Zusammenfassung
- Definition:Abgang nur eines großen arteriellen Gefäßes aus dem Herzen, das sowohl Körper- als auch Lungenkreislauf versorgt. Nahezu immer mit Ventrikelseptumdefekt vergesellschaftet.
- Häufigkeit:Ca. 0,5–0,8 % der angeborenen Herzfehler. Inzidenz liegt bei etwa 5–15 pro 100.000 Lebendgeburten.
- Symptome:Tachypnoe, Schwitzen, Trinkschwäche. In Einzelfällen Zyanose.
- Befunde:Hebender Herzspitzenstoß, große Blutdruckamplitude, unspezifisches Herzgeräusch. Zeichen der Herzinsuffizienz: Tachypnoe, Tachykardie, Hepatosplenomegalie. Erniedrigte Sauerstoffsättigung.
- Diagnostik:Echokardiografie entscheidendes Bildgebungsverfahren zur Diagnosestellung.
- Therapie:Chirurgische Korrektur im Neugeborenenalter mit Trennung von Lungen- und Systemkreislauf.
Allgemeine Informationen
Definition
- Beim Truncus arteriosus communis (TAC) geht nur ein großes arterielles Gefäß aus dem Herzen ab, das sowohl Körper- als auch Lungenkreislauf versorgt.
- Nahezu immer mit Ventrikelseptumdefekt (VSD) vergesellschaftet, daneben häufig weitere Anomalien (s. u.)
Häufigkeit
- Seltene Erkrankung
- Inzidenz 5–15 pro 100.000 Lebendgeburten1
- Ca. 0,5–0,8 % der angeborenen Herzfehler2
- Inzidenz von TAC und anderen schweren Herzfehlern rückläufig, möglicherweise aufgrund von Schwangerschaftsabbrüchen bei pränatal diagnostizierten Herzfehlern3
Klassifikation
- Verschiedene Varianten des Abgangs der großen Gefäße aus dem TAC
- Klassifikation der TAC-Varianten durch die Einteilung nach van Praagh2
- Hauptklasse A mit Ventrikelseptumdefekt (VSD), Hauptklasse B ohne VSD (extrem selten)
- A1: gemeinsamer Stamm von Aorta und Pulmonalarterie
- A2: Abgang beider Pulmonalarterien gemeinsam oder getrennt aus der Hinterwand des Truncus
- A3: Abgang nur einer Pulmonalarterie aus dem Truncus, Versorgung der 2. Pulmonalarterie über Ductus arteriosus oder Kollateralen aus der Aorta
- A4: zusätzliche Aortenbogenfehlbildungen (Aortenisthmusstenose, Aortenbogenatresie)
Zusätzliche Anomalien2
- Ventrikelseptumdefekt (VSD): praktisch immer vorhanden, Truncusklappe reitet über VSD
- Truncusklappenanomalien, Truncusklappe kann 2–6 Taschenklappen aufweisen.
- Truncusklappeninsuffizienz (häufig)
- Truncusklappenstenose (selten)
- Vorhofseptumdefekt (70 %)
- Rechtsseitiger Aortenbogen (25–60 %)
- Koronaranomalien (15–30 %)
- Abgangsstenosen der Pulmonalarterien
- Aortenisthmusstenose, Aortenbogenhypoplasie
- Persistierende linke obere Hohlvene
- Fehleinmündende Lungenvenen
- Univentrikuläres Herz
- Atrioventrikuläre Septumdefekte
- Cor triatriatum
Leitlinie: Kernaussagen zur Anatomie2
- Beim Truncus arteriosus entspringt nur ein großes arterielles Gefäß (Truncus) mit einer Semilunarklappe (Truncusklappe) aus dem Herzen.
- Dieses Gefäß versorgt den Körper-, Lungen- und Koronarkreislauf.
- Die Truncusklappe weist eine unterschiedliche Zahl häufig
dysmorpher Taschen (2–4) auf und ist häufig insuffizient. - Die Einteilung der Truncustypen erfolgt anhand der Anatomie der
Pulmonalgefäße.
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- Häufig (70 %) mit einem Gendefekt (Mikrodeletion 22q11) assoziiert2
- Weitere mögliche Veränderungen bei Patient*innen mit Mikrodeletion 22q114
- Gaumenveränderungen
- kraniofaziale Dysmorphien
- Hypoparathyreoidismus
- Entwicklungsverzögerung
- Immunschwäche
- Autosomal-dominanter Erbgang der Deletion
- Bei Kindern betroffener Eltern meist stärkere phänotypische Ausprägung als bei den Eltern5
- Daher sind eine genetische Diagnostik und ggf. eine Beratung im Vorfeld einer Schwangerschaft notwendig.5
Pathophysiologie1-2
- Druckausgleich zwischen beiden Ventrikeln durch den großen VSD
- Auswurf des Herzminutenvolumens in den gemeinsamen Truncus
- Lungendurchblutung abhängig vom Verhältnis zwischen pulmonalem und systemischem Gefäßwiderstand
- Durch Abfall des pulmonalen Gefäßwiderstands nach der Geburt starke Zunahme der Lungendurchblutung
- Hierdurch Volumenbelastung beider Ventrikel
- evtl. Verstärkung durch Trikuspidalinsuffizienz
- Erniedrigte Sauerstoffsättigung durch Mischung des Blutes
- Bei erniedrigtem Lungenfluss (Fälle mit Abgangsstenosen der Pulmonalarterien) starke Zyanose möglich
- Letztlich progrediente Herzinsuffizienz, oft schon im Neugeborenenalter schwergradig
Disponierende Faktoren
- Deletion 22q11
- Maternaler Diabetes6
- Maternaler Nikotinkonsum: Nikotinkonsum im ersten Trimenon ist mit einem 2-fach erhöhten Risiko für TAC verbunden.2
ICPC-2
- K73 Angeborene Anomalie Herz/Gefäßsystem
ICD-10
- Q20 Angeborene Fehlbildungen der Herzhöhlen und verbindender Strukturen
- Q20.0 Truncus arteriosus communis, persistierender Truncus arteriosus
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Diagnosestellung mittels Echokardiografie
- über einem VSD reitende, gemeinsame Arterie als entscheidendes Kriterium
- Darstellung weiterer assoziierter Veränderungen
Differenzialdiagnosen
- Andere Herzfehler, insbesondere:2
- Fallot-Tetralogie
- Pulmonalatresie mit VSD
- aortopulmonales Fenster.
Anamnese
- Diagnose im Allgemeinen prä- oder perinatal
- Bei verzögerter Diagnosestellung1
- erhöhte Atemfrequenz
- evtl. Zyanose
- verstärktes Schwitzen
- Trinkschwäche, Gedeihstörung
- Angeborene Herzfehler in der Familie
- Maternaler Diabetes6
Klinische Untersuchung
- Zeichen der Herzinsuffizienz
- Tachypnoe, Tachykardie, verstärktes Schwitzen, Hepatosplenomegalie
- Hyperdynamer Herzspitzenstoß
- Große Blutdruckamplitude
- Unspezifisches Herzgeräusch2
- Evtl. Zyanose
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Diagnose wird üblicherweise prä- oder perinatal gestellt.
- Allenfalls EKG: unspezifische Veränderungen2
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Pulsoxymetrie
- erniedrigte Sauerstoffsättigung, aber in der Mehrzahl der Fälle > 90 % durch pulmonale Hyperzirkulation2
- niedrigere Werte bei Abgangsstenosen der Pulmonalarterien
- Röntgenthorax
- vergrößertes Herz, verstärkte Gefäßzeichnung
- zur Diagnosestellung nicht erforderlich
- Echokardiografie: entscheidendes Verfahren für die Diagnosestellung
- Darstellung von:2
- Truncus arteriosus: über VSD reitendes Gefäß
- Truncusklappe: Anzahl Klappentaschen, Insuffizienz, Stenose
- VSD: Größe, Anzahl
- Ventrikel: Größe, Funktion
- Aortenbogen: Links-/Rechtsaortenbogen
- Pulmonalarterien: Abgangsstenosen
- Systemvenen: persistierende linke obere Hohlvene
- Pulmonalvenen: Fehleinmündung
- Koronararterien: Abgang, Verlauf
- seltene assoziierte Fehlbildungen: Trikuspidalatresie, atrioventrikulärer Septumdefekt (AVSD)
- Darstellung von:2
- CT/MRT
- zur Diagnosestellung im Allgemeinen nicht notwendig
- Herzkatheter
- Labor
- Blutgasanalyse
- genetische Untersuchung auf Deletion 22q11
Indikation zur Krankenhauseinweisung
- Kardial dekompensiertes und/oder zyanotisches Kind
Indikation zur Überweisung zur Kinderkardiologie
- Klinisch kompensiertes Kind mit Herzgeräusch, das den V. a. angeborenen Herzfehler begründet (siehe auch Artikel Herzgeräusche bei Kindern).
Checkliste zur Überweisung
Herzgeräusche bei Kindern
- Zweck der Überweisung
- Bestätigende Diagnostik? Behandlung? Sonstiges?
- Anamnese
- Gedeihstörung, Schwindel, Synkope, Atemnot, Atemwegsinfekte, Husten, Brustschmerz, Palpitationen
- Familienanamnese: Herzfehler, plötzlicher Herztod
- Schwangerschaft: Alkohol, teratogene Medikamente, Infektionen, Diabetes mellitus
- Vor- und Begleiterkrankungen, die mit Herzfehlern assoziiert sind.
- Klinische Untersuchung
- Allgemeinzustand
- Zyanose, Tachypnoe, Ödeme
- Blutdruckdifferenz Arme/Beine
- palpables Schwirren über Thorax, Lebervergrößerung
- Herzgeräusch: zeitliches Auftreten innerhalb des Herzzyklus, Dauer, Frequenz, Klangcharakter, Punctum maximum, Fortleitung
- Ergänzende Untersuchungen
- EKG
Therapie
Therapieziele
- Intensivmedizinische Sicherung der Vitalfunktionen bis zur Operation
- Verbesserung der Prognose
Allgemeines zur Therapie
- Indikation zur operativen Korrektur praktisch immer gegeben2
- Ausnahme: fixierte Erhöhung des pulmonalen Widerstands2
Symptomatische Behandlung
- Stabilisierung bis zur operativen Korrektur2
- Behandlung der Herzinsuffizienz
- Betablocker
- Diuretika
- Evtl. Prostaglandin E, falls der Ductus arteriosus offen gehalten werden muss.
- O2-Gabe trotz Zyanose in der Regel kontraindiziert wegen Senkung des Lungenwiderstands, dadurch Zunahme der Lungendurchblutung mit Verstärkung der Herzinsuffizienz
- Behandlung der Herzinsuffizienz
Operation
- Kern der operativen Versorgung ist die Trennung des systemischen und pulmonalen Kreislaufs.2,7-8
- Verschluss des VSD
- Rekonstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts mit Implantation eines klappentragendes Konduits
- evtl. auch Korrektur der Truncusklappe
- Ggf. Korrektur der weiteren vorhandenen Fehlbildungen
Prävention
- Endokarditis-Prophylaxe
Leitlinie: Kernaussagen zur chirurgischen Therapie2
- Die chirurgische Therapie erfolgt in der Regel neonatal.
- Sie beinhaltet den VSD-Verschluss, die Etablierung einer
Verbindung zwischen dem rechten Ventrikel bzw.
rechtsventrikulären Ausflusstrakt und der Pulmonalarterie. - Ggf. zusätzliche Korrektur des Aortenbogens (je nach TAC-Typ)
- Palliativ-Operationen wie PA-Banding sind nur selten notwendig.
- Sie beinhaltet Sekundäroperationen im Bereich der
Truncusklappe, RVOT-Conduit. - Ggf. zusätzliche Korrektur der Truncusklappe
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
- Progrediente Herzinsuffizienz
- Pulmonale Hypertonie
- Arrhythmien, vor allem ventrikuläre Tachykardien
- Konduitassoziierte Probleme
Verlauf und Prognose
- In der Regel treten die Symptome schon in der 1. Lebenswoche auf.
- Ohne Behandlung
- Postoperative Frühletalität 5–16 %2
- Korrektur-OP erst Mitte bis Ende der 80er Jahre mit weiterer Verbreitung, daher noch wenige Langzeitdaten1,10-11
- Berichtete Langzeitüberlebensraten zwischen 68–79 % nach bis zu 30 Jahren2
- Wegen der im Säuglingsalter implantierten kleinen Conduits im Verlauf Re-Op mit Austausch erforderlich2
- Häufig sind auch spätere OPs der Trunkusklappe notwendig.12
- Mehrheit der Patient*innen mit guter Lebensqualität2
- v. a. bei Kindern mit Deletion 22q11 evtl. Störungen der psychomotorischen Entwicklung
- In einer Single-Center-Studie waren nach mittlerem Follow-up von 23 Jahren:12
- die meisten Patient*innen im NYHA-Stadium I (73 %) oder II (24 %).
- 63 % der Patient*innen vollzeitbeschäftigt.
Verlaufskontrolle, Nachsorge
- Kardiologische Kontrollen sind lebenslang notwendig.2
- Zu beachten sind insbesondere:2
- Funktion des Conduits (Stenosen, Verkalkungen, Insuffizienzen)
- ventrikuläre Rhythmusstörungen
- pulmonale Hypertonie.
- Endokarditis-Prophylaxe lebenslang notwendig2
- neben echokardiografischen Verlaufskontrollen bei größeren Kindern auch regelmäßige MRT-Untersuchungen2
- Zu beachten sind insbesondere:2
- Psychomotorische Entwicklung
Weiterbetreuung im Erwachsenenalter (EMAH = Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern)
- Gute Kommunikation ist erforderlich zwischen Hausärzt*innen, niedergelassenen Kardiolog*innen und EMAH-Zentrum sowie enge Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Erwachsenenkardiolog*innen für eine optimale Behandlung von EMAH-Betroffenen.13
Leitlinie: Kernaussagen zur Nachsorge nach Korrektur2
- Truncusklappe: bei Insuffizienz –> RE-OP
- Rechter Ventrikel: Größe und Funktion
- Conduit: bei Stenose bzw. Insuffizienz -> Intervention, Klappenersatz
- Pulmonalgefäße: Stenose, Seitendifferenz
- Aorta: Erweiterung der Aorta aszendens, Bogenstenose
- Rhythmusstörungen: Langzeit-EKG alle 1–3 Jahre
- Belastbarkeit: Spiroergometrie alle 3–5 Jahre
- Pulmonaler Hypertonus: bei Bedarf Einsatz von selektiven
Vasodilatatoren - Mikrodeletion 22q11: psychomotorische Entwicklung
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Patientenorganisationen
- Bundesverband herzkranke Kinder e. V.
- Interessengemeinschaft Das herzkranke Kind e. V.
- Elterninitiative Herzkranke Kinder Südbaden e. V.: Herzklopfen
- Kinderherzstiftung e. V.
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Truncus arteriosus communis (TAC). AWMF-Leitlinie 023-043, S2k. Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
- McElhinney D. Truncus arteriosus. Medscape, updated: Jan 14, 2015. Zugriff 26.07.18. emedicine.medscape.com
- Deutsche Gesellschaft für Padiatrische Kardiologie (DGPK). Truncus arteriosus communis (TAC). AWMF-Leitlinie 023-043. Stand 2020. www.awmf.org
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).