmone ausgeprägte Schwellung am Handrücken
- Häufiger Verletzungsmechanismus ist Kampf mit Faustschlag gegen Zähne, wodurch Keime aus dem Speichel in die Wunde eintreten können.5
- Es kann zu einer Nekrose der Sehnen kommen, weswegen eine schnelle Entlastung notwendig ist.6
Infektion des tiefen Gewebes
- Dringen die Keime noch tiefer ins Gewebe ein, können sich ein Gelenkempyem oder eine Osteomyelitis entwickeln.
Fremdkörper
- Beispielsweise Splitter oder Dorn
- Die dadurch ausgelöste Entzündungsreaktion kann einer Infektion ähneln.
- Kurative Therapie: Entfernung des Fremdkörpers
Gicht
- Siehe auch Artikel Gicht.
- Anamnese
- Oft ist die Krankheit bereits durch Manifestation an typischen Lokalisationen (Großzehe) bekannt.
- Periphere Gelenke, wie auch am Finger, sind in der Regel kälter und daher anfälliger für das Ausfallen von Uratkristallen.
Herpesinfektion der Fingerkuppe
- Siehe auch Artikel Herpes simplex.
- Wird verursacht durch Inokulation des Herpes-simplex-Virus Typ I oder II in die verletzte Haut.7-8
- Gefährdete Personen vor allem im Gesundheitswesen, die Kontakt mit Speichel oder Körperflüssigkeiten haben, z. B. Zahnärzt*innen oder Krankenpfleger*innen (insbesondere bei Mundpflege der Patient*innen).
- Rote und empfindliche Fingerspitze mit brennendem oder juckendem Gefühl
- Evtl. mehrere kleine Wunden oder Bläschen, aus denen Flüssigkeit austreten kann.
- Häufig überproportional starker Schmerz im Verhältnis zu klinischem Befund
- Therapie
Hand-Fuß-Mund-Krankheit
- Siehe auch Artikel Hand-Fuß-Mund-Krankheit.
- Hochinfektiöse Virusinfektion mit Fieber sowie oralen Ulzera und Hautausschlag an den Händen und Fußsohlen, die vor allem bei Kindern < 10 Jahre auftritt.10
- Kleine (< 5 mm) graue Vesikel an den Händen und Füßen, die von einem schmalen, geröteten Hof umgeben sind.
- Im Mund relativ große, dafür verhältnismäßig wenige Vesikel
- Selbstlimitierend, symptomatische Therapie
Orfvirus-Infektion
- Siehe auch Artikel Orfvirus-Infektion.
- Synonyme: Schafpocken, Lippengrind, Ecthyma contagiosum, Parapoxvirus-Infektion
- Zoonose, die unter Schafen und Ziegen verbreitet ist.11
- Auftreten am häufigsten bei Landwirt*innen und Fleischer*innen
- Auftreten in Form von kleinen, aber schnell wachsenden Papeln oder Pusteln der Rückseite der Finger oder Hand meist innerhalb von 1 Woche nach dem Kontakt mit einem infizierten Tier oder kontaminiertem Material.
- Selbstlimitierend, symptomatische Therapie
Bissverletzungen
- Siehe auch Artikel Tier- und Menschenbiss.
- In Deutschland pro Jahr bis zu 50.000 Bisswunden, von denen sich 10–20 % infizieren, wobei die höchste Infektionsrate mit 30–50 % bei Katzenbissverletzungen besteht.12
- Die langen Zähne der Katzen verursachen oft nur geringe oberflächliche Verletzungen, durch die Speichelinokulation gelangen die Keime aber tief ins Gewebe.
- Es sollte eine (fach)chirurgische Beurteilung der Wunden erfolgen, u. a. um die Notwendigkeit einer antibiotischen Prophylaxe zu beurteilen.12
- Aufgrund des hohen Infektionsrisikos sollen Bisswunden in der Regel nicht zugenäht, sondern offen heilen gelassen werden.
Pyoderma gangraenosum
- Siehe auch Artikel Pyoderma gangraenosum.
- Gehäuft bei systemischen Grunderkrankungen, wie z. B. chronisch entzündliche Darmerkrankung, Arthritis, lymphoproliferative Erkrankungen
- Insgesamt sehr seltene, schwere, ulzerierende Hauterkrankung
- Kann als Infektion missgedeutet werden.
- Initial liegt eine kleine rote Papel oder Pustel vor, die sich zu einer größeren ulzerösen Läsion entwickelt.
Anamnese
Wichtige Fragen
Verletzungsmechanismus?
- Besteht eine Traumaanamnese?
- Falls ja, genaue Beschreibung des Traumas
- z. B. bei Messerschnitt: sauberes Messer? Vorher Kontakt des Messers zu Fisch/Fleisch?
- Kann ein Fremdkörper in die Wunde gelangt sein?
- Zeitpunkt des Traumas: Naht von Wunden nach > 8–12 Stunden in der Regel kontraindiziert
Kontakt mit dem Herpes-Virus?
- Beispielsweise medizinisches Personal
Wie hat sich die Infektion entwickelt?
- An welcher Stelle und wann hat die Infektion begonnen?
- Wie gestaltete sich der Verlauf?
Bewegungseinschränkungen?
- Hand und Finger frei beweglich?
- Wenn nicht, deutet dies auf eine tieferliegende Infektion hin.
Gibt es Anzeichen für eine systemische Infektion?
- Fieber?
- Schüttelfrost?
- Geschwollene Lymphknoten?
Tetanusstatus?
- Im Hinblick auf eine evtl. Booster-Impfung
Sonstige Erkrankungen?
- Krankheiten (Diabetes, Immunschwäche), die für schwere Infektion prädisponieren?
Klinische Untersuchung
- Die Angaben zur klinischen Untersuchung beziehen sich auf folgende Referenz.1
- Inspektion
- lokale Infektionszeichen in Form von Schwellungen mit begleitenden Rötungen oder anderen Hautveränderungen
- Untersuchung der Extremität auf mögliche Eintrittspforten in Form von Biss‑, Schnitt- und Quetschwunden
- Palpation
- lokaler Druckschmerz und Überwärmung der betroffenen Region
- Reaktive kubitale und/oder axilläre Lymphadenopathie?
- Funktionstests
- Neurologischen und funktionellen Status, einschließlich 2‑Punkt-Diskrimination und Bewegungsausmaßen, erheben und diesen zur späteren Verlaufsevaluation detailliert dokumentieren, insbesondere bei vorangegangenem Trauma.
- Markierung des infizierten Areals
- Markierung der Ausbreitung der Rötung und Schwellung auf der Haut der Patient*innen mit Permanentmarkern zur Verlaufsbeurteilung
Ergänzende Untersuchungen
- Ggf. CRP, BSG, Leukozyten
- Helfen im Verlauf bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer antibiotischen Therapie.
- Evtl. Abstriche (Mikroskopie, Kultur, PCR)
- Röntgen bei Verdacht auf röntgendichte Fremdkörper, begleitenden Frakturen, Osteomyelitis
- Sonografie zur Suche nach strahlendurchlässigen Fremdkörpern wie Dornen oder Holzsplitter1
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf Infektionen der Hand sollte eine Abklärung durch handchirurgische Fachärzt*innen erfolgen.1
Empfehlungen
Allgemeine Empfehlungen bei Wunden an Händen oder Fingern
- Infektionen der Hand und des Unterarms sollten frühzeitig handchirurgisch vorgestellt werden, um das Risiko irreversibler funktioneller Einschränkungen zu reduzieren.1
- Zur Prävention von toxischen Nekrosen sollten Wunden nur mit 0,9-prozentiger NaCl- oder Ringer-Lösung gespült werden.1
- Bissverletzungen dürfen aufgrund des hohen Infektionsrisikos unter keinen Umständen bagatellisiert werden.1
Illustrationen
Quellen
Literatur
- Enechukwu AOM, Wellkamp L, Vogt PM, et al. Infektionen der Hand und des Unterarms. Der Unfallchirurg 2021. link.springer.com
- Ruchalla E. Ursachen komplizierter Fingerinfektionen. Handchirurgie Scan 2021; 10(4): 250-51. www.thieme-connect.com
- Schmitt R, Lanz U. Bildgebende Diagnostik der Hand. Thieme- Verlag , 3. Auflage 2014, S. 568
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Staphylococcus aureus bedingte Infektionen der Haut und Schleimhäute, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 013-038, Stand 2011 (abgelaufen). dgpi.de
- Scaff J. Hand infections. Medscape, last updated Jun 06, 2018. emedicine.medscape.com
- Zinndorf J. Die septische Hand 4. Septisches Symposium im Klinikum Ingolstadt 2011. www.septische-chirurgie.de
- Clark DC. Common acute hand infections. Am Fam Physician 2003; 68: 2167-76. PubMed
- Omori MS. Herpetic whitlow. Medscape, last updated Oct 26, 2015. emedicine.medscape.com
- AbZ Pharma. Fachinformation Aciclovir. Stand 2013. Letzter Zugriff 16.01.2021. s3.eu-central-1.amazonaws.com
- Repass GL, Palmer WC , Stancampiano FF. Hand, Foot, and Mouth Disease: Identifying and Managing an Acute Viral Syndrome. Cleve Clin J Med 2014; 81(9): 537-43 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Hawayek LH, Rubeiz N. Orf. Medscape. Last updated Jun 06, 2018. emedicine.medscape.com
- Rothe K, Tsokos M, Handrick W. Animal and Human Bite Wounds. Dtsch Arztebl Int 2015; 112(25): 433-42. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).