Vaginalkarzinom

Zusammenfassung

  • Definition:Karzinom der Vagina. Unbekannte Ursache, kann aber durch chronische Hauterkrankungen oder Infektion mit HPV-Virus verursacht werden
  • Häufigkeit:Macht ca. 2 % der gynäkologischen Karzinome aus, jedes Jahr erkranken ca. 0,1-1/100.000 Frauen in Deutschland daran.
  • Symptome:Symptome sind lokaler Juckreiz, Brennen, Schmerzen. Nach und nach entstehen Tumoren und/oder chronische Wunden. Kann auch asymptomatisch verlaufen.
  • Befunde:Die Tumoren sind in der Regel sichtbar und werden bei gynäkologischen Untersuchungen entdeckt. 
  • Diagnose:Die Diagnose wird mittels histologischer Untersuchung gestellt.
  • Behandlung:Das häufigste Therapiekonzept beim Vaginalkarzinom ist die primäre Bestraglung. Alternativ kommt die operative Entfernung und das Lymphknotenstaging, von einem Spezialisten auf dem Gebiet der gynäkologischen Karzinomchirurgie ausgeführt, in Frage. Die Chemotherapie hat schlechte Ansprechraten und kommt lediglich in der palliativen Situation zum Einsatz.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Das Vaginalkarzinom geht von der Oberfläche, den Drüsen oder tieferen Strukturen in der Vagina aus.
  • Die allermeisten Vaginalkarzinome sind Plattenepithelkarzinome

Häufigkeit

  • Äußerst selten1:     

    • 2 % aller gynäkologischen Malignome

    • pro Jahr erkranken ca. 0,4-1 von 100.000 Frauen daran

    • Altersgipfel zwischen 60. und 70. Lebensjahr
  • Entsprechend dünne Studienlage.
    • Eine deutsche Leitlinie "Vaginalkarzinom, Diagnostik, Therapie und Nachsorge" ist angemeldet, die Fertigstellung ist für Sommer 2017 vorgesehen.

 

Ätiologie und Pathogenese

  •  Zusammenhang mit HPV-Infektionen

Histologie1

  • Plattenepithelkarzinom: 83 %
  • Malignes Melanom: 3 %
  • Adenokarzinom: 8 %
  • Sarkom: 3%
  • Undifferenzierte, kleinzellige Karzinome und Lymphome: 3 %

Stadieneinteilung des Vaginalkarzinoms (FIGO/TNM)2:

    • Stadium I/T1: Tumor auf die Vagina begrenzt
    • Stadium II/T2: Infiltration des paravaginalen Gewebes, aber nicht bis zur Beckenwand
    • Stadium III/T3: Erreichen der Beckenwand
    • Stadium IV:
      • IVa /T4 Infiltration der Blasen- oder Rektummukosa oder Überschreitung der Grenzen des kleinen Beckens
      • IVb/M1: Fernmetastasen
    • direktes Tumorwachstum außerhalb des Beckens oder Fernmetastasen

Regionäre Lymphknoten:

    • Obere zwei Drittel der Vagina: Beckenlymphknoten
    • Unteres Drittel der Vagina: inguinale und femorale Lympgknoten
    • Befall regionärer Lymphknoten: N1

 

Ausbreitung

    • Meist lokal destruierendes Wachstum (Parakolpium, Blase, Darm, Skelett)
    • Evtl. Ausbreitung zu den regionären Lymphknoten
    • Fernmetastasen (Lunge, Leber,Skelett) sind selten1

Disponierende Faktoren

  • HPV-Infektion (Subtyp 16 und 18)
  • Hohes Lebensalter
  • Anderen gynäkologischen Erkrankungen: CIN, Zervixkarzinom, seltener Vulvatumoren
  • vorangegangene Strahlentherapie
  • chronische Reizzustände (z.B. bei Dauerbehandlung mit Pessar)1

ICPC-2

  • X77 Bösartige Neubild. in den weiblichen Geschlechtsorganen IKA

ICD-10

  • C52 Bösartige Neubildung der Vagina

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Inspektion und Palpation reichen in der Regel zur Stellung einer klinischen Diagnose aus
  • Biopsie und histologische Untersuchungen bestätigen die Diagnose

Differenzialdiagnosen

  • Präinvasive Beschwerden
      • bei forgeschrittener Dysplasie und Carcinoma in situ mit nachfolgender Hysterektomie kommt es dennoch anschließend in 7,4 % der Fälle zur VAIN3
  • Zervixkarzinom:
    • greift das Karzinom auf die Zervix über, ist dieses als Zervixkarzinom zu werten1
  • Vulvakarzinom: 
    • greift das Karzinom auf die Vulva über, ist dieses als Vulvakarzinom zu werten1

Anamnese

Klinik1:

  • Vaginale Blutungen, insbesondere postkoital
  • Vaginaler Fluor, übel riechen, blutig
  • Miktions- und Defäkationsbeschwerden
  • Schmerzen
    • im Becken bei Infiltration des Plexus sakralis
    • lumbal bei Harnstau
  • Klinische Zeichen für Thrombose
  • Asymptomatisch in 5-10 %

Klinische Untersuchung

  • Gynäkologische Untersuchung inkl. Koloskopie, Schiller-Iod Probe und Pap-Abstrich der Zervix
    • Meist sichtbarer Tumor, eventuell mit nicht heilenden Ulzera (zumeist im oberen Vaginaldrittel und an der Scheidenhinterwand lokalisiert1)
    • Kann warzenähnliche imponieren
    • Kann zu ekzemartigen Veränderungen führen
    • Evtl. pigmentierte Veränderungen
  • Palpation der inguinalen Lymphknoten, klinische Untersuchung

 

Ergänzende Untersuchungen 

In der Hausarztpraxis

  • keine, bei Verdacht sofortige Überweisung zum Gynäkologen

Diagnostik beim Spezialisten1

  • Gynäkologische Untersuchung in Narkose mit Palpation der Lymphknoten in der Leiste
  • Kolposkopie
  • Zytologischer Zervixabstrich
  • Vaginalsonografie und Endometriumbiopsie bzw. fraktionierte Abrasio zum Ausschluss eines Endometriumkarzinoms mit Vaginalmetastase
  • Biopsie des Tumors
  • Staging bei nachgewiesenem Vaginalkarzinom :
    • Röntgenthorax
    • Urogramm
    • Urethrozystoskopie
    • Prokto- und Rektoskopie
    • MRT des Beckens, CT des Abdomens
    • Skelettröntgen

Wann überweisen

  • Bei Verdacht auf malignen Tumor der Vagina

Therapieziel

  • Das Ziel ist Heilung bzw Erhalt der Lebensqualität

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung sollte in einer Spezialabteilung mit gynäkoonkologischer Expertise durchgeführt werden.
  • Die Strahlentherapie steht im Vordergrund, da bei der Operation die Problematik der ausreichend weiten gesunden Resektionsränder besteht.
  • Radiochemotherapie scheint Prognose verbessern zu können4, ist jedoch noch keine Routinetherapie
  • Chemotherapie spielt aufgrund des schlechten Ansprechens beim Vaginalkarzinom eine untergeordnete Rolle
  • Die Behandlung wird auf Grundlage der Stadieneinteilung des Tumors, der Histologie und des Ausgangspunkts festgelegt.

Radiatio

  • häufigstes Therapiekonzept beim Vaginalkarzinom (bis zu 80 %)1
  • Indikation1:
    • VAIN bei älteren, nicht operablen Patientinnen
    • Primärbehandlung Vaginalkarzinom
      • im Stadium I und II der Operation ebenbürtig
      • Nachteil: Vaginalstenosen
    • Rezidivsituation Vaginalkarzinom
      • Beckenwandrezidiv als palliative Therapie
      • zentrale Rezidive mit besserer Prognose

Operative Behandlung

  • VAIN1:
    • vollständige lokale Exzision, selten Kolpektomie erforderlich
    • Alternative: Lasertherapie (cave: keine histologische Kontrolle möglich)
  • Vaginalkarzinom1:
    • im Stadium I sinnvoll möglich, ggfs. im Stadium II (häufiger Radiatio)
    • Vorteil gegenüber der Betrahlung: Erhalt der sexuellen Funktion
    • Kolpektomie
      • Lokalisation des Karzinoms im oberen Scheidendrittel:
        • Radikale Hysterektomie, partielle Kolpektomie, pelvine Lymphonodektomie
      • Lokalisation im distalen Drittel:
        • radikale Kolpektomie, ggf. Vulvektomie, inguinale Lymphonodektomie
        • vor primärer Radiatio: inguinale Lymphonodektomie zur Planung
    • Exenteration:
      • Indikation:
        • Stadium IVa bei Fisteln
        • im Einzelfall in der Rezidivsituation
      • Anlage einer Neovagina erwägen

Medikamentöse Therapie

  • Remission unter Chemotherapie nur in 6-20 %1

 

Palliativbehandlung

  • palliative Radiatio bei Rezidiv1
  • Palliative Chemotherapie mit Cisplatin1

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • bei 3-5 % der Patientinnen mit VAIN entsteht ein invasives Karzinom1
  • Lokale Rezidive des Vaginalkarzinoms sind häufig, insbesondere innerhalb von 1,5 Jahren1

Komplikationen

  • Nach Operation und Bestrahlung kann die Wundheilung lange dauern
  • Deformationen des Hautbereichs mit relevanten Vaginalstenosen
    • insbesondere nach Bestrahlung
    • Problematisch vor allem für jüngere und sexuell aktive Patientinnen
  • Fistelbildung zu Nachbarorganen

Prognose

  • Die Prognose ist vom Stadium abhängig, die wichtigsten Einzelfaktoren sind die Größe des Tumors und die Häufigkeit von Metastasen.
  • 5-Jahres-Gesamtüberleben bei Vaginalkarzinom:
    • Stadium I: 73 %
    • Stadium II: 51 %
    • Stadium III: 33 %
    • Stadium IV: > 20 %

Verlaufskontrolle

Nachsorge1

  • Gründliche Kontrollen beim Gynäkologen sind aufgrund der hohen Rezidivraten wichtig
    • Kontrollen alle 3 Monate im 1.-3 Jahr, alle 6 Monate im 4. und 5. Jahr, danach jährliche Kontrollen
    • lokale Kontrolluntersuchung inklusive Zytologie und Vulvoskopie
  • Biopsien und Reexzision können erforderlich sein

Patienteninformation

Beratungsangebot

  • Empfehlung von lokaler Östrogenisierung und Hilfsmitteln (z.B. Vaginalprothesen)
    • Ziel: Annehmen von Veränderungen des Körpers als Folge der Therapie und Rückkehr zu einer befriedigenden Sexualität
    • Patientin darauf hinweisen, dass es sich um medizinisch notwendige Maßnahmen handelt
      • Ziel: Abbau von Scheu vor dem Einsatz von Hilfsmitteln
    • Narbenpflege und -massage mit östrogenhaltigen Cremes oder Vaginalzäpfchen
      • Konsequente lokale Östrogenisierung nach Vaginalkarzinom sinnvoll1
        • zur Vorbeugung einer ausgeprägten Narbenbildung und zur Akzeptanz eines veränderten Erscheinungsbildes 
    • wasserlösliche Gleitgels
      • bei Störungen der Lubrifikation
    • Dilatatoren
      • zum Offenhalten der Scheide
      • zur Förderung der Elastizität
      • zur Therapie von Stenosen 
        • treten insbesondere nach Radiatio auf
    • Muskelentspannende Übungen (Kegel-Übungen) gegen Penetrationsscherz
  • Ermutigung, frühzeitig nach Behandlungsabschluss der Therapie wieder mit sexuellen Aktivitäten zu beginnen
    • Intervalle nach Operation und Abschluss der Radio(chemo)therapie:
      • abhängig von der Größe, Beschaffenheit und Lokalisation der Narbe
      • Intervalle zwischen 3-6 Wochen können zumeist bedenkenlos empfohlen werden, das Intervall kann auch bei 6 bis 10 Wochen liegen
  • Bei sexuellen Problemen: Lösung braucht Zeit: 
    • Trauerarbeit über irreversible Verluste und Einschränkungen sexueller Funktionen oder Erlebnismöglichkeiten erforderlich
    • Vermeidung schulmedizinisch orientierter Gesprächsführung mit der Suche nach einer schellen Lösung für die Patientin
        • mit konsekutiver Verhinderung der notwendigen Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen
  • multiprofessionelle und interdisziplinäre Betreuung dieser Patientinnen unter Einbeziehung psycho(onko)logischer und sexualtherapeutischer Expertise

Welche schriftliche Patienteninformationen gibt es dazu

Lindernde Behandlung bei fortgeschrittener Krebserkrankung

Quellen

Literatur

  1. Petru E., Jonat W., Fink D., Köchli O.. Praxisbuch Gynäkologische Onkologie. Graz, Kiel und Zürich: Springer, 2011.
  2. Wittekind C, Meyer H-J. UICC TNM Klassifikation maligner Tumoren. Weinheim: Wiley-Blackwell, 2012.
  3. Schockaert S, Poppe W, Arbyn M, Verguts T, Verguts J. Incidence of vaginal intraepithelial neoplasia after hysterectomy for cervical intraepithelial neoplasia: a retrospective study. . Am J Obstet Gynecol 2008; 199(2): 113.e1-5. doi:10.1016/j.ajog.2008.02.026 DOI
  4. Dalrymple JL, Russell AH, Lee SW, Scudder SA, Leiserowitz GS, Kinney WK, Smith LH. Chemoradiation for primary invasive squamous carcinoma of the vagina . Int J Gynecol Cancer 2004; 14(1): 110-7. pmid:14764038 PubMed

Autoren

  • Julia Trifyllis, Dr. med., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, redaktør NEL
  • Per Bergsjø, professor emeritus, dr. med., Universitetet i Bergen. Spesialist i kvinnesykdommer og fødselshjelp, forsker ved Nasjonalt folkehelseinstitutt, Oslo

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