Descensus genitalis/Genitalprolaps

Zusammenfassung

  • Definition:Der Descensus genitalis ist das Tiefertreten der Scheide und/oder des Uterus in Richtung des Scheideneingangs. Aufgrund enger Lagebeziehungen zwischen den Beckenorganen sind häufig auch Harnblase und Darm betroffen. Deszensus bezeichnet ein Tiefertreten bis zum Introitus vaginae, während der Prolaps das Austreten aus dem Introitus beschreibt. Klinische Varianten sind Uterusprolaps, Zystozele, Zystourethrozele, Rektozele, Enterozele, Rektoenterozele und Scheidenstumpfprolaps.
  • Häufigkeit:Der Deszensus der Frau ist häufig und auch aufgrund steigender Lebenserwartung zunehmend.
  • Symptome:Der moderate Deszensus ist weitestgehend asymptomatisch. Bei ausgeprägten Veränderungen können vaginales Druckgefühl, Vorfallgefühl bis hin zu tastbarem Vorfall, Unterbauchbeschwerden, Harnentleerungsstörungen, rezidivierende Zystitiden bei Restharnsymptomatik, Defäkationsbeschwerden, Schmerzen beim Gehen, Schmerzen im kleinen Becken, sexuelle Dysfunktion, Dyspareunie sowie Druckgefühl oder Schmerzen des Rektums vorkommen.
  • Befunde:Die Diagnose wird für gewöhnlich durch die gynäkologische Untersuchung gestellt.
  • Diagnostik:Weitere mögliche Untersuchungen: Introitussonografie, Restharnbestimmung, Nierensonografie bei Restharn, evtl. urodynamische Untersuchung.
  • Therapie:Bei der Behandlung sollten zunächst konservative Therapieoptionen ausgeschöpft werden. Hierzu stehen vaginale Östrogenisierung, Beckenbodengymnastik, Life-Style-Änderung und Pessartherapien zur Verfügung. Bei Versagen der konservativen Therapie kann die operative Sanierung erwogen werden.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Descensus genitalis: Tiefertreten der Scheide und/oder des Uterus in Richtung des Scheideneingangs (Introitus vaginae) bedingt durch Veränderungen der bindegewebigen und muskulären Fixation im kleinen Becken.1-2 Aufgrund enger Lagebeziehungen zwischen den Beckenorganen sind häufig auch Harnblase sowie der Darm betroffen.
  • Deszensus (Senkung): Tiefertreten der Beckenorgane bis maximal zum Introitus vaginae3
  • Prolaps (Vorfall): Tiefertreten über den Introitus vaginae hinaus.3 Der Genitalprolaps stellt somit die maximale Form des Deszensus dar.
  • Verschiedene Arten des Deszensus
    • Urethrozele: Vorfall der Harnröhre aus der Harnröhrenöffnung
    • Zystozele: Blasenbodensenkung; Senkung der Blase in die vordere Scheidenwand
    • Partialprolaps des Uterus und der Vagina: teilweiser Vorfall von Gebärmutter und Scheide
    • Totalprolaps des Uterus und der Vagina: vollständiger Gebärmutter- und Scheidenvorfall
    • Uterovaginalprolaps: Vorfall von Gebärmutter und Scheide
    • vaginale Enterozele: Vorwölbung des Dünndarms in den hinteren, inneren Teil der Vagina
    • Rektozele: Vorwölbung des terminalen Rektums in die hintere Vaginalwand
  • Ein Genitalprolaps kann zu Inkontinenz oder Darmentleerungsproblemen führen.
  • Häufig wird der Schweregrad des Genitalprolaps wie folgt eingeteilt:4
    • Grad 0: kein Deszensus
    • Grad 1: Deszensus bis zur Scheidenmitte
    • Grad 2: Deszensus bis zum Hymen
    • Grad 3: Prolaps der halben Vaginallänge
    • Grad 4: maximaler Prolaps = Totalprolaps, die ganze Vaginallänge deszendiert.

Häufigkeit

  • Der Deszensus der Frau ist häufig und auch aufgrund steigender Lebenserwartung zunehmend.3
  • Bei bis zu 50 % aller Frauen kann im Laufe ihres Lebens ein urogenitaler Deszensus festgestellt werden.5
  • Aber nur jede 5. bis jede 10. Frau sucht aufgrund ihrer Beschwerden ärztlichen Rat.5
  • Das lebenslange Risiko aufgrund eines Deszensus oder einer Inkontinenz operiert zu werden, beläuft sich auf ca. 11–19 %.4

Ätiologie und Pathogenese

  • Ursächlich ist eine Schwächung der Bänder, Faszien und/oder der Muskulatur im Beckenboden als Folge disponierender Faktoren.

Pathophysiologie

  • Anatomie6
    • Kaudal wird die Bauchhöhle durch das Diaphragma pelvis begrenzt. Dieses besteht aus dem M. levator ani, dem M. coccygeus und ergänzendem Bindegewebe.
    • Die Anatomie des weiblichen Urogenitaltraktes bedingt retrosymphysär eine natürliche Schwachstelle, den Hiatus urogenitalis, sowie kaudal den Hiatus analis, die hauptsächlich durch den M. levator ani gestützt werden.
  • Durch eine Schädigung der Beckenbodenmuskulatur (insbesondere des M.levator ani) können die Beckenorgane nicht mehr ausreichend von muskulären Strukturen gehalten werden.7
  • Bindegewebige Strukturen der endopelvinen Faszie können jedoch nicht dauerhaft allein den wirkenden Dehnungskräften standhalten, wodurch in der Folge ein Deszensus entstehen kann.7
  • Der Beckenboden gliedert sich in drei Kompartimente:8
    1. Vorderes Kompartiment: Enthält Urethra, Harnblase und vordere Vaginalwand.
      • Defekte äußern sich in Form einer Senkung der vorderen Vaginalwand zusammen mit Blase und/oder Urethra als Zystozele.
    2. Mittleres Kompartiment: Beinhaltet Vagina und Uterus.
      • Defekte betreffen demzufolge Uterus oder nach Hysterektomie den Scheidenstumpf.
    3. Hinteres Kompartiment: Enthält die hintere Vaginalwand und das Rektum.
      • Defekte äußern sich als Deszensus der hinteren Vaginalwand oder als Rektozele/Enterozele.

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • X87 Uterovaginaler Prolaps

ICD-10

  • N81 Uterovaginaler Prolaps
    • N81.0 Urethrozele, Frau
    • N81.1 Zystozele
    • N81.2 Unvollständiger uterovaginaler Prolaps
    • N81.3 Vollständiger uterovaginaler Prolaps
    • N81.4 Uterovaginaler Prolaps, nicht näher bezeichnet
    • N81.5 Vaginale Enterozele
    • N81.6 Rektozele
    • N81.8 Anderer spezifizierter Prolaps der weiblichen Genitalien
    • N81.9 Prolaps der weiblichen Genitalien, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Anamnese und Befunde in der gynäkologischen Untersuchung

Differenzialdiagnosen

Klinische Varianten

  • Uterusprolaps
  • Vaginalprolaps
  • Zystozele
  • Zystourethrozele
  • Rektozele
  • Enterozele
  • Rektoenterozele

Anamnese

  • Erfragt werden sollten:3
    • Art und das Ausmaß der Symptome
    • Grad der Beeinträchtigung, inklusive Sexualität und Leidensdruck
    • geburtshilfliche und gynäkologische Vorgeschichte
    • relevante Begleiterkrankungen
    • Medikamente
    • frühere Therapien und Therapiewünsche der Patientin.
  • Der moderate Descensus genitalis ist weitestgehend symptomarm.
  • Ab Stadium 2 können folgende Beschwerden auftreten:3
    • Druck im Unterbauch
    • Vorfallgefühl bis hin zu tastbarem Deszensus2,10
    • Schmerzen im kleinen Becken
    • Schmerzen beim Gehen
    • sexuelle Dysfunktion
    • Dyspareunie
    • Harnentleerungsstörungen
    • rezidivierende Zystitiden
    • Pollakisurie
    • Harninkontinenz 
    • Defäkationsbeschwerden
    • Rückenschmerzen
    • Flatus vaginalis11-14
    • Schamgefühle und sozialer Rückzug.
  • Typischerweise Progredienz der Symptome bei längerem Stehen, Heben und Husten. Verschlechterung im Tagesverlauf, Besserung der Beschwerden im Liegen.
  • Die Symptome müssen nicht mit dem Schweregrad des Descensus genitalis korrelieren.15

Klinische Untersuchung

  • In der Regel erfolgt die klinische Untersuchung in der gynäkologischen Praxis. 
  • Falls die Patientin das wünscht, sind in der Hausarztpraxis allenfalls folgende Untersuchungen denkbar:
    • Inspektion des äußeren Genitales3
    • ggf. digito-rektale Untersuchung: Analsphinkterkontraktion, Rektozele.
  • Siehe auch TrainAMed Digital-rektale Untersuchung (Uni Freiburg).

Ergänzende Diagnostik 

  • Urinuntersuchung (Ustix und ggf. Kultur bei Dysurie) zum Ausschluss eines Infektes4
  • Ggf. Miktionstagebuch4
  • Ggf. Sonografie der Nieren und Restharnbestimmung4

Diagnostik bei Spezialist*innen

Gynäkologische Untersuchung3-4

  • Vaginale Inspektion
  • Vaginale Palpation (Beurteilung der Beckenbodenmuskulatur), ggf. digito-rektale-Untersuchung
  • Spekulumuntersuchung (Veränderungen beim Husten oder Pressen)
  • Perineal- oder Introitussonografie
  • Husten-Stresstest ohne und mit Reposition des Prolapses (Urinverlust beim Husten im Stehen?)
  • Vorlagenwiegetest

Spezialdiagnostik3-4

  • Die Basisdiagnostik ist ausreichend, um eine konservative Therapie einzuleiten.
  • Falls diese nicht ausreicht oder wenn eine operative Therapie geplant ist, dann sollte eine weiterführende Diagnostik am besten in einem Spezialzentrum (Beckenbodenzentrum) erfolgen:
    • Urodynamik/Urethradruckprofil
    • Zystourethroskopie
    • ggf. spezialisierte sonografische Untersuchungen
    • ggf. dynamische Kernspindefäkografie.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Beschwerden, zur Diagnostik und Therapie, besonders bei Bedarf einer operativen Behandlung oder einer Behandlung mit Pessar

Therapie

Therapieziele

  • Subjektive Beschwerdelinderung
  • Verbesserung der Lebensqualiät16
  • Verbesserung der Harninkontinenz, der Restharnsymptomatik, des Harnverhaltes
  • Verbesserung der Defäkation
  • Subjektive Verbesserung der sexuellen Funktion
  • Verhindern einer Progredienz

Allgemeines zur Therapie

  • Entscheidend für die Indikation zur Behandlung sind vor allem die subjektiven Beschwerden der Patientin.
  • Insbesondere bei mildem Descensus genitalis empfiehlt sich zunächst ein abwartendes Verhalten: Die spontane Regression kommt regelmäßig vor, insbesondere bei erstgradigem Deszensus.17
  • Stufentherapie
    • In der Primärtherapie werden lokale Östrogenisierung, Beckenbodentraining, Gewichtsreduktion und ggf. Therapie von Obstipation eingesetzt.18-19
    • als nächster Schritt: Erwägung einer Pessartherapie
    • bei Versagen konservativer Maßnahmen: Deszensus-Chirurgie
  • Psychosomatische Aspekte vor allem bei Inkontinenzsymptomen sollten ebenfalls berücksichtigt werden.4
    • Eine Studie zeigte, dass 18- bis 44-jährige Frauen mit Urininkontinenz häufiger an einer Depression erkrankt waren als kontinente Personen (30 % versus 9,2 %).
    • Auch Angsterkrankungen und eine allgemeine Furcht zu erkranken, waren mit Inkontinenz assoziiert.4

Konservative Therapie

  • Abbau von bekannten Risikofaktoren wie Adipositas, Nikotinabusus und chronischer Obstipation3
    • Gewichtsabnahme: Kann Symptome reduzieren und als präoperative Maßnahme sinnvoll sein.20

Beckenbodentraining

  • Systematisches Training/Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur
  • Reduziert bei kleineren Stadien (Stadium I und II) Senkungssymptome und verbessert eine Belastungsinkontinenz (Ib).3
  • Methoden 
    • eigenständige Beckenbodenkontraktion
    • Elektrostimulation
    • Biofeedback-Training

Pessar

  • Laut eines Cochrane-Reviews ist die Evidenzlage dazu unklar, ob der Einsatz eines Pessars allein die Symptomatik eines Genitalprolapses verbessern kann.
    • Die Anwendung eines Pessars in Kombination mit Beckenbodengymnastik verbessert wahrscheinlich die Symptomatik und Lebensqualität.
  • Allgemeines
    • Mit einem Pessar wird versucht, den Hiatus levatoris auszufüllen, um so eine Reposition des Prolapses zu erreichen.21
    • Es gibt keinen Konsens darüber, welcher Pessartyp am ehesten verwendet werden sollte.3
    • Bei 50–100 % der Patientinnen kann ein Pessar erfolgreich angepasst werden. Die Rate der erfolgreichen Therapieweiterführung ist mit 14–67 % deutlich geringer.3 
    • Es können sich Prolapssymptome, Belastungsinkontinenz, eine überaktive Blase, Defäkationsbeschwerden, die Sexualfunktion und die Körperwahrnehmung verbessern.3
  • Geringere Erfolgsraten bei:3
    • Z. n. Hysterektomie
    • Z. n. Prolapsoperationen
    • kurzer Scheidenlänge
    • klaffendem Introitus.
  • Indikationen3
    • Wunsch nach konservativer Therapie, nicht abgeschlossene Familienplanung
    • Schwangerschaft und Wochenbett
    • erhöhtes perioperatives Komplikationsrisiko aufgrund von Komorbiditäten
    • Überbrückung bis zur Operation
    • Diagnostisch bei unspezifischen Beschwerden
  • Vorbehandlung
    • Die lokale Östrogenisierung ist essenziell bei der Pessartherapie zur Vermeidung von lokalen Läsionen und Nekrosen.22  
Häufige Pessartypen
  • Würfelpessar21
    • Wird grundsätzlich durch die Patientin nachts herausgenommen und nach der Morgenmiktion wieder eingesetzt.
    • Cave: Druckulzera bei Dauerbelastung, da es durch Saugnäpfe hält.
    • Reinigung und Pflege mit klarem Wasser
    • Indikation: Deszensus ohne Harninkontinenz
  • Ein Würfelpessar ist vorwiegend beim Scheidenstumpfdeszensus indiziert, kann aber auch eine Rektozele oder Zystozele reponieren.
  • Ring-/Schalenpessar/Urethrapessar21
    • Zur Dauerbelassung konstruiert, eignet sich daher gerade für betagte Patientinnen.
    • Reinigung/Erneuerung in regelmäßigen Abständen (bis zu 6 Monaten) durch die gynäkologische Praxis.
    • Kann aber auch mit einem Faden versehen und nachts durch die Patientin selbst entfernt werden.
  • Ob Ring- oder Schalenpessar entscheidet sich je nach „Tragekomfort“, bei simultaner Stressharninkontinenz können Urethrapessare angepasst werden.
    • Indikation: Deszensus insbesondere der vorderen Vaginalwand und ggf. leichte Stressharninkontinenz
  • Anpassung und Auswahl des Pessars in der gynäkologischen Praxis21 
    • Anpassung nach ausreichender lokaler Östrogenisierung
    • Das Pessar kann zu vaginalen Irritationen führen und wird besser toleriert, wenn die Schleimhäute ausreichend östrogenisiert sind.
    • Angepasst werden sollte immer das kleinste Pessar, das hält.
    • Im Verlauf sollte immer wieder die Größe des Pessars überprüft und ggf. angepasst werden.
  • Kontrolle21 
    • Beispielsweise halbjährlich, falls die Patientin das Pessar selbst wechseln und reinigen kann.
    • Falls erforderlich, Reinigung in der gynäkologischen Praxis alle 6 Wochen.
    • Anamnese bzgl. Blutungen, Beschwerden, Schmerzen
  • Bei Komplikationen
    • Komplikationen bedingt durch die Pessartherapie sind selten.3 
    • Obstipation
    • Schmerzen
    • rektovaginale Fisteln
    • Migration des Pessars nach intraabdominell
    • Druckstellen/Ulzerationen/Dekubitus (Erosion der Schleimhaut)
    • Auftreten okkulter Harninkontinenz

Medikamentöse Therapie

Östrogenbehandlung

  • Lokale Östrogenisierung der Scheide bei der postmenopausalen Frau, wenn keine Kontraindikationen vorliegen.
  • Bei niedriger Dosierung haben Estradiol und Estriol ein vergleichbares Risiko-Nutzen-Verhältnis.
  • Die systemische Hormonersatztherapie ist nicht vorteilhaft für den Beckenboden und sollte nicht explizit gegen Deszensus oder Inkontinenz verordnet werden.21
  • Kontraindikationen
    • Mammakarzinom
    • Endometriumkarzinom
    • Bekannte andere Tumoren, deren Wachstum durch Zufuhr von Östrogenen stimuliert wird.
    • Endometriumhyperplasie
    • Blutungen aus der Scheide unklarer Genese
    • Thrombose
    • Lungenembolie
    • schwere Nierenfunktionsstörung
  • Anwendung: Creme oder Zäpfchen mit Estradiol/Estriol
    • Zäpfchen oder Creme täglich für 3 Wochen, dann zwei Anwendungen pro Woche als Erhaltungstherapie
    • z. B. Estriol 1,0 mg/g Vaginalcreme
    • Wochen 1–3: 1-mal täglich ½ Applikatorfüllung mit 0,5 g Vaginalcreme, entsprechend 0,5 mg Estriol
    • ab der 4. Woche: 2-mal wöchentlich ½ Applikatorfüllung mit 0,5 g Vaginalcreme, entsprechend 0,5 mg Estriol

Operation

Chirurgie

  • Bei der Planung einer Operation sollten das Alter, Risikofaktoren (wie Adipositas oder schwere körperliche Arbeit) und der Wunsch nach Uteruserhalt bzw. Hysterektomie miteinbezogen werden.3
  • Indikationen
    • Versagen konservativer Maßnahmen und hoher Leidensdruck
    • ausgeprägte Zystozele oder Rektozele evtl. mit Schwierigkeiten beim Wasserlassen oder beim Entleeren des Darms
    • schmerzhafter Uterusprolaps
  • Wahl der Operationsmethode
    • Selten existieren Defekte nur in einem Kompartiment des Beckenbodens, sodass oft kombinierte Operationsverfahren Anwendung finden.4
      • Präoperativ sollten deshalb alle Defekte diagnostiziert werden.
    • mögliche Zugänge: vaginal, laparoskopisch, offen-chirurgisch oder transanal22
    • Die Rekonstruktion des Beckenbodens kann mittels Eigengewebe oder mit dem Einsatz von Netzen erfolgen.
  • Mittleres Kompartiment4
    • Bei vorhandenem Uterus kann dieser entweder fixiert werden (z. B. am Ligamentum sacrospinale oder am Os sacrum), oder es wird eine Hysterektomie mit gleichzeitiger Fixation des Scheidenstumpfes durchgeführt.
      • Die abdominale oder laparoskopische Sakrokolpopexie zeigt eine Erfolgsrate von 78–100 %.
      • Das vaginale Vorgehen mit einer sakrospinalen Fixation zeigt eine ähnlich gute Erfolgsrate von 79–97 %.
    • Netze zeigen hohe Komplikationsraten nach Sakrokolpopexie und sollten hier nicht eingesetzt werden.3
  • Hinteres Kompartiment4
    • Die hintere Scheidenplastik mit Eigengewebe konnte eine Erfolgsrate von 82–93 % (kumulative Erfolgsrate 86 %) aufzeigen.
    • Für die Anwendung von Netzen im hinteren Kompartiment liegen keine randomisierten Studien vor.
  • Vorderes Kompartiment4
    • Die Erfolgsrate der vorderen Scheidenplastik mit Eigengewebe liegt bei 30–100 % (kumulative Erfolgsrate: 63 %).
    • Wird simultan eine Operation zur Unterstützung des mittleren Kompartimentes durchgeführt, sinkt das Rezidivrisiko signifikant.
    • Laut eines Cochrane-Reviews kann aufgrund der derzeitigen Datenlage der Einsatz von Netzen bei Operationen im vorderen Kompartiment nicht empfohlen werden.22
  • Komplikationen
    • relativ häufig: Hämatome, Blutungen, Infektionen, Zystitis, Blasenentleerungsprobleme, Inkontinenz
    • seltener: Verletzung der Urethra, Fisteln, Nervenschäden, Rezidive
    • bei Netzeinlagen: Erosion der Scheidenwand, Harnblase oder Rektums sowie Dyspareunie und Hispareunie (Schmerzen des Partners beim GV)
  • Gelegentliche Verschlechterung der Symptome oder Auftreten neuer Beschwerden durch Deszensusoperation (z. B. larvierte Stressharninkontinenz)22
  • Frauen, die zeitgleich an einer Stressharninkontinenz leiden, kann eine Korrektur in gleicher Sitzung angeboten werden.22
  • Die simultane Durchführung von Inkontinenzoperationen reduziert effektiv die postoperative Stressharninkontinenz.
  • Die Arbeitsunfähigkeit nach Operation beträgt je nach körperlicher Arbeitsbelastung 4–6 Wochen, inklusive Hebeverbot.

Sonderfall: postpartaler Deszensus6

  • Ein Deszensus kann auch während der Schwangerschaft oder im Wochenbett auftreten.
  • Hat eine gute Prognose durch eine konservative Behandlung und häufige Spontanheilungsrate.
  • Primäre Therapie ist die Beckenbodengymnastik und ggf. die Pessarbehandlung als ergänzende Therapie.
  • Eine Operation ist selten nötig.

Prävention

  • Beckenbodentraining postpartal: Es ist unsicher, welchen vorbeugenden Effekt dies im Hinblick auf spätere Prolapsbeschwerden hat.
  • Die Prüfung der Evidenz der Studien im Bereich der Physiotherapie- auch zur Therapie des Prolaps- ist allerdings erschwert.4
  • Übungen sind nicht standardisiert und teilweise fehlt die Überprüfung ob Übungen korrekt durchgeführt wurden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Ein Deszensus entwickelt sich über einen längeren Zeitraum, disponierende Faktoren, wie erhöhter intraabdominaler Druck, können den Befund verschlechtern.3

Komplikationen

  • Eine Zystozele kann zu Harnentleerungsbeschwerden, Restharn bis hin zum Harnstau und häufigen Harnwegsinfektionen führen.
  • Eine Zystouretrozele führt häufig zu Stressinkontinenz.
  • Druckulzera an der Portio bei hochgradigem Uterusprolaps und in der Fornix vaginae bei Pessarbehandlung
  • Ausgeprägter Genitalprolaps
    • Kann zu Vaginalblutungen und Ulzeration der atrophischen Scheidenwand führen.

Prognose

  • Unbehandelt kann es durch den Prolaps zu o. g. Komplikationen kommen.
  • Ein Rezidiv nach der Operation ist möglich, die Häufigkeit variiert zwischen den unterschiedlichen Operationsmethoden.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Video

Illustrationen

Uterusprolaps
Uterusprolaps
Descensus uteri
Descensus uteri
Rektozele
Rektozele
Enterozele
Enterozele
Der Pessar-Ring hebt und fixiert den Blasenboden.
Der Pessar-Ring hebt und fixiert den Blasenboden.

Quellen

Literatur

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Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Kristine Scheibel, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Norderney
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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