Guillain-Barré-Syndrom

Bei dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) handelt es sich um eine relativ seltene Autoimmunerkrankung, die die peripheren Nerven und Nervenwurzeln schädigt und so zu Lähmungen und anderen neurologischen Symptomen führen kann. Die Erkrankung kann einen schweren Verlauf mit langem Krankenhausaufenthalt nehmen, geht aber meist von selbst vorüber.

Was ist das Guillain-Barré-Syndrom?

Definition

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine entzündliche Erkrankung der peripheren Nerven und Nervenwurzeln, die sich durch eine fortschreitende Lähmung und Taubheitsgefühle, meist von den Beinen ausgehend, äußert. Später können ebenfalls die Arme und das Gesicht betroffen sein. Sehr schwere Fälle mit Lähmungen der Atem- und Schluckmuskulatur können lebensbedrohlich verlaufen.

Symptome

Frühsymptome können Kribbeln und Brennen in Händen und Füßen sein. Auch Schmerzen können auftreten und besonders nachts am stärksten sein. Häufig treten diese lokalisiert in der Schulterpartie, im Rücken, auf der Rückseite der Oberschenkel und im Bauch auf.

Die Lähmungen beginnen in der Regel symmetrisch in den Beinen oder seltener den Armen und wandern von unten nach oben. Diese Ausbreitung der Lähmungen erfolgt oftmals innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden. Meistens dauert es 1–3 Wochen, bis die Erkrankung ihren Höhepunkt erreicht hat. 2/3 der Betroffenen sind zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, alleine zu gehen.

In schweren Fällen kann die Lähmung letztendlich die Atemwegsmuskulatur betreffen. Auch Herzrhythmusstörungen oder Blutdruckschwankungen können durch die Beteiligung des vegetativen Nervensystems hinzukommen.

Falls Hirnnerven betroffen sind, kann es auch zum Auftreten von Lähmungen der Augenmuskulatur mit Auftreten von Doppelbildern oder einer Gesichtslähmung (Fazialisparese) kommen.

Das Ausmaß der Lähmungserscheinungen ist sehr variabel, das heißt, das Spektrum reicht von kaum merkbaren Bewegungseinschränkungen bis hin zu schweren Lähmungen großer Teile des Körpers.

Meist bilden sich die Symptome in umgekehrter Reihenfolge ihres Auftretens zurück. Bei der Mehrzahl der Patient*innen kommt es zur vollständigen Heilung mit normaler motorischer Funktionsfähigkeit. Bleibende Schädigungen sind die Ausnahme.

Ursachen

Als Ursache des Syndroms nimmt man eine Autoimmunreaktion an, die sich gegen die peripheren Nerven und Nervenwurzeln des Rückenmarks richtet. In etwa 75 % der Fälle kann man eine vorherige, auslösende Infektion als Ursache identifizieren. 2–4 Wochen zuvor haben Betroffene häufig einen gewöhnlichen Magen-Darm-Infekt oder eine Atemwegsinfektion. Insbesondere nach Kontakt mit bestimmten Erregern können vom Immunsystem produzierte Antikörper fälschlicherweise die schützende Myelinscheide der Nerven angreifen. Eine der häufigsten Ursachen ist eine Darminfektion mit Campylobacter jejuni. Auch mit weiteren Erregern besteht ein Zusammenhang:

Seltener kann die Autoimmunreaktion durch eine Operation oder Impfung ausgelöst werden.

Impfungen gegen SARS-CoV2 scheinen mit einer leicht erhöhten Inzidenz von GBS einherzugehen. Das Risiko ist aber deutlich niedriger als nach einer Influenza-Impfung.

Häufigkeit

  • Es treten etwa 0,9‒1,9 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr auf.
  • Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, auch Kinder können betroffen sein. Es gibt eine stetig zunehmende Häufigkeit mit zunehmendem Alter.

Untersuchungen

Die Diagnose wird anhand der Krankengeschichte der Patient*innen und des Befunds der ärztlichen Untersuchung gestellt. Typische Hinweise bei der Untersuchung sind eine Kraftminderung, aufgehobene Muskelreflexe und eventuell Gefühlsstörungen in den Beinen oder Armen.

Die Diagnose wird durch die Untersuchung der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor) sowie elektrophysiologische Messungen der Nerven gesichert. Zum Ausschluss anderer neurologischer Erkrankungen können weitere Untersuchungen notwendig sein.

Behandlung

Eine ursächliche Behandlung ist nicht möglich, lediglich die Symptome können behandelt werden. In mäßigen bis schweren Fällen erfolgt die Behandlung im Krankenhaus. Bis zu einem Drittel aller Patient*innen sind während des Krankheitsverlaufs auf eine intensivmedizinische Überwachung von Herz- und Kreislauffunktion angewiesen, 15–30 % müssen vorübergehend beatmet werden, da auch die Atemmuskulatur beeinträchtigt sein kann.

Physiotherapie ist ein wichtiges Element und beinhaltet beispielsweise passive Bewegungen der Gelenke. Atemübungen helfen dabei, einer Lungenentzündung vorzubeugen. Wenn sich der Zustand allmählich verbessert, müssen die Betroffenen vor allem die Muskelfunktion wieder trainieren.

Eine Thromboseprophylaxe ist notwendig bei allen Patient*innen, die nicht alleine gehen können.

Bei gehunfähigen Patient*innen und bei Personen, bei denen mit einer weiteren Verschlechterung zu rechnen ist, werden weitere Therapieverfahren eingesetzt:

  • Intravenöse Gabe hoher Dosen an Immunglobulinen (IVIG)
    • IVIG wird aus Immunglobulinen (Antikörpern) von gesunden Blutspender*innen gewonnen und wirkt sich auf das Immunsystem des Körpers aus. Das Medikament beschleunigt die Rückbildung der Symptome und reduziert die Gefahr von Komplikationen und Rückfällen.
  • Plasmapherese
    • Das Blut der Patient*innen wird maschinell gereinigt und anschließend zurückgeleitet. Antikörper, die bei der Entstehung des Guillain-Barré-Syndroms eine zentrale Rolle spielen, werden entfernt. Die Therapie führt ebenfalls zu einem kürzeren Krankheitsverlauf und weniger schweren Symptomen.

Prognose

Patient*innen mit Guillain-Barré-Syndrom entwickeln das maximale Ausmaß der Symptome meist innerhalb von 1–3 Wochen. Dies steht einer sehr langsamen Rückbildung der Erkrankung gegenüber, bei 85 % kommt es innerhalb von 6–12 Monaten zu einer vollen funktionellen Verbesserung. Ein kleiner Teil der Patient*innen kann anhaltende neurologische Schäden wie Lähmungen oder Gefühlsstörungen zurückbehalten.

Eine verstärkte muskuläre Erschöpfbarkeit tritt bei vielen Betroffenen noch Jahre nach der überstandenen Erkrankung auf.

Die Sterblichkeit bei einer schweren Verlaufsform, die eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmung erforderlich macht, beträgt etwa 5,5 %.

Bei Kindern ist der Verlauf generell kürzer, und es kommt häufiger zur vollständigen Genesung.

Weitere Informationen

Autorin

  • Susanna Allahwerde, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Berlin

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Guillain-Barré-Syndrom. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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